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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

treiben." Auch ambre Tafeln zeigen, daß der assyrische König selbst ein erfahrner
Schreiber war und seine Geschicklichkeit fleißig ausübte. Endlich steht noch als
Eigentumsmarke auf gekaufter Litteratur, schon fertig gebrannten Keilschriftziegeln,
nachträglich vom Palaststeinmetz kurz und bündig eingehauen: "Erworben dnrch
Assurbanipal, König der Welt, König von Assyrien." So schützte mau die Schätze
der Litteratur im neunten Jahrhundert vor Christus. -- Bekanntlich ist man heut¬
zutage meist genötigt, die Lupe zu Hilfe zu nehmen, um deu wegen des mangelnden
Raums in minutiösen Zeichen geschriebnen Text der Keilschriften zu erkennen. Eine
schon von Layard gefundne Linse ans Niniveh bezeugt, daß die alten Assyrer beim
Schreiben und Lesen ohne solches Hilfsmittel auch nicht durchkamen (Layos, Lub>-
M. lonians ana ^ssMiws, lato ima lüustoms S. 51).


Ein Gedicht Friedrich Rückerts.

Als Rückert 1815 bis 1817 das Stutt¬
garter Morgenblatt redigierte, verkehrte er viel in der Familie eines ausgezeichneten,
in der Geschichte des geistigen Lebens von Stuttgart oft genannten Mannes, des
Geheimrath von Hartmann. In dem angeregten Hause wuchsen damals vier
vortreffliche Töchter heran, von denen zwei einen Namen in der Geschichte der
Litteratur bekommen haben. Am bekanntesten ist die älteste geworden, Emilie, ver¬
ehelichte von Reinbeck; sie war die Freundin und treue Pflegerin Leuaus und starb
1846, zwei Jahre nachdem dieser in Wahnsinn verfallen war. Julie, Justinus
Kerners Vertraute, "Schilu" genannt, geboren 1795, blieb unverheiratet. Sie scheint
im geheimen mit Rückert verlobt gewesen zu sein. Warum es zu keinem Ehebund
kam, hat niemand erfahren, denn über ihr Geheimnis kam kein Wort über ihre
Lippen. Sie besaß und bewahrte ein Paket mit Aufzeichnungen, in die keines außer
ihr einen Blick gethan hat; auf ihren Wunsch mußte es in ihren Sarg gelegt
werden unter ihr Kopfkissen, als sie 1869 drei Jahre nach dem Dichter gestorben
war. Die Nachricht von seinem Tode hatte sie tagelang in einen krankheitartigen
Zustand versetzt. An die dritte Tochter, Luise Mariette, geboren 1802, die später
den Fabrikanten Georg Zöppritz heiratete, hat Rückert, als sie noch ein Kind war,
das nachfolgende Gedicht gerichtet. Es wird hier mitgeteilt, weil es nicht bloß den
Wert einer anmutigen Reminiszenz hat. Es offenbart uus neben der Herzens¬
freundlichkeit und einem schalkhaften, bis zur Selbstironie gehenden Humor, die
Rückerts Eigentum waren, zugleich die von keinem wieder erreichte Verskunst, eine
Herrschaft über den Reim, dem der neunundzwanzigjährige Dichter hier spielend
gebietet, lange bevor er sein Meisterstück in dieser Hinsicht, die Verwandlungen des
Abu Seid, veröffentlichte.

