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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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dringliche Naturburschentum der nächstunter" Schicht? Jedenfalls bin ich über¬
zeugt, daß die freundschaftlichen und patriotischen Explosionen in einer übrigens
echt amerikanische" Gruppe, die nach ausgehöhlter Tafel "um die Bar hing,"
bei korrekten Herren den Verdacht erweckte, daß in diesen Landsleuten aus
Newhorl und Pennsylvanien etwas deutsches oder gar französisches Blut fließen
müsse. Wer nicht noch einen Händedruck des unermüdlichen, an Geist und
heitrer Liebenswürdigkeit unerschöpflichen Mr, Andrew White zu erHaschen
strebte, trennte sich nun mit einem letzten liebevollen Blick ans den Saal, dem
die Fülle des Grüns und der Blumen einen ganz besondern heimatlichen Reiz
verlieh. Nicht die Sternenbanner, Büsten und Inschriften machten, daß eine
amerikanische Luft dnrch den Raum wehte, der den banalen Charakter eines
Gasthausspeise- und Gesellschaftsaals unter den Handen amerikanischer Damen
und einiger junger Künstler vollständig verloren hatte. Es war völlig ein
Stück amerikanischer Boden. Es kam mir vor, als röche es nach Balsam-
und Schierlingstannen, Nur einem Volke von starkem nationale!" Empfinden
gelingt es, mit seiner Persönlichkeit eine" fremden Ort irgendwo in der Welt
so deutlich u"d erkennbar zu durchdringen.

Und ich mußte mir sagen, wenn ich das Fest überblickte, das nationale
Gefühl hatte sich ohne Phrase und ohne Überhebuiig geäußert. Innerlich takt¬
lose Menschen giebt es in Amerika wie überall, aber gerade die amerikanischen
Männer zeigen im Ausland eine Fähigkeit, die mich wieder fast weiblich um
mutet, ihr Benehmen den Forderungen der Umgebung anzupassen und Lebens¬
formen, von denen sie keine Ahnung hatten, in der kürzeste" Zeit ihre" Vorder¬
männern nbznguckeu. Ich schließe natürlich Leute aus, die überhaupt nicht
den Anspruch erheben, der gute" Gesellschaft a"z"gehöre", besonders auch einige
deutsch-amerikanische Landsleute, die allsommerlich das "alte Land" mit ihrem
Besuch beglücken. Aber ich schließe ausdrücklich eine Klasse mit ein, die vor
einiger Zeit in Deutschland nicht für ganz gesellschaftsfähig galt- die Zahnärzte,
Daran ist an" schon gewöhnt, daß das Publikum der amerit'attischen Feste in
Deutschland zu eine", großen Teil dieser nützlichen Menschenrasse angehört,
die sich bis in die kleinsten Städte Deutschlands ausgebreitet hat. Zugegeben,
daß ihre Eleganz noch nicht ganz den falschen Glanz einer gewissen Absicht¬
lichkeit abgestreift hat, und ihre Handbewegungen uns manchmal an kritische
Lagen erinnern, wo Nur i" ihre" sammetnen Sesseln ihrer Gnade preisgegeben
waren; sie stören im allgemeinen durchaus nicht den Eindruck, daß mir n"5
in guter Gesellschaft befinden,

Karl Peters erzählte mir einmal vo" einem Kommers, de" ihm schottische
Afrikafreunde i" Edinburgh veranstalteten, wobei Theetassen und Kakaobecher
mit Bier und Sevech Whiskey zusammenklangen und manche Gäste auch völlig
"trocken" saßen. Unser Tisch erinnerte mich daran mit seinen Milchgläser"
und den kleinen Fläschchen grautrüben alkoholfreien Jngwerbiers, Es fehlte
ihm das Licht und die Glut edler Weine. Ich merkte wieder einmal, daß
die Temperenzbewegung mich ihre ästhetische Seite hat. Für uns, in deren


