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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Lthik und Politik

dein Deutschtum in der Welt Runen zu schaffen, in den geistigen und sittlichen
Werten unsers Volks, in der Thatsache, "daß wir Deutschen die erstberufnen
Träger des Evangeliums in der gegenwärtigen Kulturwelt" seien.

Auch diese "Kreuzzugsidee," die uns als den Auserwählten Recht und
Pflicht bewußt, mit Blut und Eisen, Wenns nicht anders geht, das "Reich
Gottes" uns der ganzen Erde aufzurichten, ist angelsächsischer Import. Lepsius
selbst weist ans ihre "englische Form" hin, die die größten Triumphe in der
über alle Weltteile ausgedehnten englisch-amerikanischen Weltmacht gefeiert
habe, wobei ihm freilich uoch eingehende Ermittlungen darüber nötig erscheinen,
wie viel der Gedanke, dem Christentum die Welt zu erobern, bei der Erschaffung
des britischen Kolonialreichs mitgewirkt habe. Vor der Chamberlainschen Praxis
zieht auch er den Hut, indem er meint, eine besonnene politische Erwägung
könne England das "moralische Recht" nicht bestreiten, "seine Vorherrschaft
über Südafrika gegenüber der holländischen Nasse und die Durchführung seiner
großartig angelegten Afrikapvlitik sicher zu stellen." Er schloß diese Anerkennung
des Chnmberlaiuismus mit dem im Munde eines deutscheu Pfarrers uicht
gerade anmutigen, zum imperialistischen Schlagwort aber vorzüglich berufnen
Satze: "Die Politik der Vorsehung ist nicht sentimental."

Der Satz hat wahrscheinlich Herrn Nciumann sehr gefallen, aber die
Kreuzzugsidee des Dr. Lepsius fertigte er mit gewohnter "Schneid" ab. Das
war uicht schwer und ganz berechtigt, aber wie es geschah, kennzeichnete den
Naumannscheu Standpunkt denu doch als einen so ausgesprochen materin-
listischen, so grobrealistrschen, daß auf ihm von christlicher Ethik, deutscher
Gemüts- und Verstandstiefe oder gar Wissenschaftlichkeit schlechterdings nicht
mehr die Rede sein kann. "Wie kommen nun, fragte er, die Mächte, die auf
dem Wege der Auslese (Zuchtwahl) entstanden sind, dazu, bis zu dem all¬
gemeinen Endpunkt zu gelangen, in den die Auslese mündet? Es scheint doch
Wohl dadurch, daß jede einzelne davon die größte Lebensfähigkeit zu bethätigen
sucht, und das bedeutet die Politik, worin der Einzelne zunächst sehen muß,
daß er eine Macht ist. Was ans der Weltgeschichte am Ende wird, scheint
mir Gottes Sache zu sein. Aber was aus der Weltgeschichte unsers Volks
wird, scheint mir Sache unsers Volks zu sein. Und wir sind nicht imstande,
eine Philosophie zu machen, die alle Welt so überschaut, daß wir unsre Politik
danach einrichten können, sondern wir können nur fragen: Wie erhalten wir
die Lebenskraft, die uns jetzt gegeben ist? Und über diese praktische Gegen¬
wärtigkeit hinaus können wir reell politisch kaum etwas leisten."

Giebt es wohl ein traurigeres Beispiel der auch für gebildete Leute leider
immer noch so bestechenden Sophistereien a 1a moclo, mit denen in dem als
Axiom hingestellten Darwinischen "Kampf ums Dasein" auch zwischen den
menschlichen Klasse", Rassen und Völkern jede Sittlichkeit und alles Ideale
wegdisputiert werden kann und, wie bekannt, auch wcgdisputiert wird, sodaß
nur noch der nackte tierische Egoismus als "ausa movens übrig bleibt? Man
kann sich doch nicht verheimlichen, daß, was zwischen Nationen, Rassen und


Lthik und Politik

dein Deutschtum in der Welt Runen zu schaffen, in den geistigen und sittlichen
Werten unsers Volks, in der Thatsache, „daß wir Deutschen die erstberufnen
Träger des Evangeliums in der gegenwärtigen Kulturwelt" seien.

