Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.Kontinentales und maritimes Gleichgewicht Freiheit alle" polizeilichen Einmischungen der Großmächte in Spanien und Indem wir Industrie und Handel entwickelten, sind wir Deutschen ans beiden Kontinentales und maritimes Gleichgewicht Freiheit alle» polizeilichen Einmischungen der Großmächte in Spanien und Indem wir Industrie und Handel entwickelten, sind wir Deutschen ans beiden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0562" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290973"/> <fw type="header" place="top"> Kontinentales und maritimes Gleichgewicht</fw><lb/> <p xml:id="ID_1873" prev="#ID_1872"> Freiheit alle» polizeilichen Einmischungen der Großmächte in Spanien und<lb/> anderwärts entgegentrat, löste er England von der Politik der Pentarchie los,<lb/> wie sie 1815 in Wien war festgestellt worden, einer Politik, die freilich darauf<lb/> gerichtet war, überall die von der Revolution bedrohte Ordnung zu schützen,<lb/> aber zugleich den Starken die Gelegenheit bot, noch stärker zu werden, was,<lb/> soweit es andre betraf, nicht im Interesse Englands lag. So trat England<lb/> damals von dem europäischen Kouzert zurück und inaugurierte das Prinzip<lb/> der Nichtiuterveutiou, half aber den spanischen Kolonien unabhängig zu werden<lb/> und dadurch den spanisch-amerikanischen Handel in einen mehr englisch-ameri-<lb/> kanischen zu verwandeln. Als sieben Jahre darauf die Mächte Miene machten,<lb/> die belgische Revolution mit Waffengewalt niederzuwerfen, bekannte sich auch<lb/> Frankreich zu diesem sogenannten Prinzip, das fortan gerade von England<lb/> jederzeit in der zwanglosesten Weise mißbraucht worden ist zur Erhaltung deS<lb/> europäischen Gleichgewichts im englischen Sinne. Ju Italien, in Griechen¬<lb/> land, in Polen, im Krimkriege — überall unter der Flagge des Schutzes<lb/> Schwacher dieselbe Sorge, keinen europäischen Staat stark genng werden zu<lb/> lassen, daß er seine Kräfte auf Kriegsflotten verwenden und nach andern<lb/> Weltteilen hin zur Geltung bringe» konnte. Je größer die Last ist, die die<lb/> europäischen Mächte zur Erhaltung ihrer Landheere auf sich laden, um so<lb/> besser für England, denn um so weniger werden sie für Bau und Erhaltung<lb/> von Flotten übrig haben. Das ist so klar, daß man den weitern Schluß mit<lb/> Sicherheit ziehn kann, daß England keine dauernde Verbindung mit einer der<lb/> Großmächte eingehn wird, wodurch diese in den Stand gesetzt würde, ihre<lb/> Militärlasten zu verringern. Auch wird England immer freundliche Annähe¬<lb/> rung oder Allianzen einer Großmacht von maritimer Bedeutung mit einer<lb/> andern von gleichem Charakter zu hindern suchen. Ein einigermaßen sicherer<lb/> Freund ist England von jeher nur für reine Koutiueutalstaateu in Europa<lb/> gewesen, wie z. B. Österreich und die Türkei, oder für ungefährliche kleine<lb/> Staaten wie Portugal, Griechenland, auch die Niederlande, seit diese keine<lb/> Seemacht mehr sind, und solange als England den Nest der holländischen<lb/> Kolonien nicht braucht. Wie steht es nun mit der englischen Freundschaft<lb/> für das neue Deutschland?</p><lb/> <p xml:id="ID_1874" next="#ID_1875"> Indem wir Industrie und Handel entwickelten, sind wir Deutschen ans beiden<lb/> Gebieten im Weltverkehr von der vierten Stelle zur zweite» aufgerückt. Ju<lb/> Quantität und Qualität unsrer Waren und unsrer Handelsflotte stehn wir nnr<lb/> noch hinter England zurück, d. h. wir sind schon eine kommerzielle Weltmacht<lb/> geworden und hoffen, diese Macht noch weiter zu vermehren. Wir haben<lb/> ferner in zwei Weltteilen staatlich Fuß gefaßt als kolonisierende Macht. Im<lb/> Verhältnis zu dieser Erweiterung unsrer Interessen und unsers Einflusses ist<lb/> die Kriegsmacht, mit der diese Interessen und dieser Einfluß geschützt werden<lb/> müssen, weit zurückgeblieben, denn sie steht unter den Seemächten erst an der<lb/> siebenten Stelle. Das ist ein Mißverhältnis, das uns verhängnisvoll werden<lb/> kann, wie vor uns andern Staaten. Denn je stärker wir in dem Handels-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0562]
