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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Ans dein österreichischen Reichsrat

landen wollten, so wurde nahezu einstimmig Grus Vetter von der Lilie zum
Präsidenten gewählt. Die deutsche Volkspartei stellte dann in Prüde den
ersten, der Jungtschechenklub in Zaezek den zweiten Vizepräsidenten. Den
Mangel an Gewandtheit in der Leitung der Verhandlungen, den Graf Vetter
angesichts seiner schwierigen Aufgabe alsbald zeigte, kann die parlamen¬
tarische Erfahrung seiner beiden Stellvertreter freilich nicht verdecken. Und
ungewöhnliche Schwierigkeiten sind dem Vorsitzenden allerdings durch die bei¬
spiellose Lcideuschnft der radikalen Parteien bisher schon von beiden Seiten
bereitet worden. Bezeichnend für die unversöhnlichen Gegensätze zwischen den
zweiundzwanzig Fraktionen des Hnnses ist die Unmöglichkeit, für irgend eine
Adresse an den .Kaiser als Antwort auf die Thronrede eine Mehrheit zu
finden. Darum war auch die Ablehnung des polnischen Antrags auf Entsendung
eines Adreßausschusses und des sozialdemokratischen Antrags auf Eröffnung
einer Adreßdebatte ohne Borlage von Adreßeutwnrfen eine zweckmäßige Zeit¬
ersparnis.

Die Bewältigung des vom Ministerpräsidenten Körber in der wirtlich
neutralen Thronrede aufgestellten ausgiebigen Arbeitsprogramms schien unter
diesen Umstünden in unbestimmte Ferne gerückt. Denn mit dem Beginn der
parlamentarischen Thätigkeit hatte alsbald mich die tschechische, sich vorläufig
allerdings im Nahmen der Geschäftsordnung bewegende Obstruktion eingesetzt,
indem das Haus gleich nach seiner Konstituierung mit einer Flut von Driuglich-
teitsanträgen, leider nicht bloß von tschechischer, sondern auch von alldeutscher
und sozialdemokratischer Seite überschwemmt wurde. Manche davon sind gewiß
vollauf berechtigt, aber die parlamentarische Lage rechtfertigte den Entschluß
der gemäßigten Parteien, vor der Erledigung der wichtigsten Negieruugsvor-
lageu, durch die die nochmalige Anwendung des 14 vermieden werden soll,
keinem einzigen Dringlichkeitsantrage zuzustimmen.

Die stürmischen Auftritte, deren Schonplatz das Abgeordnetenhaus schon
gewesen ist, sind aber hauptsächlich dem gekränkten Nationalstolz der Tschechen
zu verdanken. Der schon während des Wahlkampfs gefaßte Entschluß der
deutscheu Parteien, keine Angriffe ans die amtliche Geltung der deutschen
Staats- und Vermittluugssprache mehr zu dulden, hat den Ingrimm der
Tschechen entfacht. Sie forderten die Annahme und Verlesung tschechischer
Interpellationen, sowie deren Aufnahme in das stenographische Protokoll, die
nicht einmal von polnischen Präsidenten zugelassen wordeu waren und nur
unter dem Präsidium des Klerikalen Dr. Fuchs eingeschmuggelt werden konnten.
Als alle Versuche der Einigung über einen allen nationalen Empfindlichkeiten
Rechnung tragenden, aber doch die absurde Möglichkeit einer achtsprachigen
Geschäftsführung des Abgeordnetenhauses ausschließenden Vorgang scheiterten,
und der Präsident aus eigner Machtvollkommenheit die Verlesung einer deutschen
Übersetzung aller anderssprachigen Interpellationen und die Aufnahme des
Urtextes in eine Beilage des stenographischen Protokolls verfügte, beschworen
die Tschechischradikalen Sturmszenen herauf, die nahe daran waren, in Thätlich-


Ans dein österreichischen Reichsrat

landen wollten, so wurde nahezu einstimmig Grus Vetter von der Lilie zum
Präsidenten gewählt. Die deutsche Volkspartei stellte dann in Prüde den
ersten, der Jungtschechenklub in Zaezek den zweiten Vizepräsidenten. Den
Mangel an Gewandtheit in der Leitung der Verhandlungen, den Graf Vetter
angesichts seiner schwierigen Aufgabe alsbald zeigte, kann die parlamen¬
tarische Erfahrung seiner beiden Stellvertreter freilich nicht verdecken. Und
ungewöhnliche Schwierigkeiten sind dem Vorsitzenden allerdings durch die bei¬
spiellose Lcideuschnft der radikalen Parteien bisher schon von beiden Seiten
bereitet worden. Bezeichnend für die unversöhnlichen Gegensätze zwischen den
zweiundzwanzig Fraktionen des Hnnses ist die Unmöglichkeit, für irgend eine
Adresse an den .Kaiser als Antwort auf die Thronrede eine Mehrheit zu
finden. Darum war auch die Ablehnung des polnischen Antrags auf Entsendung
eines Adreßausschusses und des sozialdemokratischen Antrags auf Eröffnung
einer Adreßdebatte ohne Borlage von Adreßeutwnrfen eine zweckmäßige Zeit¬
ersparnis.

