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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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durch das es möglich wird, die Worte als Zeichen für Vorstellungen, nicht
mehr als Zeichen für ganze Gedanken zu verwenden, gewinnt das Kind dann
an der Gebärde, Den Gedanken: Der Vater ist nicht da, bezeichnet es wohl,
indem es Papa sagt und dazu den Kopf schüttelt, Oder es benutzt eine hin¬
weisende Gebärde, mit der es das ausgesprochue Wort begleitet, zur Bezeich¬
nung der Anwesenheit, Und nicht lange, so treten an die Stelle der Gebärden
Wörter der Lantsprache: dann heißt es Papa nein oder Papa ata für der
Vater ist nicht da, Mama da für die Mutter ist da usw. Natürlich kommen
nur solche Sätze in Betracht, die das Kind selbst bildet, nicht nachgeplapperte.
Zugleich werden die Wörter in der mannigfaltigsten Weise zu Sätzen zusammen¬
gefügt. Diese Sätze sind freilich "och höchst unentwickelt, die Redeteile äußer¬
lich noch nicht geschieden, Formwörter, also Binde- und Verhältniswörter,
werden uoch gar nicht verwandt, auch eine Biegung fehlt noch, die Zeitwörter
erscheinen in der Nenn- oder in der Befehlsform: Apu haben -- ich will
.Kuchen haben, Mama tom ----- die Mutter soll kommen. Oft fehlen auch noch
die Zeitwörter: bruma tuba ----- die Tante hat mir Küche" gegeben. Aber der
wesentlichste Fortschritt ist gemacht.

Entsprechend haben wir uns die Entwicklung der Sprache der Menschheit
zu denken, mir daß hier die Gebärden gewiß viel länger rede" den Worten
der Lautsprache bei der Satzbildung verwandt worden sind. Das Kind, das
an der Sprache seiner Umgebung unausgesetzt ein Vorbild findet, muß eben
schnellere Fortschritte machen. Mit der Zusammenfügung mehrerer Wörter zu
einem Satze, wie sie sämtliche Sprachen kennen, ist vielleicht der wichtigste
Schritt gethan worden. Nun waren die verschiedenartigsten Verbittdungen der
Worte möglich. Die Mitteilungen, die bisher an gegenwärtige Anschauungen
geknüpft gewesen waren, konnten sich von diesen frei machen: man konnte Ver¬
gangnes erzählen und auf Zukünftiges hindeuten. Nun war ferner die Bil¬
dung neuer Ausdrucksmittel nahe gelegt: man konnte die Satzteile durch
Stellung und Betonung unterscheiden. Es war endlich die Möglichkeit ge¬
geben, die Redeteile durchweg scharf vonemattder zu souderu, und die gesteigerte
Vollkommenheit der Ausdrucksmittel mußte höchst förderlich ans das Denken
zurückwirken, das sich nun freier entfalten konnte. Freilich ist das alles nnr
sehr allmählich vor sich gegangen. Die Worte, die aneinandergereiht wurden,
waren für lange Zeit nur Wurzeln, ohne jede Biegung, ganz entsprechend den
oben angeführten Kindersätzen. Manche heutigen Sprachen sind bekanntlich
auch ans dieser Stufe stehn geblieben, so das Chinesische, wo es zu einer Schei¬
dung der Redeteile im allgemeinen nicht gekommen ist, und z. B. ein und
dasselbe Wort Ruhe, ruhig, ruhig sein, beruhigen und beruhigt werden be¬
deuten kann.

In den kindlichen Satzwörtern wie tut sind vorwiegend Dingvorstellungen,
seltner Zustands- und Thätigkeitsvorstcllungen enthalten. Das Begehren
richtet sich eben meistens auf Gegenstände, zugleich ist die deutliche Bezeichnung
des Gegenstands zum Verständnis unerläßlich, während der Begriff der Thätig-


durch das es möglich wird, die Worte als Zeichen für Vorstellungen, nicht
mehr als Zeichen für ganze Gedanken zu verwenden, gewinnt das Kind dann
an der Gebärde, Den Gedanken: Der Vater ist nicht da, bezeichnet es wohl,
indem es Papa sagt und dazu den Kopf schüttelt, Oder es benutzt eine hin¬
weisende Gebärde, mit der es das ausgesprochue Wort begleitet, zur Bezeich¬
nung der Anwesenheit, Und nicht lange, so treten an die Stelle der Gebärden
Wörter der Lantsprache: dann heißt es Papa nein oder Papa ata für der
Vater ist nicht da, Mama da für die Mutter ist da usw. Natürlich kommen
nur solche Sätze in Betracht, die das Kind selbst bildet, nicht nachgeplapperte.
Zugleich werden die Wörter in der mannigfaltigsten Weise zu Sätzen zusammen¬
gefügt. Diese Sätze sind freilich «och höchst unentwickelt, die Redeteile äußer¬
lich noch nicht geschieden, Formwörter, also Binde- und Verhältniswörter,
werden uoch gar nicht verwandt, auch eine Biegung fehlt noch, die Zeitwörter
erscheinen in der Nenn- oder in der Befehlsform: Apu haben — ich will
.Kuchen haben, Mama tom ----- die Mutter soll kommen. Oft fehlen auch noch
die Zeitwörter: bruma tuba ----- die Tante hat mir Küche» gegeben. Aber der
wesentlichste Fortschritt ist gemacht.

