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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich List

sich auch die fragliche Wahrheit, durch Lifts Verdienst, praktisch fühlbar genug
machte. Er kommt einigemal darauf zu sprechen, daß man sich vor Eisenbahn¬
bauten schon ans dem Grunde fürchtete, weil man nicht wußte, woher man
die großen Geldsummen nehmen solle, die der Bau kosten würde, und erwidert
den Ängstlicher, er habe noch niemals an einer Eisenbahn Gold oder Silber
gesehen, sondern immer nur Holz und Eisen. Wo man Holz, Eisen, Arbeiter
und Lebensmittel für diese Arbeiter habe -- und das alles sei in Deutschland
reichlich vorhanden --, dn könne man auch Eisenbahnen bauen. Das Geld
werde nur dazu gebraucht, Holz, Eisen, Arbeiter und Lebensmittel für den
Bau zusammenzubringen. Es brauche auch gar nicht i" der Form von ge¬
prägten Metallstückeu vorhanden zu sein, Papier genüge. Und es handle sich
nicht um übergroße Summen; denn nur zum Anfang werde einiges Geld er¬
fordert, zum Bau der ersten Strecke; sei diese fertig, so liefere sie Geld für
die nächste Strecke und so fort. Wolle mau aber gleich ins Große gehn, so
dürfe man unbedenklich Darlehen aufnehmen -- in Form eines Aktienkapitals,
zu dem Bauern und Arbeiter, das ganze Volk, beisteuern könnten --, denn
es sei nicht mehr als billig, daß die zukünftigen Geschlechter, die den Haupt-
Vorteil des Unternehmens genössen, mich einen Teil der Kosten trügen. Er
macht bei dieser Gelegenheit den Unterschied zwischen Kriegsschulden und pro¬
duktiven Schulden klar, von dem die damaligen Staatsmänner noch keinen
Begriff hatten, weil es großartige öffentliche Unternehmungen, die nur mit
Hilfe des Kredits hätten durchgeführt werdeu können, damals noch nicht gab,
und sagt voraus, daß die Überziehung Deutschlands mit einem Eisenbahnnetz
zur Gründung einer Reichsbank führen werde, die als das Herz des Güter¬
umlaufs sowohl Regelmäßigkeit als Schwung hineinbringen werde. Er be¬
zeichnet die Jahrcsernten als das Gut, womit der Bahubau bezahlt werde,
indem alljährlich ein Teil der geernteten Früchte in menschliche und tierische
Arbeitskraft, diese aber in die große, Güter herbeischaffende und verbilligende
Transportmaschine verwandelt werde. Bekanntlich ist es Rodbertus gewesen,
der diesen Gedankenkreis vollständig ausgebaut hat. Daß Rodbertus aus List
geschöpft habe, davon findet sich in jenes Schriften keine Spur. Jedenfalls
aber ist List der erste gewesen, der diesen Grundbegriff der Volkswirtschaft klar
gemacht hat, und wenn diese seine Lehre unbeachtet geblieben ist, so beweist
das, wie langsam sich selbst in unsrer rasch lebenden Zeit wichtige Wahrheiten
Bahn brechen.

Weit ausführlicher und öfter, an vielen Stellen seiner kleinern Schriften,
namentlich in denen über Eisenbahnen, hat List die Wirkungen der Transport¬
mittel erklärt. Was das heißt, einen Ort, eine Gegend, ein Land durch den
Ban voir Bahnen oder Kanälen erschließen, weiß heute jedermann. Damals
wußte es niemand. In einer Zeit, wo sich die Leute noch fürchteten, einen
Eisenbahnwagen zu besteigen, weil die schnelle Bewegung einen tödlichen
Schwindel erzeugen müsse, und wo die gewiegtesten Geschäftsleute das ganze
Eisenbahnwesen für einen gefährlichen und verderblichen Humbug erklärten,


Friedrich List

sich auch die fragliche Wahrheit, durch Lifts Verdienst, praktisch fühlbar genug
machte. Er kommt einigemal darauf zu sprechen, daß man sich vor Eisenbahn¬
bauten schon ans dem Grunde fürchtete, weil man nicht wußte, woher man
die großen Geldsummen nehmen solle, die der Bau kosten würde, und erwidert
den Ängstlicher, er habe noch niemals an einer Eisenbahn Gold oder Silber
gesehen, sondern immer nur Holz und Eisen. Wo man Holz, Eisen, Arbeiter
und Lebensmittel für diese Arbeiter habe — und das alles sei in Deutschland
reichlich vorhanden —, dn könne man auch Eisenbahnen bauen. Das Geld
werde nur dazu gebraucht, Holz, Eisen, Arbeiter und Lebensmittel für den
Bau zusammenzubringen. Es brauche auch gar nicht i» der Form von ge¬
prägten Metallstückeu vorhanden zu sein, Papier genüge. Und es handle sich
nicht um übergroße Summen; denn nur zum Anfang werde einiges Geld er¬
fordert, zum Bau der ersten Strecke; sei diese fertig, so liefere sie Geld für
die nächste Strecke und so fort. Wolle mau aber gleich ins Große gehn, so
dürfe man unbedenklich Darlehen aufnehmen — in Form eines Aktienkapitals,
zu dem Bauern und Arbeiter, das ganze Volk, beisteuern könnten —, denn
es sei nicht mehr als billig, daß die zukünftigen Geschlechter, die den Haupt-
Vorteil des Unternehmens genössen, mich einen Teil der Kosten trügen. Er
macht bei dieser Gelegenheit den Unterschied zwischen Kriegsschulden und pro¬
duktiven Schulden klar, von dem die damaligen Staatsmänner noch keinen
Begriff hatten, weil es großartige öffentliche Unternehmungen, die nur mit
Hilfe des Kredits hätten durchgeführt werdeu können, damals noch nicht gab,
und sagt voraus, daß die Überziehung Deutschlands mit einem Eisenbahnnetz
zur Gründung einer Reichsbank führen werde, die als das Herz des Güter¬
umlaufs sowohl Regelmäßigkeit als Schwung hineinbringen werde. Er be¬
zeichnet die Jahrcsernten als das Gut, womit der Bahubau bezahlt werde,
indem alljährlich ein Teil der geernteten Früchte in menschliche und tierische
Arbeitskraft, diese aber in die große, Güter herbeischaffende und verbilligende
Transportmaschine verwandelt werde. Bekanntlich ist es Rodbertus gewesen,
der diesen Gedankenkreis vollständig ausgebaut hat. Daß Rodbertus aus List
geschöpft habe, davon findet sich in jenes Schriften keine Spur. Jedenfalls
aber ist List der erste gewesen, der diesen Grundbegriff der Volkswirtschaft klar
gemacht hat, und wenn diese seine Lehre unbeachtet geblieben ist, so beweist
das, wie langsam sich selbst in unsrer rasch lebenden Zeit wichtige Wahrheiten
Bahn brechen.

