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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Mit den Buren im Felde

Von den Engländer" wurden die entfernter von unsrer Stellung liegenden
Toten unter dein Donner der unsre Stellungen beschießenden Kanonen be¬
erdigt. Als die in unserm sichern Schußbereich unbeerdigt gebliebner Toten
der Engländer um zweiten Tage nach der Schlacht in Verwesung überzugehn
begannen, mußten wir selbst zu ihrer Beerdigung schreiten. Es war eine
schreckliche Aufgabe. Mich traf das Los, mitarbeiten zu müssen. Mit großer
Energie und trotz vielfachen Nbelwerdens trugen wir die Leichen, die schon
hoch angeschwollen und ganz schwarz waren, in ein Massengrab zusammen.
Die Gewehre, die Munition, sowie das in dem Rockschoß eingenähte Verband¬
zeug nahmen wir den Gefallnen ab, weiter nichts. Nur wo wir auf ein teures
Andenken an den Toten schließen mochten, versuchten wir, es seiner Familie
zukomme" zu lassen. So erinnere ich mich des Vorfalls, daß wir bei einem
gefallnen Offiziere, Kapitän Grey von Gibraltar, den Brief seiner Frau fanden,
den er erst am Tage vor der Schlacht erhalten hatte. Sie schrieb darin, eine
Ahnung mache es ihr zur Gewißheit, daß sie ihren Liebling nie wiedersehen
werde; sie habe sich entschlossen, Pflegerin zu werden und wolle nur seinem
Andenken leben. Der Brief rührte uns. Alles, was wir bei ihrem Manne
fanden, packte ich sorgfältig zusammen, schrieb dazu einen Brief, daß wir ihren
Mann auf dem Felde der Ehre bestattet hätten, ihren Schmerz begriffen und
ihn teilten; aus dem beigefügten Eigentume möge sie erkennen, daß wir nicht
die Diebe und Räuber seien, zu denen uus die englische Presse stemple. Das
Paket, das diese Sachen enthielt, adressierter wir über Lourenzo Marques
nach Gibraltar; andre Wertsachen übergaben wir am folgenden Tage dem eng¬
lischen Parlamentär, der um gekommen war, um über die weitere Beerdigung
der englischen Gefallnen zu verhandeln. Ob das Paket des Kapitäns Grey
der Eigentümerin zugekommen ist, haben wir nie erfahren.

Die englischen Toten wurden von da ab durch englische Truppen beerdigt,
aber übereilig und in viel zu geringer Tiefe. Noch graut es mir, wenn ich an
den Anblick denke, der sich uns wenig Tage darauf bot. Aus dein Sande er¬
hoben sich wieder hier und dort Arme und Beine der Begrabueu; der darüber
geworfne Sand hatte sie nicht schwer genug bedeckt. Der Beerdigung der Eng¬
länder wohnten der englische und auch unser Geistlicher bei. Sie unterhielten
sich über die Verluste. Wenn er auch Geistlicher sei, so erwiderte der englische
dem unsrigen auf dessen Angaben, so könne er ihm doch nicht glauben, daß
unser Gesamtverlust bloß zweiundsiebzig Tote betrage; das englische Artillerie¬
feuer müsse allein mindestens tausend Buren getötet haben.

Mit der Beerdigung der Gefallnen war die Waffenruhe abgelaufen, und
wieder begann das feindliche Geschützfeuer gegen unsre Stellungen. Die Schüsse
fielen in langen Zwischenräumen, lind wir gewöhnten uns bald derart daran,
daß der einzelne Schuß nur Anlaß zur Entwicklung des Humors gab. "Achtung,
ein kleiner Kaffer kommt," so warnte man sich vor dem heransausenden schwarzen
Geschoß. Die Verachtung vor dessen Wirkung wuchs trotz einzelner Treffer
so sehr, daß wir nicht krepierten Granaten die Zünder abschraubten und das


Mit den Buren im Felde

Von den Engländer« wurden die entfernter von unsrer Stellung liegenden
Toten unter dein Donner der unsre Stellungen beschießenden Kanonen be¬
erdigt. Als die in unserm sichern Schußbereich unbeerdigt gebliebner Toten
der Engländer um zweiten Tage nach der Schlacht in Verwesung überzugehn
begannen, mußten wir selbst zu ihrer Beerdigung schreiten. Es war eine
schreckliche Aufgabe. Mich traf das Los, mitarbeiten zu müssen. Mit großer
Energie und trotz vielfachen Nbelwerdens trugen wir die Leichen, die schon
hoch angeschwollen und ganz schwarz waren, in ein Massengrab zusammen.
Die Gewehre, die Munition, sowie das in dem Rockschoß eingenähte Verband¬
zeug nahmen wir den Gefallnen ab, weiter nichts. Nur wo wir auf ein teures
Andenken an den Toten schließen mochten, versuchten wir, es seiner Familie
zukomme» zu lassen. So erinnere ich mich des Vorfalls, daß wir bei einem
gefallnen Offiziere, Kapitän Grey von Gibraltar, den Brief seiner Frau fanden,
den er erst am Tage vor der Schlacht erhalten hatte. Sie schrieb darin, eine
Ahnung mache es ihr zur Gewißheit, daß sie ihren Liebling nie wiedersehen
werde; sie habe sich entschlossen, Pflegerin zu werden und wolle nur seinem
Andenken leben. Der Brief rührte uns. Alles, was wir bei ihrem Manne
fanden, packte ich sorgfältig zusammen, schrieb dazu einen Brief, daß wir ihren
Mann auf dem Felde der Ehre bestattet hätten, ihren Schmerz begriffen und
ihn teilten; aus dem beigefügten Eigentume möge sie erkennen, daß wir nicht
die Diebe und Räuber seien, zu denen uus die englische Presse stemple. Das
Paket, das diese Sachen enthielt, adressierter wir über Lourenzo Marques
nach Gibraltar; andre Wertsachen übergaben wir am folgenden Tage dem eng¬
lischen Parlamentär, der um gekommen war, um über die weitere Beerdigung
der englischen Gefallnen zu verhandeln. Ob das Paket des Kapitäns Grey
der Eigentümerin zugekommen ist, haben wir nie erfahren.

