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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Die Probe auf die nordamerikanische Weltpolitik

Herrschaft gestanden haben und in ihrer Masse zum Gebrauch demokratischer
Freiheit gegenwärtig ungefähr so reif sein würden wie die Inder. Dazu würde
eine solche Verfassung für Kuba wahrscheinlich die Gefahr einer kulturfeind¬
lichen Neger- und Mulnttenherrschaft heraufbeschwören, und die Nordamerikaner
selbst würden den "Farbigen" doch niemals die thatsächliche Gleichberechtigung
einräumen. Wenn aber die Verwandlung Kubas und der Philippinen in
Unionsstaaten an den Verhältnissen dieser Länder scheitern müßte, so wider¬
spricht ihre Verwandlung in abhängige Gebiete mindern Rechts dem demokra¬
tischen Staatsrecht der Union, das einen solchen Zustand nur als vorbereitend
bei den Territorien kennt und nur als vorübergehenden Ausnahmezustand bei den
uuterworfnen Südstaaten gekannt hat. Auch wenn man darüber hinwegsehen
wollte, so würde die dann unvermeidliche Einsetzung von Statthaltern mit
diktatorischer Vollmacht sehr undemokratisch sein und könnte bei solchen Herren
höchst nndemokrntische Gelüste erzeugen. Es bliebe also nur eine lose Schutz¬
herrschaft mit Militürstationen und Handelsverträgen übrig; aber ob ein solches
Verhältnis bei dem unzweifelhaften Selbstgefühl dieser Bevölkerungen und dem
steifen Hochmut der Jankees irgend welche Dauer haben würde, bleibt doch
äußerst unsicher.

Kurz, diese ganze unter der Maske von Befreiungskriegen unternommne
Eroberungspolitik anf so fremdartigem Grund und Boden, der niemals angel¬
sächsisch werden kann, widerspricht dem Wesen der Univnsverfasfung. Aber noch
mehr: ihre ganze Verwaltung, die aus der Verfassung hervorgegangen ist, wird
schwerlich imstande sein, diese neuen Aufgaben zu lösen. Eine starke Kriegs¬
flotte hat sich die Union schaffen können, so gut wie das parlamentarische
England seit Cromwell eine solche besessen hat, weil eine Marine in die inner¬
politischen Kämpfe eines Staats kaum eingreifen kann. Ein starkes Landheer
hat England niemals gehabt, und was es jetzt davon hat, das ist staats¬
rechtlich eine Einrichtung auf Zeit, ein Notbehelf, dem ein Parlamentsbeschluß
sofort ein Ende machen könnte. Denn die Engländer haben in der Armee
lange eine Gefahr für ihre bürgerliche Freiheit gesehen, weil in der That auf
sie gestützt ein Usurpator, wie es ihr größter Feldherr und Staatsmann Oliver
Cromwell war, dem ganzen parlamentarischen Wesen leicht ein Ende machen
konnte. Das moderne republikanisch-demokmtische Frankreich hat das starke
Heer als eine europäische Notwendigkeit von der Monarchie übernommen, ob¬
wohl es schon zweimal ein revolutionäres Soldatenkaisertum gesehen hat; aber
gerade die letzten Jahre haben gezeigt, wie schwer sich der selbstverständlich
monarchische Geist eines solchen Heeres mit der offiziellen Staatsform verträgt,
und wie nahe fortwährend die Gefahr eines militärischen Staatsstreichs liegt.
Darum hat sich die Union bisher mit einer winzigen, noch dazu über das
ganze ungeheure Land verteilten stehenden Söldnerarmee von 25000 Mann
und auch neuerdings mit einer Vermehrung anf nur 95000 Mann begnügt,
eine verschwindende Zahl im Verhältnis zu einer Volksmenge von 70 bis
80 Millionen; im übrigen behilft mau sich mit gänzlich ungeschulten Milizen und


Die Probe auf die nordamerikanische Weltpolitik

Herrschaft gestanden haben und in ihrer Masse zum Gebrauch demokratischer
Freiheit gegenwärtig ungefähr so reif sein würden wie die Inder. Dazu würde
eine solche Verfassung für Kuba wahrscheinlich die Gefahr einer kulturfeind¬
lichen Neger- und Mulnttenherrschaft heraufbeschwören, und die Nordamerikaner
selbst würden den „Farbigen" doch niemals die thatsächliche Gleichberechtigung
einräumen. Wenn aber die Verwandlung Kubas und der Philippinen in
Unionsstaaten an den Verhältnissen dieser Länder scheitern müßte, so wider¬
spricht ihre Verwandlung in abhängige Gebiete mindern Rechts dem demokra¬
tischen Staatsrecht der Union, das einen solchen Zustand nur als vorbereitend
bei den Territorien kennt und nur als vorübergehenden Ausnahmezustand bei den
uuterworfnen Südstaaten gekannt hat. Auch wenn man darüber hinwegsehen
wollte, so würde die dann unvermeidliche Einsetzung von Statthaltern mit
diktatorischer Vollmacht sehr undemokratisch sein und könnte bei solchen Herren
höchst nndemokrntische Gelüste erzeugen. Es bliebe also nur eine lose Schutz¬
herrschaft mit Militürstationen und Handelsverträgen übrig; aber ob ein solches
Verhältnis bei dem unzweifelhaften Selbstgefühl dieser Bevölkerungen und dem
steifen Hochmut der Jankees irgend welche Dauer haben würde, bleibt doch
äußerst unsicher.