Auch diese „Kreuzzugsidee," die uns als den Auserwählten Recht und
Pflicht bewußt, mit Blut und Eisen, Wenns nicht anders geht, das „Reich
Gottes" uns der ganzen Erde aufzurichten, ist angelsächsischer Import. Lepsius
selbst weist ans ihre „englische Form" hin, die die größten Triumphe in der
über alle Weltteile ausgedehnten englisch-amerikanischen Weltmacht gefeiert
habe, wobei ihm freilich uoch eingehende Ermittlungen darüber nötig erscheinen,
wie viel der Gedanke, dem Christentum die Welt zu erobern, bei der Erschaffung
des britischen Kolonialreichs mitgewirkt habe. Vor der Chamberlainschen Praxis
zieht auch er den Hut, indem er meint, eine besonnene politische Erwägung
könne England das „moralische Recht" nicht bestreiten, „seine Vorherrschaft
über Südafrika gegenüber der holländischen Nasse und die Durchführung seiner
großartig angelegten Afrikapvlitik sicher zu stellen." Er schloß diese Anerkennung
des Chnmberlaiuismus mit dem im Munde eines deutscheu Pfarrers uicht
gerade anmutigen, zum imperialistischen Schlagwort aber vorzüglich berufnen
Satze: „Die Politik der Vorsehung ist nicht sentimental."

Der Satz hat wahrscheinlich Herrn Nciumann sehr gefallen, aber die
Kreuzzugsidee des Dr. Lepsius fertigte er mit gewohnter „Schneid" ab. Das
war uicht schwer und ganz berechtigt, aber wie es geschah, kennzeichnete den
Naumannscheu Standpunkt denu doch als einen so ausgesprochen materin-
listischen, so grobrealistrschen, daß auf ihm von christlicher Ethik, deutscher
Gemüts- und Verstandstiefe oder gar Wissenschaftlichkeit schlechterdings nicht
mehr die Rede sein kann. „Wie kommen nun, fragte er, die Mächte, die auf
dem Wege der Auslese (Zuchtwahl) entstanden sind, dazu, bis zu dem all¬
gemeinen Endpunkt zu gelangen, in den die Auslese mündet? Es scheint doch
Wohl dadurch, daß jede einzelne davon die größte Lebensfähigkeit zu bethätigen
sucht, und das bedeutet die Politik, worin der Einzelne zunächst sehen muß,
daß er eine Macht ist. Was ans der Weltgeschichte am Ende wird, scheint
mir Gottes Sache zu sein. Aber was aus der Weltgeschichte unsers Volks
wird, scheint mir Sache unsers Volks zu sein. Und wir sind nicht imstande,
eine Philosophie zu machen, die alle Welt so überschaut, daß wir unsre Politik
danach einrichten können, sondern wir können nur fragen: Wie erhalten wir
die Lebenskraft, die uns jetzt gegeben ist? Und über diese praktische Gegen¬
wärtigkeit hinaus können wir reell politisch kaum etwas leisten."

Giebt es wohl ein traurigeres Beispiel der auch für gebildete Leute leider
immer noch so bestechenden Sophistereien a 1a moclo, mit denen in dem als
Axiom hingestellten Darwinischen „Kampf ums Dasein" auch zwischen den
menschlichen Klasse», Rassen und Völkern jede Sittlichkeit und alles Ideale
wegdisputiert werden kann und, wie bekannt, auch wcgdisputiert wird, sodaß
nur noch der nackte tierische Egoismus als «ausa movens übrig bleibt? Man
kann sich doch nicht verheimlichen, daß, was zwischen Nationen, Rassen und


