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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Pans Abschied

nicht fehlen durfte, ist selbstverständlich. Zeitgemäß ist mich ein temperament¬
voller Aufsatz Adolf Venturis über den großen Barockkünstler Bernini, denn
der Barock lebt immer noch, zum Gluck möchte man sagen, weil er wirklich mehr
an und in sich hat als der neuzeitliche Baustil. Von Interesse ist auch eine
Notiz über einen Hamburger Porträtmaler Wasmanu, der 1886 in hohem
Alter in Meran gestorben ist, nach einem kürzlich erschienenen Werke, mit
einigen vortrefflichen Abbildungen. Das ist aber uoch lauge nicht alles,
sondern nur das hauptsächlichste, was der Pan seinen Lesern an moderner
Kunst zum Abschied dargebracht hat.

Am wichtigsten sind diesesmal die vielen Aufsätze über Kunst und Kunst¬
fragen, sehr viel Theorie aller Art. Zwar meint Freiherr von Bobenhausen,
es sei ein Zeichen gesunden Sinnes, jede Abhandlung über Schönheit ungelesen
beiseite zu legen, aber wozu schreibt er denn selbst acht Spalten über "Ent¬
wicklungslehre und Ästhetik," auf denen immerwährend von Schönheit und
Schönheiten die Rede ist? Um zu zeigen, daß jedem seine Kunst etwas andres
bedeutet, und hinter ihr allemal ein eignes Leben steht. Vielleicht ist das
nicht ganz der richtige Sinn, und wenn er es wäre, so wäre er nicht einmal
sehr tief oder gnr neu, aber ganz gewiß ist es nicht richtig und zweckmäßig,
Belehrungen, die möglichst weit greifen sollen, und die mit Darwin beginnen
und mit Ibsen enden, anstatt in ungekünsteltem Deutsch im Kirchenglockentou
zu geben, wobei dann der eine dies, der andre das gehört zu haben meinen
kann. Daß es keine absolute Schönheit gebe, gesteht wohl fast jeder zu; wozu
also feierlich offne Thüren einrennen? Aber das Wort kann man nicht ent¬
behren, auch wen" sich jeder dabei etwas andres denkt. Sogar der berühmte
Nutzkünstler Henry van de Velde findet seine Möbel "schön" und spricht hier
in einem Aufsatz sehr geistreich über ein Leben auf Erden zwischen den zwei
Polen Glück und Schönheit. Wem das eine versagt ist, der findet einen
Ersatz in dein andern; die Kunst zeigt uus ein Bild dessen, was die Wirklich¬
keit nicht voll gewährt. Aber nnr die ganze Kunst, die "angewandte," die
Ornamentationskunst, die das ganze Leben schmückt und für jedermann ist,
nicht die Teilkünste Plastik und Malerei, die sich selbständig gemacht haben,
realistisch oder naturalistisch werden, etwas enthalten und erzählen und uur
für die wenigen sind, die sie versteh" und -- bezahlen können. Eine Statue
oder ein Gemälde sind Produkte des Verfalls. Als die Gotik blühte, gab es
noch keine gegen ihre Mutter, die Architektur, so undankbaren Kinder, sondern
nur eine einzige große Kunst, die alles umfaßte.

Doch genug hiervon. Bei Henry van de Velde hängt alles fest zu-
sammen, sowohl was er mit der Hand schafft, als was er in Gedanken
konstruiert, ihm ist z. B. Puvis de Chavannes der wahre Künstler, weil seine
Bilder am wenigsten bezeichnend sind und dein Ornament am nächsten kommen.
Manchem von uns aber würde in dieser zweckgemäß ornamentierten Welt
Henry van de Veldes so öde und abstrakt zu Mute werden, wie in den Muster¬
zimmern des Jugendstils auf unsern Ausstellungen, wo mau unter lauter
Linien und Schlingen einen rechtschaffnen Nenruppiner Bilderbogen als Er-