Kurz, diese ganze unter der Maske von Befreiungskriegen unternommne
Eroberungspolitik anf so fremdartigem Grund und Boden, der niemals angel¬
sächsisch werden kann, widerspricht dem Wesen der Univnsverfasfung. Aber noch
mehr: ihre ganze Verwaltung, die aus der Verfassung hervorgegangen ist, wird
schwerlich imstande sein, diese neuen Aufgaben zu lösen. Eine starke Kriegs¬
flotte hat sich die Union schaffen können, so gut wie das parlamentarische
England seit Cromwell eine solche besessen hat, weil eine Marine in die inner¬
politischen Kämpfe eines Staats kaum eingreifen kann. Ein starkes Landheer
hat England niemals gehabt, und was es jetzt davon hat, das ist staats¬
rechtlich eine Einrichtung auf Zeit, ein Notbehelf, dem ein Parlamentsbeschluß
sofort ein Ende machen könnte. Denn die Engländer haben in der Armee
lange eine Gefahr für ihre bürgerliche Freiheit gesehen, weil in der That auf
sie gestützt ein Usurpator, wie es ihr größter Feldherr und Staatsmann Oliver
Cromwell war, dem ganzen parlamentarischen Wesen leicht ein Ende machen
konnte. Das moderne republikanisch-demokmtische Frankreich hat das starke
Heer als eine europäische Notwendigkeit von der Monarchie übernommen, ob¬
wohl es schon zweimal ein revolutionäres Soldatenkaisertum gesehen hat; aber
gerade die letzten Jahre haben gezeigt, wie schwer sich der selbstverständlich
monarchische Geist eines solchen Heeres mit der offiziellen Staatsform verträgt,
und wie nahe fortwährend die Gefahr eines militärischen Staatsstreichs liegt.
Darum hat sich die Union bisher mit einer winzigen, noch dazu über das
ganze ungeheure Land verteilten stehenden Söldnerarmee von 25000 Mann
und auch neuerdings mit einer Vermehrung anf nur 95000 Mann begnügt,
eine verschwindende Zahl im Verhältnis zu einer Volksmenge von 70 bis
80 Millionen; im übrigen behilft mau sich mit gänzlich ungeschulten Milizen und


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[0073] Die Probe auf die nordamerikanische Weltpolitik Herrschaft gestanden haben und in ihrer Masse zum Gebrauch demokratischer Freiheit gegenwärtig ungefähr so reif sein würden wie die Inder. Dazu würde eine solche Verfassung für Kuba wahrscheinlich die Gefahr einer kulturfeind¬ lichen Neger- und Mulnttenherrschaft heraufbeschwören, und die Nordamerikaner selbst würden den „Farbigen" doch niemals die thatsächliche Gleichberechtigung einräumen. Wenn aber die Verwandlung Kubas und der Philippinen in Unionsstaaten an den Verhältnissen dieser Länder scheitern müßte, so wider¬ spricht ihre Verwandlung in abhängige Gebiete mindern Rechts dem demokra¬ tischen Staatsrecht der Union, das einen solchen Zustand nur als vorbereitend bei den Territorien kennt und nur als vorübergehenden Ausnahmezustand bei den uuterworfnen Südstaaten gekannt hat. Auch wenn man darüber hinwegsehen wollte, so würde die dann unvermeidliche Einsetzung von Statthaltern mit diktatorischer Vollmacht sehr undemokratisch sein und könnte bei solchen Herren höchst nndemokrntische Gelüste erzeugen. Es bliebe also nur eine lose Schutz¬ herrschaft mit Militürstationen und Handelsverträgen übrig; aber ob ein solches Verhältnis bei dem unzweifelhaften Selbstgefühl dieser Bevölkerungen und dem steifen Hochmut der Jankees irgend welche Dauer haben würde, bleibt doch äußerst unsicher. Kurz, diese ganze unter der Maske von Befreiungskriegen unternommne Eroberungspolitik anf so fremdartigem Grund und Boden, der niemals angel¬ sächsisch werden kann, widerspricht dem Wesen der Univnsverfasfung. Aber noch mehr: ihre ganze Verwaltung, die aus der Verfassung hervorgegangen ist, wird schwerlich imstande sein, diese neuen Aufgaben zu lösen. Eine starke Kriegs¬ flotte hat sich die Union schaffen können, so gut wie das parlamentarische England seit Cromwell eine solche besessen hat, weil eine Marine in die inner¬ politischen Kämpfe eines Staats kaum eingreifen kann. Ein starkes Landheer hat England niemals gehabt, und was es jetzt davon hat, das ist staats¬ rechtlich eine Einrichtung auf Zeit, ein Notbehelf, dem ein Parlamentsbeschluß sofort ein Ende machen könnte. Denn die Engländer haben in der Armee lange eine Gefahr für ihre bürgerliche Freiheit gesehen, weil in der That auf sie gestützt ein Usurpator, wie es ihr größter Feldherr und Staatsmann Oliver Cromwell war, dem ganzen parlamentarischen Wesen leicht ein Ende machen konnte. Das moderne republikanisch-demokmtische Frankreich hat das starke Heer als eine europäische Notwendigkeit von der Monarchie übernommen, ob¬ wohl es schon zweimal ein revolutionäres Soldatenkaisertum gesehen hat; aber gerade die letzten Jahre haben gezeigt, wie schwer sich der selbstverständlich monarchische Geist eines solchen Heeres mit der offiziellen Staatsform verträgt, und wie nahe fortwährend die Gefahr eines militärischen Staatsstreichs liegt. Darum hat sich die Union bisher mit einer winzigen, noch dazu über das ganze ungeheure Land verteilten stehenden Söldnerarmee von 25000 Mann und auch neuerdings mit einer Vermehrung anf nur 95000 Mann begnügt, eine verschwindende Zahl im Verhältnis zu einer Volksmenge von 70 bis 80 Millionen; im übrigen behilft mau sich mit gänzlich ungeschulten Milizen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/73>, abgerufen am 26.06.2024.