[Beginn Spaltensatz] Unserm lieben Mariettchen
Wünschen wir auf diesem Blättchen -
Wenn es giebt als gutes Mädchen
Guten Wörtchen gutes Städtchen
Und verspricht, vom umgarnt'gen
Aeser ganz sich zu entled'qen;
S° soll Gott ihr das bestätigen:
^lV-°'? Dörnchen und kein Klettchen
s'° stechen soll im Vettchen,
M " W S°)t ^ '
Über T.sah w Fisch und Brätchen
"re kein Bracher und kein Grälchen
->M dein Httlschen soll beschäd'gen.
schone Blutader, schöne Blättchen
-nus des schönsten Giirtchens Veetchcn,
Schoner als um Fensterlädchen
Stehn im Töpfchen auf dem Brettchen,
Sollen blühn auf ihrem Pfädchen.
Daran soll mit flinken Fädchen
(Leider nicht vom eignen Rädchen) '[Spaltenumbruch] Sie des Händchens Fleiß bethät'gen,
Allesamt zu einem stet'gen
Kettchen flechten, das mehr Gliedchen
(Damit auch zum Unterschiedchen
Falsches Reimchen sei im Liedchen)
Haben soll, als Silberdrähtchen
Ihrer Schwestern neustes Kettchen.
Dies zu einem wunderthat'gen
Stets vorrätigen Amulettchen,
Stets wohlthätigen Hcmsgerütchen
Wie kein Gretchen und kein Käthchen,
Wie kein Nettchen und kein Jettchen,
Noch in Dörfchen und in Städtchen
Alles, was sich reimt auf elenden,
Kaufen kann im Krämerslädchen: --
Dies -- um ihren Wunsch zu hält'gen,
Und zu enden unser Pret'gen --
Wünschen wir in dem Gebetchen
Hier vom grad'gen Herregöttchen
Unserm lieben Mariettchen. [Ende Spaltensatz]

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Friedrich Rücker,
Maßgebliches und Unmaßgebliches

treiben." Auch ambre Tafeln zeigen, daß der assyrische König selbst ein erfahrner
Schreiber war und seine Geschicklichkeit fleißig ausübte. Endlich steht noch als
Eigentumsmarke auf gekaufter Litteratur, schon fertig gebrannten Keilschriftziegeln,
nachträglich vom Palaststeinmetz kurz und bündig eingehauen: „Erworben dnrch
Assurbanipal, König der Welt, König von Assyrien." So schützte mau die Schätze
der Litteratur im neunten Jahrhundert vor Christus. — Bekanntlich ist man heut¬
zutage meist genötigt, die Lupe zu Hilfe zu nehmen, um deu wegen des mangelnden
Raums in minutiösen Zeichen geschriebnen Text der Keilschriften zu erkennen. Eine
schon von Layard gefundne Linse ans Niniveh bezeugt, daß die alten Assyrer beim
Schreiben und Lesen ohne solches Hilfsmittel auch nicht durchkamen (Layos, Lub>-
M. lonians ana ^ssMiws, lato ima lüustoms S. 51).


Ein Gedicht Friedrich Rückerts.

Als Rückert 1815 bis 1817 das Stutt¬
garter Morgenblatt redigierte, verkehrte er viel in der Familie eines ausgezeichneten,
in der Geschichte des geistigen Lebens von Stuttgart oft genannten Mannes, des
Geheimrath von Hartmann. In dem angeregten Hause wuchsen damals vier
vortreffliche Töchter heran, von denen zwei einen Namen in der Geschichte der
Litteratur bekommen haben. Am bekanntesten ist die älteste geworden, Emilie, ver¬
ehelichte von Reinbeck; sie war die Freundin und treue Pflegerin Leuaus und starb
1846, zwei Jahre nachdem dieser in Wahnsinn verfallen war. Julie, Justinus
Kerners Vertraute, „Schilu" genannt, geboren 1795, blieb unverheiratet. Sie scheint
im geheimen mit Rückert verlobt gewesen zu sein. Warum es zu keinem Ehebund
kam, hat niemand erfahren, denn über ihr Geheimnis kam kein Wort über ihre
Lippen. Sie besaß und bewahrte ein Paket mit Aufzeichnungen, in die keines außer
ihr einen Blick gethan hat; auf ihren Wunsch mußte es in ihren Sarg gelegt
werden unter ihr Kopfkissen, als sie 1869 drei Jahre nach dem Dichter gestorben
war. Die Nachricht von seinem Tode hatte sie tagelang in einen krankheitartigen
Zustand versetzt. An die dritte Tochter, Luise Mariette, geboren 1802, die später
den Fabrikanten Georg Zöppritz heiratete, hat Rückert, als sie noch ein Kind war,
das nachfolgende Gedicht gerichtet. Es wird hier mitgeteilt, weil es nicht bloß den
Wert einer anmutigen Reminiszenz hat. Es offenbart uus neben der Herzens¬
freundlichkeit und einem schalkhaften, bis zur Selbstironie gehenden Humor, die
Rückerts Eigentum waren, zugleich die von keinem wieder erreichte Verskunst, eine
Herrschaft über den Reim, dem der neunundzwanzigjährige Dichter hier spielend
gebietet, lange bevor er sein Meisterstück in dieser Hinsicht, die Verwandlungen des
Abu Seid, veröffentlichte.