Kontinentales und maritimes Gleichgewicht
Freiheit alle» polizeilichen Einmischungen der Großmächte in Spanien und
anderwärts entgegentrat, löste er England von der Politik der Pentarchie los,
wie sie 1815 in Wien war festgestellt worden, einer Politik, die freilich darauf
gerichtet war, überall die von der Revolution bedrohte Ordnung zu schützen,
aber zugleich den Starken die Gelegenheit bot, noch stärker zu werden, was,
soweit es andre betraf, nicht im Interesse Englands lag. So trat England
damals von dem europäischen Kouzert zurück und inaugurierte das Prinzip
der Nichtiuterveutiou, half aber den spanischen Kolonien unabhängig zu werden
und dadurch den spanisch-amerikanischen Handel in einen mehr englisch-ameri-
kanischen zu verwandeln. Als sieben Jahre darauf die Mächte Miene machten,
die belgische Revolution mit Waffengewalt niederzuwerfen, bekannte sich auch
Frankreich zu diesem sogenannten Prinzip, das fortan gerade von England
jederzeit in der zwanglosesten Weise mißbraucht worden ist zur Erhaltung deS
europäischen Gleichgewichts im englischen Sinne. Ju Italien, in Griechen¬
land, in Polen, im Krimkriege — überall unter der Flagge des Schutzes
Schwacher dieselbe Sorge, keinen europäischen Staat stark genng werden zu
lassen, daß er seine Kräfte auf Kriegsflotten verwenden und nach andern
Weltteilen hin zur Geltung bringe» konnte. Je größer die Last ist, die die
europäischen Mächte zur Erhaltung ihrer Landheere auf sich laden, um so
besser für England, denn um so weniger werden sie für Bau und Erhaltung
von Flotten übrig haben. Das ist so klar, daß man den weitern Schluß mit
Sicherheit ziehn kann, daß England keine dauernde Verbindung mit einer der
Großmächte eingehn wird, wodurch diese in den Stand gesetzt würde, ihre
Militärlasten zu verringern. Auch wird England immer freundliche Annähe¬
rung oder Allianzen einer Großmacht von maritimer Bedeutung mit einer
andern von gleichem Charakter zu hindern suchen. Ein einigermaßen sicherer
Freund ist England von jeher nur für reine Koutiueutalstaateu in Europa
gewesen, wie z. B. Österreich und die Türkei, oder für ungefährliche kleine
Staaten wie Portugal, Griechenland, auch die Niederlande, seit diese keine
Seemacht mehr sind, und solange als England den Nest der holländischen
Kolonien nicht braucht. Wie steht es nun mit der englischen Freundschaft
für das neue Deutschland?
Indem wir Industrie und Handel entwickelten, sind wir Deutschen ans beiden
Gebieten im Weltverkehr von der vierten Stelle zur zweite» aufgerückt. Ju
Quantität und Qualität unsrer Waren und unsrer Handelsflotte stehn wir nnr
noch hinter England zurück, d. h. wir sind schon eine kommerzielle Weltmacht
geworden und hoffen, diese Macht noch weiter zu vermehren. Wir haben
ferner in zwei Weltteilen staatlich Fuß gefaßt als kolonisierende Macht. Im
Verhältnis zu dieser Erweiterung unsrer Interessen und unsers Einflusses ist
die Kriegsmacht, mit der diese Interessen und dieser Einfluß geschützt werden
müssen, weit zurückgeblieben, denn sie steht unter den Seemächten erst an der
siebenten Stelle. Das ist ein Mißverhältnis, das uns verhängnisvoll werden
kann, wie vor uns andern Staaten. Denn je stärker wir in dem Handels-
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