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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die römisch" 'Kaisergeschichte im Lehrplan des Gymnasiums

Herodot, Thukydides, ^enophvn und Demosthenes, alle nicht nnr NIN ihrer
litterarischen Vorzüge willen geschätzt, sondern auch als Geschichtsquellen ersten
Ranges, denen gegenüber der Kanon der lateinischen Lektüre arm ist und nur
für verschwindend kleine Abschnitte eines viel umfangreichern Gebiets etwas
Ebenbürtiges aufweist. So selbstverständlich es aber scheint, daß der Geschichts¬
unterricht diese Bundesgenossenschaft anerkennt und verwertet, ebenso selbst¬
verständlich sollte es sein, das an diesem Punkte für die griechische Geschichte
vvrhandne Plus bei der Bemessung der Unterrichtszeit in Rechnung zu setzen.

Alle Erwägungen führen zu dem Schluß, daß das traditionelle Ver¬
hältnis 1:1 unter den obwaltenden Bedingungen nicht haltbar ist, weil die
äußerliche Gleichung in Wahrheit eine durch sachliche Gründe nicht gerecht¬
fertigte Schmälerung der römische" Geschichte bedeutet. Mit gleichem Maße
messen, heißt nicht jedem dasselbe, sondern das ihm zukommende geben; das
thun wir, wenn wir der griechischen Geschichte von der auf Obersekuuda ver¬
fügbaren Zeit uicht die Hälfte, sondern etwa zwei Fünftel, fünfundvierzig bis
fünfzig Stunden, vorbehalte". Dann findet auch die Kaisergeschichte um der
Stelle, wohin sie als Abschluß der alten Geschichte gehört, in der Obersekuuda,
wieder nnsreichenden Raum,

Wenden wir uns schließlich mit wenig Worten zu der Frage, worauf
denn bei der Behandlung der Kaiserzeit Gewicht gelegt werde" soll, so ist es
von Interesse, zu erfahren, was Harnack, der das Problem mit besonder"!
Nachdruck gestellt hat, dem Unterricht aufgeben will: den Eintritt des Christen¬
tums in die Weltgeschichte zu schildern, ferner die Spannung zwischen Kirche
und Staat und die allmähliche Verbindung und relative Versöhnung des
Christentums mit der geistigen Kultur der Antike, Nicht wenig also, und doch
zu wenig! Denn während seine Forderungen ans der einen Seite dem Fassungs¬
vermögen der Schüler zu viel zumuten, lassen sie ans der andern Wichtiges
und Wissenswertes unberücksichtigt. Die Hauptforderung Harnncks ginge
übrigens mit größerer Berechtigung an eine andre Adresse: in? Religions¬
unterricht wäre der Platz und wohl anch die Zeit zur Behandlung der ge¬
nannten kirchengeschickMcheu Probleme. Sollte der Geschichtslehrer sie nach
dem Wunsche Harnacks uiid einiger Ausführlichkeit erörtern, so würde er über¬
dies in konfessionell gemischten Klassen auf eine Schwierigkeit stoßen, die zu
lösen seinen" pädagogischen Takt nicht immer gelingen dürfte. Sogar Oskar
Jägers für ähnliche Fälle gutes Rezept, sich auf den rein historischen Stand¬
punkt zu stellen und die theologische Streitfrage, wer Recht habe, auszuscheiden,
würde hier vielleicht versagen, weil schon die bloße Absicht, den Ursprung des
römischen Primats, der doch wohl zur Sprache kommen müßte, historisch, das
heißt als Wirkung geschichtlicher Kräfte zu betrachten, nach katholischer Auf¬
fassung eine Anmaßung und Blasphemie wäre. Auch aus diesem Grunde
wird man es also dabei bewenden lassen müssen, daß die Kaiserzeit vor alle"!
als Profangeschichte behandelt wird.

