Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

lieben Veränderungen freuen, die sich seit wenig Jahren in den Beziehungen
zwischen Italien und Frankreich vollzogen haben. Ali Stelle eines gespannten
Verhältnisses, eines ungerechtfertigten Mißtrauens, einer Gereiztheit, die
vielleicht mehr oberflächlich als in der Tiefe liegt, sind Beziehungen guter
Nachbarschaft und gegenseitiger Freundschaft getreten, die, wenn sie geschickt
gepflegt werden, binnen kurzer Zeit der tiefen Sympathie, der wechselseitigen
Liebe weichen werden, die eines Tags die benachbarten Schwesternationen ver¬
binden werden und schon soviel Einfluß auf die Geschicke Italiens nud Europas
gehabt haben."

Gewiß, so versichert derselbe Politiker, ist der Dreibund bis zum Ablauf
des Vertrags 1903 für jeden Italiener unantastbar; ja es giebt "keinen italie¬
nischen Staatsmann, innerhalb oder außerhalb der Regierung, der nicht daran
denkt, daß der Dreibund erneuert werden müsse," aber, fügt er hinzu, "ganz
Italien sieht mit großer Besorgnis auf die Agitation der Agrarier in Deutsch¬
land und Österreich, und es unterliegt keinem Zweifel, daß nach der Auf¬
fassung der öffentlichen Meinung in Italien die Erneuerung des Dreibunds
mit dein Abschluß der neuen Handelsverträge unzertrennlich verbunden ist."
Aber mit der Erneuerung des Bündnisses steht ein engeres Einvernehmen
zwischen Italien und Frankreich keineswegs in Widerspruch, denn für die
Italiener giebt es keine elsaß-lothringische Frage, die sie zu einer Parteinahme
gegen Dentschland verpflichten konnte, und eine römische, die Frankreich zum
Eingreifen für das Papsttum veranlassen könnte, giebt es überhaupt nicht
mehr; "was auch die klerikale Presse darüber sagen mag, eine Wiederherstellung
der weltlichen Papstherrschaft ist heutzutage eine rechtliche, politische, wirt¬
schaftliche und moralische Unmöglichkeit," denn "je höher die moralische und
religiöse Macht des Papsttums steigt, vor allein durch die Arbeit Leos XIII.,
desto mehr ist seine weltliche Macht erloschen." Freilich wird ein rein parla¬
mentarisches Regiment in Italien die schwierige Lage nicht zu beherrschen ver¬
mögen. "Italien wird immer ein unglückliches Land sein, so lange nicht die
Männer, die sich unbestritten bewährt haben, dauernd in den hohen Staats-
ämtern bleiben, so lange jeder kleine parlamentarische Zwischenfall Menschen
"ud Dinge verändert."

Man sieht: in Italien fassen die Politiker die Lage sehr kaltblütig und
ohne alle Sentimentalität ins Auge. Der Dreibund soll erneuert werden, aber
nur, wenn seine Fortsetzung Italiens Interessen entspricht, mir in Verbindung
mit annehmbaren Handelsverträgen, sonst muß man sich anders kümmern. Es
wäre sehr verkehrt, wollte man in Dentschland diese Möglichkeit außer acht
lassen. Ein Abfall Italiens vom Dreibünde würde ganz sicher den Anschluß
des Landes an Frankreich und Rußland bedeute", um so mehr, als ein solcher
manche lockende Preise böte, manche tiefgewurzelten nationalen Hoffnungen er¬
füllen könnte, die Österreich und Dentschland niemals erfüllen können: die Aus¬
sicht auf Südtirol, auf Jstrien und Dalmatien, vielleicht auch auf Albanien, anf
das die Italiener längst ihr Augenmerk gerichtet haben; findet doch nächstens