[Beginn Spaltensatz] Unserm lieben Mariettchen
Wünschen wir auf diesem Blättchen -
Wenn es giebt als gutes Mädchen
Guten Wörtchen gutes Städtchen
Und verspricht, vom umgarnt'gen
Aeser ganz sich zu entled'qen;
S° soll Gott ihr das bestätigen:
^lV-°'? Dörnchen und kein Klettchen
s'° stechen soll im Vettchen,
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Über T.sah w Fisch und Brätchen
«re kein Bracher und kein Grälchen
->M dein Httlschen soll beschäd'gen.
schone Blutader, schöne Blättchen
-nus des schönsten Giirtchens Veetchcn,
Schoner als um Fensterlädchen
Stehn im Töpfchen auf dem Brettchen,
Sollen blühn auf ihrem Pfädchen.
Daran soll mit flinken Fädchen
(Leider nicht vom eignen Rädchen) '[Spaltenumbruch] Sie des Händchens Fleiß bethät'gen,
Allesamt zu einem stet'gen
Kettchen flechten, das mehr Gliedchen
(Damit auch zum Unterschiedchen
Falsches Reimchen sei im Liedchen)
Haben soll, als Silberdrähtchen
Ihrer Schwestern neustes Kettchen.
Dies zu einem wunderthat'gen
Stets vorrätigen Amulettchen,
Stets wohlthätigen Hcmsgerütchen
Wie kein Gretchen und kein Käthchen,
Wie kein Nettchen und kein Jettchen,
Noch in Dörfchen und in Städtchen
Alles, was sich reimt auf elenden,
Kaufen kann im Krämerslädchen: —
Dies — um ihren Wunsch zu hält'gen,
Und zu enden unser Pret'gen —
Wünschen wir in dem Gebetchen
Hier vom grad'gen Herregöttchen
Unserm lieben Mariettchen. [Ende Spaltensatz]