Als solche würde sie sich zweckmäßig zuerst zu folgenden Fragen wenden:


Die römisch» 'Kaisergeschichte im Lehrplan des Gymnasiums

Herodot, Thukydides, ^enophvn und Demosthenes, alle nicht nnr NIN ihrer
litterarischen Vorzüge willen geschätzt, sondern auch als Geschichtsquellen ersten
Ranges, denen gegenüber der Kanon der lateinischen Lektüre arm ist und nur
für verschwindend kleine Abschnitte eines viel umfangreichern Gebiets etwas
Ebenbürtiges aufweist. So selbstverständlich es aber scheint, daß der Geschichts¬
unterricht diese Bundesgenossenschaft anerkennt und verwertet, ebenso selbst¬
verständlich sollte es sein, das an diesem Punkte für die griechische Geschichte
vvrhandne Plus bei der Bemessung der Unterrichtszeit in Rechnung zu setzen.

Alle Erwägungen führen zu dem Schluß, daß das traditionelle Ver¬
hältnis 1:1 unter den obwaltenden Bedingungen nicht haltbar ist, weil die
äußerliche Gleichung in Wahrheit eine durch sachliche Gründe nicht gerecht¬
fertigte Schmälerung der römische» Geschichte bedeutet. Mit gleichem Maße
messen, heißt nicht jedem dasselbe, sondern das ihm zukommende geben; das
thun wir, wenn wir der griechischen Geschichte von der auf Obersekuuda ver¬
fügbaren Zeit uicht die Hälfte, sondern etwa zwei Fünftel, fünfundvierzig bis
fünfzig Stunden, vorbehalte». Dann findet auch die Kaisergeschichte um der
Stelle, wohin sie als Abschluß der alten Geschichte gehört, in der Obersekuuda,
wieder nnsreichenden Raum,

Wenden wir uns schließlich mit wenig Worten zu der Frage, worauf
denn bei der Behandlung der Kaiserzeit Gewicht gelegt werde» soll, so ist es
von Interesse, zu erfahren, was Harnack, der das Problem mit besonder»!
Nachdruck gestellt hat, dem Unterricht aufgeben will: den Eintritt des Christen¬
tums in die Weltgeschichte zu schildern, ferner die Spannung zwischen Kirche
und Staat und die allmähliche Verbindung und relative Versöhnung des
Christentums mit der geistigen Kultur der Antike, Nicht wenig also, und doch
zu wenig! Denn während seine Forderungen ans der einen Seite dem Fassungs¬
vermögen der Schüler zu viel zumuten, lassen sie ans der andern Wichtiges
und Wissenswertes unberücksichtigt. Die Hauptforderung Harnncks ginge
übrigens mit größerer Berechtigung an eine andre Adresse: in? Religions¬
unterricht wäre der Platz und wohl anch die Zeit zur Behandlung der ge¬
nannten kirchengeschickMcheu Probleme. Sollte der Geschichtslehrer sie nach
dem Wunsche Harnacks uiid einiger Ausführlichkeit erörtern, so würde er über¬
dies in konfessionell gemischten Klassen auf eine Schwierigkeit stoßen, die zu
lösen seinen» pädagogischen Takt nicht immer gelingen dürfte. Sogar Oskar
Jägers für ähnliche Fälle gutes Rezept, sich auf den rein historischen Stand¬
punkt zu stellen und die theologische Streitfrage, wer Recht habe, auszuscheiden,
würde hier vielleicht versagen, weil schon die bloße Absicht, den Ursprung des
römischen Primats, der doch wohl zur Sprache kommen müßte, historisch, das
heißt als Wirkung geschichtlicher Kräfte zu betrachten, nach katholischer Auf¬
fassung eine Anmaßung und Blasphemie wäre. Auch aus diesem Grunde
wird man es also dabei bewenden lassen müssen, daß die Kaiserzeit vor alle»!
als Profangeschichte behandelt wird.