lieben Veränderungen freuen, die sich seit wenig Jahren in den Beziehungen
zwischen Italien und Frankreich vollzogen haben. Ali Stelle eines gespannten
Verhältnisses, eines ungerechtfertigten Mißtrauens, einer Gereiztheit, die
vielleicht mehr oberflächlich als in der Tiefe liegt, sind Beziehungen guter
Nachbarschaft und gegenseitiger Freundschaft getreten, die, wenn sie geschickt
gepflegt werden, binnen kurzer Zeit der tiefen Sympathie, der wechselseitigen
Liebe weichen werden, die eines Tags die benachbarten Schwesternationen ver¬
binden werden und schon soviel Einfluß auf die Geschicke Italiens nud Europas
gehabt haben."

Gewiß, so versichert derselbe Politiker, ist der Dreibund bis zum Ablauf
des Vertrags 1903 für jeden Italiener unantastbar; ja es giebt „keinen italie¬
nischen Staatsmann, innerhalb oder außerhalb der Regierung, der nicht daran
denkt, daß der Dreibund erneuert werden müsse," aber, fügt er hinzu, „ganz
Italien sieht mit großer Besorgnis auf die Agitation der Agrarier in Deutsch¬
land und Österreich, und es unterliegt keinem Zweifel, daß nach der Auf¬
fassung der öffentlichen Meinung in Italien die Erneuerung des Dreibunds
mit dein Abschluß der neuen Handelsverträge unzertrennlich verbunden ist."
Aber mit der Erneuerung des Bündnisses steht ein engeres Einvernehmen
zwischen Italien und Frankreich keineswegs in Widerspruch, denn für die
Italiener giebt es keine elsaß-lothringische Frage, die sie zu einer Parteinahme
gegen Dentschland verpflichten konnte, und eine römische, die Frankreich zum
Eingreifen für das Papsttum veranlassen könnte, giebt es überhaupt nicht
mehr; „was auch die klerikale Presse darüber sagen mag, eine Wiederherstellung
der weltlichen Papstherrschaft ist heutzutage eine rechtliche, politische, wirt¬
schaftliche und moralische Unmöglichkeit," denn „je höher die moralische und
religiöse Macht des Papsttums steigt, vor allein durch die Arbeit Leos XIII.,
desto mehr ist seine weltliche Macht erloschen." Freilich wird ein rein parla¬
mentarisches Regiment in Italien die schwierige Lage nicht zu beherrschen ver¬
mögen. „Italien wird immer ein unglückliches Land sein, so lange nicht die
Männer, die sich unbestritten bewährt haben, dauernd in den hohen Staats-
ämtern bleiben, so lange jeder kleine parlamentarische Zwischenfall Menschen
»ud Dinge verändert."

Man sieht: in Italien fassen die Politiker die Lage sehr kaltblütig und
ohne alle Sentimentalität ins Auge. Der Dreibund soll erneuert werden, aber
nur, wenn seine Fortsetzung Italiens Interessen entspricht, mir in Verbindung
mit annehmbaren Handelsverträgen, sonst muß man sich anders kümmern. Es
wäre sehr verkehrt, wollte man in Dentschland diese Möglichkeit außer acht
lassen. Ein Abfall Italiens vom Dreibünde würde ganz sicher den Anschluß
des Landes an Frankreich und Rußland bedeute», um so mehr, als ein solcher
manche lockende Preise böte, manche tiefgewurzelten nationalen Hoffnungen er¬
füllen könnte, die Österreich und Dentschland niemals erfüllen können: die Aus¬
sicht auf Südtirol, auf Jstrien und Dalmatien, vielleicht auch auf Albanien, anf
das die Italiener längst ihr Augenmerk gerichtet haben; findet doch nächstens


