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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Herbsttage in der Lisel

Gärten, die sich terrassenartig an den Berghängen emporziehn, und nicht zuletzt
die ein prächtigen Spnziergängeu und Aussichtspunkten überreiche Umgebung --
alles das stempelt Montjoie zur Krone des Eifellandes. Die Geschichte der
andern Eifelstädte deckt sich gewöhnlich mit der eines sie beherrschenden
Dynastensitzes oder Klosters, Montjoie dagegen hat eine Vergangenheit, deren
Geschichte unabhängig von der seiner Burg ist. Während rings im Lande
fast überall nur ein Scheinleben geführt wurde, während Ackerbau und Ge¬
werbefleiß allerorten danieder lagen, blühte hier ein auf regen Handel und
Wandel gegründetes, selbständiges Gemeinwesen, dessen berühmte Tuchindustrien
einst den Weltmarkt beherrschten.

Heute freilich ist Montjoies industrielle Machtstellung gebrochen, die großen
Manufakturen der niederrheinischen Städte haben seine Fabriken überflügelt,
und fast will es scheinen, als sei die Eisenbahn, die sich jetzt an den Abhängen
des Hohen Venus, hoch über dein Nnrthale, nach Aachen hinzieht, zu spät
gekommen, als daß sie der so lange vergessenen Stadt ein neues, erfolgreiches
Eingreifen in den friedlichen Wettstreit der begünstigten Schwestern ermöglichen
könnte. Seit dem Ausgange des achtzehnten Jahrhunderts ist die Einwohner¬
zahl ans die Hülste zurückgegangen, eine Erscheinung, die um so bedauerlicher
ist, als sie die Neueinrichtung von Fabrikbetrieben, für die in den zahlreichen,
zur Zeit leerstehenden Gebäuden ausreichender Raum vorhanden wäre, er¬
schwert, wo nicht ganz undurchführbar macht. Es wird, nach den anderwärts
gemachten Erfahrungen zu schließen, wahrscheinlich unmöglich sein, die nötigen
Arbeitskräfte wieder nach Montjoie zu ziehn. Auch die höchsten Arbeitslöhne
und die in diesem Orte gebotne Gelegenheit, schöne Ersparnisse zu machen,
vermögen gegen die Anziehungskraft der Großstädte und ihrer materiellen Ge¬
nüsse nichts auszurichten. Neuerdings hat ein Elberfelder Fabrikant in
Montjoie eine Seidenmanufaktur gegründet, die etwa dreihundert Arbeiterinnen
beschäftigt. Es sind dies jedoch durchweg Töchter ortsansässiger Kleinbürger¬
familien. Nach Arbeitskräften männlichen Geschlechts würde er, wie man mir
sagte, in Montjoie vergeblich gesucht haben.

Wenn auch uoch einige der alten Fabriken in Thätigkeit sind, so ist deren
Produktion doch ziemlich belanglos. Man will sie nicht stillstehn lassen, um
sie nicht ganz zu entwerten, hofft vielleicht auch noch auf eine Besserung der
Verhältnisse. Aber verdient wird dabei so gut wie nichts; die alten Fabrikanteu-
fcnnilien zehren, wie sich ein genauer Kenner der Lage mehr treffend als ge¬
schmackvoll ausdrückte, "vou ihrem eignen Fett." Man kann sich einer weh¬
mütigen Empfindung nicht erwehren, wenn man an den mächtigen Fabrik-
gebäuden vorübcrwandert. Mit ihrer vornehmen und soliden Banart, den
hohen französischen Dächern und den langen, fensterreichen Fassaden sind sie,
ganz im Gegensatz zu den nüchternen Fabrikanlagen der Neuzeit, eine Zierde
der Stadt, es sind im Grunde genommen ja mich Patrizierhäuser, die sich von
den Wohnhäusern ihrer Besitzer nur durch Größe und innere Einrichtung
unterscheiden. An den steilen Abhängen der das Thal einschließenden Berge