Weit ausführlicher und öfter, an vielen Stellen seiner kleinern Schriften,
namentlich in denen über Eisenbahnen, hat List die Wirkungen der Transport¬
mittel erklärt. Was das heißt, einen Ort, eine Gegend, ein Land durch den
Ban voir Bahnen oder Kanälen erschließen, weiß heute jedermann. Damals
wußte es niemand. In einer Zeit, wo sich die Leute noch fürchteten, einen
Eisenbahnwagen zu besteigen, weil die schnelle Bewegung einen tödlichen
Schwindel erzeugen müsse, und wo die gewiegtesten Geschäftsleute das ganze
Eisenbahnwesen für einen gefährlichen und verderblichen Humbug erklärten,


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[0496] Friedrich List sich auch die fragliche Wahrheit, durch Lifts Verdienst, praktisch fühlbar genug machte. Er kommt einigemal darauf zu sprechen, daß man sich vor Eisenbahn¬ bauten schon ans dem Grunde fürchtete, weil man nicht wußte, woher man die großen Geldsummen nehmen solle, die der Bau kosten würde, und erwidert den Ängstlicher, er habe noch niemals an einer Eisenbahn Gold oder Silber gesehen, sondern immer nur Holz und Eisen. Wo man Holz, Eisen, Arbeiter und Lebensmittel für diese Arbeiter habe — und das alles sei in Deutschland reichlich vorhanden —, dn könne man auch Eisenbahnen bauen. Das Geld werde nur dazu gebraucht, Holz, Eisen, Arbeiter und Lebensmittel für den Bau zusammenzubringen. Es brauche auch gar nicht i» der Form von ge¬ prägten Metallstückeu vorhanden zu sein, Papier genüge. Und es handle sich nicht um übergroße Summen; denn nur zum Anfang werde einiges Geld er¬ fordert, zum Bau der ersten Strecke; sei diese fertig, so liefere sie Geld für die nächste Strecke und so fort. Wolle mau aber gleich ins Große gehn, so dürfe man unbedenklich Darlehen aufnehmen — in Form eines Aktienkapitals, zu dem Bauern und Arbeiter, das ganze Volk, beisteuern könnten —, denn es sei nicht mehr als billig, daß die zukünftigen Geschlechter, die den Haupt- Vorteil des Unternehmens genössen, mich einen Teil der Kosten trügen. Er macht bei dieser Gelegenheit den Unterschied zwischen Kriegsschulden und pro¬ duktiven Schulden klar, von dem die damaligen Staatsmänner noch keinen Begriff hatten, weil es großartige öffentliche Unternehmungen, die nur mit Hilfe des Kredits hätten durchgeführt werdeu können, damals noch nicht gab, und sagt voraus, daß die Überziehung Deutschlands mit einem Eisenbahnnetz zur Gründung einer Reichsbank führen werde, die als das Herz des Güter¬ umlaufs sowohl Regelmäßigkeit als Schwung hineinbringen werde. Er be¬ zeichnet die Jahrcsernten als das Gut, womit der Bahubau bezahlt werde, indem alljährlich ein Teil der geernteten Früchte in menschliche und tierische Arbeitskraft, diese aber in die große, Güter herbeischaffende und verbilligende Transportmaschine verwandelt werde. Bekanntlich ist es Rodbertus gewesen, der diesen Gedankenkreis vollständig ausgebaut hat. Daß Rodbertus aus List geschöpft habe, davon findet sich in jenes Schriften keine Spur. Jedenfalls aber ist List der erste gewesen, der diesen Grundbegriff der Volkswirtschaft klar gemacht hat, und wenn diese seine Lehre unbeachtet geblieben ist, so beweist das, wie langsam sich selbst in unsrer rasch lebenden Zeit wichtige Wahrheiten Bahn brechen. Weit ausführlicher und öfter, an vielen Stellen seiner kleinern Schriften, namentlich in denen über Eisenbahnen, hat List die Wirkungen der Transport¬ mittel erklärt. Was das heißt, einen Ort, eine Gegend, ein Land durch den Ban voir Bahnen oder Kanälen erschließen, weiß heute jedermann. Damals wußte es niemand. In einer Zeit, wo sich die Leute noch fürchteten, einen Eisenbahnwagen zu besteigen, weil die schnelle Bewegung einen tödlichen Schwindel erzeugen müsse, und wo die gewiegtesten Geschäftsleute das ganze Eisenbahnwesen für einen gefährlichen und verderblichen Humbug erklärten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/496>, abgerufen am 02.10.2024.