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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Hains" geschickt. Ain 22. Mai verblüffte er das Oberkonsistorium durch das
Bekenntnis: "er zöge mit größerer Freude weg aus Dresden, als daß er
bliebe"; er hatte seine Berufung nach Berlin schon seit April in der Tasche.
Am 4. Juni 1691 hielt er in Dresden seine Abschiedspredigt. Man kann
annehmen, daß auch für seiue Berufung nach Berlin ähnlich wie für die nach
Dresden seiue Bedeutung als heraldischer und genealogischer Schriftsteller von
Einfluß gewesen ist, denn ein Sohn Speners schreibt am 16. Februar 1709
in einer Vorstellung an den König: "nehmlich es haben Ew. König. Maje¬
stät in Ansehung der vielen auch vornehmlich der heraldischen Diensten meines
Seht. Vaters, ihn mit einer Pension von 300 Thl. aus der Kgl. Rentey
begnadiget." Am 21. Juni 1691 predigte Spener zum erstenmal in der
Nikolaikirche in Berlin. Vierzehn Jahre hat er in Berlin gewirkt, bis er am
5. Februar 1705 starb. An der Nikolaikirche ist noch heute sein Epitaphium.

Über Speners Bedeutung als Theologen zu spreche" steht mir nicht zu.
Jeder weiß, daß er der "Vater des Pietismus" ist. Ich lasse die Worte
folgen, die Adolf Harnack über ihn im neusten Bande des Hohenzollern-Jcchr-
buchs geschrieben hat: "Das, was man "Pietismus" genannt hat, war in
Wahrheit eine große innerliche Erhebung, eine Reformation, die nicht nur der
Frömmigkeit und Kirche, sondern auch dem ganzen geistigen Leben der Nation
zu gute kommen sollte, und Spener war der anerkannte Führer. Glaubens¬
stark und thätig, aber voll zarter Rücksicht auf die überlieferten Verhältnisse
und die Personen hat er sie geleitet, sie, so gut er es vermochte, vor Über¬
stürzungen und Einseitigkeiten zu bewahren gesucht und stets nur ein Ziel im
Ange behalten, die Pflege wahrhaft innerlicher Frömmigkeit und eiues lautern
sittlichen Lebens. Der Ehrgeiz, eine Rolle zu spielen, lag ihm ganz fern: da
er weitere Kreise nicht aufsuchte, suchte mau auch ihn nicht auf. So kam es,
daß der intensiv einflußreichste Mann, den Berlin um 1700 besessen hat, in
dem geistigen Leben und in der "Gesellschaft" der Hauptstadt gar nicht her¬
vortrat. . . . Auch zu den gerade damals schwebenden, aber im geheimen be-
triebnen Uniousverhandlungen wurde er nicht hinzugezogen, und doch ist eben
er es gewesen, der durch seine innerliche Fassung des lutherischen Konfessions¬
christentums den Boden für eine evangelische Union vorbereitet hat. Während
die andern sich in geschäftigem Treiben und diplomatischen Unternehmungen
ergingen, die schließlich doch ohne Frucht blieben, arbeitete er nachhaltig und
geduldig an der Erziehung der deutschen lutherischen Volksseele, und er hat
nicht vergeblich gearbeitet."

Ein Satz steht in den Ausführungen Harnacks, der nicht zutrifft: Spener
habe keine Beziehungen zum Hofe gehabt. Ich habe diesen Satz deshalb aus¬
gelassen. Richtig ist daran nur, daß Spener als Theologe keine Beziehungen
zum Hofe hatte, "weil der Hof reformiert war." Seine Beziehungen zum
Hofe als Heraldiker waren dafür um so enger. Er wurde bei allen wich¬
tigern heraldischen Fragen zu Rate gezogen, was nicht wunder nehmen kann,
denn der "Zeremonienkönig" bedürfte eines tüchtigen Heraldikers. Spener ist


