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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Mit den Buren im Felde

Adi^ise warm 1200 Mark eingegangen. Der Stein ist so gewählt, daß darauf
alle Namen der auf Se. Helena Verstorbnen Platz finden Zierden.

Hier mag noch erwähnt sein, daß unter uns eine Anzahl vortrefflich ge¬
heilte Schwerverwundete war. Einer der interessantesten Fälle war ein Bure,
der anfangs Januar vor Magersfontein zugleich mit seinem Bruder von den
Sprengstücken einer Granate getroffen worden war. Sein Bruder verlor das
Leben, ihm wurde die untere Gesichtshälfte zerschmettert. In der deutschen
Ambulanz zu Jalobsdaal wurden die Knochen, soweit es möglich war, mit
Silberdraht hergerichtet. Das von Professor Küttncr vollbrachte Meisterwerk
wies er jedem, der ihn deshalb ansprach; zum Schluß zog er dann aus seiner
Tasche ein Stück seiner Kinnlade hervor, in der noch die Zähne saßen.

Mit der Zeit kamen auch Sendungen für die Gefangnen an, die Deutschen
waren spärlicher bedacht als die andern Nationen, Die Holländer unterstützten
uns am meisten, anch am zweckmäßigsten, besonders in der Auswahl der heiß
begehrte" Lektüre, Die Büchersendungen aus Deutschland enthielten zu viel
Erbaunngsschriften, davon mochten wir wenig lesen. Ich fand in meinen fünf
Bibeln, die ich bei mir trug, an wirklicher Erbauung mehr, als mir tausend
Traktütchen bieten konnte". Daß mau statt verwässerter Erbanungslcktüre gern
andre gehabt hätte, wird wohl jedermann begreiflich finden. Ich griff des¬
wegen zu holländischen und englischen Biichersendungen,

Die Engländer sorgten allmählich mehr für unsre Bedürfnisse; vielleicht
hatten sich Stimmen gegen die uns widerfahrne Behandlung in England selbst
erhoben. Wenigstens erschien eines Tags eine Engländerin, Mrs, Green, im
Lager, die das größte Aufsehen machte. Sie war mit der entschlossenen, that¬
kräftigen Natur, die englische" Damen eigen ist, auf eigne Faust nach Se. Helena
gegangen, um sich persönlich von der Lage der Gefangnen zu überzeugen. Sie
war der Gegenstand allgemeiner Verehrung; mancher sah in ihr den Engel,
den die Gebete des Lagers gerührt hätten. Ich lernte die Dame auf der Rück¬
kehr nach Europa auf meinem Schiffe näher kennen. Sie verdiente wirklich
die Bewundrung, die mau ihr allgemein zollte. Ihre Schrift ist im englischen
Parlament verlesen worden und hat hoffentlich auch auf die Gefangnen zurück¬
gewirkt. Endlich schlug die Stunde meiner Befreiung. Schon am 14. Juli
hatte ich meine Entlassung nach Europa auf Ehrenwort beantragt. Anfang
Oktober - schon hatte ich am Erfolg verzweifelt -- war mein Gesuch ge¬
nehmigt worden. Mit dem nächsten Dampfer verließ ich Se. Helena. Nach
vierundzwanzig Tagen kam ich in London an; dorthin mußte ich wohl signa¬
lisiert gewesen sein, denn es folgte mir ein Zivilist, den ich bald als Kriminal¬
schutzmann erkannte; sein Schritt beständig hinter mir machte mich nervös. Ich
sprach ihn darum an und bat ihn, wenn er mir folgen müsse, dann wenigstens
mein Begleiter zu sein. Er zeigte nur ein Stück von London, fuhr mit mir
nach Dover und verabschiedete sich erst, als das Schiff im Begriff war, die
Landungsbrücke zu verlassen. In Herbesthal betrat ich endlich deutschen Boden.
Erst jetzt kam das Gefühl vollkommnen Geborgenseins über mich. Wie wohl-


Mit den Buren im Felde

Adi^ise warm 1200 Mark eingegangen. Der Stein ist so gewählt, daß darauf
alle Namen der auf Se. Helena Verstorbnen Platz finden Zierden.

