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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Giglio

Einbuchtungen mit grobem Granitsand; einen eigentlichen Hafen sucht man
vergebens. Während in diesen Bachbetteu nur nach starken Regengüssen Wasser
fließt, rieseln an verschiednen Stellen des Ufers vier eisenhaltige Quellen
("Linote. kerrvAinosg,) ins Meer, und auch an eigentlichem Trinkwasser fehlt es
nicht, das mehrere recht gute Quellen liefern, deren eine sogar mittels gu߬
eiserner Rohren einen halben Kilometer weit unes dem Castello geleitet wird.
Auch Wald ist vorhanden, wenn auch nur als Buschwald (Naoollm), da er
aller fünf Jahre zur Gewinnung von Brennholz und WeinbergSpfählen lMli)
geschlagen wird; hier findet man verschiedne Arten der Cistrosen und der
immergrüne" Eichen, und wo die stachlige Calhcotvme in größerer Menge auf¬
tritt, herrscht oft eine undurchdringliche Wildnis, Die Wälder Giglios bieten
aber keinerlei Schrecknisse; hier Hausen weder die sonst üblichen Briganten, noch
wildes Getier. Nur ein scheues Häslein huscht da und dort durchs Gebüsch
oder über einen Weideplatz, und aus deu Felsenritzen lugen und laufen zahl¬
lose unschuldige Eidechsen. Auch die Schlangenart, die ziemlich zahlreich
vorkommt (Oolubvr virielillAvus), ist durchaus unschädlich. Der Schrecken der
Nachbarinsel Capmjci fehlt: das Kaninchen, das dort alles verwüstet hat.
Nur mit Ratten hat es hier der Landmann als Schädlingen auf den Feldern
zu thun.

Die Gesamtzahl der auf Giglio derzeit lebenden Einwohner betrügt 2421,
von denen 2349 Eingeborne sind; in der obern Ortschaft, in Giglio Castello,
wohnen 1470, in der untern, Giglio Marina oder Porto, 841, während die
übrigen auf Gehöften, in Campese und Nenella, Hausen. Als Ureinwohner
oder auch nur als Bevölkerung alten Ursprungs kann man diese Gigliesen von
heute nicht ansehen. Im Jahre 1544 entführte Haireddiu Barbarossa sämtliche
Bewohner nach Stambul, wo die meiste" an der Pest dahinstarben. Zu dieser
Zeit gehörte die Insel der Familie Piccolomini-Aragon, und diese schickte nach
dem Abzug des Kvrsnrenhäuptlings fünfzig Familien aus dein Neapolitanischen
und Genuesischen auf den verödeten Felsen. Von diesen Kolonisten stammt,
was heute auf Giglio wohnt. Es ist ein gesundes Geschlecht; achtzig- bis
neunzigjährige Leute sind durchaus keine Seltenheit, und wie rüstig schreiten
diese Alten noch einher! Mordthaten und sonstige Verbrechen sind sehr selten,
und dein dortigen Pfarrer, einem schon bejahrten Manne, ist von einem Selbst¬
mord, der auf der Insel vorgekommen wäre, nichts bekannt. Höchstens bringen
unbedeutende Landdicbstähle dem Gericht manchmal vorübergehende Beschäfti¬
gung. Uneheliche Geburten giebt es kaum. Reich sind die Gigliesen nicht,
aber irgend einen Besitz hat so ziemlich jeder; uur fünfzehn Jndigcnti (ganz
Unbemittelte) werden gezählt. Droben auf Castello wohnen die Bauern, unten
in Porto oder Marina die Fischer. Aber trotz allen Fleißes und aller Ein¬
fachheit nimmt auch hier die Verarmung ^ wo wäre das im Land Italien
nicht der Fall? -- stetig zu, und damit auch die Auswandrung nach Amerika.
Schade um diese braven, arbeitsamen, begabten und gesitteten Leute, die so
ihrem Vaterland für immer verloren gehn!


