Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Robert denkt dann im Jahr etwa acht bis zehn Dänen, Norweger oder Schweden Natürlich ist er ein sehr guter Deutscher, und nichts würde ihm lieber sein, Aber, geehrte Redaktion, Robert wird es sich angelegen sein lassen, Herrn Sie erinnern sich vielleicht, daß Zolas l^ecmäitg gerade herauskam, und daß Unsre deutscheu Schriftsteller scheinen niemals krank zu sein: wenigstens hört Von meinem ersten Gedankengang bin ich abgekommen, ich weiß nicht wie; Unser andrer Rezensent, ein ältrer Gymnasiallehrer, schrieb früher sehr hübsch, Nun aber, geehrter Herr, will ich Sie nicht mehr mit meinem Schreiben Maßgebliches und Unmaßgebliches Robert denkt dann im Jahr etwa acht bis zehn Dänen, Norweger oder Schweden Natürlich ist er ein sehr guter Deutscher, und nichts würde ihm lieber sein, Aber, geehrte Redaktion, Robert wird es sich angelegen sein lassen, Herrn Sie erinnern sich vielleicht, daß Zolas l^ecmäitg gerade herauskam, und daß Unsre deutscheu Schriftsteller scheinen niemals krank zu sein: wenigstens hört Von meinem ersten Gedankengang bin ich abgekommen, ich weiß nicht wie; Unser andrer Rezensent, ein ältrer Gymnasiallehrer, schrieb früher sehr hübsch, Nun aber, geehrter Herr, will ich Sie nicht mehr mit meinem Schreiben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290474"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_229" prev="#ID_228"> Robert denkt dann im Jahr etwa acht bis zehn Dänen, Norweger oder Schweden<lb/> in Deutschland einzuführen, und auch sonst wird er sich bemühn, das neuste in den<lb/> Erzeugnissen des Auslands auf dem Lager zu halten.</p><lb/> <p xml:id="ID_230"> Natürlich ist er ein sehr guter Deutscher, und nichts würde ihm lieber sein,<lb/> als mit Herrn Grunow in nähere Verbindung zu treten. Aber es ist bekanntlich<lb/> nicht leicht, mit deutschen Büchern ein Geschäft zu machen. Robert sagt, die meisten<lb/> seien zu schwerfällig geschrieben, und es fehle ihnen das Pikante, das andre Na¬<lb/> tionen so auszeichnet. Auch die Skandinavier haben ein besondres Talent, die<lb/> Bücher so zu schreiben, daß sie ein hübsches und dem Inhalt entsprechendes Titel¬<lb/> blatt bekommen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_231"> Aber, geehrte Redaktion, Robert wird es sich angelegen sein lassen, Herrn<lb/> Grunows Bücher zu verkaufen. Daß er bei dem letzten Weihnachtsfest nicht dazu<lb/> kommen konnte, war wirklich nicht seine Schuld.</p><lb/> <p xml:id="ID_232"> Sie erinnern sich vielleicht, daß Zolas l^ecmäitg gerade herauskam, und daß<lb/> jede deutsche Zeitung einen langen Artikel darüber brachte. Da war die Nachfrage<lb/> nach dem Buche natürlich groß; und da auch Tolstois „Auferstehung" viel be¬<lb/> sprochen wurde, so mußte Robert auch dieses Werk kommen lassen. Endlich fragen<lb/> manche Leute nach Kiplings Werken. Das ist ein englischer Dichter, der vor einiger<lb/> Zeit krank gewesen ist, und von dem immer in unsrer Zeitung stand, wie er ge¬<lb/> schlafen hätte. Da müßte man doch lesen, was er geschrieben hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_233"> Unsre deutscheu Schriftsteller scheinen niemals krank zu sein: wenigstens hört<lb/> man nichts davon, und da sie öfters siebzig Jahre alt werden, so sind sie wohl<lb/> immer gesund. Allerdings sollen kürzlich zwei Schriftstellerinnen aus dem Fenster<lb/> gesprungen sein; aber Robert ist doch nicht dazu gekommen, ihre Bücher zu ver¬<lb/> kaufen. Denn niemand hat nach ihnen gefragt.</p><lb/> <p xml:id="ID_234"> Von meinem ersten Gedankengang bin ich abgekommen, ich weiß nicht wie;<lb/> aber ich wollte noch Herrn Grunow bitten, nicht böse auf die deutschen Rezensenten<lb/> zu sein. Es kommt mir vor, als beurteilte er sie zu scharf. In unsrer kleinen<lb/> Stadt (20000 Einwohner) haben wir zwei recht nette Herren, die sich mit Bücher¬<lb/> besprechung beschäftigen. Der eine ist noch in Prima; aber er geht schon nächste<lb/> Ostern auf die Universität. Er hat unendlich viel gelesen; Robert bringt ihm<lb/> immer alles neue aus München und Berlin, und Herr Braun schreibt reizende<lb/> Artikel darüber. Letzte Weihnachten wollte er auch deutsche Bücher besprechen; doch<lb/> als er das „Dritte Geschlecht" gelesen hatte, meinte er, nun müßte er sich erst<lb/> wieder bei den Skandinaviern erholen. Aber im nächsten Jahre soll er ganz gewiß<lb/> ein Buch aus dem Grunowschen Verlage vornehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_235"> Unser andrer Rezensent, ein ältrer Gymnasiallehrer, schrieb früher sehr hübsch,<lb/> ist aber jetzt leicht gereizt. Als Robert ihm Helene Böhlaus „Halbtier" schickte,<lb/> das aus Versehen zwischen die Dänen geraten war, sandte er es gleich zurück und<lb/> verlangte ein Buch über Kunstgeschichte. Auch kann er keine bunten Umschläge<lb/> leiden. Robert aber ist jetzt schon einem Nachfolger für ihn auf der Spur. Einem<lb/> sehr begabten Menschen, der jetzt noch in Sekunda ist, der aber für Ibsen schwärmt,<lb/> und „wenn die Toten erwachen" viel besser verstanden hat, als Robert. Folglich<lb/> wird er einmal sehr gut werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_236" next="#ID_237"> Nun aber, geehrter Herr, will ich Sie nicht mehr mit meinem Schreiben<lb/> quälen. Sie merken wohl, daß ich keine Übung habe; aber ich muß Ihnen doch<lb/> noch einmal sagen, wie sehr ich mich für Robert freuen würde, wenn er den Dr. ub.<lb/> machen könnte. Alles würden wir für Herrn Grunow thun, wenn er die soziale<lb/> Stellung der Buchhändler besser gestaltete. Bitten Sie ihn recht schön von mir<lb/> und sagen Sie ihm, daß er getrost einige Bücher an meinen Robert schicken soll.<lb/> Sie glauben doch auch nicht, geehrte Redaktion, daß Zola und Tolstoi gleich</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0063]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Robert denkt dann im Jahr etwa acht bis zehn Dänen, Norweger oder Schweden
in Deutschland einzuführen, und auch sonst wird er sich bemühn, das neuste in den
Erzeugnissen des Auslands auf dem Lager zu halten.
