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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks englische Politik

überschäumende Anglophvbie, man kann hier den Ausdruck gebrauchen, so ein-
gerissen, wenn die deutsche Regierung schon vor einem Jahre durch staats¬
männische Erklärungen "ud Belehrungen das deutsche Volk, das in seiner
Mehrheit ruhiger Überlegung zugänglich ist, von einer rasenden, Prestige,
lüsternen Presse getrennt hätte. Jetzt redet diese, die es nicht vermocht
hat, Kaiser und Kanzler und das von ihnen gepflegte Staatswohl ihrem
Willen nnterzuzwingen, von einer "tiefen Kluft zwischen Thron und Volk"
und vo" der Notwendigkeit einer "nationalen" Opposition gegen den selbst¬
bewußten Monarchen, Aber das täuscht doch niemand mehr: es ist die blinde
Wild einer gewissen herrschsüchtigen Presse, die sich in ihrem Machtkitzel ge¬
tränkt und in ihrer Hoffnung getäuscht sieht, der Schwerpunkt der Staats¬
leitung werde in ihre Redaktionen verlegt werden. Diese Presse -- in Wahr¬
heit ist es nur ein halbes Dutzend Redakteure mag ruhig "nationale
Opposition" machen: die Zeit ist zu ernst, als daß sich auf die Dauer
solches Phrasentum am Leben erhalten könnte. Es hat sich ja auch gezeigt,
daß diese Presse auf die berufnen Volksvertreter keinen Einfluß auszuüben
vermocht hat. Die Kreise des deutschen Volks, die für ihre Worte auch die
Verantwortung übernehmen müssen, also die Reichstagsabgeordneten, die mit
ihrer Person für ihr Verhalten einstehn müssen, die Fraktionen, die Partei-
Presse, die Zeitschriften, deren Anschauungen und Handlungen von der Ge¬
schichte festgenagelt werden -- während die Leitartikel der ,, unabhängigen,
nationalen" Blatter heute geschriebn werden und morgen vergessen sind --,
alle diese unter der Zuchtrute der Verantwortlichkeit stehenden Elemente sind
sich wohl bewußt gewesen, daß die Englandhetze dem Interesse des Reichs
widerspricht, und haben sich zurückgehalten. Es mag in diesen Kreisen auf
Grund ihrer pflichtmäßigen Gewissenhaftigkeit in der Betrachtung der Politik
wohl auch ein richtigeres Bild der Ziele Bismarckischer Politik vorhanden sein,
als in den "Bismarckianern" alldeutscher Observanz. Sie werden sich erinnern,
daß zu der Zeit des Beginnens unsrer Kolonialpolitik, als die thatsächlichen
Differenzen mit England -- nicht bloß theoretische -- auf der Tagesordnung
waren. Fürst Bismarck einen so gewichtigen Politiker, wie Windthorst es war,
in der Reichstagssitzuug vom lo' Januar 1885 mit folgenden Worten zurück¬
wies: "Dann möchte ich doch den Herrn Vorredner bitten, auch selbst einer
so befreundeten Macht gegenüber, wie England, nicht in der leichten Weise von
der Tribüne her den Frieden -- ich will nicht sagen -- zu stören, aber das
Vertrauen auf den Frieden, indem er darauf hindeutet in dieser mehr oder
weniger politischen Debatte, daß die Möglichkeit vorhanden sei, daß wir Eng¬
land einmal in Waffen gegenüberstehn könnten. Diese Möglichkeit bestreite
ich absolut, die liegt nicht vor, und alle diejenigen Fragen, die jetzt zwischen
uns und England streitig sind, sind nicht von der Wichtigkeit, um einen
Friedensbruch zwischen uns und England weder drüben noch auf dieser Seite
der Nordsee zu rechtfertigen, und ich wüßte nicht, was sonst zwischen uns und
England für Streitigkeiten entstehn könnten; sie sind nie gewesen. Ich kann