Giglio

Einbuchtungen mit grobem Granitsand; einen eigentlichen Hafen sucht man
vergebens. Während in diesen Bachbetteu nur nach starken Regengüssen Wasser
fließt, rieseln an verschiednen Stellen des Ufers vier eisenhaltige Quellen
(»Linote. kerrvAinosg,) ins Meer, und auch an eigentlichem Trinkwasser fehlt es
nicht, das mehrere recht gute Quellen liefern, deren eine sogar mittels gu߬
eiserner Rohren einen halben Kilometer weit unes dem Castello geleitet wird.
Auch Wald ist vorhanden, wenn auch nur als Buschwald (Naoollm), da er
aller fünf Jahre zur Gewinnung von Brennholz und WeinbergSpfählen lMli)
geschlagen wird; hier findet man verschiedne Arten der Cistrosen und der
immergrüne« Eichen, und wo die stachlige Calhcotvme in größerer Menge auf¬
tritt, herrscht oft eine undurchdringliche Wildnis, Die Wälder Giglios bieten
aber keinerlei Schrecknisse; hier Hausen weder die sonst üblichen Briganten, noch
wildes Getier. Nur ein scheues Häslein huscht da und dort durchs Gebüsch
oder über einen Weideplatz, und aus deu Felsenritzen lugen und laufen zahl¬
lose unschuldige Eidechsen. Auch die Schlangenart, die ziemlich zahlreich
vorkommt (Oolubvr virielillAvus), ist durchaus unschädlich. Der Schrecken der
Nachbarinsel Capmjci fehlt: das Kaninchen, das dort alles verwüstet hat.
Nur mit Ratten hat es hier der Landmann als Schädlingen auf den Feldern
zu thun.

Die Gesamtzahl der auf Giglio derzeit lebenden Einwohner betrügt 2421,
von denen 2349 Eingeborne sind; in der obern Ortschaft, in Giglio Castello,
wohnen 1470, in der untern, Giglio Marina oder Porto, 841, während die
übrigen auf Gehöften, in Campese und Nenella, Hausen. Als Ureinwohner
oder auch nur als Bevölkerung alten Ursprungs kann man diese Gigliesen von
heute nicht ansehen. Im Jahre 1544 entführte Haireddiu Barbarossa sämtliche
Bewohner nach Stambul, wo die meiste» an der Pest dahinstarben. Zu dieser
Zeit gehörte die Insel der Familie Piccolomini-Aragon, und diese schickte nach
dem Abzug des Kvrsnrenhäuptlings fünfzig Familien aus dein Neapolitanischen
und Genuesischen auf den verödeten Felsen. Von diesen Kolonisten stammt,
was heute auf Giglio wohnt. Es ist ein gesundes Geschlecht; achtzig- bis
neunzigjährige Leute sind durchaus keine Seltenheit, und wie rüstig schreiten
diese Alten noch einher! Mordthaten und sonstige Verbrechen sind sehr selten,
und dein dortigen Pfarrer, einem schon bejahrten Manne, ist von einem Selbst¬
mord, der auf der Insel vorgekommen wäre, nichts bekannt. Höchstens bringen
unbedeutende Landdicbstähle dem Gericht manchmal vorübergehende Beschäfti¬
gung. Uneheliche Geburten giebt es kaum. Reich sind die Gigliesen nicht,
aber irgend einen Besitz hat so ziemlich jeder; uur fünfzehn Jndigcnti (ganz
Unbemittelte) werden gezählt. Droben auf Castello wohnen die Bauern, unten
in Porto oder Marina die Fischer. Aber trotz allen Fleißes und aller Ein¬
fachheit nimmt auch hier die Verarmung ^ wo wäre das im Land Italien
nicht der Fall? — stetig zu, und damit auch die Auswandrung nach Amerika.
Schade um diese braven, arbeitsamen, begabten und gesitteten Leute, die so
ihrem Vaterland für immer verloren gehn!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/91>, abgerufen am 02.10.2024.