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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Reform des österreichisch.ungarischen Dualismus

auf die eine oder die andre nationale Eitelkeit und auf Großmannssucht in sich
schließen. Es könnte dabei die freie Entwicklung aller einzelnen Bestandteile
der Monarchie vollkommen gewahrt bleiben, die Anerkennung ihrer Indivi¬
dualität in genügender Weise erfolgen. Das Maß ihrer politischen Geltung
auf dem Gebiete der Gemeinsamkeit und die Zahl ihrer Vertreter hätte sich
nach ihrem geistigen und physischen Gewicht, nach ihrer Bevölkerungszahl und
Steuerleistung zu bestimmen. Entsprechend dem jetzigen Verhältnis der Dele¬
giertenzahl der einzelnen österreichischen Kronländer wäre diesem Prinzip auch
von Ungarn bei der Wahl der Mitglieder einer gemeinsamen Vertretung
Rechnung zu tragen. Jede entbehrliche Uniformität könnte soweit vermieden
werden, als das Erfordernis des Ganzen, der Gesamtheit, in Frage kommt.
An sich vielleicht ganz berechtigte Interessen des einen oder des andern
Staats müßten sich dem gemeinsamen Interesse der Monarchie unterordnen,
soweit sie sich nicht doch etwa in Einklang sollten setzen lassen. Es bliebe da
immer noch genug Spielraum für jede Reichshälfte übrig, ihre wirklich wichtigen
besondern Interessen geltend zu machen.

Die Unmöglichkeit, den Kaiser von Österreich in Gegensatz zum König
von Ungarn zu bringen, muß mit stärkern Garantien umgeben werden, als sie
heute bestehn. Das kann nur dadurch erreicht werden, daß er in Angelegen¬
heiten von gemeinsamem Interesse nicht die oft voneinander abweichenden Be¬
schlüsse zweier Parlamente oder ihrer Ausschüsse zur Sanktion erhält, sondern
nnr die durch die wechselnde Gruppierung verschiedener Parteien zustande
kommenden Majoritätsbeschlüsse eines gemeinsamen Vertretnngskörpers. Auf¬
hören muß der sich von zehn zu zehn Jahren erneuernde, an alle Leidenschaften
der Völker appellierende Streit um die Höhe der Quote, indem für die gemein¬
samen Ausgaben eine nach denselben Prinzipien und denselben Einhebuugs-
modalitäten auszuwerfende Spezialsteuer gemeinsam votiere wird.

Das macht allerdings wesentliche Änderungen nötig, wenn auch nicht an
dem Sinn und dein Geiste, so doch an dem Buchstaben, an formalistischen Be¬
stimmungen des Deakschen Ausgleichswerks.

Die äußerlich am meisten in die Augen fallende und vom magyarischen
formalistischen Konstitutionalismus am schwersten zu erlangende Änderung an
dem Grundgesetz des Dualismus würde den Wirkungs- und Rechtskreis, die
Wirkungsweise der Delegationen betreffen. Diese dürften nicht länger Ausflüsse
künstlicher, oft zufälliger Majoritäten sein, sondern müßten in ihrer Zusammen¬
setzung die mannigfachen nationalen und wirtschaftlichen Strömungen in den
Bevölkerungen uicht bloß Österreichs, sondern auch Ungarns unmittelbar zum
Ausdruck bringen. Nicht als zwei sich mißtrauisch und oft gegnerisch von¬
einander abschließende Körperschaften, sondern als Vertreter gemeinsamer,
wenn anch sich in verschiedner Auffassung darstellender Interessen Hütten sie
gemeinsam zu beraten. In welcher Weise dabei doch die staatsrechtlichen Ver¬
schiedenheiten geltend gemacht werden könnten, ist eine wichtige Frage, die
nicht leicht gelöst werden kann, aber doch nur eine Detailfrage, ans die vor


Reform des österreichisch.ungarischen Dualismus

auf die eine oder die andre nationale Eitelkeit und auf Großmannssucht in sich
schließen. Es könnte dabei die freie Entwicklung aller einzelnen Bestandteile
der Monarchie vollkommen gewahrt bleiben, die Anerkennung ihrer Indivi¬
dualität in genügender Weise erfolgen. Das Maß ihrer politischen Geltung
auf dem Gebiete der Gemeinsamkeit und die Zahl ihrer Vertreter hätte sich
nach ihrem geistigen und physischen Gewicht, nach ihrer Bevölkerungszahl und
Steuerleistung zu bestimmen. Entsprechend dem jetzigen Verhältnis der Dele¬
giertenzahl der einzelnen österreichischen Kronländer wäre diesem Prinzip auch
von Ungarn bei der Wahl der Mitglieder einer gemeinsamen Vertretung
Rechnung zu tragen. Jede entbehrliche Uniformität könnte soweit vermieden
werden, als das Erfordernis des Ganzen, der Gesamtheit, in Frage kommt.
An sich vielleicht ganz berechtigte Interessen des einen oder des andern
Staats müßten sich dem gemeinsamen Interesse der Monarchie unterordnen,
soweit sie sich nicht doch etwa in Einklang sollten setzen lassen. Es bliebe da
immer noch genug Spielraum für jede Reichshälfte übrig, ihre wirklich wichtigen
besondern Interessen geltend zu machen.

