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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Wohimngs- und Bodenpolitik

immer mehr entkleidet werden und zu der Abklärung, Nüchternheit und
Müßigung gelangen, die ihnen vorläufig noch fehlt, und ohne die ihre Über¬
setzung in die Praxis wahrscheinlich ein unverantwortlich leichtfertiger Sprung
ins Ungewisse sein würde.

Der Minister! alerlaß nennt unter den vorläufig ans dem Boden der
geltenden Gesetzgebung ausführbaren Maßnahmen zur Besserung der Wohn-
Verhältnisse zunächst die Beschaffung geeigneter Wohnungen zu angemessenen
Preisen durch den Staat und die Gemeindet? für ihre eignen Arbeiter und
Beamten, sei es in eigner Regie oder dnrch Unterstützung gemeinnütziger Bau¬
genossenschaften, Sodann soll von den Gemeinden ans eine vermehrte Her¬
stellung kleiner, gesunder und preiswerter Wohnungen für die minder be¬
mittelten Klassen überhaupt durch die Unterstützung solcher gemeinnützigen
Genossenschaften und Gesellschaften hingewirkt werden, die durch Statut die
an die Gesellschafter zu verteilenden Dividenden auf höchstens 4 Prozent be¬
schränken. Drittens sei ein Mittel, wodurch schon jetzt mit Erfolg auf eine
Verbesserung der Wohnungsverhältnisse hingewirkt werden könne, "die Er¬
leichterung des Verkehrs nach den Außenbezirken der größern Gemeinden,"
Es werde deshalb überall dort, wo Mißstände im Wohnungswesen besteh",
auf eine zweckentsprechende Entwicklung der "kommunalen Verkehrsmittel,"
zugleich aber namentlich auch darauf Bedacht genommen werden müssen, daß
für den Verkehr von und nach den Außenbezirken der Arbeiterbevölkerung,
insbesondre auch für die Schulkinder, die erforderlichen Erleichterungen gewährt
werden. Soweit die Gemeinden neue Genehmigungen für Straßenbahnen,
Pferdebahnen und dergleichen erteilen, sollte grundsätzlich eine entsprechende
ausdrückliche Bedingung in den Vertrag aufgenommen werden. Endlich heißt
es viertens: Bon durchgreifender Bedeutung für eine bessere Gestaltung der
Wohnungsverhältnisse sei eine zweckmäßige Bodenpolitik der Gemeinden, Die
herrschenden Mißstände hätten eben ihre Hauptquelle in der ungesunden Boden¬
spekulation, die sich freilich zum Teil mit Erfolg uur nach Abänderung der
Gesetzgebung bekämpfen lassen werde. Ein wirksames Mittel, sie in Schranken
zu halten, biete sich aber auch jetzt schon in der Erwerbung möglichst vieler
Grundstücke durch die Gemeinden, deren stetiges Anwachsen das umliegende
Acker- und Gartenland in immer zunehmendem Maße in Bauland verwandle.
In welcher Weise die Grundstücke, die in der Regel dauernd im Eigentum der
Gemeinde erhalten werden sollten, für die Bebauung nutzbar gemacht werden
könnten, ob insbesondre die Gemeinde selbst, in eigner Regie oder durch
Privatunternehmer, Wohnungen darauf errichten und diese im Wege der Ver¬
mietung oder des Erbbaurechts abgeben wolle, oder ob die Bebauung im Wege
des Erbbaurechts herbeigeführt werden solle, werde der einzelnen Gemeinde
überlassen bleiben können. Einer gesunden Bodenpolitik entspreche es ins¬
besondre, wenn auch da, wo jetzt Wohnungsnot herrsche, die für billige Woh¬
nungen geeigneten Grundstücke im Eigentum der Stadt grundsätzlich nicht ver¬
äußert würden. Eine Veräußerung von Gemeindegrnndstncken zur Bekämpfung


Wohimngs- und Bodenpolitik

immer mehr entkleidet werden und zu der Abklärung, Nüchternheit und
Müßigung gelangen, die ihnen vorläufig noch fehlt, und ohne die ihre Über¬
setzung in die Praxis wahrscheinlich ein unverantwortlich leichtfertiger Sprung
ins Ungewisse sein würde.