dringliche Naturburschentum der nächstunter» Schicht? Jedenfalls bin ich über¬
zeugt, daß die freundschaftlichen und patriotischen Explosionen in einer übrigens
echt amerikanische» Gruppe, die nach ausgehöhlter Tafel „um die Bar hing,"
bei korrekten Herren den Verdacht erweckte, daß in diesen Landsleuten aus
Newhorl und Pennsylvanien etwas deutsches oder gar französisches Blut fließen
müsse. Wer nicht noch einen Händedruck des unermüdlichen, an Geist und
heitrer Liebenswürdigkeit unerschöpflichen Mr, Andrew White zu erHaschen
strebte, trennte sich nun mit einem letzten liebevollen Blick ans den Saal, dem
die Fülle des Grüns und der Blumen einen ganz besondern heimatlichen Reiz
verlieh. Nicht die Sternenbanner, Büsten und Inschriften machten, daß eine
amerikanische Luft dnrch den Raum wehte, der den banalen Charakter eines
Gasthausspeise- und Gesellschaftsaals unter den Handen amerikanischer Damen
und einiger junger Künstler vollständig verloren hatte. Es war völlig ein
Stück amerikanischer Boden. Es kam mir vor, als röche es nach Balsam-
und Schierlingstannen, Nur einem Volke von starkem nationale!» Empfinden
gelingt es, mit seiner Persönlichkeit eine» fremden Ort irgendwo in der Welt
so deutlich u»d erkennbar zu durchdringen.

Und ich mußte mir sagen, wenn ich das Fest überblickte, das nationale
Gefühl hatte sich ohne Phrase und ohne Überhebuiig geäußert. Innerlich takt¬
lose Menschen giebt es in Amerika wie überall, aber gerade die amerikanischen
Männer zeigen im Ausland eine Fähigkeit, die mich wieder fast weiblich um
mutet, ihr Benehmen den Forderungen der Umgebung anzupassen und Lebens¬
formen, von denen sie keine Ahnung hatten, in der kürzeste» Zeit ihre» Vorder¬
männern nbznguckeu. Ich schließe natürlich Leute aus, die überhaupt nicht
den Anspruch erheben, der gute» Gesellschaft a»z»gehöre», besonders auch einige
deutsch-amerikanische Landsleute, die allsommerlich das „alte Land" mit ihrem
Besuch beglücken. Aber ich schließe ausdrücklich eine Klasse mit ein, die vor
einiger Zeit in Deutschland nicht für ganz gesellschaftsfähig galt- die Zahnärzte,
Daran ist an» schon gewöhnt, daß das Publikum der amerit'attischen Feste in
Deutschland zu eine», großen Teil dieser nützlichen Menschenrasse angehört,
die sich bis in die kleinsten Städte Deutschlands ausgebreitet hat. Zugegeben,
daß ihre Eleganz noch nicht ganz den falschen Glanz einer gewissen Absicht¬
lichkeit abgestreift hat, und ihre Handbewegungen uns manchmal an kritische
Lagen erinnern, wo Nur i» ihre» sammetnen Sesseln ihrer Gnade preisgegeben
waren; sie stören im allgemeinen durchaus nicht den Eindruck, daß mir n»5
in guter Gesellschaft befinden,

Karl Peters erzählte mir einmal vo» einem Kommers, de» ihm schottische
Afrikafreunde i» Edinburgh veranstalteten, wobei Theetassen und Kakaobecher
mit Bier und Sevech Whiskey zusammenklangen und manche Gäste auch völlig
„trocken" saßen. Unser Tisch erinnerte mich daran mit seinen Milchgläser»
und den kleinen Fläschchen grautrüben alkoholfreien Jngwerbiers, Es fehlte
ihm das Licht und die Glut edler Weine. Ich merkte wieder einmal, daß
die Temperenzbewegung mich ihre ästhetische Seite hat. Für uns, in deren