Fürst Bismarcks englische Politik

überschäumende Anglophvbie, man kann hier den Ausdruck gebrauchen, so ein-
gerissen, wenn die deutsche Regierung schon vor einem Jahre durch staats¬
männische Erklärungen »ud Belehrungen das deutsche Volk, das in seiner
Mehrheit ruhiger Überlegung zugänglich ist, von einer rasenden, Prestige,
lüsternen Presse getrennt hätte. Jetzt redet diese, die es nicht vermocht
hat, Kaiser und Kanzler und das von ihnen gepflegte Staatswohl ihrem
Willen nnterzuzwingen, von einer „tiefen Kluft zwischen Thron und Volk"
und vo» der Notwendigkeit einer „nationalen" Opposition gegen den selbst¬
bewußten Monarchen, Aber das täuscht doch niemand mehr: es ist die blinde
Wild einer gewissen herrschsüchtigen Presse, die sich in ihrem Machtkitzel ge¬
tränkt und in ihrer Hoffnung getäuscht sieht, der Schwerpunkt der Staats¬
leitung werde in ihre Redaktionen verlegt werden. Diese Presse — in Wahr¬
heit ist es nur ein halbes Dutzend Redakteure mag ruhig „nationale
Opposition" machen: die Zeit ist zu ernst, als daß sich auf die Dauer
solches Phrasentum am Leben erhalten könnte. Es hat sich ja auch gezeigt,
daß diese Presse auf die berufnen Volksvertreter keinen Einfluß auszuüben
vermocht hat. Die Kreise des deutschen Volks, die für ihre Worte auch die
Verantwortung übernehmen müssen, also die Reichstagsabgeordneten, die mit
ihrer Person für ihr Verhalten einstehn müssen, die Fraktionen, die Partei-
Presse, die Zeitschriften, deren Anschauungen und Handlungen von der Ge¬
schichte festgenagelt werden — während die Leitartikel der ,, unabhängigen,
nationalen" Blatter heute geschriebn werden und morgen vergessen sind —,
alle diese unter der Zuchtrute der Verantwortlichkeit stehenden Elemente sind
sich wohl bewußt gewesen, daß die Englandhetze dem Interesse des Reichs
widerspricht, und haben sich zurückgehalten. Es mag in diesen Kreisen auf
Grund ihrer pflichtmäßigen Gewissenhaftigkeit in der Betrachtung der Politik
wohl auch ein richtigeres Bild der Ziele Bismarckischer Politik vorhanden sein,
als in den „Bismarckianern" alldeutscher Observanz. Sie werden sich erinnern,
daß zu der Zeit des Beginnens unsrer Kolonialpolitik, als die thatsächlichen
Differenzen mit England — nicht bloß theoretische — auf der Tagesordnung
waren. Fürst Bismarck einen so gewichtigen Politiker, wie Windthorst es war,
in der Reichstagssitzuug vom lo' Januar 1885 mit folgenden Worten zurück¬
wies: „Dann möchte ich doch den Herrn Vorredner bitten, auch selbst einer
so befreundeten Macht gegenüber, wie England, nicht in der leichten Weise von
der Tribüne her den Frieden — ich will nicht sagen — zu stören, aber das
Vertrauen auf den Frieden, indem er darauf hindeutet in dieser mehr oder
weniger politischen Debatte, daß die Möglichkeit vorhanden sei, daß wir Eng¬
land einmal in Waffen gegenüberstehn könnten. Diese Möglichkeit bestreite
ich absolut, die liegt nicht vor, und alle diejenigen Fragen, die jetzt zwischen
uns und England streitig sind, sind nicht von der Wichtigkeit, um einen
Friedensbruch zwischen uns und England weder drüben noch auf dieser Seite
der Nordsee zu rechtfertigen, und ich wüßte nicht, was sonst zwischen uns und
England für Streitigkeiten entstehn könnten; sie sind nie gewesen. Ich kann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/155>, abgerufen am 03.07.2024.