Als solche würde sie sich zweckmäßig zuerst zu folgenden Fragen wenden:


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[0272] Die römisch» 'Kaisergeschichte im Lehrplan des Gymnasiums Herodot, Thukydides, ^enophvn und Demosthenes, alle nicht nnr NIN ihrer litterarischen Vorzüge willen geschätzt, sondern auch als Geschichtsquellen ersten Ranges, denen gegenüber der Kanon der lateinischen Lektüre arm ist und nur für verschwindend kleine Abschnitte eines viel umfangreichern Gebiets etwas Ebenbürtiges aufweist. So selbstverständlich es aber scheint, daß der Geschichts¬ unterricht diese Bundesgenossenschaft anerkennt und verwertet, ebenso selbst¬ verständlich sollte es sein, das an diesem Punkte für die griechische Geschichte vvrhandne Plus bei der Bemessung der Unterrichtszeit in Rechnung zu setzen. Alle Erwägungen führen zu dem Schluß, daß das traditionelle Ver¬ hältnis 1:1 unter den obwaltenden Bedingungen nicht haltbar ist, weil die äußerliche Gleichung in Wahrheit eine durch sachliche Gründe nicht gerecht¬ fertigte Schmälerung der römische» Geschichte bedeutet. Mit gleichem Maße messen, heißt nicht jedem dasselbe, sondern das ihm zukommende geben; das thun wir, wenn wir der griechischen Geschichte von der auf Obersekuuda ver¬ fügbaren Zeit uicht die Hälfte, sondern etwa zwei Fünftel, fünfundvierzig bis fünfzig Stunden, vorbehalte». Dann findet auch die Kaisergeschichte um der Stelle, wohin sie als Abschluß der alten Geschichte gehört, in der Obersekuuda, wieder nnsreichenden Raum, Wenden wir uns schließlich mit wenig Worten zu der Frage, worauf denn bei der Behandlung der Kaiserzeit Gewicht gelegt werde» soll, so ist es von Interesse, zu erfahren, was Harnack, der das Problem mit besonder»! Nachdruck gestellt hat, dem Unterricht aufgeben will: den Eintritt des Christen¬ tums in die Weltgeschichte zu schildern, ferner die Spannung zwischen Kirche und Staat und die allmähliche Verbindung und relative Versöhnung des Christentums mit der geistigen Kultur der Antike, Nicht wenig also, und doch zu wenig! Denn während seine Forderungen ans der einen Seite dem Fassungs¬ vermögen der Schüler zu viel zumuten, lassen sie ans der andern Wichtiges und Wissenswertes unberücksichtigt. Die Hauptforderung Harnncks ginge übrigens mit größerer Berechtigung an eine andre Adresse: in? Religions¬ unterricht wäre der Platz und wohl anch die Zeit zur Behandlung der ge¬ nannten kirchengeschickMcheu Probleme. Sollte der Geschichtslehrer sie nach dem Wunsche Harnacks uiid einiger Ausführlichkeit erörtern, so würde er über¬ dies in konfessionell gemischten Klassen auf eine Schwierigkeit stoßen, die zu lösen seinen» pädagogischen Takt nicht immer gelingen dürfte. Sogar Oskar Jägers für ähnliche Fälle gutes Rezept, sich auf den rein historischen Stand¬ punkt zu stellen und die theologische Streitfrage, wer Recht habe, auszuscheiden, würde hier vielleicht versagen, weil schon die bloße Absicht, den Ursprung des römischen Primats, der doch wohl zur Sprache kommen müßte, historisch, das heißt als Wirkung geschichtlicher Kräfte zu betrachten, nach katholischer Auf¬ fassung eine Anmaßung und Blasphemie wäre. Auch aus diesem Grunde wird man es also dabei bewenden lassen müssen, daß die Kaiserzeit vor alle»! als Profangeschichte behandelt wird. Als solche würde sie sich zweckmäßig zuerst zu folgenden Fragen wenden:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/272>, abgerufen am 22.07.2024.