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[0608] dringliche Naturburschentum der nächstunter» Schicht? Jedenfalls bin ich über¬ zeugt, daß die freundschaftlichen und patriotischen Explosionen in einer übrigens echt amerikanische» Gruppe, die nach ausgehöhlter Tafel „um die Bar hing," bei korrekten Herren den Verdacht erweckte, daß in diesen Landsleuten aus Newhorl und Pennsylvanien etwas deutsches oder gar französisches Blut fließen müsse. Wer nicht noch einen Händedruck des unermüdlichen, an Geist und heitrer Liebenswürdigkeit unerschöpflichen Mr, Andrew White zu erHaschen strebte, trennte sich nun mit einem letzten liebevollen Blick ans den Saal, dem die Fülle des Grüns und der Blumen einen ganz besondern heimatlichen Reiz verlieh. Nicht die Sternenbanner, Büsten und Inschriften machten, daß eine amerikanische Luft dnrch den Raum wehte, der den banalen Charakter eines Gasthausspeise- und Gesellschaftsaals unter den Handen amerikanischer Damen und einiger junger Künstler vollständig verloren hatte. Es war völlig ein Stück amerikanischer Boden. Es kam mir vor, als röche es nach Balsam- und Schierlingstannen, Nur einem Volke von starkem nationale!» Empfinden gelingt es, mit seiner Persönlichkeit eine» fremden Ort irgendwo in der Welt so deutlich u»d erkennbar zu durchdringen. Und ich mußte mir sagen, wenn ich das Fest überblickte, das nationale Gefühl hatte sich ohne Phrase und ohne Überhebuiig geäußert. Innerlich takt¬ lose Menschen giebt es in Amerika wie überall, aber gerade die amerikanischen Männer zeigen im Ausland eine Fähigkeit, die mich wieder fast weiblich um mutet, ihr Benehmen den Forderungen der Umgebung anzupassen und Lebens¬ formen, von denen sie keine Ahnung hatten, in der kürzeste» Zeit ihre» Vorder¬ männern nbznguckeu. Ich schließe natürlich Leute aus, die überhaupt nicht den Anspruch erheben, der gute» Gesellschaft a»z»gehöre», besonders auch einige deutsch-amerikanische Landsleute, die allsommerlich das „alte Land" mit ihrem Besuch beglücken. Aber ich schließe ausdrücklich eine Klasse mit ein, die vor einiger Zeit in Deutschland nicht für ganz gesellschaftsfähig galt- die Zahnärzte, Daran ist an» schon gewöhnt, daß das Publikum der amerit'attischen Feste in Deutschland zu eine», großen Teil dieser nützlichen Menschenrasse angehört, die sich bis in die kleinsten Städte Deutschlands ausgebreitet hat. Zugegeben, daß ihre Eleganz noch nicht ganz den falschen Glanz einer gewissen Absicht¬ lichkeit abgestreift hat, und ihre Handbewegungen uns manchmal an kritische Lagen erinnern, wo Nur i» ihre» sammetnen Sesseln ihrer Gnade preisgegeben waren; sie stören im allgemeinen durchaus nicht den Eindruck, daß mir n»5 in guter Gesellschaft befinden, Karl Peters erzählte mir einmal vo» einem Kommers, de» ihm schottische Afrikafreunde i» Edinburgh veranstalteten, wobei Theetassen und Kakaobecher mit Bier und Sevech Whiskey zusammenklangen und manche Gäste auch völlig „trocken" saßen. Unser Tisch erinnerte mich daran mit seinen Milchgläser» und den kleinen Fläschchen grautrüben alkoholfreien Jngwerbiers, Es fehlte ihm das Licht und die Glut edler Weine. Ich merkte wieder einmal, daß die Temperenzbewegung mich ihre ästhetische Seite hat. Für uns, in deren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/608>, abgerufen am 23.06.2024.