Herbsttage in der Lisel

Gärten, die sich terrassenartig an den Berghängen emporziehn, und nicht zuletzt
die ein prächtigen Spnziergängeu und Aussichtspunkten überreiche Umgebung —
alles das stempelt Montjoie zur Krone des Eifellandes. Die Geschichte der
andern Eifelstädte deckt sich gewöhnlich mit der eines sie beherrschenden
Dynastensitzes oder Klosters, Montjoie dagegen hat eine Vergangenheit, deren
Geschichte unabhängig von der seiner Burg ist. Während rings im Lande
fast überall nur ein Scheinleben geführt wurde, während Ackerbau und Ge¬
werbefleiß allerorten danieder lagen, blühte hier ein auf regen Handel und
Wandel gegründetes, selbständiges Gemeinwesen, dessen berühmte Tuchindustrien
einst den Weltmarkt beherrschten.

Heute freilich ist Montjoies industrielle Machtstellung gebrochen, die großen
Manufakturen der niederrheinischen Städte haben seine Fabriken überflügelt,
und fast will es scheinen, als sei die Eisenbahn, die sich jetzt an den Abhängen
des Hohen Venus, hoch über dein Nnrthale, nach Aachen hinzieht, zu spät
gekommen, als daß sie der so lange vergessenen Stadt ein neues, erfolgreiches
Eingreifen in den friedlichen Wettstreit der begünstigten Schwestern ermöglichen
könnte. Seit dem Ausgange des achtzehnten Jahrhunderts ist die Einwohner¬
zahl ans die Hülste zurückgegangen, eine Erscheinung, die um so bedauerlicher
ist, als sie die Neueinrichtung von Fabrikbetrieben, für die in den zahlreichen,
zur Zeit leerstehenden Gebäuden ausreichender Raum vorhanden wäre, er¬
schwert, wo nicht ganz undurchführbar macht. Es wird, nach den anderwärts
gemachten Erfahrungen zu schließen, wahrscheinlich unmöglich sein, die nötigen
Arbeitskräfte wieder nach Montjoie zu ziehn. Auch die höchsten Arbeitslöhne
und die in diesem Orte gebotne Gelegenheit, schöne Ersparnisse zu machen,
vermögen gegen die Anziehungskraft der Großstädte und ihrer materiellen Ge¬
nüsse nichts auszurichten. Neuerdings hat ein Elberfelder Fabrikant in
Montjoie eine Seidenmanufaktur gegründet, die etwa dreihundert Arbeiterinnen
beschäftigt. Es sind dies jedoch durchweg Töchter ortsansässiger Kleinbürger¬
familien. Nach Arbeitskräften männlichen Geschlechts würde er, wie man mir
sagte, in Montjoie vergeblich gesucht haben.

Wenn auch uoch einige der alten Fabriken in Thätigkeit sind, so ist deren
Produktion doch ziemlich belanglos. Man will sie nicht stillstehn lassen, um
sie nicht ganz zu entwerten, hofft vielleicht auch noch auf eine Besserung der
Verhältnisse. Aber verdient wird dabei so gut wie nichts; die alten Fabrikanteu-
fcnnilien zehren, wie sich ein genauer Kenner der Lage mehr treffend als ge¬
schmackvoll ausdrückte, „vou ihrem eignen Fett." Man kann sich einer weh¬
mütigen Empfindung nicht erwehren, wenn man an den mächtigen Fabrik-
gebäuden vorübcrwandert. Mit ihrer vornehmen und soliden Banart, den
hohen französischen Dächern und den langen, fensterreichen Fassaden sind sie,
ganz im Gegensatz zu den nüchternen Fabrikanlagen der Neuzeit, eine Zierde
der Stadt, es sind im Grunde genommen ja mich Patrizierhäuser, die sich von
den Wohnhäusern ihrer Besitzer nur durch Größe und innere Einrichtung
unterscheiden. An den steilen Abhängen der das Thal einschließenden Berge


