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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Der Fluch der Größe

Deutschen die Achtung vor der Autorität der bestehenden Regierung zu schwachen
und ihre alte Neigung zur Krittelei wieder zu erwecken. Den" was in dieser
Form nnr ihm erlaubt sein konnte, weil er der Baumeister des Reichs war,
dazu hält sich jetzt jeder kleine Zeitungsschreiber für berechtigt. Jeder nimmt
es sich heraus, den leitenden Männern selbst in den schwierigsten Fragen der
großen Politik den Text zu lesen und den "Berliner Machthabern" -- das
wären allerdings eigentlich die der Stadt Berlin und nicht die des Deutschen
Reichs -- von Posemuckel oder Pleiß-Athen aus gute Lehren zu geben, ihnen
Bismarcks Politik als Spiegelbild vorzuhalten. Das nennt man dann politische
Reife des deutschen Volks, dessen Mehrheit immer noch keine politischen Ge¬
danken, sondern nur politische Gefühle hat.

Es kann auf der Welt nichts Dümmeres geben, als die Worte und
Werke dieses größten Realpolitikers dogmatisieren zu wollen, der immer ein
Feind aller politischen Doktrin gewesen ist und in der Politik immer eine
Kunst, die Kunst des Möglichen, nicht eine Wissenschaft gesehen hat. Zum
Glück thun das Kaiser und Kanzler nicht; sie handeln vielmehr gut bismarckisch,
indem sie dasselbe nach ihrer Weise und nach der jeweiligen Weltlage erstreben,
die Größe und das Glück des Vaterlands. Ein bindendes, für alle Fälle
giltiges Rezept dafür giebt es nicht, ein solches hat auch Fürst Bismarck nicht
aufgestellt und nicht aufstellen wollen. Was man von ihm lernen kann, das
sind nicht einzelne Grundsätze und Maßregeln, sondern allgemeine Dinge: nur
deutsche Interessen zur Richtschnur zu nehmen, hohe, klar erkannte Ziele stetig,
besonnen und wenn es sein muß mit dein größten Nachdruck zu verfolgen.
Ob das in genialer oder in mehr geschäftsmäßiger Weise geschieht, das hängt
von der Persönlichkeit der leitenden Männer ab, die doch nicht verpflichtet sind,
Genies zu sein.

Gewiß hat es etwas Tragisches, daß das Wirken auch der größte"
Mnnner, ja man kann sagen gerade der größten Männer in einem gesunde"
Volke immer wieder nur den Ansatz zu "enen Bildungen bietet, die darüber
hinausgehn und von ihnen weder vorausgesehen noch gewünscht worden sind.
Das ist noch tragischer als Haß und Neid und innere Vereinsamung. Aber
es liegt das alles in der Natur der Meuscheu und der menschlichen Dinge,
und versöhnend wirkt dabei zweierlei: "ur durch große Menschen vollzieh"
sich die großen Fortschritte eines Volks, und mag von ihren Werken auch kein
Seel" auf dem andern bleiben, so bleibt doch unvergänglich das Bild ihrer
Persönlichkeit, und in diesem offenbart sich den Nachkommen immer wieder
^ die unverwüstliche Tüchtigkeit, das Göttliche in der Menschennntur.




Der Fluch der Größe

Deutschen die Achtung vor der Autorität der bestehenden Regierung zu schwachen
und ihre alte Neigung zur Krittelei wieder zu erwecken. Den» was in dieser
Form nnr ihm erlaubt sein konnte, weil er der Baumeister des Reichs war,
dazu hält sich jetzt jeder kleine Zeitungsschreiber für berechtigt. Jeder nimmt
es sich heraus, den leitenden Männern selbst in den schwierigsten Fragen der
großen Politik den Text zu lesen und den „Berliner Machthabern" — das
wären allerdings eigentlich die der Stadt Berlin und nicht die des Deutschen
Reichs — von Posemuckel oder Pleiß-Athen aus gute Lehren zu geben, ihnen
Bismarcks Politik als Spiegelbild vorzuhalten. Das nennt man dann politische
Reife des deutschen Volks, dessen Mehrheit immer noch keine politischen Ge¬
danken, sondern nur politische Gefühle hat.

Es kann auf der Welt nichts Dümmeres geben, als die Worte und
Werke dieses größten Realpolitikers dogmatisieren zu wollen, der immer ein
Feind aller politischen Doktrin gewesen ist und in der Politik immer eine
Kunst, die Kunst des Möglichen, nicht eine Wissenschaft gesehen hat. Zum
Glück thun das Kaiser und Kanzler nicht; sie handeln vielmehr gut bismarckisch,
indem sie dasselbe nach ihrer Weise und nach der jeweiligen Weltlage erstreben,
die Größe und das Glück des Vaterlands. Ein bindendes, für alle Fälle
giltiges Rezept dafür giebt es nicht, ein solches hat auch Fürst Bismarck nicht
aufgestellt und nicht aufstellen wollen. Was man von ihm lernen kann, das
sind nicht einzelne Grundsätze und Maßregeln, sondern allgemeine Dinge: nur
deutsche Interessen zur Richtschnur zu nehmen, hohe, klar erkannte Ziele stetig,
besonnen und wenn es sein muß mit dein größten Nachdruck zu verfolgen.
Ob das in genialer oder in mehr geschäftsmäßiger Weise geschieht, das hängt
von der Persönlichkeit der leitenden Männer ab, die doch nicht verpflichtet sind,
Genies zu sein.

Gewiß hat es etwas Tragisches, daß das Wirken auch der größte»
Mnnner, ja man kann sagen gerade der größten Männer in einem gesunde»
Volke immer wieder nur den Ansatz zu »enen Bildungen bietet, die darüber
hinausgehn und von ihnen weder vorausgesehen noch gewünscht worden sind.
Das ist noch tragischer als Haß und Neid und innere Vereinsamung. Aber
es liegt das alles in der Natur der Meuscheu und der menschlichen Dinge,
und versöhnend wirkt dabei zweierlei: »ur durch große Menschen vollzieh»
sich die großen Fortschritte eines Volks, und mag von ihren Werken auch kein
Seel» auf dem andern bleiben, so bleibt doch unvergänglich das Bild ihrer
Persönlichkeit, und in diesem offenbart sich den Nachkommen immer wieder
^ die unverwüstliche Tüchtigkeit, das Göttliche in der Menschennntur.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/306>, abgerufen am 22.07.2024.