Pans Abschied

nicht fehlen durfte, ist selbstverständlich. Zeitgemäß ist mich ein temperament¬
voller Aufsatz Adolf Venturis über den großen Barockkünstler Bernini, denn
der Barock lebt immer noch, zum Gluck möchte man sagen, weil er wirklich mehr
an und in sich hat als der neuzeitliche Baustil. Von Interesse ist auch eine
Notiz über einen Hamburger Porträtmaler Wasmanu, der 1886 in hohem
Alter in Meran gestorben ist, nach einem kürzlich erschienenen Werke, mit
einigen vortrefflichen Abbildungen. Das ist aber uoch lauge nicht alles,
sondern nur das hauptsächlichste, was der Pan seinen Lesern an moderner
Kunst zum Abschied dargebracht hat.

Am wichtigsten sind diesesmal die vielen Aufsätze über Kunst und Kunst¬
fragen, sehr viel Theorie aller Art. Zwar meint Freiherr von Bobenhausen,
es sei ein Zeichen gesunden Sinnes, jede Abhandlung über Schönheit ungelesen
beiseite zu legen, aber wozu schreibt er denn selbst acht Spalten über „Ent¬
wicklungslehre und Ästhetik," auf denen immerwährend von Schönheit und
Schönheiten die Rede ist? Um zu zeigen, daß jedem seine Kunst etwas andres
bedeutet, und hinter ihr allemal ein eignes Leben steht. Vielleicht ist das
nicht ganz der richtige Sinn, und wenn er es wäre, so wäre er nicht einmal
sehr tief oder gnr neu, aber ganz gewiß ist es nicht richtig und zweckmäßig,
Belehrungen, die möglichst weit greifen sollen, und die mit Darwin beginnen
und mit Ibsen enden, anstatt in ungekünsteltem Deutsch im Kirchenglockentou
zu geben, wobei dann der eine dies, der andre das gehört zu haben meinen
kann. Daß es keine absolute Schönheit gebe, gesteht wohl fast jeder zu; wozu
also feierlich offne Thüren einrennen? Aber das Wort kann man nicht ent¬
behren, auch wen» sich jeder dabei etwas andres denkt. Sogar der berühmte
Nutzkünstler Henry van de Velde findet seine Möbel „schön" und spricht hier
in einem Aufsatz sehr geistreich über ein Leben auf Erden zwischen den zwei
Polen Glück und Schönheit. Wem das eine versagt ist, der findet einen
Ersatz in dein andern; die Kunst zeigt uus ein Bild dessen, was die Wirklich¬
keit nicht voll gewährt. Aber nnr die ganze Kunst, die „angewandte," die
Ornamentationskunst, die das ganze Leben schmückt und für jedermann ist,
nicht die Teilkünste Plastik und Malerei, die sich selbständig gemacht haben,
realistisch oder naturalistisch werden, etwas enthalten und erzählen und uur
für die wenigen sind, die sie versteh« und — bezahlen können. Eine Statue
oder ein Gemälde sind Produkte des Verfalls. Als die Gotik blühte, gab es
noch keine gegen ihre Mutter, die Architektur, so undankbaren Kinder, sondern
nur eine einzige große Kunst, die alles umfaßte.

Doch genug hiervon. Bei Henry van de Velde hängt alles fest zu-
sammen, sowohl was er mit der Hand schafft, als was er in Gedanken
konstruiert, ihm ist z. B. Puvis de Chavannes der wahre Künstler, weil seine
Bilder am wenigsten bezeichnend sind und dein Ornament am nächsten kommen.
Manchem von uns aber würde in dieser zweckgemäß ornamentierten Welt
Henry van de Veldes so öde und abstrakt zu Mute werden, wie in den Muster¬
zimmern des Jugendstils auf unsern Ausstellungen, wo mau unter lauter
Linien und Schlingen einen rechtschaffnen Nenruppiner Bilderbogen als Er-