Der Minister! alerlaß nennt unter den vorläufig ans dem Boden der
geltenden Gesetzgebung ausführbaren Maßnahmen zur Besserung der Wohn-
Verhältnisse zunächst die Beschaffung geeigneter Wohnungen zu angemessenen
Preisen durch den Staat und die Gemeindet? für ihre eignen Arbeiter und
Beamten, sei es in eigner Regie oder dnrch Unterstützung gemeinnütziger Bau¬
genossenschaften, Sodann soll von den Gemeinden ans eine vermehrte Her¬
stellung kleiner, gesunder und preiswerter Wohnungen für die minder be¬
mittelten Klassen überhaupt durch die Unterstützung solcher gemeinnützigen
Genossenschaften und Gesellschaften hingewirkt werden, die durch Statut die
an die Gesellschafter zu verteilenden Dividenden auf höchstens 4 Prozent be¬
schränken. Drittens sei ein Mittel, wodurch schon jetzt mit Erfolg auf eine
Verbesserung der Wohnungsverhältnisse hingewirkt werden könne, „die Er¬
leichterung des Verkehrs nach den Außenbezirken der größern Gemeinden,"
Es werde deshalb überall dort, wo Mißstände im Wohnungswesen besteh»,
auf eine zweckentsprechende Entwicklung der „kommunalen Verkehrsmittel,"
zugleich aber namentlich auch darauf Bedacht genommen werden müssen, daß
für den Verkehr von und nach den Außenbezirken der Arbeiterbevölkerung,
insbesondre auch für die Schulkinder, die erforderlichen Erleichterungen gewährt
werden. Soweit die Gemeinden neue Genehmigungen für Straßenbahnen,
Pferdebahnen und dergleichen erteilen, sollte grundsätzlich eine entsprechende
ausdrückliche Bedingung in den Vertrag aufgenommen werden. Endlich heißt
es viertens: Bon durchgreifender Bedeutung für eine bessere Gestaltung der
Wohnungsverhältnisse sei eine zweckmäßige Bodenpolitik der Gemeinden, Die
herrschenden Mißstände hätten eben ihre Hauptquelle in der ungesunden Boden¬
spekulation, die sich freilich zum Teil mit Erfolg uur nach Abänderung der
Gesetzgebung bekämpfen lassen werde. Ein wirksames Mittel, sie in Schranken
zu halten, biete sich aber auch jetzt schon in der Erwerbung möglichst vieler
Grundstücke durch die Gemeinden, deren stetiges Anwachsen das umliegende
Acker- und Gartenland in immer zunehmendem Maße in Bauland verwandle.
In welcher Weise die Grundstücke, die in der Regel dauernd im Eigentum der
Gemeinde erhalten werden sollten, für die Bebauung nutzbar gemacht werden
könnten, ob insbesondre die Gemeinde selbst, in eigner Regie oder durch
Privatunternehmer, Wohnungen darauf errichten und diese im Wege der Ver¬
mietung oder des Erbbaurechts abgeben wolle, oder ob die Bebauung im Wege
des Erbbaurechts herbeigeführt werden solle, werde der einzelnen Gemeinde
überlassen bleiben können. Einer gesunden Bodenpolitik entspreche es ins¬
besondre, wenn auch da, wo jetzt Wohnungsnot herrsche, die für billige Woh¬
nungen geeigneten Grundstücke im Eigentum der Stadt grundsätzlich nicht ver¬
äußert würden. Eine Veräußerung von Gemeindegrnndstncken zur Bekämpfung


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[0256] Wohimngs- und Bodenpolitik immer mehr entkleidet werden und zu der Abklärung, Nüchternheit und Müßigung gelangen, die ihnen vorläufig noch fehlt, und ohne die ihre Über¬ setzung in die Praxis wahrscheinlich ein unverantwortlich leichtfertiger Sprung ins Ungewisse sein würde. Der Minister! alerlaß nennt unter den vorläufig ans dem Boden der geltenden Gesetzgebung ausführbaren Maßnahmen zur Besserung der Wohn- Verhältnisse zunächst die Beschaffung geeigneter Wohnungen zu angemessenen Preisen durch den Staat und die Gemeindet? für ihre eignen Arbeiter und Beamten, sei es in eigner Regie oder dnrch Unterstützung gemeinnütziger Bau¬ genossenschaften, Sodann soll von den Gemeinden ans eine vermehrte Her¬ stellung kleiner, gesunder und preiswerter Wohnungen für die minder be¬ mittelten Klassen überhaupt durch die Unterstützung solcher gemeinnützigen Genossenschaften und Gesellschaften hingewirkt werden, die durch Statut die an die Gesellschafter zu verteilenden Dividenden auf höchstens 4 Prozent be¬ schränken. Drittens sei ein Mittel, wodurch schon jetzt mit Erfolg auf eine Verbesserung der Wohnungsverhältnisse hingewirkt werden könne, „die Er¬ leichterung des Verkehrs nach den Außenbezirken der größern Gemeinden," Es werde deshalb überall dort, wo Mißstände im Wohnungswesen besteh», auf eine zweckentsprechende Entwicklung der „kommunalen Verkehrsmittel," zugleich aber namentlich auch darauf Bedacht genommen werden müssen, daß für den Verkehr von und nach den Außenbezirken der Arbeiterbevölkerung, insbesondre auch für die Schulkinder, die erforderlichen Erleichterungen gewährt werden. Soweit die Gemeinden neue Genehmigungen für Straßenbahnen, Pferdebahnen und dergleichen erteilen, sollte grundsätzlich eine entsprechende ausdrückliche Bedingung in den Vertrag aufgenommen werden. Endlich heißt es viertens: Bon durchgreifender Bedeutung für eine bessere Gestaltung der Wohnungsverhältnisse sei eine zweckmäßige Bodenpolitik der Gemeinden, Die herrschenden Mißstände hätten eben ihre Hauptquelle in der ungesunden Boden¬ spekulation, die sich freilich zum Teil mit Erfolg uur nach Abänderung der Gesetzgebung bekämpfen lassen werde. Ein wirksames Mittel, sie in Schranken zu halten, biete sich aber auch jetzt schon in der Erwerbung möglichst vieler Grundstücke durch die Gemeinden, deren stetiges Anwachsen das umliegende Acker- und Gartenland in immer zunehmendem Maße in Bauland verwandle. In welcher Weise die Grundstücke, die in der Regel dauernd im Eigentum der Gemeinde erhalten werden sollten, für die Bebauung nutzbar gemacht werden könnten, ob insbesondre die Gemeinde selbst, in eigner Regie oder durch Privatunternehmer, Wohnungen darauf errichten und diese im Wege der Ver¬ mietung oder des Erbbaurechts abgeben wolle, oder ob die Bebauung im Wege des Erbbaurechts herbeigeführt werden solle, werde der einzelnen Gemeinde überlassen bleiben können. Einer gesunden Bodenpolitik entspreche es ins¬ besondre, wenn auch da, wo jetzt Wohnungsnot herrsche, die für billige Woh¬ nungen geeigneten Grundstücke im Eigentum der Stadt grundsätzlich nicht ver¬ äußert würden. Eine Veräußerung von Gemeindegrnndstncken zur Bekämpfung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/256>, abgerufen am 22.07.2024.