Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Defregger in Berlin

tiroler im Grunde genommen doch eines Stammes sind. Vielleicht auch weil
für die Mehrzahl der deutschen Jtalienfahrer der nächste Schienenweg nach
dem Süden viele Jahre über München und über den Brenner führte und
unterwegs Tirol nach und nach entdeckt wurde. Noch andre Gründe mögen
dann hinzugetreten sein, Tirol in Norddeutschland in die Mode zu bringen,
darunter anch die schnell zu gefährlicher Höhe angewachsene Bergbesteigungs¬
sucht, die sich vornehmlich Tirol zum Schauplatz ihrer Thätigkeit erkoren hat,
und die daraus hervorgegangnen, dank der deutschen Vereinsmeierei üppig ins
Kraut geschossenen Alpenkinds, die auf ihren jährlichen Kostümfesten so ziemlich
alle Figuren der Gemälde Defrcggers lebendig machen.

Wenn auch viele Umstände zusammengewirkt haben, Tirol zu allen Jahres¬
zeiten zu einem Lieblingsaufenthalt der erholungsbedürftigen oder der nach
Verbrauch ihrer überquellenden Kraft suchenden Deutschen zu machen, so darf
Defregger jedenfalls das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, daß er den
Stein ins Rollen gebracht hat, der die Lawine erzeugt hat. Die Tiroler
wissen es und sind ihrem Defregger-Franzi dankbar dafür, und den Deutschen,
die es noch nicht wissen, wird es durch die Schaustellung von Nachbildungen
Defreggerscher Bilder in den Buchläden Tirols kund gethan, wobei sie dann
freilich zu ihrer Verwundrung sehen, daß die Malerei gar so wenig mit der
landläufigen Wirklichkeit übereinstimmt. Wer Defreggersche Bilder in der Natur
sehen will, muß heute schon hoch in die Berge steigen und die einsamsten
Dörfer und Einzelanwesen aufsuchen.

Originalgemälde Desreggers findet man selten in Tirol. Von den wenigen .
öffentlichen Kunstsammlungen des Landes hat nur das Ferdinandsmnseum in
Innsbruck außer einigen Kleinigkeiten ein Hauptwerk des Künstlers, eine humo¬
ristische Episode aus dem Tiroler Aufstand von 1809, die die Begegnung
Speckbachers mit seinem jungen Sohne schildert, der trotz des strengen Ver¬
bots des Vaters heimlich mit seinem Stutzen den Spuren der Landesverteidiger
gefolgt ist. Dieses 1869 gemalte Bild hat den Namen Desreggers zuerst in
München bekannt gemacht. In weitere Kreise drang er aber erst dnrch die
Wiener Weltausstellung von 1873, die trotz ihres finanziellen Mißerfolgs von
großer kulturgeschichtlicher Bedeutung gewesen ist, schon deshalb, weil sie vielen
jungen Künstlern, die sonst schwerlich über den engen Umkreis ihrer Heimat
hinausgekommen wären, wirklich die Welt oder doch den Kunstmarkt der Welt
eröffnet hat. Defregger erregte schon damals das lebhafteste Interesse der
Norddeutschen, deren Herzen noch in dem Hochgefühl des über alles Hoffen
glänzenden Siegs über den Erbfeind nachzitterten, und die in dem Freiheits¬
kämpfe der Tiroler gegen die welschen Friedensbrecher eine geschichtliche Parallele
zu ihren glücklichern Thaten sahen. Noch lebendiger und wärmer wurde dieses
Interesse, als Defregger 1874 das "letzte Aufgebot," die in finsterm Trotz
dem sichern Untergange entgegenziehenden Greise, und 1876 die Heinikehr der
Sieger in ein tirolisches Dorf malte. Jeder Beschauer dieser Bilder empfand,
daß ihr Schöpfer, als er daran malte, unter dem Eindruck der tiefen Erregung