Die Unmöglichkeit, den Kaiser von Österreich in Gegensatz zum König
von Ungarn zu bringen, muß mit stärkern Garantien umgeben werden, als sie
heute bestehn. Das kann nur dadurch erreicht werden, daß er in Angelegen¬
heiten von gemeinsamem Interesse nicht die oft voneinander abweichenden Be¬
schlüsse zweier Parlamente oder ihrer Ausschüsse zur Sanktion erhält, sondern
nnr die durch die wechselnde Gruppierung verschiedener Parteien zustande
kommenden Majoritätsbeschlüsse eines gemeinsamen Vertretnngskörpers. Auf¬
hören muß der sich von zehn zu zehn Jahren erneuernde, an alle Leidenschaften
der Völker appellierende Streit um die Höhe der Quote, indem für die gemein¬
samen Ausgaben eine nach denselben Prinzipien und denselben Einhebuugs-
modalitäten auszuwerfende Spezialsteuer gemeinsam votiere wird.

Das macht allerdings wesentliche Änderungen nötig, wenn auch nicht an
dem Sinn und dein Geiste, so doch an dem Buchstaben, an formalistischen Be¬
stimmungen des Deakschen Ausgleichswerks.

Die äußerlich am meisten in die Augen fallende und vom magyarischen
formalistischen Konstitutionalismus am schwersten zu erlangende Änderung an
dem Grundgesetz des Dualismus würde den Wirkungs- und Rechtskreis, die
Wirkungsweise der Delegationen betreffen. Diese dürften nicht länger Ausflüsse
künstlicher, oft zufälliger Majoritäten sein, sondern müßten in ihrer Zusammen¬
setzung die mannigfachen nationalen und wirtschaftlichen Strömungen in den
Bevölkerungen uicht bloß Österreichs, sondern auch Ungarns unmittelbar zum
Ausdruck bringen. Nicht als zwei sich mißtrauisch und oft gegnerisch von¬
einander abschließende Körperschaften, sondern als Vertreter gemeinsamer,
wenn anch sich in verschiedner Auffassung darstellender Interessen Hütten sie
gemeinsam zu beraten. In welcher Weise dabei doch die staatsrechtlichen Ver¬
schiedenheiten geltend gemacht werden könnten, ist eine wichtige Frage, die
nicht leicht gelöst werden kann, aber doch nur eine Detailfrage, ans die vor


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[0444] Reform des österreichisch.ungarischen Dualismus auf die eine oder die andre nationale Eitelkeit und auf Großmannssucht in sich schließen. Es könnte dabei die freie Entwicklung aller einzelnen Bestandteile der Monarchie vollkommen gewahrt bleiben, die Anerkennung ihrer Indivi¬ dualität in genügender Weise erfolgen. Das Maß ihrer politischen Geltung auf dem Gebiete der Gemeinsamkeit und die Zahl ihrer Vertreter hätte sich nach ihrem geistigen und physischen Gewicht, nach ihrer Bevölkerungszahl und Steuerleistung zu bestimmen. Entsprechend dem jetzigen Verhältnis der Dele¬ giertenzahl der einzelnen österreichischen Kronländer wäre diesem Prinzip auch von Ungarn bei der Wahl der Mitglieder einer gemeinsamen Vertretung Rechnung zu tragen. Jede entbehrliche Uniformität könnte soweit vermieden werden, als das Erfordernis des Ganzen, der Gesamtheit, in Frage kommt. An sich vielleicht ganz berechtigte Interessen des einen oder des andern Staats müßten sich dem gemeinsamen Interesse der Monarchie unterordnen, soweit sie sich nicht doch etwa in Einklang sollten setzen lassen. Es bliebe da immer noch genug Spielraum für jede Reichshälfte übrig, ihre wirklich wichtigen besondern Interessen geltend zu machen. Die Unmöglichkeit, den Kaiser von Österreich in Gegensatz zum König von Ungarn zu bringen, muß mit stärkern Garantien umgeben werden, als sie heute bestehn. Das kann nur dadurch erreicht werden, daß er in Angelegen¬ heiten von gemeinsamem Interesse nicht die oft voneinander abweichenden Be¬ schlüsse zweier Parlamente oder ihrer Ausschüsse zur Sanktion erhält, sondern nnr die durch die wechselnde Gruppierung verschiedener Parteien zustande kommenden Majoritätsbeschlüsse eines gemeinsamen Vertretnngskörpers. Auf¬ hören muß der sich von zehn zu zehn Jahren erneuernde, an alle Leidenschaften der Völker appellierende Streit um die Höhe der Quote, indem für die gemein¬ samen Ausgaben eine nach denselben Prinzipien und denselben Einhebuugs- modalitäten auszuwerfende Spezialsteuer gemeinsam votiere wird. Das macht allerdings wesentliche Änderungen nötig, wenn auch nicht an dem Sinn und dein Geiste, so doch an dem Buchstaben, an formalistischen Be¬ stimmungen des Deakschen Ausgleichswerks. Die äußerlich am meisten in die Augen fallende und vom magyarischen formalistischen Konstitutionalismus am schwersten zu erlangende Änderung an dem Grundgesetz des Dualismus würde den Wirkungs- und Rechtskreis, die Wirkungsweise der Delegationen betreffen. Diese dürften nicht länger Ausflüsse künstlicher, oft zufälliger Majoritäten sein, sondern müßten in ihrer Zusammen¬ setzung die mannigfachen nationalen und wirtschaftlichen Strömungen in den Bevölkerungen uicht bloß Österreichs, sondern auch Ungarns unmittelbar zum Ausdruck bringen. Nicht als zwei sich mißtrauisch und oft gegnerisch von¬ einander abschließende Körperschaften, sondern als Vertreter gemeinsamer, wenn anch sich in verschiedner Auffassung darstellender Interessen Hütten sie gemeinsam zu beraten. In welcher Weise dabei doch die staatsrechtlichen Ver¬ schiedenheiten geltend gemacht werden könnten, ist eine wichtige Frage, die nicht leicht gelöst werden kann, aber doch nur eine Detailfrage, ans die vor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/444>, abgerufen am 29.06.2024.