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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die Entwicklung der deutschen Monarchie

die Fürsten mit Energie die notwendigen Folgerungen, Von der obersten
Militär- und der höchsten Gerichtsgewalt her suchten sie neue staatliche Rechte
zu konstruieren; über große Teile der Bewohner ihrer Territorien gewannen
sie auch die niedere Gerichtsbarkeit, ferner ein gewisses Besteurungsrecht. Vor
allem- es gelang ihnen bei der räumlichen Begrenztheit ihrer Territorien die
Zentralisation der Verwaltung herzustellen, die das Königtum für das Reich
vergeblich erstrebt hatte. Eine Menge gefügiger Beamter war im Dienste der
landesherrlichen Interessen thätig. Die Amtleute hielten auf deu Burgen des
Landes strenge Wacht und übten die hohe Gerichtsbarkeit aus; die Schult¬
heißen präsidierten im Namen der Landesherren den niedern Gerichten, die
Kastner oder Kellner trieben für ihn die fälligen Zinsen und Pachter ein; an
seinem Hofe verrechnete der Landrentmeister die Einkünfte, und eine ganze Schar
von Räten, die wohl ans deu landesherrlichen Dienstmannen hervorgegangen
waren, stand des Winkes ihres Herrn allzeit gewärtig.

Und doch gelang dem Landesherrn die Vereinigung der staatlichen Rechte
in seiner Hand zunächst nur unvollkommen. Zwischen den Fürsten und der
Masse der Unterthanen schoben sich Mächte halbstaatlichen Gepräges ein, die
das Recht, anzuraten und mitzubestimmen, gebieterisch heisesten. Da finden
wir freie Herren, meistens Inhaber großer Grundherrschaften, in ihrer sozialen
Stellung etwa den heutigen großen Magnaten Oberschlesiens vergleichbar;
neben ihnen stehn die hohen Prälaten, die eifersüchtig über der Integrität ihrer
geistlichen Vorrechte wachen; ferner die fehdefrendigen Ritter und die kapital¬
reichen Städte. Sie alle haben ihrerseits gleichfalls aus der Schwäche des
mittelalterlichen Königtums Borten gezogen. Über die von ihnen zunächst nur
wirtschaftlich abhängige, grundhörige Bevölkerung haben sie -- vielfach auf
rein usurpatvrischem Wege -- die Gerichtshoheit erlangt. Ja, sie treiben von
ihren Hintersassen Abgaben ein, denen schon kaum mehr der Charakter privat¬
rechtlicher Zinsen, soudern fast öffentlich-rechtlicher Steuern anhaftet. Die
Städte vollends -- und nicht nur die freien Reichsstädte -- haben es zur
Ausbildung eines ihren besondern geldwirtschaftlicher Interessen angepaßten
selbständigen Verwaltnngsorganismus gebracht. Bei dem Versuche, diese Gruppen
in Abhängigkeit von sich zu bringen, wird dem Landesherrn vernehmlich Halt
geboten. Alle Jnteressenverschiedenheiten zwischen freien Herren, Prälaten,
Rittern und Städten treten in den Hintergrund, der gemeinsame Gegensatz
gegen den Landesherr" eint sie zu gemeinsamem Vorgehn. Die verschiednen
Gruppen organisieren sich zu Ständen. Als solche stehn sie ebenbürtig neben
dem Landesherrn. Das Maß der Abhängigkeit des Landesherrn von den
Ständen ist natürlich in den verschiednen Territorien verschieden gewesen. In
Braunschweig und Bayern aber war sie beispielsweise so groß, daß sich die
Stände vom Fürsten das Recht bewaffneten Widerstands ausdrücklich für den
Fall garantieren ließen, daß er sich nicht an die getroffuen Abmachungen hielt.
Oft genug auch war der Gegensatz ständischer und landesherrlicher Interessen
so groß, daß man zu den Waffen griff. Ich erinnere an die Kämpfe, die


