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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

davon, wie auch Geheimrat Grotefend bemerkt, für eine spätere Epoche Interesse
erhalten können, und zweitens, weil ihre Zusammenlegung und Rubrizierung von
unerfahrner Hemd erfolgt sein kaun, und der Inhalt eines Bündels sich mit dessen
Aufschrift nicht völlig deckt, es also nicht ausgeschlossen ist, daß bei einer Aus-
scheidung bloß nach der Aufschrift neben Wertlosen! auch wertvolles Material in
die Papiermühle wandert. Diese Gefahr liegt besonders nahe bei den untern Ver¬
waltungsbehörden, bei denen die Negistraturgeschäfte nicht selteu von jüngern Aktuar-
gehilfeu neben ihrem sonstigen Dienst so nebenher wahrgenommen werden. Wenn,
um ein Beispiel anzuführen, ein solcher junger Beamter nicht auf deu Gedanken
kommt, daß eine Akte mit der Aufschrift "Schlosseramt" Material enthalten kann,
das an das alte Zunftwesen anknüpft, also kulturhistorisch vou Interesse und für
den Geschichtschreiber von Wert ist, so wird man ihm daraus kaum einen Vorwurf
machen können. Aber man wird "Vorkehrungen treffen müssen, solcher Gefahr zu
begegnen, und da würde es meines Erachtens richtiger sein, die Lösung der auf¬
geworfnen Frage in umgekehrter Richtung zu versuchen, also eine Einigung darüber
herbeizuführen, welche Aktengruppen unbedingt nicht zu kassieren seien, und die
Kassation von Materialien, die von dieser Kategorie auszuschließen sind, im kon¬
kreten Fall den einzelnen Archiven und Registraturen zu überlassen, damit nicht
durch ein Planmäßiges Vernichten das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.

Über die Materien, die von der Kassation ein- für allemal ausgeschlossen
bleiben müssen, kann unter Fachmännern kaum ein Zweifel obwalten: daß dahin
alles gehört, was deu Charakter einer Urkunde trägt, ferner alles, was ein ge¬
schichtliches, ein kulturhistorisches, ein stciats- und völkerrechtliches, ein volkswirt¬
schaftliches oder sonst ein allgemeines Interesse in Anspruch nehmen kann, ist ja
selbstverständlich. Nur der Begriff dieser Materien im einzelnen würde als Norm
für weniger erfahrne Beamte festgestellt werden müssen, und es würde eine dank¬
bare Aufgabe der eingesetzten Kommission sein, mit möglichster Genauigkeit alle die
Sachen ihrer Natur nach zu verzeichnen, die unter die genannten Rubriken sub-
sumiert werden müssen. Ich glaube kaum, daß nach einer solchen Feststellung viel
für die Kassation übrig bleiben, und daß Geheimrat Grotefend Recht behalten wird,
wenn er verlangt, daß nur gedrucktes Aktenmaterial kassiert werden soll. Bleibt
aber dennoch einzelnes erhalten, was für eine dauernde Konservierung überflüssig
erscheint, so möge man den Grundsatz: Snxsiüug. von noesut, den Dr. Leist (a. a. O-)
bei einem Zweifel über die Aufbewahrungswürdigkeit von Privaturkunden in den
Staatsarchiven vorangestellt sehen will, allgemeiner anwenden.


Georg Holtzinger




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Mnrquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

davon, wie auch Geheimrat Grotefend bemerkt, für eine spätere Epoche Interesse
erhalten können, und zweitens, weil ihre Zusammenlegung und Rubrizierung von
unerfahrner Hemd erfolgt sein kaun, und der Inhalt eines Bündels sich mit dessen
Aufschrift nicht völlig deckt, es also nicht ausgeschlossen ist, daß bei einer Aus-
scheidung bloß nach der Aufschrift neben Wertlosen! auch wertvolles Material in
die Papiermühle wandert. Diese Gefahr liegt besonders nahe bei den untern Ver¬
waltungsbehörden, bei denen die Negistraturgeschäfte nicht selteu von jüngern Aktuar-
gehilfeu neben ihrem sonstigen Dienst so nebenher wahrgenommen werden. Wenn,
um ein Beispiel anzuführen, ein solcher junger Beamter nicht auf deu Gedanken
kommt, daß eine Akte mit der Aufschrift „Schlosseramt" Material enthalten kann,
das an das alte Zunftwesen anknüpft, also kulturhistorisch vou Interesse und für
den Geschichtschreiber von Wert ist, so wird man ihm daraus kaum einen Vorwurf
machen können. Aber man wird "Vorkehrungen treffen müssen, solcher Gefahr zu
begegnen, und da würde es meines Erachtens richtiger sein, die Lösung der auf¬
geworfnen Frage in umgekehrter Richtung zu versuchen, also eine Einigung darüber
herbeizuführen, welche Aktengruppen unbedingt nicht zu kassieren seien, und die
Kassation von Materialien, die von dieser Kategorie auszuschließen sind, im kon¬
kreten Fall den einzelnen Archiven und Registraturen zu überlassen, damit nicht
durch ein Planmäßiges Vernichten das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.