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[0399] Maßgebliches und Unmaßgebliches treiben." Auch ambre Tafeln zeigen, daß der assyrische König selbst ein erfahrner Schreiber war und seine Geschicklichkeit fleißig ausübte. Endlich steht noch als Eigentumsmarke auf gekaufter Litteratur, schon fertig gebrannten Keilschriftziegeln, nachträglich vom Palaststeinmetz kurz und bündig eingehauen: „Erworben dnrch Assurbanipal, König der Welt, König von Assyrien." So schützte mau die Schätze der Litteratur im neunten Jahrhundert vor Christus. — Bekanntlich ist man heut¬ zutage meist genötigt, die Lupe zu Hilfe zu nehmen, um deu wegen des mangelnden Raums in minutiösen Zeichen geschriebnen Text der Keilschriften zu erkennen. Eine schon von Layard gefundne Linse ans Niniveh bezeugt, daß die alten Assyrer beim Schreiben und Lesen ohne solches Hilfsmittel auch nicht durchkamen (Layos, Lub>- M. lonians ana ^ssMiws, lato ima lüustoms S. 51). Ein Gedicht Friedrich Rückerts. Als Rückert 1815 bis 1817 das Stutt¬ garter Morgenblatt redigierte, verkehrte er viel in der Familie eines ausgezeichneten, in der Geschichte des geistigen Lebens von Stuttgart oft genannten Mannes, des Geheimrath von Hartmann. In dem angeregten Hause wuchsen damals vier vortreffliche Töchter heran, von denen zwei einen Namen in der Geschichte der Litteratur bekommen haben. Am bekanntesten ist die älteste geworden, Emilie, ver¬ ehelichte von Reinbeck; sie war die Freundin und treue Pflegerin Leuaus und starb 1846, zwei Jahre nachdem dieser in Wahnsinn verfallen war. Julie, Justinus Kerners Vertraute, „Schilu" genannt, geboren 1795, blieb unverheiratet. Sie scheint im geheimen mit Rückert verlobt gewesen zu sein. Warum es zu keinem Ehebund kam, hat niemand erfahren, denn über ihr Geheimnis kam kein Wort über ihre Lippen. Sie besaß und bewahrte ein Paket mit Aufzeichnungen, in die keines außer ihr einen Blick gethan hat; auf ihren Wunsch mußte es in ihren Sarg gelegt werden unter ihr Kopfkissen, als sie 1869 drei Jahre nach dem Dichter gestorben war. Die Nachricht von seinem Tode hatte sie tagelang in einen krankheitartigen Zustand versetzt. An die dritte Tochter, Luise Mariette, geboren 1802, die später den Fabrikanten Georg Zöppritz heiratete, hat Rückert, als sie noch ein Kind war, das nachfolgende Gedicht gerichtet. Es wird hier mitgeteilt, weil es nicht bloß den Wert einer anmutigen Reminiszenz hat. Es offenbart uus neben der Herzens¬ freundlichkeit und einem schalkhaften, bis zur Selbstironie gehenden Humor, die Rückerts Eigentum waren, zugleich die von keinem wieder erreichte Verskunst, eine Herrschaft über den Reim, dem der neunundzwanzigjährige Dichter hier spielend gebietet, lange bevor er sein Meisterstück in dieser Hinsicht, die Verwandlungen des Abu Seid, veröffentlichte. Unserm lieben Mariettchen Wünschen wir auf diesem Blättchen - Wenn es giebt als gutes Mädchen Guten Wörtchen gutes Städtchen Und verspricht, vom umgarnt'gen Aeser ganz sich zu entled'qen; S° soll Gott ihr das bestätigen: ^lV-°'? Dörnchen und kein Klettchen s'° stechen soll im Vettchen, M " W S°)t ^ ' Über T.sah w Fisch und Brätchen «re kein Bracher und kein Grälchen ->M dein Httlschen soll beschäd'gen. schone Blutader, schöne Blättchen -nus des schönsten Giirtchens Veetchcn, Schoner als um Fensterlädchen Stehn im Töpfchen auf dem Brettchen, Sollen blühn auf ihrem Pfädchen. Daran soll mit flinken Fädchen (Leider nicht vom eignen Rädchen) ' Sie des Händchens Fleiß bethät'gen, Allesamt zu einem stet'gen Kettchen flechten, das mehr Gliedchen (Damit auch zum Unterschiedchen Falsches Reimchen sei im Liedchen) Haben soll, als Silberdrähtchen Ihrer Schwestern neustes Kettchen. Dies zu einem wunderthat'gen Stets vorrätigen Amulettchen, Stets wohlthätigen Hcmsgerütchen Wie kein Gretchen und kein Käthchen, Wie kein Nettchen und kein Jettchen, Noch in Dörfchen und in Städtchen Alles, was sich reimt auf elenden, Kaufen kann im Krämerslädchen: — Dies — um ihren Wunsch zu hält'gen, Und zu enden unser Pret'gen — Wünschen wir in dem Gebetchen Hier vom grad'gen Herregöttchen Unserm lieben Mariettchen. ». »»«r« 4»>< Friedrich Rücker,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/399>, abgerufen am 29.06.2024.