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[0281] Lthik und Politik dein Deutschtum in der Welt Runen zu schaffen, in den geistigen und sittlichen Werten unsers Volks, in der Thatsache, „daß wir Deutschen die erstberufnen Träger des Evangeliums in der gegenwärtigen Kulturwelt" seien. Auch diese „Kreuzzugsidee," die uns als den Auserwählten Recht und Pflicht bewußt, mit Blut und Eisen, Wenns nicht anders geht, das „Reich Gottes" uns der ganzen Erde aufzurichten, ist angelsächsischer Import. Lepsius selbst weist ans ihre „englische Form" hin, die die größten Triumphe in der über alle Weltteile ausgedehnten englisch-amerikanischen Weltmacht gefeiert habe, wobei ihm freilich uoch eingehende Ermittlungen darüber nötig erscheinen, wie viel der Gedanke, dem Christentum die Welt zu erobern, bei der Erschaffung des britischen Kolonialreichs mitgewirkt habe. Vor der Chamberlainschen Praxis zieht auch er den Hut, indem er meint, eine besonnene politische Erwägung könne England das „moralische Recht" nicht bestreiten, „seine Vorherrschaft über Südafrika gegenüber der holländischen Nasse und die Durchführung seiner großartig angelegten Afrikapvlitik sicher zu stellen." Er schloß diese Anerkennung des Chnmberlaiuismus mit dem im Munde eines deutscheu Pfarrers uicht gerade anmutigen, zum imperialistischen Schlagwort aber vorzüglich berufnen Satze: „Die Politik der Vorsehung ist nicht sentimental." Der Satz hat wahrscheinlich Herrn Nciumann sehr gefallen, aber die Kreuzzugsidee des Dr. Lepsius fertigte er mit gewohnter „Schneid" ab. Das war uicht schwer und ganz berechtigt, aber wie es geschah, kennzeichnete den Naumannscheu Standpunkt denu doch als einen so ausgesprochen materin- listischen, so grobrealistrschen, daß auf ihm von christlicher Ethik, deutscher Gemüts- und Verstandstiefe oder gar Wissenschaftlichkeit schlechterdings nicht mehr die Rede sein kann. „Wie kommen nun, fragte er, die Mächte, die auf dem Wege der Auslese (Zuchtwahl) entstanden sind, dazu, bis zu dem all¬ gemeinen Endpunkt zu gelangen, in den die Auslese mündet? Es scheint doch Wohl dadurch, daß jede einzelne davon die größte Lebensfähigkeit zu bethätigen sucht, und das bedeutet die Politik, worin der Einzelne zunächst sehen muß, daß er eine Macht ist. Was ans der Weltgeschichte am Ende wird, scheint mir Gottes Sache zu sein. Aber was aus der Weltgeschichte unsers Volks wird, scheint mir Sache unsers Volks zu sein. Und wir sind nicht imstande, eine Philosophie zu machen, die alle Welt so überschaut, daß wir unsre Politik danach einrichten können, sondern wir können nur fragen: Wie erhalten wir die Lebenskraft, die uns jetzt gegeben ist? Und über diese praktische Gegen¬ wärtigkeit hinaus können wir reell politisch kaum etwas leisten." Giebt es wohl ein traurigeres Beispiel der auch für gebildete Leute leider immer noch so bestechenden Sophistereien a 1a moclo, mit denen in dem als Axiom hingestellten Darwinischen „Kampf ums Dasein" auch zwischen den menschlichen Klasse», Rassen und Völkern jede Sittlichkeit und alles Ideale wegdisputiert werden kann und, wie bekannt, auch wcgdisputiert wird, sodaß nur noch der nackte tierische Egoismus als «ausa movens übrig bleibt? Man kann sich doch nicht verheimlichen, daß, was zwischen Nationen, Rassen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/281>, abgerufen am 26.06.2024.