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[0180] Herbsttage in der Lisel Gärten, die sich terrassenartig an den Berghängen emporziehn, und nicht zuletzt die ein prächtigen Spnziergängeu und Aussichtspunkten überreiche Umgebung — alles das stempelt Montjoie zur Krone des Eifellandes. Die Geschichte der andern Eifelstädte deckt sich gewöhnlich mit der eines sie beherrschenden Dynastensitzes oder Klosters, Montjoie dagegen hat eine Vergangenheit, deren Geschichte unabhängig von der seiner Burg ist. Während rings im Lande fast überall nur ein Scheinleben geführt wurde, während Ackerbau und Ge¬ werbefleiß allerorten danieder lagen, blühte hier ein auf regen Handel und Wandel gegründetes, selbständiges Gemeinwesen, dessen berühmte Tuchindustrien einst den Weltmarkt beherrschten. Heute freilich ist Montjoies industrielle Machtstellung gebrochen, die großen Manufakturen der niederrheinischen Städte haben seine Fabriken überflügelt, und fast will es scheinen, als sei die Eisenbahn, die sich jetzt an den Abhängen des Hohen Venus, hoch über dein Nnrthale, nach Aachen hinzieht, zu spät gekommen, als daß sie der so lange vergessenen Stadt ein neues, erfolgreiches Eingreifen in den friedlichen Wettstreit der begünstigten Schwestern ermöglichen könnte. Seit dem Ausgange des achtzehnten Jahrhunderts ist die Einwohner¬ zahl ans die Hülste zurückgegangen, eine Erscheinung, die um so bedauerlicher ist, als sie die Neueinrichtung von Fabrikbetrieben, für die in den zahlreichen, zur Zeit leerstehenden Gebäuden ausreichender Raum vorhanden wäre, er¬ schwert, wo nicht ganz undurchführbar macht. Es wird, nach den anderwärts gemachten Erfahrungen zu schließen, wahrscheinlich unmöglich sein, die nötigen Arbeitskräfte wieder nach Montjoie zu ziehn. Auch die höchsten Arbeitslöhne und die in diesem Orte gebotne Gelegenheit, schöne Ersparnisse zu machen, vermögen gegen die Anziehungskraft der Großstädte und ihrer materiellen Ge¬ nüsse nichts auszurichten. Neuerdings hat ein Elberfelder Fabrikant in Montjoie eine Seidenmanufaktur gegründet, die etwa dreihundert Arbeiterinnen beschäftigt. Es sind dies jedoch durchweg Töchter ortsansässiger Kleinbürger¬ familien. Nach Arbeitskräften männlichen Geschlechts würde er, wie man mir sagte, in Montjoie vergeblich gesucht haben. Wenn auch uoch einige der alten Fabriken in Thätigkeit sind, so ist deren Produktion doch ziemlich belanglos. Man will sie nicht stillstehn lassen, um sie nicht ganz zu entwerten, hofft vielleicht auch noch auf eine Besserung der Verhältnisse. Aber verdient wird dabei so gut wie nichts; die alten Fabrikanteu- fcnnilien zehren, wie sich ein genauer Kenner der Lage mehr treffend als ge¬ schmackvoll ausdrückte, „vou ihrem eignen Fett." Man kann sich einer weh¬ mütigen Empfindung nicht erwehren, wenn man an den mächtigen Fabrik- gebäuden vorübcrwandert. Mit ihrer vornehmen und soliden Banart, den hohen französischen Dächern und den langen, fensterreichen Fassaden sind sie, ganz im Gegensatz zu den nüchternen Fabrikanlagen der Neuzeit, eine Zierde der Stadt, es sind im Grunde genommen ja mich Patrizierhäuser, die sich von den Wohnhäusern ihrer Besitzer nur durch Größe und innere Einrichtung unterscheiden. An den steilen Abhängen der das Thal einschließenden Berge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/180>, abgerufen am 02.10.2024.