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[0255] Pans Abschied nicht fehlen durfte, ist selbstverständlich. Zeitgemäß ist mich ein temperament¬ voller Aufsatz Adolf Venturis über den großen Barockkünstler Bernini, denn der Barock lebt immer noch, zum Gluck möchte man sagen, weil er wirklich mehr an und in sich hat als der neuzeitliche Baustil. Von Interesse ist auch eine Notiz über einen Hamburger Porträtmaler Wasmanu, der 1886 in hohem Alter in Meran gestorben ist, nach einem kürzlich erschienenen Werke, mit einigen vortrefflichen Abbildungen. Das ist aber uoch lauge nicht alles, sondern nur das hauptsächlichste, was der Pan seinen Lesern an moderner Kunst zum Abschied dargebracht hat. Am wichtigsten sind diesesmal die vielen Aufsätze über Kunst und Kunst¬ fragen, sehr viel Theorie aller Art. Zwar meint Freiherr von Bobenhausen, es sei ein Zeichen gesunden Sinnes, jede Abhandlung über Schönheit ungelesen beiseite zu legen, aber wozu schreibt er denn selbst acht Spalten über „Ent¬ wicklungslehre und Ästhetik," auf denen immerwährend von Schönheit und Schönheiten die Rede ist? Um zu zeigen, daß jedem seine Kunst etwas andres bedeutet, und hinter ihr allemal ein eignes Leben steht. Vielleicht ist das nicht ganz der richtige Sinn, und wenn er es wäre, so wäre er nicht einmal sehr tief oder gnr neu, aber ganz gewiß ist es nicht richtig und zweckmäßig, Belehrungen, die möglichst weit greifen sollen, und die mit Darwin beginnen und mit Ibsen enden, anstatt in ungekünsteltem Deutsch im Kirchenglockentou zu geben, wobei dann der eine dies, der andre das gehört zu haben meinen kann. Daß es keine absolute Schönheit gebe, gesteht wohl fast jeder zu; wozu also feierlich offne Thüren einrennen? Aber das Wort kann man nicht ent¬ behren, auch wen» sich jeder dabei etwas andres denkt. Sogar der berühmte Nutzkünstler Henry van de Velde findet seine Möbel „schön" und spricht hier in einem Aufsatz sehr geistreich über ein Leben auf Erden zwischen den zwei Polen Glück und Schönheit. Wem das eine versagt ist, der findet einen Ersatz in dein andern; die Kunst zeigt uus ein Bild dessen, was die Wirklich¬ keit nicht voll gewährt. Aber nnr die ganze Kunst, die „angewandte," die Ornamentationskunst, die das ganze Leben schmückt und für jedermann ist, nicht die Teilkünste Plastik und Malerei, die sich selbständig gemacht haben, realistisch oder naturalistisch werden, etwas enthalten und erzählen und uur für die wenigen sind, die sie versteh« und — bezahlen können. Eine Statue oder ein Gemälde sind Produkte des Verfalls. Als die Gotik blühte, gab es noch keine gegen ihre Mutter, die Architektur, so undankbaren Kinder, sondern nur eine einzige große Kunst, die alles umfaßte. Doch genug hiervon. Bei Henry van de Velde hängt alles fest zu- sammen, sowohl was er mit der Hand schafft, als was er in Gedanken konstruiert, ihm ist z. B. Puvis de Chavannes der wahre Künstler, weil seine Bilder am wenigsten bezeichnend sind und dein Ornament am nächsten kommen. Manchem von uns aber würde in dieser zweckgemäß ornamentierten Welt Henry van de Veldes so öde und abstrakt zu Mute werden, wie in den Muster¬ zimmern des Jugendstils auf unsern Ausstellungen, wo mau unter lauter Linien und Schlingen einen rechtschaffnen Nenruppiner Bilderbogen als Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/255>, abgerufen am 26.06.2024.