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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Kcirl Schneider

nacher und Klaus Harms (Berlin, bei Reimer) und die über Rousseau und
Pestalozzi (Berlin, bei Heyfelder, jetzt Gürtnersche Buchhandlung) haben zu
ihrer Zeit Aussehen gemacht und verdiente Verbreitung gefunden. Alles, was
Schneider geschrieben hat, zeichnet sich dnrch gründliche Gediegenheit und be¬
sonders durch Klarheit des Denkens lind des Ausdrucks aus. Ein flüssiger,
klarer Stil und eine frische, fesselnde Darstellung sind auch ein besondrer Vorzug
der Lebenserinnerungen. Man liest sie gern, und sie lassen den Leser nicht
leicht wieder los. Hie und da ergreisen sie dnrch besondre Innigkeit. Namentlich
geht das Bild, das Schneider mit leuchtenden Farben von seiner Mutter,
eiuer herrlichen, ungewöhnlich bedeutenden Iran, entwirft, zu Herzen. Aber
auch die Mitteilungen über seine kürzlich heimgegangne, ausgezeichnete Fran
sind ungemein ansprechend. Nicht selten klingt auch eine Saite gesunde,,,
fröhlichen Humors an. Kurz, das Buch liest sich gut und gewahrt dem Leser
reichen Gewinn und Freude.

Schneider ist, wie jeder, der auch nur flüchtig mit ihm zu thun gehabt
hat, bestätigen wird, eine äußerlich und innerlich scharf ausgeprägte Persön¬
lichkeit. Er kannte den Platz, an den er gestellt war, und dessen Bedeutung
genau. Er beanspruchte mich von andern, das; sie ihn dieser Bedeutung ent¬
sprechend behandelten. Er ist ein kluger Mann und der Ziele seiner Be¬
strebungen sich allezeit voll bewußt. Er hat immer gewußt, was er wollte.
Er wollte sich, und was er für richtig erkannt hatte, durchsetzen, und er hat
sich durchgesetzt. Er ist religiös positiv und politisch konservativ, nicht gerade
im Sinne einer Parteischablone, aber mit klarer Entschiedenheit. Das hat
ihn nicht gehindert, auch für Leute von abweichender religiöser und politischer
Anschauung Verständnis zu haben. Er hat während seines ganzen Lebens zu
Münneru, die weiter links, vielleicht anch zu solchen, die weiter rechts standen,
innige, freundschaftliche Beziehungen gehabt. Während seines ganzen Lebens
hat er in dieser Beziehung eine schöne Weitherzigkeit und Duldsamkeit bewährt.
Auch das charakterisiert ihn als eine ungewöhnliche Persönlichkeit. Je fester
man innerlich in den eignen Lebeusgruudsätzen gewurzelt ist, desto milder und
weitherziger wird man im Urteil über andre. So soll es sein, so ist das
normale Verhältnis. Namentlich gilt dies von den religiösen Überzeugungen.
Der Christ, der in dem Bekenntnis seiner Kirche das edelste Gut, seinen Herzens-
frieden gefunden hat, innerlich zur Freiheit gekommen ist, weiß nichts gewisser
als das, wie blutwenig davon ans das Konto seines Verdienstes kommt. Er
weiß, wie viel bei ihm selbst noch fehlt. Er weiß auch, an welchen schlüpf¬
rigen Stellen, an welchen Untiefen und Abgründen sein eigner Weg vorüber¬
geführt hat. Das macht sein Urteil milde, und je reifer er selbst wird, desto
milder beurteilt er die abweichende Stellung andrer. Diese nnsgereifte Ent¬
schiedenheit ans der eiuen und Duldsamkeit auf der andern Seite ist ein großer
Vorzug, ein ganz besondrer aber für einen Schulmann und Pädagogen in
leitender Stellung.

Schneider selbst bezeichnet im Vorwort sein Buch als ein "Quellenbuch."


