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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die alte und die neue Bachgesellschaft

wie man es anzufangen hat -- die Namen der an der Spitze stehenden Männer
bürgen dafür --, während, überließe man die Einführung bisher unberücksichtigter
oder ahne Erfolg berücksichtigter Werke den bestehenden Konzertinstitutcn, Mi߬
griffe und damit auch Mißerfolge wahrscheinlich, beinahe sicher wären.

Für sehr wertvoll erachten Nur aber auch die geplante Neuausgabe der
Werke Bachs in Formen, die für den unmittelbaren praktischen Gebrauch ein¬
gerichtet sind, und die Beigabe erklärender Schriften, Dadurch wird endlich
die Brücke geschlagen über die breite Kluft, die die nach wissenschaftlichen
Grundsätzen hergestellten Gesamtausgabe!! von der praktischen Musikübung not¬
wendig trennt. Eine kritische Gesamtausgabe hat sich genau an das Original
zu halten, die heutige Praxis aber kann die Werke in der Originalgestalt sehr
oft nicht verwenden. Wir haben eine Reihe alter Instrumente nicht mehr,
andre haben ihre Technik geändert, wo die frühere Zeit sich begnügen durste,
den Ausführenden Skizzen vorzulegen, wird sie vom heutigen Geschlecht nicht
mehr verstanden. Wir bringen keine Serenaden mehr, haben die Musik im
öffentlichen Leben, in der Kirche stark beschnitten, sogar im Konzert sind ehe¬
mals beliebte Gattungen ausgestorben. So stellen die alten Originale, wie
sie eine wissenschaftliche Ausgabe vorlegen muß, den praktischen Musiker, der
in seinen Konservatorien von Geschichte und allein Mnsikwescn wenig genug
erfährt, vor eine Menge Verlegenheiten; die Folge ist, daß diese kritischen
Ausgaben unbenutzt bleiben oder mißbraucht werden. Viel nötiger als für
Goethe und Shakespeare sind für Bach, Händel, Schütz, Palestrina usw.
Institute und Einrichtungen, die das Verständnis lind die richtige Behandlung
ihrer Werke vermitteln.

Es gilt, Ausgaben zu schaffe", die bei aller wissenschaftlichen Zuver¬
lässigkeit mich der Praxis zu dienen vermögen, es gilt, die Praktiker über die
Ausführung alter Musik aufzuklären. Dies speziell bei Bach zu erreichen, hat
sich die neue Gesellschaft zur Aufgabe gemacht. Möchte es ihr gelingen, das
Ziel zu erreichen!

Nach dem Gesagten ist eine besondre Empfehlung der neuen Bnchgesell-
schaft nicht mehr notwendig. Jeder, der Sinn hat für ernste, deutsche Musik,
sollte Mitglied werden. Zur Vervollständigung unsrer Angaben fügen wir
noch das Verzeichnis des Direktoriums, das aus der erste" Wahl hervor¬
gegangen ist, bei. Die Namen lauten: Professor I)r. Hermann Kretzschmar in
Leipzig, Vorsitzender; Professor Gustav Schreck, Kantor zu Se. Thomae in
Leipzig, Schriftführer; Breitkopf und Härtel in Leipzig, Schatzmeister; Professor
Dr. Joseph Joachim in Berlin; Kapellmeister Dr. Franz Wüllner in Köln;
außerdem als Beigeordnete der zunächst in Aussicht genvmmnen Feststadt:
Professor Dr. Martin Blumncr in Berlin und Professor Siegfried Ochs in
B R. N. erlin.




Die alte und die neue Bachgesellschaft

wie man es anzufangen hat — die Namen der an der Spitze stehenden Männer
bürgen dafür —, während, überließe man die Einführung bisher unberücksichtigter
oder ahne Erfolg berücksichtigter Werke den bestehenden Konzertinstitutcn, Mi߬
griffe und damit auch Mißerfolge wahrscheinlich, beinahe sicher wären.

Für sehr wertvoll erachten Nur aber auch die geplante Neuausgabe der
Werke Bachs in Formen, die für den unmittelbaren praktischen Gebrauch ein¬
gerichtet sind, und die Beigabe erklärender Schriften, Dadurch wird endlich
die Brücke geschlagen über die breite Kluft, die die nach wissenschaftlichen
Grundsätzen hergestellten Gesamtausgabe!! von der praktischen Musikübung not¬
wendig trennt. Eine kritische Gesamtausgabe hat sich genau an das Original
zu halten, die heutige Praxis aber kann die Werke in der Originalgestalt sehr
oft nicht verwenden. Wir haben eine Reihe alter Instrumente nicht mehr,
andre haben ihre Technik geändert, wo die frühere Zeit sich begnügen durste,
den Ausführenden Skizzen vorzulegen, wird sie vom heutigen Geschlecht nicht
mehr verstanden. Wir bringen keine Serenaden mehr, haben die Musik im
öffentlichen Leben, in der Kirche stark beschnitten, sogar im Konzert sind ehe¬
mals beliebte Gattungen ausgestorben. So stellen die alten Originale, wie
sie eine wissenschaftliche Ausgabe vorlegen muß, den praktischen Musiker, der
in seinen Konservatorien von Geschichte und allein Mnsikwescn wenig genug
erfährt, vor eine Menge Verlegenheiten; die Folge ist, daß diese kritischen
Ausgaben unbenutzt bleiben oder mißbraucht werden. Viel nötiger als für
Goethe und Shakespeare sind für Bach, Händel, Schütz, Palestrina usw.
Institute und Einrichtungen, die das Verständnis lind die richtige Behandlung
ihrer Werke vermitteln.

Es gilt, Ausgaben zu schaffe», die bei aller wissenschaftlichen Zuver¬
lässigkeit mich der Praxis zu dienen vermögen, es gilt, die Praktiker über die
Ausführung alter Musik aufzuklären. Dies speziell bei Bach zu erreichen, hat
sich die neue Gesellschaft zur Aufgabe gemacht. Möchte es ihr gelingen, das
Ziel zu erreichen!

Nach dem Gesagten ist eine besondre Empfehlung der neuen Bnchgesell-
schaft nicht mehr notwendig. Jeder, der Sinn hat für ernste, deutsche Musik,
sollte Mitglied werden. Zur Vervollständigung unsrer Angaben fügen wir
noch das Verzeichnis des Direktoriums, das aus der erste» Wahl hervor¬
gegangen ist, bei. Die Namen lauten: Professor I)r. Hermann Kretzschmar in
Leipzig, Vorsitzender; Professor Gustav Schreck, Kantor zu Se. Thomae in
Leipzig, Schriftführer; Breitkopf und Härtel in Leipzig, Schatzmeister; Professor
Dr. Joseph Joachim in Berlin; Kapellmeister Dr. Franz Wüllner in Köln;
außerdem als Beigeordnete der zunächst in Aussicht genvmmnen Feststadt:
Professor Dr. Martin Blumncr in Berlin und Professor Siegfried Ochs in
B R. N. erlin.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/548>, abgerufen am 01.07.2024.