Hier mag noch erwähnt sein, daß unter uns eine Anzahl vortrefflich ge¬
heilte Schwerverwundete war. Einer der interessantesten Fälle war ein Bure,
der anfangs Januar vor Magersfontein zugleich mit seinem Bruder von den
Sprengstücken einer Granate getroffen worden war. Sein Bruder verlor das
Leben, ihm wurde die untere Gesichtshälfte zerschmettert. In der deutschen
Ambulanz zu Jalobsdaal wurden die Knochen, soweit es möglich war, mit
Silberdraht hergerichtet. Das von Professor Küttncr vollbrachte Meisterwerk
wies er jedem, der ihn deshalb ansprach; zum Schluß zog er dann aus seiner
Tasche ein Stück seiner Kinnlade hervor, in der noch die Zähne saßen.

Mit der Zeit kamen auch Sendungen für die Gefangnen an, die Deutschen
waren spärlicher bedacht als die andern Nationen, Die Holländer unterstützten
uns am meisten, anch am zweckmäßigsten, besonders in der Auswahl der heiß
begehrte» Lektüre, Die Büchersendungen aus Deutschland enthielten zu viel
Erbaunngsschriften, davon mochten wir wenig lesen. Ich fand in meinen fünf
Bibeln, die ich bei mir trug, an wirklicher Erbauung mehr, als mir tausend
Traktütchen bieten konnte». Daß mau statt verwässerter Erbanungslcktüre gern
andre gehabt hätte, wird wohl jedermann begreiflich finden. Ich griff des¬
wegen zu holländischen und englischen Biichersendungen,

Die Engländer sorgten allmählich mehr für unsre Bedürfnisse; vielleicht
hatten sich Stimmen gegen die uns widerfahrne Behandlung in England selbst
erhoben. Wenigstens erschien eines Tags eine Engländerin, Mrs, Green, im
Lager, die das größte Aufsehen machte. Sie war mit der entschlossenen, that¬
kräftigen Natur, die englische» Damen eigen ist, auf eigne Faust nach Se. Helena
gegangen, um sich persönlich von der Lage der Gefangnen zu überzeugen. Sie
war der Gegenstand allgemeiner Verehrung; mancher sah in ihr den Engel,
den die Gebete des Lagers gerührt hätten. Ich lernte die Dame auf der Rück¬
kehr nach Europa auf meinem Schiffe näher kennen. Sie verdiente wirklich
die Bewundrung, die mau ihr allgemein zollte. Ihre Schrift ist im englischen
Parlament verlesen worden und hat hoffentlich auch auf die Gefangnen zurück¬
gewirkt. Endlich schlug die Stunde meiner Befreiung. Schon am 14. Juli
hatte ich meine Entlassung nach Europa auf Ehrenwort beantragt. Anfang
Oktober - schon hatte ich am Erfolg verzweifelt — war mein Gesuch ge¬
nehmigt worden. Mit dem nächsten Dampfer verließ ich Se. Helena. Nach
vierundzwanzig Tagen kam ich in London an; dorthin mußte ich wohl signa¬
lisiert gewesen sein, denn es folgte mir ein Zivilist, den ich bald als Kriminal¬
schutzmann erkannte; sein Schritt beständig hinter mir machte mich nervös. Ich
sprach ihn darum an und bat ihn, wenn er mir folgen müsse, dann wenigstens
mein Begleiter zu sein. Er zeigte nur ein Stück von London, fuhr mit mir
nach Dover und verabschiedete sich erst, als das Schiff im Begriff war, die
Landungsbrücke zu verlassen. In Herbesthal betrat ich endlich deutschen Boden.
Erst jetzt kam das Gefühl vollkommnen Geborgenseins über mich. Wie wohl-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/340>, abgerufen am 22.07.2024.