Die englischen Toten wurden von da ab durch englische Truppen beerdigt,
aber übereilig und in viel zu geringer Tiefe. Noch graut es mir, wenn ich an
den Anblick denke, der sich uns wenig Tage darauf bot. Aus dein Sande er¬
hoben sich wieder hier und dort Arme und Beine der Begrabueu; der darüber
geworfne Sand hatte sie nicht schwer genug bedeckt. Der Beerdigung der Eng¬
länder wohnten der englische und auch unser Geistlicher bei. Sie unterhielten
sich über die Verluste. Wenn er auch Geistlicher sei, so erwiderte der englische
dem unsrigen auf dessen Angaben, so könne er ihm doch nicht glauben, daß
unser Gesamtverlust bloß zweiundsiebzig Tote betrage; das englische Artillerie¬
feuer müsse allein mindestens tausend Buren getötet haben.

Mit der Beerdigung der Gefallnen war die Waffenruhe abgelaufen, und
wieder begann das feindliche Geschützfeuer gegen unsre Stellungen. Die Schüsse
fielen in langen Zwischenräumen, lind wir gewöhnten uns bald derart daran,
daß der einzelne Schuß nur Anlaß zur Entwicklung des Humors gab. „Achtung,
ein kleiner Kaffer kommt," so warnte man sich vor dem heransausenden schwarzen
Geschoß. Die Verachtung vor dessen Wirkung wuchs trotz einzelner Treffer
so sehr, daß wir nicht krepierten Granaten die Zünder abschraubten und das


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[0275] Mit den Buren im Felde Von den Engländer« wurden die entfernter von unsrer Stellung liegenden Toten unter dein Donner der unsre Stellungen beschießenden Kanonen be¬ erdigt. Als die in unserm sichern Schußbereich unbeerdigt gebliebner Toten der Engländer um zweiten Tage nach der Schlacht in Verwesung überzugehn begannen, mußten wir selbst zu ihrer Beerdigung schreiten. Es war eine schreckliche Aufgabe. Mich traf das Los, mitarbeiten zu müssen. Mit großer Energie und trotz vielfachen Nbelwerdens trugen wir die Leichen, die schon hoch angeschwollen und ganz schwarz waren, in ein Massengrab zusammen. Die Gewehre, die Munition, sowie das in dem Rockschoß eingenähte Verband¬ zeug nahmen wir den Gefallnen ab, weiter nichts. Nur wo wir auf ein teures Andenken an den Toten schließen mochten, versuchten wir, es seiner Familie zukomme» zu lassen. So erinnere ich mich des Vorfalls, daß wir bei einem gefallnen Offiziere, Kapitän Grey von Gibraltar, den Brief seiner Frau fanden, den er erst am Tage vor der Schlacht erhalten hatte. Sie schrieb darin, eine Ahnung mache es ihr zur Gewißheit, daß sie ihren Liebling nie wiedersehen werde; sie habe sich entschlossen, Pflegerin zu werden und wolle nur seinem Andenken leben. Der Brief rührte uns. Alles, was wir bei ihrem Manne fanden, packte ich sorgfältig zusammen, schrieb dazu einen Brief, daß wir ihren Mann auf dem Felde der Ehre bestattet hätten, ihren Schmerz begriffen und ihn teilten; aus dem beigefügten Eigentume möge sie erkennen, daß wir nicht die Diebe und Räuber seien, zu denen uus die englische Presse stemple. Das Paket, das diese Sachen enthielt, adressierter wir über Lourenzo Marques nach Gibraltar; andre Wertsachen übergaben wir am folgenden Tage dem eng¬ lischen Parlamentär, der um gekommen war, um über die weitere Beerdigung der englischen Gefallnen zu verhandeln. Ob das Paket des Kapitäns Grey der Eigentümerin zugekommen ist, haben wir nie erfahren. Die englischen Toten wurden von da ab durch englische Truppen beerdigt, aber übereilig und in viel zu geringer Tiefe. Noch graut es mir, wenn ich an den Anblick denke, der sich uns wenig Tage darauf bot. Aus dein Sande er¬ hoben sich wieder hier und dort Arme und Beine der Begrabueu; der darüber geworfne Sand hatte sie nicht schwer genug bedeckt. Der Beerdigung der Eng¬ länder wohnten der englische und auch unser Geistlicher bei. Sie unterhielten sich über die Verluste. Wenn er auch Geistlicher sei, so erwiderte der englische dem unsrigen auf dessen Angaben, so könne er ihm doch nicht glauben, daß unser Gesamtverlust bloß zweiundsiebzig Tote betrage; das englische Artillerie¬ feuer müsse allein mindestens tausend Buren getötet haben. Mit der Beerdigung der Gefallnen war die Waffenruhe abgelaufen, und wieder begann das feindliche Geschützfeuer gegen unsre Stellungen. Die Schüsse fielen in langen Zwischenräumen, lind wir gewöhnten uns bald derart daran, daß der einzelne Schuß nur Anlaß zur Entwicklung des Humors gab. „Achtung, ein kleiner Kaffer kommt," so warnte man sich vor dem heransausenden schwarzen Geschoß. Die Verachtung vor dessen Wirkung wuchs trotz einzelner Treffer so sehr, daß wir nicht krepierten Granaten die Zünder abschraubten und das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/275>, abgerufen am 22.07.2024.