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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Her Posener Schulstreit

katholischen Lehrerstande politisch zuverlässige, teutschgesinnte Elemente zu¬
zuführen, den Seminaren in Posen deutsche Seminaraspiranten aus den west¬
lichen Provinzen in größerer Zahl überwiesen. Diese mußten sich nun, um
wenigstens auf der Unterstufe den Religionsunterricht leiten zu können, Fertig¬
keit im Lesen und einige Sicherheit im Verstehn dieser ihnen fremden Sprache
aneignen. Sodann aber konnte die polnische Agitation mit Recht immer
wieder geltend machen, daß die Kinder, um die polnischen Neligionsbücher be¬
nutzen zu können, polnisch lesen können müßten, und daß mithin die Schule
die Gelegenheit zur Erwerbung dieser Fertigkeit nicht versagen dürfte. Und
so erreichten die Polen denn zunächst, daß durch den Erlaß vom 11. April 1891
den Lehrern wieder erlaubt wurde, im polnischen Lesen und Schreiben Privat¬
unterricht zu erteilen. Nun ging man mit Eifer ans Werk. Man sammelte
Geld, um den Privatunterricht bezahlen zu können, und appellierte auch an
den Patriotismus der Lehrer, um sie zu unentgeltlicher Hergabe ihrer Dienste
zu bewegen. Das ging so eine Weile. Aber man wußte den Lehrern keinen
Dank und bezahlte sie lässig oder gar nicht, da die Opferwilligkeit der Polen
mit dein Widerstande der Regierung nachließ, und so hörte einer nach dem
andern mit dem Privatunterricht auf. Neue Klagen und neuer Ansturm auf
die Regierung behufs Wiedereinführung des schulplanmäßigen polnischen Sprach¬
unterrichts waren die Folge.

Es war die Zeit, wo die polnische Hofpartei unter Leitung des viel ge¬
nannten Herrn von Koscielski Einfluß gewann, indem sie sich den Anschein
gab, als wollte sie ihre Volksgenossen auf den Weg einer Versöhnungspolitik
und zur Anerkennung der unaufhörlichen Vereinigung der polnischen Landes¬
teile mit dem Staate Preußen führen. Für die guten Dienste, die sie der
Negierung in ihren Flotten- und Heeresvermehruugsplünen leistete, erwarb sie
Anspruch auf einen Lohn, und der wurde ihr durch die Wiedereinführung des
Unterrichts im polnischen Lesen und Schreiben im Jahre 1893. Zwar waren
an diese Konzession Bedingungen und Einschränkungen geknüpft, die der völligen
Rückkehr zu dem Zustande von 1887 noch im Wege standen. Aber darin lag
für die Polen eben ein Sporn zu weitern Kämpfen.

So hatten sich die Fehler der Negierung gerächt, und die Erfolge der
mit so viel Zuversicht ins Werk gesetzten Entscheidung von 1887 zum guten
Teil wieder beseitigt. Und noch ein andres Mittel der Germanisierung, an
das die Deutschen große Hoffnungen geknüpft hatten, fing bald an zu ver¬
sagen, die Versetzung der widerspenstigen Lehrer nach dein Westen und die
Hereinziehung von deutschen Lehrern ans den westlichen Lnndesteilen in die
Provinz. Diesen letzten wurde, wenn sie sich nicht durch polnische Heiraten oder
auf anderm Wege unschädlich machen ließen, mit allen Mitteln der Bosheit
und Verleumdung das Leben dermaßen verleidet, daß sie sich sobald wie möglich
wieder ans dem Staube machten, und die an den Rhein versetzten polnischen
Lehrer machten sich dort durch ihre Unfähigkeit und Widerspenstigkeit so mi߬
liebig, daß man sie gern wieder los wurde und froh war, wenn sie entweder


Her Posener Schulstreit

katholischen Lehrerstande politisch zuverlässige, teutschgesinnte Elemente zu¬
zuführen, den Seminaren in Posen deutsche Seminaraspiranten aus den west¬
lichen Provinzen in größerer Zahl überwiesen. Diese mußten sich nun, um
wenigstens auf der Unterstufe den Religionsunterricht leiten zu können, Fertig¬
keit im Lesen und einige Sicherheit im Verstehn dieser ihnen fremden Sprache
aneignen. Sodann aber konnte die polnische Agitation mit Recht immer
wieder geltend machen, daß die Kinder, um die polnischen Neligionsbücher be¬
nutzen zu können, polnisch lesen können müßten, und daß mithin die Schule
die Gelegenheit zur Erwerbung dieser Fertigkeit nicht versagen dürfte. Und
so erreichten die Polen denn zunächst, daß durch den Erlaß vom 11. April 1891
den Lehrern wieder erlaubt wurde, im polnischen Lesen und Schreiben Privat¬
unterricht zu erteilen. Nun ging man mit Eifer ans Werk. Man sammelte
Geld, um den Privatunterricht bezahlen zu können, und appellierte auch an
den Patriotismus der Lehrer, um sie zu unentgeltlicher Hergabe ihrer Dienste
zu bewegen. Das ging so eine Weile. Aber man wußte den Lehrern keinen
Dank und bezahlte sie lässig oder gar nicht, da die Opferwilligkeit der Polen
mit dein Widerstande der Regierung nachließ, und so hörte einer nach dem
andern mit dem Privatunterricht auf. Neue Klagen und neuer Ansturm auf
die Regierung behufs Wiedereinführung des schulplanmäßigen polnischen Sprach¬
unterrichts waren die Folge.