Natürlich ist er ein sehr guter Deutscher, und nichts würde ihm lieber sein,
als mit Herrn Grunow in nähere Verbindung zu treten. Aber es ist bekanntlich
nicht leicht, mit deutschen Büchern ein Geschäft zu machen. Robert sagt, die meisten
seien zu schwerfällig geschrieben, und es fehle ihnen das Pikante, das andre Na¬
tionen so auszeichnet. Auch die Skandinavier haben ein besondres Talent, die
Bücher so zu schreiben, daß sie ein hübsches und dem Inhalt entsprechendes Titel¬
blatt bekommen können.
Aber, geehrte Redaktion, Robert wird es sich angelegen sein lassen, Herrn
Grunows Bücher zu verkaufen. Daß er bei dem letzten Weihnachtsfest nicht dazu
kommen konnte, war wirklich nicht seine Schuld.
Sie erinnern sich vielleicht, daß Zolas l^ecmäitg gerade herauskam, und daß
jede deutsche Zeitung einen langen Artikel darüber brachte. Da war die Nachfrage
nach dem Buche natürlich groß; und da auch Tolstois „Auferstehung" viel be¬
sprochen wurde, so mußte Robert auch dieses Werk kommen lassen. Endlich fragen
manche Leute nach Kiplings Werken. Das ist ein englischer Dichter, der vor einiger
Zeit krank gewesen ist, und von dem immer in unsrer Zeitung stand, wie er ge¬
schlafen hätte. Da müßte man doch lesen, was er geschrieben hat.
Unsre deutscheu Schriftsteller scheinen niemals krank zu sein: wenigstens hört
man nichts davon, und da sie öfters siebzig Jahre alt werden, so sind sie wohl
immer gesund. Allerdings sollen kürzlich zwei Schriftstellerinnen aus dem Fenster
gesprungen sein; aber Robert ist doch nicht dazu gekommen, ihre Bücher zu ver¬
kaufen. Denn niemand hat nach ihnen gefragt.
Von meinem ersten Gedankengang bin ich abgekommen, ich weiß nicht wie;
aber ich wollte noch Herrn Grunow bitten, nicht böse auf die deutschen Rezensenten
zu sein. Es kommt mir vor, als beurteilte er sie zu scharf. In unsrer kleinen
Stadt (20000 Einwohner) haben wir zwei recht nette Herren, die sich mit Bücher¬
besprechung beschäftigen. Der eine ist noch in Prima; aber er geht schon nächste
Ostern auf die Universität. Er hat unendlich viel gelesen; Robert bringt ihm
immer alles neue aus München und Berlin, und Herr Braun schreibt reizende
Artikel darüber. Letzte Weihnachten wollte er auch deutsche Bücher besprechen; doch
als er das „Dritte Geschlecht" gelesen hatte, meinte er, nun müßte er sich erst
wieder bei den Skandinaviern erholen. Aber im nächsten Jahre soll er ganz gewiß
ein Buch aus dem Grunowschen Verlage vornehmen.
Unser andrer Rezensent, ein ältrer Gymnasiallehrer, schrieb früher sehr hübsch,
ist aber jetzt leicht gereizt. Als Robert ihm Helene Böhlaus „Halbtier" schickte,
das aus Versehen zwischen die Dänen geraten war, sandte er es gleich zurück und
verlangte ein Buch über Kunstgeschichte. Auch kann er keine bunten Umschläge
leiden. Robert aber ist jetzt schon einem Nachfolger für ihn auf der Spur. Einem
sehr begabten Menschen, der jetzt noch in Sekunda ist, der aber für Ibsen schwärmt,
und „wenn die Toten erwachen" viel besser verstanden hat, als Robert. Folglich
wird er einmal sehr gut werden.
Nun aber, geehrter Herr, will ich Sie nicht mehr mit meinem Schreiben
quälen. Sie merken wohl, daß ich keine Übung habe; aber ich muß Ihnen doch
noch einmal sagen, wie sehr ich mich für Robert freuen würde, wenn er den Dr. ub.
machen könnte. Alles würden wir für Herrn Grunow thun, wenn er die soziale
Stellung der Buchhändler besser gestaltete. Bitten Sie ihn recht schön von mir
und sagen Sie ihm, daß er getrost einige Bücher an meinen Robert schicken soll.
Sie glauben doch auch nicht, geehrte Redaktion, daß Zola und Tolstoi gleich
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |