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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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wozu der Lärm?

Deutschland die Buren keineswegs getäuscht, sondern sie nachdrücklich mehrmals
vor dem Kriege gewarnt hat, weil die Weltlage eine Unterstützung uicht zu¬
lasse; daß, wenn die Bure" trotzdem den Krieg mit der britischen Übermacht
begannen, sie das durchaus auf eigne Rechnung und Gefahr thaten. Von
der Verantwortung dafür und für ihre offenbar völlig verfehlte Kriegführung
in den allein für sie aussichtsreichen ersten Monaten des .Kriegs kaun sie trotz
aller Sympathien für ihren Heldenkampf niemand lossprechen, und sie müssen
die Folgen tragen.

Aber Deutschland, so sagt man, hat nicht einmal eine unparteiische Neu¬
tralität gewahrt, deun der Kaiser hat den Präsidenten Krüger nicht empfangen,
wohl aber ist er an das Sterbebett seiner Großmutter nach England gereist,
hat dort nicht nur mit der Königsfamilie intimen Umgang gepflogen, sondern
auch die Würde eines englischen Feldmarschalls angenommen und dem Lord
Roberts, dem "Besieger" der Buren, sogar -- vielleicht! -- den Schwarzen
Adlerorden verliehen und sich dnrch das alles in den schroffsten Widerspruch
mit der Stimmung der "Nation" gesetzt. Über die Ablehnung, Krüger zu
empfangen, haben sich die Grenzboten schon geäußert und haben dem hente
nichts hinzuzufügen; wir fragen heute nur: Sollte der Kaiser etwa nicht nach
England gehn, eine Pietätspflicht zugleich im Namen seiner Mutter nicht er¬
füllen? Sollte er seinem Oheim, dem als Prinzen von Wales alles mögliche
Uhle nachgesagt wurde, etwa erklären: Ich mag mit dir nichts zu thun haben?
Sollte er den englischen Feld marsch allstab ablehnen, und entspräche es nicht
dem höfischen Brauche, wenn er darauf dem Lord Roberts, dem Oberbefehls¬
haber der englischen Armee, in dieser seiner Eigenschaft einen Orden gegeben
hätte? Das ist nämlich alles, was geschehn ist! Sobald mau diese Fragen
stellt, wird sofort klar, daß man auf sie alle vernünftigerweise nur mit Nein
antworten kann, daß es also unvernünftig ist, sich darüber zu beschweren und
darin eine "Erweiterung der Kluft zwischen Kaiser und Nation" zu sehen. Es
wäre uns ja auch lieber gewesen, wenn Königin Viktoria nicht gerade jetzt
gestorben wäre, und wenn dieser kaiserliche Besuch mit seinen Konsequenzen
gerade jetzt Hütte unterbleiben können, aber wir bedauern das nur deshalb,
weil sich daraus neue Gründe zu einer neuen Hetze gewinnen ließen.

Wir wollen auch zugeben, daß Deutschland gegeuüber England eine freund-
liche Neutralität beobachtet. Aber das thun alle Mächte des Dreibunds in
noch viel stürkerm Maße: in Ungarn hat England Pferde, in Italien Maul¬
tiere ankaufen dürfen. Eine solche Haltung Deutschlands muß natürlich ihre
gewichtigen sachlichen Gründe haben. Wer immer nur wie hypnotisiert nach
Südafrika starrt, wie die Mehrzahl unsrer Zeitungen und ihrer Leser, deren
Meinung sie mehr machen als ausdrücken, der kann sie freilich nicht sehen.
Noch stehn einander in Europa der russisch-französische Zweibund und der
mitteleuropäische Dreibund gegenüber, und noch immer hat sich der Wunsch
einer ernsthaften politischen Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich
nicht verwirklicht; noch immer besteht also die Gefahr, daß die Franzosen, wenn
wir mit einer andern Macht in Krieg verwickelt würden, über uns herfallen.


wozu der Lärm?

