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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Abendland und Morgenland

Jahrhunderte das europäische Abendland in eine schwierige Verteidigungs¬
stellung zurück, während dieses dadurch, daß es sich zu derselben Zeit die Neue
Welt jenseits des Ozeans unterwarf, die Herrschaft seiner Kultur gewaltig
erweiterte.

Der Gegenstoß des Abendlandes in den Kreuzzügen hatte leinen wesent¬
lichen und vor allem keinen dauernden Erfolg gehabt; mehr bedeutete es, daß
seit dem Beginn der Neuzeit zuerst die Portugiesen, nach ihnen die Hol¬
länder und Engländer in den Kreis der indischen Welt handelnd und erobernd
eindrangen, daß seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts die türkische Herr¬
schaft langsam in Europa zurückwich, und daß im neunzehnten Jahrhundert
die europäische Zivilisation das Reich immer mehr ergriff. Gleichzeitig klopfte
sie auch an die Pforten des äußersten Ostens und wurde vor allem in Japan
heimisch. Kurz, in den letzten beiden Jahrhunderten ist wieder das Abendland
im Vordringen, nicht durch große kriegerische Massenstöße, sondern dnrch die
langsamen, unwiderstehlichen Fortschritte seiner Kultur.

Aber ist das etwa ein Sieg über den morgenländischen Geist? Ist dieser
Geist gebrochen oder auch nur geschwächt? Denn um einen geistigen, tief
innerlichen Gegensatz handelt es sich hier. Er füllt keineswegs zusammen mil
dem Gegensatz der Rassen oder Volksstämme, denn von den Orientalen sind die
Perser und die Inder gerade so gut Arier wie die meisten Europäer, und
finnisch-ugrische, den Mongolen nahestehende Völker, wie die Magyaren und
die Finnen, sind in den abendländischen Kulturkreis eingetreten. Mächtiger
als Stammes- und Sprachgemeinschaft ist die Kultur, und in ihr, in der
ganzen Weltanschauung ist der tiefe Gegensatz zwischen Abend- und Morgen¬
land begründet. Der Orient ist der MachtlreiS der Thevkrntie, das Abend¬
land das Reich der Freiheit, seitdem sich zuerst in Griechenland die freie, ans
sich selbst ruhende Persönlichkeit entwickelt hat, daher des rastlose" Vor-
würtsstrebens, des regen geistigen Lebens, der lebendigen Gliederung der Ge¬
sellschaft und des Staats, allerdings auch der ewigen Umwandlungen und
Kämpfe, aber in ihnen entfalten sich die .Kräfte der Einzelnen und der Völker.

Im Orient herrscht seit Jahrtausenden die Theokratie, eine Stnatsform
ganz für sich, wie das zuerst Treitschke in seiner großartigen "Politik" mit
vollem Nachdruck hervorgehoben hat. Das göttliche Gesetz, ganz gleichgiltig,
ob heidnischen oder monotheistischen Ursprungs, ist auch weltliches Gesetz, ver¬
bindlich anch für den Staat, daher starr, unabänderlich, unverbesserlich; der
Herrscher regiert im Namen der Gottheit oder wird wenigstens geleitet von
ihrer Priesterschaft. Der altäghptische Pharao war der Sohn der Sonne,
wie der Kaiser von China der Sohn des Himmels ist, die indischen Fürsten
wurden von den Brahminen gegängelt, und der mohammedanische Khalif ist
der Nachfolger des Propheten, den Allah gesandt hat. Solche Herrscher sind
notwendigerweise nicht nur absolut, sondern auch jeder Widerspruch gegen ihr
Gebot ist geradezu gottlos; gegen unerträgliche Willkür giebt es nur eine Hilfe,
die Gewalt, die aber wenigstens hinterdrein legalisiert werden mich, und eine


Abendland und Morgenland

Jahrhunderte das europäische Abendland in eine schwierige Verteidigungs¬
stellung zurück, während dieses dadurch, daß es sich zu derselben Zeit die Neue
Welt jenseits des Ozeans unterwarf, die Herrschaft seiner Kultur gewaltig
erweiterte.

Der Gegenstoß des Abendlandes in den Kreuzzügen hatte leinen wesent¬
lichen und vor allem keinen dauernden Erfolg gehabt; mehr bedeutete es, daß
seit dem Beginn der Neuzeit zuerst die Portugiesen, nach ihnen die Hol¬
länder und Engländer in den Kreis der indischen Welt handelnd und erobernd
eindrangen, daß seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts die türkische Herr¬
schaft langsam in Europa zurückwich, und daß im neunzehnten Jahrhundert
die europäische Zivilisation das Reich immer mehr ergriff. Gleichzeitig klopfte
sie auch an die Pforten des äußersten Ostens und wurde vor allem in Japan
heimisch. Kurz, in den letzten beiden Jahrhunderten ist wieder das Abendland
im Vordringen, nicht durch große kriegerische Massenstöße, sondern dnrch die
langsamen, unwiderstehlichen Fortschritte seiner Kultur.