Über die Materien, die von der Kassation ein- für allemal ausgeschlossen
bleiben müssen, kann unter Fachmännern kaum ein Zweifel obwalten: daß dahin
alles gehört, was deu Charakter einer Urkunde trägt, ferner alles, was ein ge¬
schichtliches, ein kulturhistorisches, ein stciats- und völkerrechtliches, ein volkswirt¬
schaftliches oder sonst ein allgemeines Interesse in Anspruch nehmen kann, ist ja
selbstverständlich. Nur der Begriff dieser Materien im einzelnen würde als Norm
für weniger erfahrne Beamte festgestellt werden müssen, und es würde eine dank¬
bare Aufgabe der eingesetzten Kommission sein, mit möglichster Genauigkeit alle die
Sachen ihrer Natur nach zu verzeichnen, die unter die genannten Rubriken sub-
sumiert werden müssen. Ich glaube kaum, daß nach einer solchen Feststellung viel
für die Kassation übrig bleiben, und daß Geheimrat Grotefend Recht behalten wird,
wenn er verlangt, daß nur gedrucktes Aktenmaterial kassiert werden soll. Bleibt
aber dennoch einzelnes erhalten, was für eine dauernde Konservierung überflüssig
erscheint, so möge man den Grundsatz: Snxsiüug. von noesut, den Dr. Leist (a. a. O-)
bei einem Zweifel über die Aufbewahrungswürdigkeit von Privaturkunden in den
Staatsarchiven vorangestellt sehen will, allgemeiner anwenden.


Georg Holtzinger




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Mnrquart in Leipzig
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[0326] Maßgebliches und Unmaßgebliches davon, wie auch Geheimrat Grotefend bemerkt, für eine spätere Epoche Interesse erhalten können, und zweitens, weil ihre Zusammenlegung und Rubrizierung von unerfahrner Hemd erfolgt sein kaun, und der Inhalt eines Bündels sich mit dessen Aufschrift nicht völlig deckt, es also nicht ausgeschlossen ist, daß bei einer Aus- scheidung bloß nach der Aufschrift neben Wertlosen! auch wertvolles Material in die Papiermühle wandert. Diese Gefahr liegt besonders nahe bei den untern Ver¬ waltungsbehörden, bei denen die Negistraturgeschäfte nicht selteu von jüngern Aktuar- gehilfeu neben ihrem sonstigen Dienst so nebenher wahrgenommen werden. Wenn, um ein Beispiel anzuführen, ein solcher junger Beamter nicht auf deu Gedanken kommt, daß eine Akte mit der Aufschrift „Schlosseramt" Material enthalten kann, das an das alte Zunftwesen anknüpft, also kulturhistorisch vou Interesse und für den Geschichtschreiber von Wert ist, so wird man ihm daraus kaum einen Vorwurf machen können. Aber man wird "Vorkehrungen treffen müssen, solcher Gefahr zu begegnen, und da würde es meines Erachtens richtiger sein, die Lösung der auf¬ geworfnen Frage in umgekehrter Richtung zu versuchen, also eine Einigung darüber herbeizuführen, welche Aktengruppen unbedingt nicht zu kassieren seien, und die Kassation von Materialien, die von dieser Kategorie auszuschließen sind, im kon¬ kreten Fall den einzelnen Archiven und Registraturen zu überlassen, damit nicht durch ein Planmäßiges Vernichten das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Über die Materien, die von der Kassation ein- für allemal ausgeschlossen bleiben müssen, kann unter Fachmännern kaum ein Zweifel obwalten: daß dahin alles gehört, was deu Charakter einer Urkunde trägt, ferner alles, was ein ge¬ schichtliches, ein kulturhistorisches, ein stciats- und völkerrechtliches, ein volkswirt¬ schaftliches oder sonst ein allgemeines Interesse in Anspruch nehmen kann, ist ja selbstverständlich. Nur der Begriff dieser Materien im einzelnen würde als Norm für weniger erfahrne Beamte festgestellt werden müssen, und es würde eine dank¬ bare Aufgabe der eingesetzten Kommission sein, mit möglichster Genauigkeit alle die Sachen ihrer Natur nach zu verzeichnen, die unter die genannten Rubriken sub- sumiert werden müssen. Ich glaube kaum, daß nach einer solchen Feststellung viel für die Kassation übrig bleiben, und daß Geheimrat Grotefend Recht behalten wird, wenn er verlangt, daß nur gedrucktes Aktenmaterial kassiert werden soll. Bleibt aber dennoch einzelnes erhalten, was für eine dauernde Konservierung überflüssig erscheint, so möge man den Grundsatz: Snxsiüug. von noesut, den Dr. Leist (a. a. O-) bei einem Zweifel über die Aufbewahrungswürdigkeit von Privaturkunden in den Staatsarchiven vorangestellt sehen will, allgemeiner anwenden. Georg Holtzinger Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Mnrquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/326>, abgerufen am 26.06.2024.