Deutschland die Buren keineswegs getäuscht, sondern sie nachdrücklich mehrmals
vor dem Kriege gewarnt hat, weil die Weltlage eine Unterstützung uicht zu¬
lasse; daß, wenn die Bure» trotzdem den Krieg mit der britischen Übermacht
begannen, sie das durchaus auf eigne Rechnung und Gefahr thaten. Von
der Verantwortung dafür und für ihre offenbar völlig verfehlte Kriegführung
in den allein für sie aussichtsreichen ersten Monaten des .Kriegs kaun sie trotz
aller Sympathien für ihren Heldenkampf niemand lossprechen, und sie müssen
die Folgen tragen.

Aber Deutschland, so sagt man, hat nicht einmal eine unparteiische Neu¬
tralität gewahrt, deun der Kaiser hat den Präsidenten Krüger nicht empfangen,
wohl aber ist er an das Sterbebett seiner Großmutter nach England gereist,
hat dort nicht nur mit der Königsfamilie intimen Umgang gepflogen, sondern
auch die Würde eines englischen Feldmarschalls angenommen und dem Lord
Roberts, dem „Besieger" der Buren, sogar — vielleicht! — den Schwarzen
Adlerorden verliehen und sich dnrch das alles in den schroffsten Widerspruch
mit der Stimmung der „Nation" gesetzt. Über die Ablehnung, Krüger zu
empfangen, haben sich die Grenzboten schon geäußert und haben dem hente
nichts hinzuzufügen; wir fragen heute nur: Sollte der Kaiser etwa nicht nach
England gehn, eine Pietätspflicht zugleich im Namen seiner Mutter nicht er¬
füllen? Sollte er seinem Oheim, dem als Prinzen von Wales alles mögliche
Uhle nachgesagt wurde, etwa erklären: Ich mag mit dir nichts zu thun haben?
Sollte er den englischen Feld marsch allstab ablehnen, und entspräche es nicht
dem höfischen Brauche, wenn er darauf dem Lord Roberts, dem Oberbefehls¬
haber der englischen Armee, in dieser seiner Eigenschaft einen Orden gegeben
hätte? Das ist nämlich alles, was geschehn ist! Sobald mau diese Fragen
stellt, wird sofort klar, daß man auf sie alle vernünftigerweise nur mit Nein
antworten kann, daß es also unvernünftig ist, sich darüber zu beschweren und
darin eine „Erweiterung der Kluft zwischen Kaiser und Nation" zu sehen. Es
wäre uns ja auch lieber gewesen, wenn Königin Viktoria nicht gerade jetzt
gestorben wäre, und wenn dieser kaiserliche Besuch mit seinen Konsequenzen
gerade jetzt Hütte unterbleiben können, aber wir bedauern das nur deshalb,
weil sich daraus neue Gründe zu einer neuen Hetze gewinnen ließen.

Wir wollen auch zugeben, daß Deutschland gegeuüber England eine freund-
liche Neutralität beobachtet. Aber das thun alle Mächte des Dreibunds in
noch viel stürkerm Maße: in Ungarn hat England Pferde, in Italien Maul¬
tiere ankaufen dürfen. Eine solche Haltung Deutschlands muß natürlich ihre
gewichtigen sachlichen Gründe haben. Wer immer nur wie hypnotisiert nach
Südafrika starrt, wie die Mehrzahl unsrer Zeitungen und ihrer Leser, deren
Meinung sie mehr machen als ausdrücken, der kann sie freilich nicht sehen.
Noch stehn einander in Europa der russisch-französische Zweibund und der
mitteleuropäische Dreibund gegenüber, und noch immer hat sich der Wunsch
einer ernsthaften politischen Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich
nicht verwirklicht; noch immer besteht also die Gefahr, daß die Franzosen, wenn
wir mit einer andern Macht in Krieg verwickelt würden, über uns herfallen.