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0443" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234973"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1316" prev="#ID_1315"> lieben Veränderungen freuen, die sich seit wenig Jahren in den Beziehungen<lb/>
zwischen Italien und Frankreich vollzogen haben. Ali Stelle eines gespannten<lb/>
Verhältnisses, eines ungerechtfertigten Mißtrauens, einer Gereiztheit, die<lb/>
vielleicht mehr oberflächlich als in der Tiefe liegt, sind Beziehungen guter<lb/>
Nachbarschaft und gegenseitiger Freundschaft getreten, die, wenn sie geschickt<lb/>
gepflegt werden, binnen kurzer Zeit der tiefen Sympathie, der wechselseitigen<lb/>
Liebe weichen werden, die eines Tags die benachbarten Schwesternationen ver¬<lb/>
binden werden und schon soviel Einfluß auf die Geschicke Italiens nud Europas<lb/>
gehabt haben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1317"> Gewiß, so versichert derselbe Politiker, ist der Dreibund bis zum Ablauf<lb/>
des Vertrags 1903 für jeden Italiener unantastbar; ja es giebt &#x201E;keinen italie¬<lb/>
nischen Staatsmann, innerhalb oder außerhalb der Regierung, der nicht daran<lb/>
denkt, daß der Dreibund erneuert werden müsse," aber, fügt er hinzu, &#x201E;ganz<lb/>
Italien sieht mit großer Besorgnis auf die Agitation der Agrarier in Deutsch¬<lb/>
land und Österreich, und es unterliegt keinem Zweifel, daß nach der Auf¬<lb/>
fassung der öffentlichen Meinung in Italien die Erneuerung des Dreibunds<lb/>
mit dein Abschluß der neuen Handelsverträge unzertrennlich verbunden ist."<lb/>
Aber mit der Erneuerung des Bündnisses steht ein engeres Einvernehmen<lb/>
zwischen Italien und Frankreich keineswegs in Widerspruch, denn für die<lb/>
Italiener giebt es keine elsaß-lothringische Frage, die sie zu einer Parteinahme<lb/>
gegen Dentschland verpflichten konnte, und eine römische, die Frankreich zum<lb/>
Eingreifen für das Papsttum veranlassen könnte, giebt es überhaupt nicht<lb/>
mehr; &#x201E;was auch die klerikale Presse darüber sagen mag, eine Wiederherstellung<lb/>
der weltlichen Papstherrschaft ist heutzutage eine rechtliche, politische, wirt¬<lb/>
schaftliche und moralische Unmöglichkeit," denn &#x201E;je höher die moralische und<lb/>
religiöse Macht des Papsttums steigt, vor allein durch die Arbeit Leos XIII.,<lb/>
desto mehr ist seine weltliche Macht erloschen." Freilich wird ein rein parla¬<lb/>
mentarisches Regiment in Italien die schwierige Lage nicht zu beherrschen ver¬<lb/>
mögen. &#x201E;Italien wird immer ein unglückliches Land sein, so lange nicht die<lb/>
Männer, die sich unbestritten bewährt haben, dauernd in den hohen Staats-<lb/>
ämtern bleiben, so lange jeder kleine parlamentarische Zwischenfall Menschen<lb/>
»ud Dinge verändert."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1318" next="#ID_1319"> Man sieht: in Italien fassen die Politiker die Lage sehr kaltblütig und<lb/>
ohne alle Sentimentalität ins Auge. Der Dreibund soll erneuert werden, aber<lb/>
nur, wenn seine Fortsetzung Italiens Interessen entspricht, mir in Verbindung<lb/>
mit annehmbaren Handelsverträgen, sonst muß man sich anders kümmern. Es<lb/>
wäre sehr verkehrt, wollte man in Dentschland diese Möglichkeit außer acht<lb/>
lassen. Ein Abfall Italiens vom Dreibünde würde ganz sicher den Anschluß<lb/>
des Landes an Frankreich und Rußland bedeute», um so mehr, als ein solcher<lb/>
manche lockende Preise böte, manche tiefgewurzelten nationalen Hoffnungen er¬<lb/>
füllen könnte, die Österreich und Dentschland niemals erfüllen können: die Aus¬<lb/>