Die Entwicklung der deutschen Monarchie

die Fürsten mit Energie die notwendigen Folgerungen, Von der obersten
Militär- und der höchsten Gerichtsgewalt her suchten sie neue staatliche Rechte
zu konstruieren; über große Teile der Bewohner ihrer Territorien gewannen
sie auch die niedere Gerichtsbarkeit, ferner ein gewisses Besteurungsrecht. Vor
allem- es gelang ihnen bei der räumlichen Begrenztheit ihrer Territorien die
Zentralisation der Verwaltung herzustellen, die das Königtum für das Reich
vergeblich erstrebt hatte. Eine Menge gefügiger Beamter war im Dienste der
landesherrlichen Interessen thätig. Die Amtleute hielten auf deu Burgen des
Landes strenge Wacht und übten die hohe Gerichtsbarkeit aus; die Schult¬
heißen präsidierten im Namen der Landesherren den niedern Gerichten, die
Kastner oder Kellner trieben für ihn die fälligen Zinsen und Pachter ein; an
seinem Hofe verrechnete der Landrentmeister die Einkünfte, und eine ganze Schar
von Räten, die wohl ans deu landesherrlichen Dienstmannen hervorgegangen
waren, stand des Winkes ihres Herrn allzeit gewärtig.

Und doch gelang dem Landesherrn die Vereinigung der staatlichen Rechte
in seiner Hand zunächst nur unvollkommen. Zwischen den Fürsten und der
Masse der Unterthanen schoben sich Mächte halbstaatlichen Gepräges ein, die
das Recht, anzuraten und mitzubestimmen, gebieterisch heisesten. Da finden
wir freie Herren, meistens Inhaber großer Grundherrschaften, in ihrer sozialen
Stellung etwa den heutigen großen Magnaten Oberschlesiens vergleichbar;
neben ihnen stehn die hohen Prälaten, die eifersüchtig über der Integrität ihrer
geistlichen Vorrechte wachen; ferner die fehdefrendigen Ritter und die kapital¬
reichen Städte. Sie alle haben ihrerseits gleichfalls aus der Schwäche des
mittelalterlichen Königtums Borten gezogen. Über die von ihnen zunächst nur
wirtschaftlich abhängige, grundhörige Bevölkerung haben sie — vielfach auf
rein usurpatvrischem Wege — die Gerichtshoheit erlangt. Ja, sie treiben von
ihren Hintersassen Abgaben ein, denen schon kaum mehr der Charakter privat¬
rechtlicher Zinsen, soudern fast öffentlich-rechtlicher Steuern anhaftet. Die
Städte vollends — und nicht nur die freien Reichsstädte — haben es zur
Ausbildung eines ihren besondern geldwirtschaftlicher Interessen angepaßten
selbständigen Verwaltnngsorganismus gebracht. Bei dem Versuche, diese Gruppen
in Abhängigkeit von sich zu bringen, wird dem Landesherrn vernehmlich Halt
geboten. Alle Jnteressenverschiedenheiten zwischen freien Herren, Prälaten,
Rittern und Städten treten in den Hintergrund, der gemeinsame Gegensatz
gegen den Landesherr« eint sie zu gemeinsamem Vorgehn. Die verschiednen
Gruppen organisieren sich zu Ständen. Als solche stehn sie ebenbürtig neben
dem Landesherrn. Das Maß der Abhängigkeit des Landesherrn von den
Ständen ist natürlich in den verschiednen Territorien verschieden gewesen. In
Braunschweig und Bayern aber war sie beispielsweise so groß, daß sich die
Stände vom Fürsten das Recht bewaffneten Widerstands ausdrücklich für den
Fall garantieren ließen, daß er sich nicht an die getroffuen Abmachungen hielt.
Oft genug auch war der Gegensatz ständischer und landesherrlicher Interessen
so groß, daß man zu den Waffen griff. Ich erinnere an die Kämpfe, die