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[0402] wozu der Lärm? Deutschland die Buren keineswegs getäuscht, sondern sie nachdrücklich mehrmals vor dem Kriege gewarnt hat, weil die Weltlage eine Unterstützung uicht zu¬ lasse; daß, wenn die Bure» trotzdem den Krieg mit der britischen Übermacht begannen, sie das durchaus auf eigne Rechnung und Gefahr thaten. Von der Verantwortung dafür und für ihre offenbar völlig verfehlte Kriegführung in den allein für sie aussichtsreichen ersten Monaten des .Kriegs kaun sie trotz aller Sympathien für ihren Heldenkampf niemand lossprechen, und sie müssen die Folgen tragen. Aber Deutschland, so sagt man, hat nicht einmal eine unparteiische Neu¬ tralität gewahrt, deun der Kaiser hat den Präsidenten Krüger nicht empfangen, wohl aber ist er an das Sterbebett seiner Großmutter nach England gereist, hat dort nicht nur mit der Königsfamilie intimen Umgang gepflogen, sondern auch die Würde eines englischen Feldmarschalls angenommen und dem Lord Roberts, dem „Besieger" der Buren, sogar — vielleicht! — den Schwarzen Adlerorden verliehen und sich dnrch das alles in den schroffsten Widerspruch mit der Stimmung der „Nation" gesetzt. Über die Ablehnung, Krüger zu empfangen, haben sich die Grenzboten schon geäußert und haben dem hente nichts hinzuzufügen; wir fragen heute nur: Sollte der Kaiser etwa nicht nach England gehn, eine Pietätspflicht zugleich im Namen seiner Mutter nicht er¬ füllen? Sollte er seinem Oheim, dem als Prinzen von Wales alles mögliche Uhle nachgesagt wurde, etwa erklären: Ich mag mit dir nichts zu thun haben? Sollte er den englischen Feld marsch allstab ablehnen, und entspräche es nicht dem höfischen Brauche, wenn er darauf dem Lord Roberts, dem Oberbefehls¬ haber der englischen Armee, in dieser seiner Eigenschaft einen Orden gegeben hätte? Das ist nämlich alles, was geschehn ist! Sobald mau diese Fragen stellt, wird sofort klar, daß man auf sie alle vernünftigerweise nur mit Nein antworten kann, daß es also unvernünftig ist, sich darüber zu beschweren und darin eine „Erweiterung der Kluft zwischen Kaiser und Nation" zu sehen. Es wäre uns ja auch lieber gewesen, wenn Königin Viktoria nicht gerade jetzt gestorben wäre, und wenn dieser kaiserliche Besuch mit seinen Konsequenzen gerade jetzt Hütte unterbleiben können, aber wir bedauern das nur deshalb, weil sich daraus neue Gründe zu einer neuen Hetze gewinnen ließen. Wir wollen auch zugeben, daß Deutschland gegeuüber England eine freund- liche Neutralität beobachtet. Aber das thun alle Mächte des Dreibunds in noch viel stürkerm Maße: in Ungarn hat England Pferde, in Italien Maul¬ tiere ankaufen dürfen. Eine solche Haltung Deutschlands muß natürlich ihre gewichtigen sachlichen Gründe haben. Wer immer nur wie hypnotisiert nach Südafrika starrt, wie die Mehrzahl unsrer Zeitungen und ihrer Leser, deren Meinung sie mehr machen als ausdrücken, der kann sie freilich nicht sehen. Noch stehn einander in Europa der russisch-französische Zweibund und der mitteleuropäische Dreibund gegenüber, und noch immer hat sich der Wunsch einer ernsthaften politischen Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich nicht verwirklicht; noch immer besteht also die Gefahr, daß die Franzosen, wenn wir mit einer andern Macht in Krieg verwickelt würden, über uns herfallen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/402>, abgerufen am 27.06.2024.