Die Bewältigung des vom Ministerpräsidenten Körber in der wirtlich
neutralen Thronrede aufgestellten ausgiebigen Arbeitsprogramms schien unter
diesen Umstünden in unbestimmte Ferne gerückt. Denn mit dem Beginn der
parlamentarischen Thätigkeit hatte alsbald mich die tschechische, sich vorläufig
allerdings im Nahmen der Geschäftsordnung bewegende Obstruktion eingesetzt,
indem das Haus gleich nach seiner Konstituierung mit einer Flut von Driuglich-
teitsanträgen, leider nicht bloß von tschechischer, sondern auch von alldeutscher
und sozialdemokratischer Seite überschwemmt wurde. Manche davon sind gewiß
vollauf berechtigt, aber die parlamentarische Lage rechtfertigte den Entschluß
der gemäßigten Parteien, vor der Erledigung der wichtigsten Negieruugsvor-
lageu, durch die die nochmalige Anwendung des 14 vermieden werden soll,
keinem einzigen Dringlichkeitsantrage zuzustimmen.

Die stürmischen Auftritte, deren Schonplatz das Abgeordnetenhaus schon
gewesen ist, sind aber hauptsächlich dem gekränkten Nationalstolz der Tschechen
zu verdanken. Der schon während des Wahlkampfs gefaßte Entschluß der
deutscheu Parteien, keine Angriffe ans die amtliche Geltung der deutschen
Staats- und Vermittluugssprache mehr zu dulden, hat den Ingrimm der
Tschechen entfacht. Sie forderten die Annahme und Verlesung tschechischer
Interpellationen, sowie deren Aufnahme in das stenographische Protokoll, die
nicht einmal von polnischen Präsidenten zugelassen wordeu waren und nur
unter dem Präsidium des Klerikalen Dr. Fuchs eingeschmuggelt werden konnten.
Als alle Versuche der Einigung über einen allen nationalen Empfindlichkeiten
Rechnung tragenden, aber doch die absurde Möglichkeit einer achtsprachigen
Geschäftsführung des Abgeordnetenhauses ausschließenden Vorgang scheiterten,
und der Präsident aus eigner Machtvollkommenheit die Verlesung einer deutschen
Übersetzung aller anderssprachigen Interpellationen und die Aufnahme des
Urtextes in eine Beilage des stenographischen Protokolls verfügte, beschworen
die Tschechischradikalen Sturmszenen herauf, die nahe daran waren, in Thätlich-


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[0594] Ans dein österreichischen Reichsrat landen wollten, so wurde nahezu einstimmig Grus Vetter von der Lilie zum Präsidenten gewählt. Die deutsche Volkspartei stellte dann in Prüde den ersten, der Jungtschechenklub in Zaezek den zweiten Vizepräsidenten. Den Mangel an Gewandtheit in der Leitung der Verhandlungen, den Graf Vetter angesichts seiner schwierigen Aufgabe alsbald zeigte, kann die parlamen¬ tarische Erfahrung seiner beiden Stellvertreter freilich nicht verdecken. Und ungewöhnliche Schwierigkeiten sind dem Vorsitzenden allerdings durch die bei¬ spiellose Lcideuschnft der radikalen Parteien bisher schon von beiden Seiten bereitet worden. Bezeichnend für die unversöhnlichen Gegensätze zwischen den zweiundzwanzig Fraktionen des Hnnses ist die Unmöglichkeit, für irgend eine Adresse an den .Kaiser als Antwort auf die Thronrede eine Mehrheit zu finden. Darum war auch die Ablehnung des polnischen Antrags auf Entsendung eines Adreßausschusses und des sozialdemokratischen Antrags auf Eröffnung einer Adreßdebatte ohne Borlage von Adreßeutwnrfen eine zweckmäßige Zeit¬ ersparnis. Die Bewältigung des vom Ministerpräsidenten Körber in der wirtlich neutralen Thronrede aufgestellten ausgiebigen Arbeitsprogramms schien unter diesen Umstünden in unbestimmte Ferne gerückt. Denn mit dem Beginn der parlamentarischen Thätigkeit hatte alsbald mich die tschechische, sich vorläufig allerdings im Nahmen der Geschäftsordnung bewegende Obstruktion eingesetzt, indem das Haus gleich nach seiner Konstituierung mit einer Flut von Driuglich- teitsanträgen, leider nicht bloß von tschechischer, sondern auch von alldeutscher und sozialdemokratischer Seite überschwemmt wurde. Manche davon sind gewiß vollauf berechtigt, aber die parlamentarische Lage rechtfertigte den Entschluß der gemäßigten Parteien, vor der Erledigung der wichtigsten Negieruugsvor- lageu, durch die die nochmalige Anwendung des 14 vermieden werden soll, keinem einzigen Dringlichkeitsantrage zuzustimmen. Die stürmischen Auftritte, deren Schonplatz das Abgeordnetenhaus schon gewesen ist, sind aber hauptsächlich dem gekränkten Nationalstolz der Tschechen zu verdanken. Der schon während des Wahlkampfs gefaßte Entschluß der deutscheu Parteien, keine Angriffe ans die amtliche Geltung der deutschen Staats- und Vermittluugssprache mehr zu dulden, hat den Ingrimm der Tschechen entfacht. Sie forderten die Annahme und Verlesung tschechischer Interpellationen, sowie deren Aufnahme in das stenographische Protokoll, die nicht einmal von polnischen Präsidenten zugelassen wordeu waren und nur unter dem Präsidium des Klerikalen Dr. Fuchs eingeschmuggelt werden konnten. Als alle Versuche der Einigung über einen allen nationalen Empfindlichkeiten Rechnung tragenden, aber doch die absurde Möglichkeit einer achtsprachigen Geschäftsführung des Abgeordnetenhauses ausschließenden Vorgang scheiterten, und der Präsident aus eigner Machtvollkommenheit die Verlesung einer deutschen Übersetzung aller anderssprachigen Interpellationen und die Aufnahme des Urtextes in eine Beilage des stenographischen Protokolls verfügte, beschworen die Tschechischradikalen Sturmszenen herauf, die nahe daran waren, in Thätlich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/594>, abgerufen am 22.06.2024.