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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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überschüttet zu werden, die man selbst nicht herstelle" konnte. Aber je weitere
Eroberungen die Dampfkraft auch auf dein Kontinent machte, um so fühlbarer
wurde der englische Druck, erst zu Hause auf dem Festlande und dann, als
die Produktion überzufließen begann im heimischen Kessel, auch draußen über
dem Wasser. Da war nur eiuer der Herr, nur die englische Flagge bot
Sicherheit für den Handel, die andern waren bloß geduldet, nie gleichwertig.
Das hat sich seitdem, insoweit es sich um das Verhältnis zu England handelt,
wenig' geändert, obwohl die Beteiligung nichtenglischer Länder an dein Welt¬
verkehr beständig gewachsen ist; und soweit es sich etwa gebessert hat, mag
eben das dazu beigetragen haben, daß diese Beteiligung einer gauzeu Reihe
von Ländern zugefallen ist, die dadurch, dem englischen Übergewicht gleichmäßig
ausgesetzt, ein gemeinsames Interesse haben an seiner Zügelung. Man wurde
besouders aufmerksam auf die englische Weltpolitik, seit man dort eine Be¬
wegung auf engern Zusammenschluß der englischen Kolonien und des Mutter¬
landes hin bemerkte, deren Gefahr für die Kvntinentalstaaten darin lag, daß
sie von dem englischen künftigen Kaiserreich wirtschaftlich durch Zölle ausgesperrt
oder doch im Verkehr eingeschränkt werden konnten. Man meinte in Eng¬
land, das "größere Britannien" könne sich wirtschaftlich selbst genügen und
die Politik des Freihandels, die England seit einem halben Jahrhundert mit
Schätzen überhäufte, zu Gunsten eines gewaltigen britischen Zollbuudes auf¬
geben. Da war es denn geboten, sich genauer das Gebiet dieses möglichen
Zollbnndes und die Folgen anzusehen, die er für Europa haben könnte. Mau
wurde unruhig, als mau die Sache zahlenmäßig klar machte, und mit Recht.
Denn England arbeitet unausgesetzt daran, den künftigen Kaiserstnat in die
Verfassung völliger Unabhängigkeit von äußern Gefahren zu setzen, wodurch
er dann auch in der Lage wäre, deu Weltmarkt in einen englischen Markt zu
verwandeln.

Was hat England gethan seit dem Kriege von 1870, der das alte kontinen¬
tale Gleichgewicht des Wiener Kongresses endlich über den Häuser warf und die
Kontinentalstaaten achtundzwanzig Jahre eines allerdings schwerbewaffneten
Friedens genießen ließ? Ein angesehener englischer Statistiker, Robert Giffen,
hat etwa vor einem Jahre (März 1899) einen Rechenschaftsbericht über diese
Periode abgestattet, dem folgende Zahlen entnommen sind:*)

Im Jahre 1897 umfaßte Großbritannien auf dem Erdball 11^ Millionen
Quadratmeilen (1 Meile----1609 Meter), oder mit Einschluß von Ägypten und
Sudan 13 Millionen Quadratmeilen.^) Die Bevölkerung dieses Gebiets be¬
trug 407 Millionen, mit Ägypten und Sudan 420 Millionen Menschen, das
heißt ungefähr ein Viertel des Menschengeschlechts. Davon waren etwa
50 Millionen Angelsachsen. Zwischen 1871 und 1897 vergrößerte sich das
Reich um 2850000 Quadratmeilen und 125 Millionen Menschen; die herr-




*) Nach einer Wiedergabe des Forumal as (Zonüvs vom 20. März 1L99, Ur. 78.
-) Nach Schmoller 1899: 27,8 Millionen Quadratkilometer.

überschüttet zu werden, die man selbst nicht herstelle» konnte. Aber je weitere
Eroberungen die Dampfkraft auch auf dein Kontinent machte, um so fühlbarer
wurde der englische Druck, erst zu Hause auf dem Festlande und dann, als
die Produktion überzufließen begann im heimischen Kessel, auch draußen über
dem Wasser. Da war nur eiuer der Herr, nur die englische Flagge bot
Sicherheit für den Handel, die andern waren bloß geduldet, nie gleichwertig.
Das hat sich seitdem, insoweit es sich um das Verhältnis zu England handelt,
wenig' geändert, obwohl die Beteiligung nichtenglischer Länder an dein Welt¬
verkehr beständig gewachsen ist; und soweit es sich etwa gebessert hat, mag
eben das dazu beigetragen haben, daß diese Beteiligung einer gauzeu Reihe
von Ländern zugefallen ist, die dadurch, dem englischen Übergewicht gleichmäßig
ausgesetzt, ein gemeinsames Interesse haben an seiner Zügelung. Man wurde
besouders aufmerksam auf die englische Weltpolitik, seit man dort eine Be¬
wegung auf engern Zusammenschluß der englischen Kolonien und des Mutter¬
landes hin bemerkte, deren Gefahr für die Kvntinentalstaaten darin lag, daß
sie von dem englischen künftigen Kaiserreich wirtschaftlich durch Zölle ausgesperrt
oder doch im Verkehr eingeschränkt werden konnten. Man meinte in Eng¬
land, das „größere Britannien" könne sich wirtschaftlich selbst genügen und
die Politik des Freihandels, die England seit einem halben Jahrhundert mit
Schätzen überhäufte, zu Gunsten eines gewaltigen britischen Zollbuudes auf¬
geben. Da war es denn geboten, sich genauer das Gebiet dieses möglichen
Zollbnndes und die Folgen anzusehen, die er für Europa haben könnte. Mau
wurde unruhig, als mau die Sache zahlenmäßig klar machte, und mit Recht.
Denn England arbeitet unausgesetzt daran, den künftigen Kaiserstnat in die
Verfassung völliger Unabhängigkeit von äußern Gefahren zu setzen, wodurch
er dann auch in der Lage wäre, deu Weltmarkt in einen englischen Markt zu
verwandeln.

Was hat England gethan seit dem Kriege von 1870, der das alte kontinen¬
tale Gleichgewicht des Wiener Kongresses endlich über den Häuser warf und die
Kontinentalstaaten achtundzwanzig Jahre eines allerdings schwerbewaffneten
Friedens genießen ließ? Ein angesehener englischer Statistiker, Robert Giffen,
hat etwa vor einem Jahre (März 1899) einen Rechenschaftsbericht über diese
Periode abgestattet, dem folgende Zahlen entnommen sind:*)

Im Jahre 1897 umfaßte Großbritannien auf dem Erdball 11^ Millionen
Quadratmeilen (1 Meile----1609 Meter), oder mit Einschluß von Ägypten und
Sudan 13 Millionen Quadratmeilen.^) Die Bevölkerung dieses Gebiets be¬
trug 407 Millionen, mit Ägypten und Sudan 420 Millionen Menschen, das
heißt ungefähr ein Viertel des Menschengeschlechts. Davon waren etwa
50 Millionen Angelsachsen. Zwischen 1871 und 1897 vergrößerte sich das
Reich um 2850000 Quadratmeilen und 125 Millionen Menschen; die herr-




*) Nach einer Wiedergabe des Forumal as (Zonüvs vom 20. März 1L99, Ur. 78.
-) Nach Schmoller 1899: 27,8 Millionen Quadratkilometer.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/564>, abgerufen am 22.07.2024.