Defregger in Berlin

tiroler im Grunde genommen doch eines Stammes sind. Vielleicht auch weil
für die Mehrzahl der deutschen Jtalienfahrer der nächste Schienenweg nach
dem Süden viele Jahre über München und über den Brenner führte und
unterwegs Tirol nach und nach entdeckt wurde. Noch andre Gründe mögen
dann hinzugetreten sein, Tirol in Norddeutschland in die Mode zu bringen,
darunter anch die schnell zu gefährlicher Höhe angewachsene Bergbesteigungs¬
sucht, die sich vornehmlich Tirol zum Schauplatz ihrer Thätigkeit erkoren hat,
und die daraus hervorgegangnen, dank der deutschen Vereinsmeierei üppig ins
Kraut geschossenen Alpenkinds, die auf ihren jährlichen Kostümfesten so ziemlich
alle Figuren der Gemälde Defrcggers lebendig machen.

Wenn auch viele Umstände zusammengewirkt haben, Tirol zu allen Jahres¬
zeiten zu einem Lieblingsaufenthalt der erholungsbedürftigen oder der nach
Verbrauch ihrer überquellenden Kraft suchenden Deutschen zu machen, so darf
Defregger jedenfalls das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, daß er den
Stein ins Rollen gebracht hat, der die Lawine erzeugt hat. Die Tiroler
wissen es und sind ihrem Defregger-Franzi dankbar dafür, und den Deutschen,
die es noch nicht wissen, wird es durch die Schaustellung von Nachbildungen
Defreggerscher Bilder in den Buchläden Tirols kund gethan, wobei sie dann
freilich zu ihrer Verwundrung sehen, daß die Malerei gar so wenig mit der
landläufigen Wirklichkeit übereinstimmt. Wer Defreggersche Bilder in der Natur
sehen will, muß heute schon hoch in die Berge steigen und die einsamsten
Dörfer und Einzelanwesen aufsuchen.

Originalgemälde Desreggers findet man selten in Tirol. Von den wenigen .
öffentlichen Kunstsammlungen des Landes hat nur das Ferdinandsmnseum in
Innsbruck außer einigen Kleinigkeiten ein Hauptwerk des Künstlers, eine humo¬
ristische Episode aus dem Tiroler Aufstand von 1809, die die Begegnung
Speckbachers mit seinem jungen Sohne schildert, der trotz des strengen Ver¬
bots des Vaters heimlich mit seinem Stutzen den Spuren der Landesverteidiger
gefolgt ist. Dieses 1869 gemalte Bild hat den Namen Desreggers zuerst in
München bekannt gemacht. In weitere Kreise drang er aber erst dnrch die
Wiener Weltausstellung von 1873, die trotz ihres finanziellen Mißerfolgs von
großer kulturgeschichtlicher Bedeutung gewesen ist, schon deshalb, weil sie vielen
jungen Künstlern, die sonst schwerlich über den engen Umkreis ihrer Heimat
hinausgekommen wären, wirklich die Welt oder doch den Kunstmarkt der Welt
eröffnet hat. Defregger erregte schon damals das lebhafteste Interesse der
Norddeutschen, deren Herzen noch in dem Hochgefühl des über alles Hoffen
glänzenden Siegs über den Erbfeind nachzitterten, und die in dem Freiheits¬
kämpfe der Tiroler gegen die welschen Friedensbrecher eine geschichtliche Parallele
zu ihren glücklichern Thaten sahen. Noch lebendiger und wärmer wurde dieses
Interesse, als Defregger 1874 das „letzte Aufgebot," die in finsterm Trotz
dem sichern Untergange entgegenziehenden Greise, und 1876 die Heinikehr der
Sieger in ein tirolisches Dorf malte. Jeder Beschauer dieser Bilder empfand,
daß ihr Schöpfer, als er daran malte, unter dem Eindruck der tiefen Erregung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/291587"/>
          <fw type="header" place="top"> Defregger in Berlin</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1758" prev="#ID_1757"> tiroler im Grunde genommen doch eines Stammes sind. Vielleicht auch weil<lb/>
für die Mehrzahl der deutschen Jtalienfahrer der nächste Schienenweg nach<lb/>
dem Süden viele Jahre über München und über den Brenner führte und<lb/>
unterwegs Tirol nach und nach entdeckt wurde. Noch andre Gründe mögen<lb/>
dann hinzugetreten sein, Tirol in Norddeutschland in die Mode zu bringen,<lb/>
darunter anch die schnell zu gefährlicher Höhe angewachsene Bergbesteigungs¬<lb/>
sucht, die sich vornehmlich Tirol zum Schauplatz ihrer Thätigkeit erkoren hat,<lb/>
und die daraus hervorgegangnen, dank der deutschen Vereinsmeierei üppig ins<lb/>
Kraut geschossenen Alpenkinds, die auf ihren jährlichen Kostümfesten so ziemlich<lb/>
alle Figuren der Gemälde Defrcggers lebendig machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1759"> Wenn auch viele Umstände zusammengewirkt haben, Tirol zu allen Jahres¬<lb/>
zeiten zu einem Lieblingsaufenthalt der erholungsbedürftigen oder der nach<lb/>
Verbrauch ihrer überquellenden Kraft suchenden Deutschen zu machen, so darf<lb/>
Defregger jedenfalls das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, daß er den<lb/>
Stein ins Rollen gebracht hat, der die Lawine erzeugt hat. Die Tiroler<lb/>
wissen es und sind ihrem Defregger-Franzi dankbar dafür, und den Deutschen,<lb/>
die es noch nicht wissen, wird es durch die Schaustellung von Nachbildungen<lb/>
Defreggerscher Bilder in den Buchläden Tirols kund gethan, wobei sie dann<lb/>
freilich zu ihrer Verwundrung sehen, daß die Malerei gar so wenig mit der<lb/>
landläufigen Wirklichkeit übereinstimmt. Wer Defreggersche Bilder in der Natur<lb/>
sehen will, muß heute schon hoch in die Berge steigen und die einsamsten<lb/>
Dörfer und Einzelanwesen aufsuchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1760" next="#ID_1761"> Originalgemälde Desreggers findet man selten in Tirol. Von den wenigen .<lb/>
öffentlichen Kunstsammlungen des Landes hat nur das Ferdinandsmnseum in<lb/>
Innsbruck außer einigen Kleinigkeiten ein Hauptwerk des Künstlers, eine humo¬<lb/>
ristische Episode aus dem Tiroler Aufstand von 1809, die die Begegnung<lb/>
Speckbachers mit seinem jungen Sohne schildert, der trotz des strengen Ver¬<lb/>
bots des Vaters heimlich mit seinem Stutzen den Spuren der Landesverteidiger<lb/>
gefolgt ist. Dieses 1869 gemalte Bild hat den Namen Desreggers zuerst in<lb/>
München bekannt gemacht. In weitere Kreise drang er aber erst dnrch die<lb/>
Wiener Weltausstellung von 1873, die trotz ihres finanziellen Mißerfolgs von<lb/>
großer kulturgeschichtlicher Bedeutung gewesen ist, schon deshalb, weil sie vielen<lb/>
jungen Künstlern, die sonst schwerlich über den engen Umkreis ihrer Heimat<lb/>
hinausgekommen wären, wirklich die Welt oder doch den Kunstmarkt der Welt<lb/>
eröffnet hat. Defregger erregte schon damals das lebhafteste Interesse der<lb/>
Norddeutschen, deren Herzen noch in dem Hochgefühl des über alles Hoffen<lb/>
glänzenden Siegs über den Erbfeind nachzitterten, und die in dem Freiheits¬<lb/>
kämpfe der Tiroler gegen die welschen Friedensbrecher eine geschichtliche Parallele<lb/>
zu ihren glücklichern Thaten sahen. Noch lebendiger und wärmer wurde dieses<lb/>
Interesse, als Defregger 1874 das &#x201E;letzte Aufgebot," die in finsterm Trotz<lb/>
dem sichern Untergange entgegenziehenden Greise, und 1876 die Heinikehr der<lb/>
Sieger in ein tirolisches Dorf malte. Jeder Beschauer dieser Bilder empfand,<lb/>
daß ihr Schöpfer, als er daran malte, unter dem Eindruck der tiefen Erregung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0510] Defregger in Berlin tiroler im Grunde genommen doch eines Stammes sind. Vielleicht auch weil für die Mehrzahl der deutschen Jtalienfahrer der nächste Schienenweg nach dem Süden viele Jahre über München und über den Brenner führte und unterwegs Tirol nach und nach entdeckt wurde. Noch andre Gründe mögen dann hinzugetreten sein, Tirol in Norddeutschland in die Mode zu bringen, darunter anch die schnell zu gefährlicher Höhe angewachsene Bergbesteigungs¬ sucht, die sich vornehmlich Tirol zum Schauplatz ihrer Thätigkeit erkoren hat, und die daraus hervorgegangnen, dank der deutschen Vereinsmeierei üppig ins Kraut geschossenen Alpenkinds, die auf ihren jährlichen Kostümfesten so ziemlich alle Figuren der Gemälde Defrcggers lebendig machen. Wenn auch viele Umstände zusammengewirkt haben, Tirol zu allen Jahres¬ zeiten zu einem Lieblingsaufenthalt der erholungsbedürftigen oder der nach Verbrauch ihrer überquellenden Kraft suchenden Deutschen zu machen, so darf Defregger jedenfalls das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, daß er den Stein ins Rollen gebracht hat, der die Lawine erzeugt hat. Die Tiroler wissen es und sind ihrem Defregger-Franzi dankbar dafür, und den Deutschen, die es noch nicht wissen, wird es durch die Schaustellung von Nachbildungen Defreggerscher Bilder in den Buchläden Tirols kund gethan, wobei sie dann freilich zu ihrer Verwundrung sehen, daß die Malerei gar so wenig mit der landläufigen Wirklichkeit übereinstimmt. Wer Defreggersche Bilder in der Natur sehen will, muß heute schon hoch in die Berge steigen und die einsamsten Dörfer und Einzelanwesen aufsuchen. Originalgemälde Desreggers findet man selten in Tirol. Von den wenigen . öffentlichen Kunstsammlungen des Landes hat nur das Ferdinandsmnseum in Innsbruck außer einigen Kleinigkeiten ein Hauptwerk des Künstlers, eine humo¬ ristische Episode aus dem Tiroler Aufstand von 1809, die die Begegnung Speckbachers mit seinem jungen Sohne schildert, der trotz des strengen Ver¬ bots des Vaters heimlich mit seinem Stutzen den Spuren der Landesverteidiger gefolgt ist. Dieses 1869 gemalte Bild hat den Namen Desreggers zuerst in München bekannt gemacht. In weitere Kreise drang er aber erst dnrch die Wiener Weltausstellung von 1873, die trotz ihres finanziellen Mißerfolgs von großer kulturgeschichtlicher Bedeutung gewesen ist, schon deshalb, weil sie vielen jungen Künstlern, die sonst schwerlich über den engen Umkreis ihrer Heimat hinausgekommen wären, wirklich die Welt oder doch den Kunstmarkt der Welt eröffnet hat. Defregger erregte schon damals das lebhafteste Interesse der Norddeutschen, deren Herzen noch in dem Hochgefühl des über alles Hoffen glänzenden Siegs über den Erbfeind nachzitterten, und die in dem Freiheits¬ kämpfe der Tiroler gegen die welschen Friedensbrecher eine geschichtliche Parallele zu ihren glücklichern Thaten sahen. Noch lebendiger und wärmer wurde dieses Interesse, als Defregger 1874 das „letzte Aufgebot," die in finsterm Trotz dem sichern Untergange entgegenziehenden Greise, und 1876 die Heinikehr der Sieger in ein tirolisches Dorf malte. Jeder Beschauer dieser Bilder empfand, daß ihr Schöpfer, als er daran malte, unter dem Eindruck der tiefen Erregung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/510
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/510>, abgerufen am 29.06.2024.