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[0118] Die Entwicklung der deutschen Monarchie die Fürsten mit Energie die notwendigen Folgerungen, Von der obersten Militär- und der höchsten Gerichtsgewalt her suchten sie neue staatliche Rechte zu konstruieren; über große Teile der Bewohner ihrer Territorien gewannen sie auch die niedere Gerichtsbarkeit, ferner ein gewisses Besteurungsrecht. Vor allem- es gelang ihnen bei der räumlichen Begrenztheit ihrer Territorien die Zentralisation der Verwaltung herzustellen, die das Königtum für das Reich vergeblich erstrebt hatte. Eine Menge gefügiger Beamter war im Dienste der landesherrlichen Interessen thätig. Die Amtleute hielten auf deu Burgen des Landes strenge Wacht und übten die hohe Gerichtsbarkeit aus; die Schult¬ heißen präsidierten im Namen der Landesherren den niedern Gerichten, die Kastner oder Kellner trieben für ihn die fälligen Zinsen und Pachter ein; an seinem Hofe verrechnete der Landrentmeister die Einkünfte, und eine ganze Schar von Räten, die wohl ans deu landesherrlichen Dienstmannen hervorgegangen waren, stand des Winkes ihres Herrn allzeit gewärtig. Und doch gelang dem Landesherrn die Vereinigung der staatlichen Rechte in seiner Hand zunächst nur unvollkommen. Zwischen den Fürsten und der Masse der Unterthanen schoben sich Mächte halbstaatlichen Gepräges ein, die das Recht, anzuraten und mitzubestimmen, gebieterisch heisesten. Da finden wir freie Herren, meistens Inhaber großer Grundherrschaften, in ihrer sozialen Stellung etwa den heutigen großen Magnaten Oberschlesiens vergleichbar; neben ihnen stehn die hohen Prälaten, die eifersüchtig über der Integrität ihrer geistlichen Vorrechte wachen; ferner die fehdefrendigen Ritter und die kapital¬ reichen Städte. Sie alle haben ihrerseits gleichfalls aus der Schwäche des mittelalterlichen Königtums Borten gezogen. Über die von ihnen zunächst nur wirtschaftlich abhängige, grundhörige Bevölkerung haben sie — vielfach auf rein usurpatvrischem Wege — die Gerichtshoheit erlangt. Ja, sie treiben von ihren Hintersassen Abgaben ein, denen schon kaum mehr der Charakter privat¬ rechtlicher Zinsen, soudern fast öffentlich-rechtlicher Steuern anhaftet. Die Städte vollends — und nicht nur die freien Reichsstädte — haben es zur Ausbildung eines ihren besondern geldwirtschaftlicher Interessen angepaßten selbständigen Verwaltnngsorganismus gebracht. Bei dem Versuche, diese Gruppen in Abhängigkeit von sich zu bringen, wird dem Landesherrn vernehmlich Halt geboten. Alle Jnteressenverschiedenheiten zwischen freien Herren, Prälaten, Rittern und Städten treten in den Hintergrund, der gemeinsame Gegensatz gegen den Landesherr« eint sie zu gemeinsamem Vorgehn. Die verschiednen Gruppen organisieren sich zu Ständen. Als solche stehn sie ebenbürtig neben dem Landesherrn. Das Maß der Abhängigkeit des Landesherrn von den Ständen ist natürlich in den verschiednen Territorien verschieden gewesen. In Braunschweig und Bayern aber war sie beispielsweise so groß, daß sich die Stände vom Fürsten das Recht bewaffneten Widerstands ausdrücklich für den Fall garantieren ließen, daß er sich nicht an die getroffuen Abmachungen hielt. Oft genug auch war der Gegensatz ständischer und landesherrlicher Interessen so groß, daß man zu den Waffen griff. Ich erinnere an die Kämpfe, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/118>, abgerufen am 01.07.2024.