Es war die Zeit, wo die polnische Hofpartei unter Leitung des viel ge¬
nannten Herrn von Koscielski Einfluß gewann, indem sie sich den Anschein
gab, als wollte sie ihre Volksgenossen auf den Weg einer Versöhnungspolitik
und zur Anerkennung der unaufhörlichen Vereinigung der polnischen Landes¬
teile mit dem Staate Preußen führen. Für die guten Dienste, die sie der
Negierung in ihren Flotten- und Heeresvermehruugsplünen leistete, erwarb sie
Anspruch auf einen Lohn, und der wurde ihr durch die Wiedereinführung des
Unterrichts im polnischen Lesen und Schreiben im Jahre 1893. Zwar waren
an diese Konzession Bedingungen und Einschränkungen geknüpft, die der völligen
Rückkehr zu dem Zustande von 1887 noch im Wege standen. Aber darin lag
für die Polen eben ein Sporn zu weitern Kämpfen.

So hatten sich die Fehler der Negierung gerächt, und die Erfolge der
mit so viel Zuversicht ins Werk gesetzten Entscheidung von 1887 zum guten
Teil wieder beseitigt. Und noch ein andres Mittel der Germanisierung, an
das die Deutschen große Hoffnungen geknüpft hatten, fing bald an zu ver¬
sagen, die Versetzung der widerspenstigen Lehrer nach dein Westen und die
Hereinziehung von deutschen Lehrern ans den westlichen Lnndesteilen in die
Provinz. Diesen letzten wurde, wenn sie sich nicht durch polnische Heiraten oder
auf anderm Wege unschädlich machen ließen, mit allen Mitteln der Bosheit
und Verleumdung das Leben dermaßen verleidet, daß sie sich sobald wie möglich
wieder ans dem Staube machten, und die an den Rhein versetzten polnischen
Lehrer machten sich dort durch ihre Unfähigkeit und Widerspenstigkeit so mi߬
liebig, daß man sie gern wieder los wurde und froh war, wenn sie entweder


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[0084] Her Posener Schulstreit katholischen Lehrerstande politisch zuverlässige, teutschgesinnte Elemente zu¬ zuführen, den Seminaren in Posen deutsche Seminaraspiranten aus den west¬ lichen Provinzen in größerer Zahl überwiesen. Diese mußten sich nun, um wenigstens auf der Unterstufe den Religionsunterricht leiten zu können, Fertig¬ keit im Lesen und einige Sicherheit im Verstehn dieser ihnen fremden Sprache aneignen. Sodann aber konnte die polnische Agitation mit Recht immer wieder geltend machen, daß die Kinder, um die polnischen Neligionsbücher be¬ nutzen zu können, polnisch lesen können müßten, und daß mithin die Schule die Gelegenheit zur Erwerbung dieser Fertigkeit nicht versagen dürfte. Und so erreichten die Polen denn zunächst, daß durch den Erlaß vom 11. April 1891 den Lehrern wieder erlaubt wurde, im polnischen Lesen und Schreiben Privat¬ unterricht zu erteilen. Nun ging man mit Eifer ans Werk. Man sammelte Geld, um den Privatunterricht bezahlen zu können, und appellierte auch an den Patriotismus der Lehrer, um sie zu unentgeltlicher Hergabe ihrer Dienste zu bewegen. Das ging so eine Weile. Aber man wußte den Lehrern keinen Dank und bezahlte sie lässig oder gar nicht, da die Opferwilligkeit der Polen mit dein Widerstande der Regierung nachließ, und so hörte einer nach dem andern mit dem Privatunterricht auf. Neue Klagen und neuer Ansturm auf die Regierung behufs Wiedereinführung des schulplanmäßigen polnischen Sprach¬ unterrichts waren die Folge. Es war die Zeit, wo die polnische Hofpartei unter Leitung des viel ge¬ nannten Herrn von Koscielski Einfluß gewann, indem sie sich den Anschein gab, als wollte sie ihre Volksgenossen auf den Weg einer Versöhnungspolitik und zur Anerkennung der unaufhörlichen Vereinigung der polnischen Landes¬ teile mit dem Staate Preußen führen. Für die guten Dienste, die sie der Negierung in ihren Flotten- und Heeresvermehruugsplünen leistete, erwarb sie Anspruch auf einen Lohn, und der wurde ihr durch die Wiedereinführung des Unterrichts im polnischen Lesen und Schreiben im Jahre 1893. Zwar waren an diese Konzession Bedingungen und Einschränkungen geknüpft, die der völligen Rückkehr zu dem Zustande von 1887 noch im Wege standen. Aber darin lag für die Polen eben ein Sporn zu weitern Kämpfen. So hatten sich die Fehler der Negierung gerächt, und die Erfolge der mit so viel Zuversicht ins Werk gesetzten Entscheidung von 1887 zum guten Teil wieder beseitigt. Und noch ein andres Mittel der Germanisierung, an das die Deutschen große Hoffnungen geknüpft hatten, fing bald an zu ver¬ sagen, die Versetzung der widerspenstigen Lehrer nach dein Westen und die Hereinziehung von deutschen Lehrern ans den westlichen Lnndesteilen in die Provinz. Diesen letzten wurde, wenn sie sich nicht durch polnische Heiraten oder auf anderm Wege unschädlich machen ließen, mit allen Mitteln der Bosheit und Verleumdung das Leben dermaßen verleidet, daß sie sich sobald wie möglich wieder ans dem Staube machten, und die an den Rhein versetzten polnischen Lehrer machten sich dort durch ihre Unfähigkeit und Widerspenstigkeit so mi߬ liebig, daß man sie gern wieder los wurde und froh war, wenn sie entweder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/84>, abgerufen am 26.06.2024.