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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die Handelspolitik im Jahre l.9^

so geschieht das durchgehends nur, um sofort einen neuen an seine Stelle zu
setzen." Selbstverständlich machte immer die noch fließende Entwicklung der
wirtschaftlichen Lage in den einzelnen Staaten wiederholte Revisionen der Ver¬
tragsbestimmungen nötig, wobei auch zeitweilige Unterbrechungen nicht immer
zu vermeiden waren, aber als Regel springt doch die Kontinuität der Handels¬
verträge in die Angen. Auch bei den Vorbereitungen für die handelspolitischen
Maßnahmen, die bei Ablauf unsrer Verträge Ende 1903 getroffen werden
müssen, ist man von vornherein und im allgemeinen der Ansicht gewesen,
daß sie nicht unterbrochen werden solle. Der neue Zolltarif, der im Jahre
1901 gesetzlich verabschiedet werden soll, ist bisher eigentlich immer nur als
'ein Teil der Vorarbeit für die neuen Handelsverträge betrachtet worden.
Jedenfalls ist bei der Regierung von einem beabsichtigten Bruch mit der
Handelsvertragspolitik und dem Übergang zur autonomen Zollpolitik über¬
haupt noch nicht die Rede gewesen. Die nervösen Leute, die sich davor fürchten,
sehen wohl Gespenster, oder man glaubt, den Teufel an die Wand malen
zu sollen, um ihn recht zeitig und gründlich zu verjagen. Das hat aber manch¬
mal den entgegengesetzten Erfolg. Wir können vorläufig zu der für unsre
Handelspolitik verantwortlichen Stelle im Reich das Vertrauen haben, daß
bei ihr diplomatische Erfahrung, historische und völkerrechtliche Bildung und
gesunder Konservatismus hinreichend vorhanden sind, daß jedem unverant¬
wortlichen Versuch, den Bruch mit der bisherigen Handelsvertragspolitik herbei¬
zuführen, auch wenn er aus Negierungskreisen käme, der nötige Widerstand
geleistet würde.

Die Lage ist heute anders als 1879. Damals handelte es sich um die
Festlegung eines autonomen Zolltarifs, dessen Modifikation durch Handels¬
verträge nicht unmittelbar in Aussicht stand. Fürst Bismarck hat es für
nützlich gehalten, namentlich in seiner Reichstagsrede vom 2. Mai 1879, mit
der er die Verhandlungen einleitete, in der Ablehnung der Handelsvertrags-
Pvlitik sehr radikal zu sein. Aber die Geschichte weiß, wie er es gemeint hat.
Er war gewiß das Gegenteil von doktrinär, aber wenn er Doktrinen im Kampf
für das, was er als heilsam ansah, für wirksam hielt, dann verstand er es
meisterhaft, auch einmal den Doktrinär zu spielen. Er kannte eben seine
Leute. Die ganze Theorie von dem allgemeinen Schutz jedes Zweigs der
nationalen Arbeit war so doktrinär, wie etwas. Er ging in der erwähnten
Rede sogar soweit, ernstlich eine volle Absperrung Deutschlands vom Auslande
ins Auge zu fassen und mit dem Verlust des deutschen Exporthandels zu
rechnen. Dabei wollte er doch auch von Kolonien damals noch gar nichts
wissen. Aber der doktrinäre Trumpf schlug durch, der autonome Tarif wurde
Gesetz, und damit für das Reich überhaupt die Möglichkeit geschaffen, wieder
eine vernünftige Handelsvertragspolitik aufzunehmen. Und daß das sein prak¬
tisches Ziel war, hat der geniale Staatsmann wiederholt selbst gesagt. Freilich
erst nach seinem Rücktritt ist es erreicht worden. Die Caprivischen Handelsver¬
träge waren die Ausführung Bismarckischer Politik. Der Fürst hätte sie selbst


Die Handelspolitik im Jahre l.9^

so geschieht das durchgehends nur, um sofort einen neuen an seine Stelle zu
setzen." Selbstverständlich machte immer die noch fließende Entwicklung der
wirtschaftlichen Lage in den einzelnen Staaten wiederholte Revisionen der Ver¬
tragsbestimmungen nötig, wobei auch zeitweilige Unterbrechungen nicht immer
zu vermeiden waren, aber als Regel springt doch die Kontinuität der Handels¬
verträge in die Angen. Auch bei den Vorbereitungen für die handelspolitischen
Maßnahmen, die bei Ablauf unsrer Verträge Ende 1903 getroffen werden
müssen, ist man von vornherein und im allgemeinen der Ansicht gewesen,
daß sie nicht unterbrochen werden solle. Der neue Zolltarif, der im Jahre
1901 gesetzlich verabschiedet werden soll, ist bisher eigentlich immer nur als
'ein Teil der Vorarbeit für die neuen Handelsverträge betrachtet worden.
Jedenfalls ist bei der Regierung von einem beabsichtigten Bruch mit der
Handelsvertragspolitik und dem Übergang zur autonomen Zollpolitik über¬
haupt noch nicht die Rede gewesen. Die nervösen Leute, die sich davor fürchten,
sehen wohl Gespenster, oder man glaubt, den Teufel an die Wand malen
zu sollen, um ihn recht zeitig und gründlich zu verjagen. Das hat aber manch¬
mal den entgegengesetzten Erfolg. Wir können vorläufig zu der für unsre
Handelspolitik verantwortlichen Stelle im Reich das Vertrauen haben, daß
bei ihr diplomatische Erfahrung, historische und völkerrechtliche Bildung und
gesunder Konservatismus hinreichend vorhanden sind, daß jedem unverant¬
wortlichen Versuch, den Bruch mit der bisherigen Handelsvertragspolitik herbei¬
zuführen, auch wenn er aus Negierungskreisen käme, der nötige Widerstand
geleistet würde.

Die Lage ist heute anders als 1879. Damals handelte es sich um die
Festlegung eines autonomen Zolltarifs, dessen Modifikation durch Handels¬
verträge nicht unmittelbar in Aussicht stand. Fürst Bismarck hat es für
nützlich gehalten, namentlich in seiner Reichstagsrede vom 2. Mai 1879, mit
der er die Verhandlungen einleitete, in der Ablehnung der Handelsvertrags-
Pvlitik sehr radikal zu sein. Aber die Geschichte weiß, wie er es gemeint hat.
Er war gewiß das Gegenteil von doktrinär, aber wenn er Doktrinen im Kampf
für das, was er als heilsam ansah, für wirksam hielt, dann verstand er es
meisterhaft, auch einmal den Doktrinär zu spielen. Er kannte eben seine
Leute. Die ganze Theorie von dem allgemeinen Schutz jedes Zweigs der
nationalen Arbeit war so doktrinär, wie etwas. Er ging in der erwähnten
Rede sogar soweit, ernstlich eine volle Absperrung Deutschlands vom Auslande
ins Auge zu fassen und mit dem Verlust des deutschen Exporthandels zu
rechnen. Dabei wollte er doch auch von Kolonien damals noch gar nichts
wissen. Aber der doktrinäre Trumpf schlug durch, der autonome Tarif wurde
Gesetz, und damit für das Reich überhaupt die Möglichkeit geschaffen, wieder
eine vernünftige Handelsvertragspolitik aufzunehmen. Und daß das sein prak¬
tisches Ziel war, hat der geniale Staatsmann wiederholt selbst gesagt. Freilich
erst nach seinem Rücktritt ist es erreicht worden. Die Caprivischen Handelsver¬
träge waren die Ausführung Bismarckischer Politik. Der Fürst hätte sie selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/19>, abgerufen am 02.10.2024.