Kcirl Schneider

nacher und Klaus Harms (Berlin, bei Reimer) und die über Rousseau und
Pestalozzi (Berlin, bei Heyfelder, jetzt Gürtnersche Buchhandlung) haben zu
ihrer Zeit Aussehen gemacht und verdiente Verbreitung gefunden. Alles, was
Schneider geschrieben hat, zeichnet sich dnrch gründliche Gediegenheit und be¬
sonders durch Klarheit des Denkens lind des Ausdrucks aus. Ein flüssiger,
klarer Stil und eine frische, fesselnde Darstellung sind auch ein besondrer Vorzug
der Lebenserinnerungen. Man liest sie gern, und sie lassen den Leser nicht
leicht wieder los. Hie und da ergreisen sie dnrch besondre Innigkeit. Namentlich
geht das Bild, das Schneider mit leuchtenden Farben von seiner Mutter,
eiuer herrlichen, ungewöhnlich bedeutenden Iran, entwirft, zu Herzen. Aber
auch die Mitteilungen über seine kürzlich heimgegangne, ausgezeichnete Fran
sind ungemein ansprechend. Nicht selten klingt auch eine Saite gesunde,,,
fröhlichen Humors an. Kurz, das Buch liest sich gut und gewahrt dem Leser
reichen Gewinn und Freude.

Schneider ist, wie jeder, der auch nur flüchtig mit ihm zu thun gehabt
hat, bestätigen wird, eine äußerlich und innerlich scharf ausgeprägte Persön¬
lichkeit. Er kannte den Platz, an den er gestellt war, und dessen Bedeutung
genau. Er beanspruchte mich von andern, das; sie ihn dieser Bedeutung ent¬
sprechend behandelten. Er ist ein kluger Mann und der Ziele seiner Be¬
strebungen sich allezeit voll bewußt. Er hat immer gewußt, was er wollte.
Er wollte sich, und was er für richtig erkannt hatte, durchsetzen, und er hat
sich durchgesetzt. Er ist religiös positiv und politisch konservativ, nicht gerade
im Sinne einer Parteischablone, aber mit klarer Entschiedenheit. Das hat
ihn nicht gehindert, auch für Leute von abweichender religiöser und politischer
Anschauung Verständnis zu haben. Er hat während seines ganzen Lebens zu
Münneru, die weiter links, vielleicht anch zu solchen, die weiter rechts standen,
innige, freundschaftliche Beziehungen gehabt. Während seines ganzen Lebens
hat er in dieser Beziehung eine schöne Weitherzigkeit und Duldsamkeit bewährt.
Auch das charakterisiert ihn als eine ungewöhnliche Persönlichkeit. Je fester
man innerlich in den eignen Lebeusgruudsätzen gewurzelt ist, desto milder und
weitherziger wird man im Urteil über andre. So soll es sein, so ist das
normale Verhältnis. Namentlich gilt dies von den religiösen Überzeugungen.
Der Christ, der in dem Bekenntnis seiner Kirche das edelste Gut, seinen Herzens-
frieden gefunden hat, innerlich zur Freiheit gekommen ist, weiß nichts gewisser
als das, wie blutwenig davon ans das Konto seines Verdienstes kommt. Er
weiß, wie viel bei ihm selbst noch fehlt. Er weiß auch, an welchen schlüpf¬
rigen Stellen, an welchen Untiefen und Abgründen sein eigner Weg vorüber¬
geführt hat. Das macht sein Urteil milde, und je reifer er selbst wird, desto
milder beurteilt er die abweichende Stellung andrer. Diese nnsgereifte Ent¬
schiedenheit ans der eiuen und Duldsamkeit auf der andern Seite ist ein großer
Vorzug, ein ganz besondrer aber für einen Schulmann und Pädagogen in
leitender Stellung.

Schneider selbst bezeichnet im Vorwort sein Buch als ein „Quellenbuch."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/28>, abgerufen am 24.08.2024.