Hains" geschickt. Ain 22. Mai verblüffte er das Oberkonsistorium durch das
Bekenntnis: „er zöge mit größerer Freude weg aus Dresden, als daß er
bliebe"; er hatte seine Berufung nach Berlin schon seit April in der Tasche.
Am 4. Juni 1691 hielt er in Dresden seine Abschiedspredigt. Man kann
annehmen, daß auch für seiue Berufung nach Berlin ähnlich wie für die nach
Dresden seiue Bedeutung als heraldischer und genealogischer Schriftsteller von
Einfluß gewesen ist, denn ein Sohn Speners schreibt am 16. Februar 1709
in einer Vorstellung an den König: „nehmlich es haben Ew. König. Maje¬
stät in Ansehung der vielen auch vornehmlich der heraldischen Diensten meines
Seht. Vaters, ihn mit einer Pension von 300 Thl. aus der Kgl. Rentey
begnadiget." Am 21. Juni 1691 predigte Spener zum erstenmal in der
Nikolaikirche in Berlin. Vierzehn Jahre hat er in Berlin gewirkt, bis er am
5. Februar 1705 starb. An der Nikolaikirche ist noch heute sein Epitaphium.

Über Speners Bedeutung als Theologen zu spreche« steht mir nicht zu.
Jeder weiß, daß er der „Vater des Pietismus" ist. Ich lasse die Worte
folgen, die Adolf Harnack über ihn im neusten Bande des Hohenzollern-Jcchr-
buchs geschrieben hat: „Das, was man »Pietismus« genannt hat, war in
Wahrheit eine große innerliche Erhebung, eine Reformation, die nicht nur der
Frömmigkeit und Kirche, sondern auch dem ganzen geistigen Leben der Nation
zu gute kommen sollte, und Spener war der anerkannte Führer. Glaubens¬
stark und thätig, aber voll zarter Rücksicht auf die überlieferten Verhältnisse
und die Personen hat er sie geleitet, sie, so gut er es vermochte, vor Über¬
stürzungen und Einseitigkeiten zu bewahren gesucht und stets nur ein Ziel im
Ange behalten, die Pflege wahrhaft innerlicher Frömmigkeit und eiues lautern
sittlichen Lebens. Der Ehrgeiz, eine Rolle zu spielen, lag ihm ganz fern: da
er weitere Kreise nicht aufsuchte, suchte mau auch ihn nicht auf. So kam es,
daß der intensiv einflußreichste Mann, den Berlin um 1700 besessen hat, in
dem geistigen Leben und in der »Gesellschaft« der Hauptstadt gar nicht her¬
vortrat. . . . Auch zu den gerade damals schwebenden, aber im geheimen be-
triebnen Uniousverhandlungen wurde er nicht hinzugezogen, und doch ist eben
er es gewesen, der durch seine innerliche Fassung des lutherischen Konfessions¬
christentums den Boden für eine evangelische Union vorbereitet hat. Während
die andern sich in geschäftigem Treiben und diplomatischen Unternehmungen
ergingen, die schließlich doch ohne Frucht blieben, arbeitete er nachhaltig und
geduldig an der Erziehung der deutschen lutherischen Volksseele, und er hat
nicht vergeblich gearbeitet."

Ein Satz steht in den Ausführungen Harnacks, der nicht zutrifft: Spener
habe keine Beziehungen zum Hofe gehabt. Ich habe diesen Satz deshalb aus¬
gelassen. Richtig ist daran nur, daß Spener als Theologe keine Beziehungen
zum Hofe hatte, „weil der Hof reformiert war." Seine Beziehungen zum
Hofe als Heraldiker waren dafür um so enger. Er wurde bei allen wich¬
tigern heraldischen Fragen zu Rate gezogen, was nicht wunder nehmen kann,
denn der „Zeremonienkönig" bedürfte eines tüchtigen Heraldikers. Spener ist