sicht auf Südtirol, auf Jstrien und Dalmatien, vielleicht auch auf Albanien, anf<lb/>
das die Italiener längst ihr Augenmerk gerichtet haben; findet doch nächstens</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0443] lieben Veränderungen freuen, die sich seit wenig Jahren in den Beziehungen zwischen Italien und Frankreich vollzogen haben. Ali Stelle eines gespannten Verhältnisses, eines ungerechtfertigten Mißtrauens, einer Gereiztheit, die vielleicht mehr oberflächlich als in der Tiefe liegt, sind Beziehungen guter Nachbarschaft und gegenseitiger Freundschaft getreten, die, wenn sie geschickt gepflegt werden, binnen kurzer Zeit der tiefen Sympathie, der wechselseitigen Liebe weichen werden, die eines Tags die benachbarten Schwesternationen ver¬ binden werden und schon soviel Einfluß auf die Geschicke Italiens nud Europas gehabt haben." Gewiß, so versichert derselbe Politiker, ist der Dreibund bis zum Ablauf des Vertrags 1903 für jeden Italiener unantastbar; ja es giebt „keinen italie¬ nischen Staatsmann, innerhalb oder außerhalb der Regierung, der nicht daran denkt, daß der Dreibund erneuert werden müsse," aber, fügt er hinzu, „ganz Italien sieht mit großer Besorgnis auf die Agitation der Agrarier in Deutsch¬ land und Österreich, und es unterliegt keinem Zweifel, daß nach der Auf¬ fassung der öffentlichen Meinung in Italien die Erneuerung des Dreibunds mit dein Abschluß der neuen Handelsverträge unzertrennlich verbunden ist." Aber mit der Erneuerung des Bündnisses steht ein engeres Einvernehmen zwischen Italien und Frankreich keineswegs in Widerspruch, denn für die Italiener giebt es keine elsaß-lothringische Frage, die sie zu einer Parteinahme gegen Dentschland verpflichten konnte, und eine römische, die Frankreich zum Eingreifen für das Papsttum veranlassen könnte, giebt es überhaupt nicht mehr; „was auch die klerikale Presse darüber sagen mag, eine Wiederherstellung der weltlichen Papstherrschaft ist heutzutage eine rechtliche, politische, wirt¬ schaftliche und moralische Unmöglichkeit," denn „je höher die moralische und religiöse Macht des Papsttums steigt, vor allein durch die Arbeit Leos XIII., desto mehr ist seine weltliche Macht erloschen." Freilich wird ein rein parla¬ mentarisches Regiment in Italien die schwierige Lage nicht zu beherrschen ver¬ mögen. „Italien wird immer ein unglückliches Land sein, so lange nicht die Männer, die sich unbestritten bewährt haben, dauernd in den hohen Staats- ämtern bleiben, so lange jeder kleine parlamentarische Zwischenfall Menschen »ud Dinge verändert." Man sieht: in Italien fassen die Politiker die Lage sehr kaltblütig und ohne alle Sentimentalität ins Auge. Der Dreibund soll erneuert werden, aber nur, wenn seine Fortsetzung Italiens Interessen entspricht, mir in Verbindung mit annehmbaren Handelsverträgen, sonst muß man sich anders kümmern. Es wäre sehr verkehrt, wollte man in Dentschland diese Möglichkeit außer acht lassen. Ein Abfall Italiens vom Dreibünde würde ganz sicher den Anschluß des Landes an Frankreich und Rußland bedeute», um so mehr, als ein solcher manche lockende Preise böte, manche tiefgewurzelten nationalen Hoffnungen er¬ füllen könnte, die Österreich und Dentschland niemals erfüllen können: die Aus¬ sicht auf Südtirol, auf Jstrien und Dalmatien, vielleicht auch auf Albanien, anf das die Italiener längst ihr Augenmerk gerichtet haben; findet doch nächstens

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/443
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/443>, abgerufen am 26.06.2024.