Aber ist das etwa ein Sieg über den morgenländischen Geist? Ist dieser
Geist gebrochen oder auch nur geschwächt? Denn um einen geistigen, tief
innerlichen Gegensatz handelt es sich hier. Er füllt keineswegs zusammen mil
dem Gegensatz der Rassen oder Volksstämme, denn von den Orientalen sind die
Perser und die Inder gerade so gut Arier wie die meisten Europäer, und
finnisch-ugrische, den Mongolen nahestehende Völker, wie die Magyaren und
die Finnen, sind in den abendländischen Kulturkreis eingetreten. Mächtiger
als Stammes- und Sprachgemeinschaft ist die Kultur, und in ihr, in der
ganzen Weltanschauung ist der tiefe Gegensatz zwischen Abend- und Morgen¬
land begründet. Der Orient ist der MachtlreiS der Thevkrntie, das Abend¬
land das Reich der Freiheit, seitdem sich zuerst in Griechenland die freie, ans
sich selbst ruhende Persönlichkeit entwickelt hat, daher des rastlose» Vor-
würtsstrebens, des regen geistigen Lebens, der lebendigen Gliederung der Ge¬
sellschaft und des Staats, allerdings auch der ewigen Umwandlungen und
Kämpfe, aber in ihnen entfalten sich die .Kräfte der Einzelnen und der Völker.

Im Orient herrscht seit Jahrtausenden die Theokratie, eine Stnatsform
ganz für sich, wie das zuerst Treitschke in seiner großartigen „Politik" mit
vollem Nachdruck hervorgehoben hat. Das göttliche Gesetz, ganz gleichgiltig,
ob heidnischen oder monotheistischen Ursprungs, ist auch weltliches Gesetz, ver¬
bindlich anch für den Staat, daher starr, unabänderlich, unverbesserlich; der
Herrscher regiert im Namen der Gottheit oder wird wenigstens geleitet von
ihrer Priesterschaft. Der altäghptische Pharao war der Sohn der Sonne,
wie der Kaiser von China der Sohn des Himmels ist, die indischen Fürsten
wurden von den Brahminen gegängelt, und der mohammedanische Khalif ist
der Nachfolger des Propheten, den Allah gesandt hat. Solche Herrscher sind
notwendigerweise nicht nur absolut, sondern auch jeder Widerspruch gegen ihr
Gebot ist geradezu gottlos; gegen unerträgliche Willkür giebt es nur eine Hilfe,
die Gewalt, die aber wenigstens hinterdrein legalisiert werden mich, und eine


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[0010] Abendland und Morgenland Jahrhunderte das europäische Abendland in eine schwierige Verteidigungs¬ stellung zurück, während dieses dadurch, daß es sich zu derselben Zeit die Neue Welt jenseits des Ozeans unterwarf, die Herrschaft seiner Kultur gewaltig erweiterte. Der Gegenstoß des Abendlandes in den Kreuzzügen hatte leinen wesent¬ lichen und vor allem keinen dauernden Erfolg gehabt; mehr bedeutete es, daß seit dem Beginn der Neuzeit zuerst die Portugiesen, nach ihnen die Hol¬ länder und Engländer in den Kreis der indischen Welt handelnd und erobernd eindrangen, daß seit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts die türkische Herr¬ schaft langsam in Europa zurückwich, und daß im neunzehnten Jahrhundert die europäische Zivilisation das Reich immer mehr ergriff. Gleichzeitig klopfte sie auch an die Pforten des äußersten Ostens und wurde vor allem in Japan heimisch. Kurz, in den letzten beiden Jahrhunderten ist wieder das Abendland im Vordringen, nicht durch große kriegerische Massenstöße, sondern dnrch die langsamen, unwiderstehlichen Fortschritte seiner Kultur. Aber ist das etwa ein Sieg über den morgenländischen Geist? Ist dieser Geist gebrochen oder auch nur geschwächt? Denn um einen geistigen, tief innerlichen Gegensatz handelt es sich hier. Er füllt keineswegs zusammen mil dem Gegensatz der Rassen oder Volksstämme, denn von den Orientalen sind die Perser und die Inder gerade so gut Arier wie die meisten Europäer, und finnisch-ugrische, den Mongolen nahestehende Völker, wie die Magyaren und die Finnen, sind in den abendländischen Kulturkreis eingetreten. Mächtiger als Stammes- und Sprachgemeinschaft ist die Kultur, und in ihr, in der ganzen Weltanschauung ist der tiefe Gegensatz zwischen Abend- und Morgen¬ land begründet. Der Orient ist der MachtlreiS der Thevkrntie, das Abend¬ land das Reich der Freiheit, seitdem sich zuerst in Griechenland die freie, ans sich selbst ruhende Persönlichkeit entwickelt hat, daher des rastlose» Vor- würtsstrebens, des regen geistigen Lebens, der lebendigen Gliederung der Ge¬ sellschaft und des Staats, allerdings auch der ewigen Umwandlungen und Kämpfe, aber in ihnen entfalten sich die .Kräfte der Einzelnen und der Völker. Im Orient herrscht seit Jahrtausenden die Theokratie, eine Stnatsform ganz für sich, wie das zuerst Treitschke in seiner großartigen „Politik" mit vollem Nachdruck hervorgehoben hat. Das göttliche Gesetz, ganz gleichgiltig, ob heidnischen oder monotheistischen Ursprungs, ist auch weltliches Gesetz, ver¬ bindlich anch für den Staat, daher starr, unabänderlich, unverbesserlich; der Herrscher regiert im Namen der Gottheit oder wird wenigstens geleitet von ihrer Priesterschaft. Der altäghptische Pharao war der Sohn der Sonne, wie der Kaiser von China der Sohn des Himmels ist, die indischen Fürsten wurden von den Brahminen gegängelt, und der mohammedanische Khalif ist der Nachfolger des Propheten, den Allah gesandt hat. Solche Herrscher sind notwendigerweise nicht nur absolut, sondern auch jeder Widerspruch gegen ihr Gebot ist geradezu gottlos; gegen unerträgliche Willkür giebt es nur eine Hilfe, die Gewalt, die aber wenigstens hinterdrein legalisiert werden mich, und eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/10>, abgerufen am 29.06.2024.