Entsprechend haben wir uns die Entwicklung der Sprache der Menschheit
zu denken, mir daß hier die Gebärden gewiß viel länger rede» den Worten
der Lautsprache bei der Satzbildung verwandt worden sind. Das Kind, das
an der Sprache seiner Umgebung unausgesetzt ein Vorbild findet, muß eben
schnellere Fortschritte machen. Mit der Zusammenfügung mehrerer Wörter zu
einem Satze, wie sie sämtliche Sprachen kennen, ist vielleicht der wichtigste
Schritt gethan worden. Nun waren die verschiedenartigsten Verbittdungen der
Worte möglich. Die Mitteilungen, die bisher an gegenwärtige Anschauungen
geknüpft gewesen waren, konnten sich von diesen frei machen: man konnte Ver¬
gangnes erzählen und auf Zukünftiges hindeuten. Nun war ferner die Bil¬
dung neuer Ausdrucksmittel nahe gelegt: man konnte die Satzteile durch
Stellung und Betonung unterscheiden. Es war endlich die Möglichkeit ge¬
geben, die Redeteile durchweg scharf vonemattder zu souderu, und die gesteigerte
Vollkommenheit der Ausdrucksmittel mußte höchst förderlich ans das Denken
zurückwirken, das sich nun freier entfalten konnte. Freilich ist das alles nnr
sehr allmählich vor sich gegangen. Die Worte, die aneinandergereiht wurden,
waren für lange Zeit nur Wurzeln, ohne jede Biegung, ganz entsprechend den
oben angeführten Kindersätzen. Manche heutigen Sprachen sind bekanntlich
auch ans dieser Stufe stehn geblieben, so das Chinesische, wo es zu einer Schei¬
dung der Redeteile im allgemeinen nicht gekommen ist, und z. B. ein und
dasselbe Wort Ruhe, ruhig, ruhig sein, beruhigen und beruhigt werden be¬
deuten kann.

In den kindlichen Satzwörtern wie tut sind vorwiegend Dingvorstellungen,
seltner Zustands- und Thätigkeitsvorstcllungen enthalten. Das Begehren
richtet sich eben meistens auf Gegenstände, zugleich ist die deutliche Bezeichnung
des Gegenstands zum Verständnis unerläßlich, während der Begriff der Thätig-


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[0464] durch das es möglich wird, die Worte als Zeichen für Vorstellungen, nicht mehr als Zeichen für ganze Gedanken zu verwenden, gewinnt das Kind dann an der Gebärde, Den Gedanken: Der Vater ist nicht da, bezeichnet es wohl, indem es Papa sagt und dazu den Kopf schüttelt, Oder es benutzt eine hin¬ weisende Gebärde, mit der es das ausgesprochue Wort begleitet, zur Bezeich¬ nung der Anwesenheit, Und nicht lange, so treten an die Stelle der Gebärden Wörter der Lantsprache: dann heißt es Papa nein oder Papa ata für der Vater ist nicht da, Mama da für die Mutter ist da usw. Natürlich kommen nur solche Sätze in Betracht, die das Kind selbst bildet, nicht nachgeplapperte. Zugleich werden die Wörter in der mannigfaltigsten Weise zu Sätzen zusammen¬ gefügt. Diese Sätze sind freilich «och höchst unentwickelt, die Redeteile äußer¬ lich noch nicht geschieden, Formwörter, also Binde- und Verhältniswörter, werden uoch gar nicht verwandt, auch eine Biegung fehlt noch, die Zeitwörter erscheinen in der Nenn- oder in der Befehlsform: Apu haben — ich will .Kuchen haben, Mama tom ----- die Mutter soll kommen. Oft fehlen auch noch die Zeitwörter: bruma tuba ----- die Tante hat mir Küche» gegeben. Aber der wesentlichste Fortschritt ist gemacht. Entsprechend haben wir uns die Entwicklung der Sprache der Menschheit zu denken, mir daß hier die Gebärden gewiß viel länger rede» den Worten der Lautsprache bei der Satzbildung verwandt worden sind. Das Kind, das an der Sprache seiner Umgebung unausgesetzt ein Vorbild findet, muß eben schnellere Fortschritte machen. Mit der Zusammenfügung mehrerer Wörter zu einem Satze, wie sie sämtliche Sprachen kennen, ist vielleicht der wichtigste Schritt gethan worden. Nun waren die verschiedenartigsten Verbittdungen der Worte möglich. Die Mitteilungen, die bisher an gegenwärtige Anschauungen geknüpft gewesen waren, konnten sich von diesen frei machen: man konnte Ver¬ gangnes erzählen und auf Zukünftiges hindeuten. Nun war ferner die Bil¬ dung neuer Ausdrucksmittel nahe gelegt: man konnte die Satzteile durch Stellung und Betonung unterscheiden. Es war endlich die Möglichkeit ge¬ geben, die Redeteile durchweg scharf vonemattder zu souderu, und die gesteigerte Vollkommenheit der Ausdrucksmittel mußte höchst förderlich ans das Denken zurückwirken, das sich nun freier entfalten konnte. Freilich ist das alles nnr sehr allmählich vor sich gegangen. Die Worte, die aneinandergereiht wurden, waren für lange Zeit nur Wurzeln, ohne jede Biegung, ganz entsprechend den oben angeführten Kindersätzen. Manche heutigen Sprachen sind bekanntlich auch ans dieser Stufe stehn geblieben, so das Chinesische, wo es zu einer Schei¬ dung der Redeteile im allgemeinen nicht gekommen ist, und z. B. ein und dasselbe Wort Ruhe, ruhig, ruhig sein, beruhigen und beruhigt werden be¬ deuten kann. In den kindlichen Satzwörtern wie tut sind vorwiegend Dingvorstellungen, seltner Zustands- und Thätigkeitsvorstcllungen enthalten. Das Begehren richtet sich eben meistens auf Gegenstände, zugleich ist die deutliche Bezeichnung des Gegenstands zum Verständnis unerläßlich, während der Begriff der Thätig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/464>, abgerufen am 24.08.2024.