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[0620] Hains" geschickt. Ain 22. Mai verblüffte er das Oberkonsistorium durch das Bekenntnis: „er zöge mit größerer Freude weg aus Dresden, als daß er bliebe"; er hatte seine Berufung nach Berlin schon seit April in der Tasche. Am 4. Juni 1691 hielt er in Dresden seine Abschiedspredigt. Man kann annehmen, daß auch für seiue Berufung nach Berlin ähnlich wie für die nach Dresden seiue Bedeutung als heraldischer und genealogischer Schriftsteller von Einfluß gewesen ist, denn ein Sohn Speners schreibt am 16. Februar 1709 in einer Vorstellung an den König: „nehmlich es haben Ew. König. Maje¬ stät in Ansehung der vielen auch vornehmlich der heraldischen Diensten meines Seht. Vaters, ihn mit einer Pension von 300 Thl. aus der Kgl. Rentey begnadiget." Am 21. Juni 1691 predigte Spener zum erstenmal in der Nikolaikirche in Berlin. Vierzehn Jahre hat er in Berlin gewirkt, bis er am 5. Februar 1705 starb. An der Nikolaikirche ist noch heute sein Epitaphium. Über Speners Bedeutung als Theologen zu spreche« steht mir nicht zu. Jeder weiß, daß er der „Vater des Pietismus" ist. Ich lasse die Worte folgen, die Adolf Harnack über ihn im neusten Bande des Hohenzollern-Jcchr- buchs geschrieben hat: „Das, was man »Pietismus« genannt hat, war in Wahrheit eine große innerliche Erhebung, eine Reformation, die nicht nur der Frömmigkeit und Kirche, sondern auch dem ganzen geistigen Leben der Nation zu gute kommen sollte, und Spener war der anerkannte Führer. Glaubens¬ stark und thätig, aber voll zarter Rücksicht auf die überlieferten Verhältnisse und die Personen hat er sie geleitet, sie, so gut er es vermochte, vor Über¬ stürzungen und Einseitigkeiten zu bewahren gesucht und stets nur ein Ziel im Ange behalten, die Pflege wahrhaft innerlicher Frömmigkeit und eiues lautern sittlichen Lebens. Der Ehrgeiz, eine Rolle zu spielen, lag ihm ganz fern: da er weitere Kreise nicht aufsuchte, suchte mau auch ihn nicht auf. So kam es, daß der intensiv einflußreichste Mann, den Berlin um 1700 besessen hat, in dem geistigen Leben und in der »Gesellschaft« der Hauptstadt gar nicht her¬ vortrat. . . . Auch zu den gerade damals schwebenden, aber im geheimen be- triebnen Uniousverhandlungen wurde er nicht hinzugezogen, und doch ist eben er es gewesen, der durch seine innerliche Fassung des lutherischen Konfessions¬ christentums den Boden für eine evangelische Union vorbereitet hat. Während die andern sich in geschäftigem Treiben und diplomatischen Unternehmungen ergingen, die schließlich doch ohne Frucht blieben, arbeitete er nachhaltig und geduldig an der Erziehung der deutschen lutherischen Volksseele, und er hat nicht vergeblich gearbeitet." Ein Satz steht in den Ausführungen Harnacks, der nicht zutrifft: Spener habe keine Beziehungen zum Hofe gehabt. Ich habe diesen Satz deshalb aus¬ gelassen. Richtig ist daran nur, daß Spener als Theologe keine Beziehungen zum Hofe hatte, „weil der Hof reformiert war." Seine Beziehungen zum Hofe als Heraldiker waren dafür um so enger. Er wurde bei allen wich¬ tigern heraldischen Fragen zu Rate gezogen, was nicht wunder nehmen kann, denn der „Zeremonienkönig" bedürfte eines tüchtigen Heraldikers. Spener ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/620>, abgerufen am 02.10.2024.