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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Aarl Schneider

Arbeit über Klaus Harms dessen fünfundneunzig Thesen von seinen, unio-
nistischen Standpunkt aus beurteilt und unter anderm geschrieben: "Die drei
letzten These", welche das starre Luthertum empfehlen, sind die schwächsten."
Dann hatte er erzählt, Schleiermacher habe gesagt, in Berlin habe man einige
Tage davon gesprochen und sie dann vergessen. In der Korrektur des Pastors
Nische fait Schneider plötzlich seinen Text dahin geändert: "Es war wohl
nnr die Ohnmacht giftigen Neides, wenn Schleiermacher schrieb usw.," ferner
"die drei letzten Thesen sind die herrlichsten." Schneider wurde wild und
schrieb an Klasing, er könne sich die Änderungen nicht gefallen lassen; wenn
Herr Nische, der nicht einmal Preuße sei, unsre Union abgeschafft Nüssen wolle,
so möge er diesen Wunsch dem Prinzregenten vortragen, der werde ihm ja
gewiß Folge geben. Die Folge war, daß Nische von der Sonntagsbibliothek
zurücktrat und Schneiders Klaus Hnrms unverändert gedruckt wurde. Diese
ganze Erzählung ist charakteristisch für Schneider. Er wird leicht wild, ist
persönlich empfindlich und schießt dann natürlich leicht über das Ziel hinaus.
Man kann ein Maun der mildesten Unions- und Friedensgesinmmg sein, ohne
daß man gerade für die kircheupolitische Mache der preußischen Union zu
schwärmen braucht. Die letzten drei Klaus Harmsschen Thesen sind weder
die herrlichsten, wie Nische, noch die schwächsten, wie .Karl Schneider -- jeder
schon mit dem Superlativ der gereizte" oder reizbaren Polemik -- sagt. Es
ist mich gar nicht wahr, daß die letzten drei Thesen das starre Luthertum em¬
pfehlen. Die dreinndnennzigstc These bezeichnet die reformierte Kirche als eine
herrliche Kirche, die sich vorzugsweise am Worte Gottes bilde. Die vierund-
ncnnzigste These nennt die lutherische Kirche, die doch auch uoch im Nahmen
der preußischen Union besteht, herrlicher als die katholische und die reformierte,
weil fie sich am Sakrament wie am Worte Gottes hält und bildet, und die
fünfnndneunzigste These sagt etwas optimistisch, daß schließlich die Wege der
reformierten und der katholischen Kirche mich ohne der Menschen absichtliches
Zuthun in die lutherische einmünden, und daß nur der Gottlosen Weg ver¬
geht. Weshalb sich Schneider, der doch selbst dem lutherischen Lehrbegriff
konform glaubt, gegen die drei letzten Thesen so gewaltig ereifert hatte, ist gnr
nicht zu verstehn. Nur hätte Nische ihn nicht so diktatorisch korrigieren sollen.
Das braucht sich ein anständiger Mann nicht gefallen zu lassen. Insoweit
hatte Schneider Recht.

In die Schrodaer Zeit fällt auch Schneiders erste Thätigkeit für die
Grenzboten. Er schrieb die "Deutschen Briefe ans der preußischen Provinz
Posen." Er hat damit nicht nur einen großen litterarischen Erfolg gehabt,
sondern er hat sich auch um die deutsche Sache nicht bloß in Posen, sondern
in den Grenzgebieten überhaupt durch diese frischen Zeugnisse sehr verdient
gemacht. Aber schon in der übrigens sehr lebendigen und interessanten Dar¬
stellung seiner Schrodaer Erlebnisse tritt für den, der Schneider kennt, ein für
diesen charakteristischer Zug hervor, der Zug zur Ironie. So liebenswürdig
und feinsinnig auch Schneiders Ironie fast immer erscheint er ironisiert sich


Aarl Schneider

Arbeit über Klaus Harms dessen fünfundneunzig Thesen von seinen, unio-
nistischen Standpunkt aus beurteilt und unter anderm geschrieben: „Die drei
letzten These», welche das starre Luthertum empfehlen, sind die schwächsten."
Dann hatte er erzählt, Schleiermacher habe gesagt, in Berlin habe man einige
Tage davon gesprochen und sie dann vergessen. In der Korrektur des Pastors
Nische fait Schneider plötzlich seinen Text dahin geändert: „Es war wohl
nnr die Ohnmacht giftigen Neides, wenn Schleiermacher schrieb usw.," ferner
„die drei letzten Thesen sind die herrlichsten." Schneider wurde wild und
schrieb an Klasing, er könne sich die Änderungen nicht gefallen lassen; wenn
Herr Nische, der nicht einmal Preuße sei, unsre Union abgeschafft Nüssen wolle,
so möge er diesen Wunsch dem Prinzregenten vortragen, der werde ihm ja
gewiß Folge geben. Die Folge war, daß Nische von der Sonntagsbibliothek
zurücktrat und Schneiders Klaus Hnrms unverändert gedruckt wurde. Diese
ganze Erzählung ist charakteristisch für Schneider. Er wird leicht wild, ist
persönlich empfindlich und schießt dann natürlich leicht über das Ziel hinaus.
Man kann ein Maun der mildesten Unions- und Friedensgesinmmg sein, ohne
daß man gerade für die kircheupolitische Mache der preußischen Union zu
schwärmen braucht. Die letzten drei Klaus Harmsschen Thesen sind weder
die herrlichsten, wie Nische, noch die schwächsten, wie .Karl Schneider — jeder
schon mit dem Superlativ der gereizte» oder reizbaren Polemik — sagt. Es
ist mich gar nicht wahr, daß die letzten drei Thesen das starre Luthertum em¬
pfehlen. Die dreinndnennzigstc These bezeichnet die reformierte Kirche als eine
herrliche Kirche, die sich vorzugsweise am Worte Gottes bilde. Die vierund-
ncnnzigste These nennt die lutherische Kirche, die doch auch uoch im Nahmen
der preußischen Union besteht, herrlicher als die katholische und die reformierte,
weil fie sich am Sakrament wie am Worte Gottes hält und bildet, und die
fünfnndneunzigste These sagt etwas optimistisch, daß schließlich die Wege der
reformierten und der katholischen Kirche mich ohne der Menschen absichtliches
Zuthun in die lutherische einmünden, und daß nur der Gottlosen Weg ver¬
geht. Weshalb sich Schneider, der doch selbst dem lutherischen Lehrbegriff
konform glaubt, gegen die drei letzten Thesen so gewaltig ereifert hatte, ist gnr
nicht zu verstehn. Nur hätte Nische ihn nicht so diktatorisch korrigieren sollen.
Das braucht sich ein anständiger Mann nicht gefallen zu lassen. Insoweit
hatte Schneider Recht.

In die Schrodaer Zeit fällt auch Schneiders erste Thätigkeit für die
Grenzboten. Er schrieb die „Deutschen Briefe ans der preußischen Provinz
Posen." Er hat damit nicht nur einen großen litterarischen Erfolg gehabt,
sondern er hat sich auch um die deutsche Sache nicht bloß in Posen, sondern
in den Grenzgebieten überhaupt durch diese frischen Zeugnisse sehr verdient
gemacht. Aber schon in der übrigens sehr lebendigen und interessanten Dar¬
stellung seiner Schrodaer Erlebnisse tritt für den, der Schneider kennt, ein für
diesen charakteristischer Zug hervor, der Zug zur Ironie. So liebenswürdig
und feinsinnig auch Schneiders Ironie fast immer erscheint er ironisiert sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/35>, abgerufen am 29.06.2024.