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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Archäologischc Stndienfahrten nach Griechenland und Aleinasien

schlank, sehnig und von großer körperlicher und geistiger Frische und Ausdauer.
Es macht ihm nichts aus, uach ziemlich schlafloser Nacht einen neunstündigen
Ritt auf arkadischen Gebirgspfaden auszuführen und mitten darin einen drei¬
stündigen Vortrag zu halten. Die Vorträge inmitten der antiken Trümmer
gewinnen sehr durch sein Helles klangvolles Organ, das weder in sengender
Sonnenglut, noch bei starkem Wind versagt. Dörpfeld spricht klar und faßlich,
man merkt überall den Sohn des Schulmanns heraus, der systematisch vor¬
geht und alles Sprunghafte vermeidet. Wenn dies bisweilen eine gewisse
Breite zur Folge hat, die für intelligente und gut vorbereitete Hörer nicht
nötig wäre, so ist zu bedenken, daß Dörpfeld einen sehr ungleichmüßigen Zu¬
hörerkreis vor sich hat und oft nicht wissen kann, wieviel er als bekannt
voraussetzen darf. Andrerseits hat er die seltne Gabe, seine Gedanken so zu
formulieren, daß man sich ihrer Beweiskraft schlechterdings nicht entziehn
kann; ich habe in den vielen Vorträgen kaum zwei oder drei nebensächliche
Punkte gefunden, wo mich seine Argumente nicht völlig überzeugten. Er be¬
schränkt sich im wesentlichen auf sein eigentliches Gebiet, die Architektur, und
streift nur gelegentlich die bildende Kunst; aber auch hier ist er ausgezeichnet
orientiert, und wie er sein immenses Wissen immer gegenwärtig hat, das ist
schlechterdings bewnndrungswürdig. Er hatte jederzeit den Pausanias zur
Hand, der ja für die griechischen Altertümer ein ganz unschätzbarer und im
ganzen höchst zuverlässiger Führer ist; wo dieser aber doch einmal eine irr¬
tümliche Angabe macht, wie z. B. gelegentlich in Olympia und Delphi, weiß
Dörpfeld mit großem Scharfsinn und Geschick zu zeigen, was der Anlaß des
Irrtums gewesen ist.

Was aber Dörpfelds eigentliche Größe ausmacht, ist sein scharfer, un¬
trüglicher Blick, dem auch die flüchtigsten Spuren in den Fundamenten, die
leisesten Anhaltspunkte in den Mauerresteu nicht entgeh", und nicht minder
untrüglich ist die scharflogische Konsequenz, mit der er unter vielen möglichen
Schlußfolgerungen immer die einzig richtige herausfindet. Sein Lieblings¬
gebiet ist der Thenterbau, und seine Theorie der Biihneneinrichtung im grie¬
chischen Theater der Blütezeit, die er anfangs auf Grund lückenhaften Materials
entwickelte, hat sich durch alle spätern Untersuchungen, z. V. am neuentdeckten
Theater von Priene, bestätigt und ist heute allgemein als richtig anerkannt.
Infolgedessen erfreut sich Dörpfeld auch bei den Archäologen der andern Na¬
tionen einer außerordentlichen Wertschätzung, wie wir wiederholt mit Vergnügen
beobachteten; der Amerikaner Mr. Richardson in Korinth, der Engländer
Mr. Mackenzie auf Melos, die französischen Herren in Delphi und die grie¬
chischen Forscher an verschiednen Orten empfingen unsern Führer mit ausge¬
suchten Respekt und benutzten mit großem Eifer die gute Gelegenheit, seine
Meinung über ihre Arbeiten einzuholen. Dabei kann es ihnen freilich auch
passieren, daß Dörpfelds Falkenaugen xriiua vists, entdecken, was sie bei
monatelanger Arbeit nicht gesehen hatten, nämlich daß Architravstücke oder
Mauerteile, die sie für zusammengehörig hielten, thatsächlich nicht zusammen-


Archäologischc Stndienfahrten nach Griechenland und Aleinasien

schlank, sehnig und von großer körperlicher und geistiger Frische und Ausdauer.
Es macht ihm nichts aus, uach ziemlich schlafloser Nacht einen neunstündigen
Ritt auf arkadischen Gebirgspfaden auszuführen und mitten darin einen drei¬
stündigen Vortrag zu halten. Die Vorträge inmitten der antiken Trümmer
gewinnen sehr durch sein Helles klangvolles Organ, das weder in sengender
Sonnenglut, noch bei starkem Wind versagt. Dörpfeld spricht klar und faßlich,
man merkt überall den Sohn des Schulmanns heraus, der systematisch vor¬
geht und alles Sprunghafte vermeidet. Wenn dies bisweilen eine gewisse
Breite zur Folge hat, die für intelligente und gut vorbereitete Hörer nicht
nötig wäre, so ist zu bedenken, daß Dörpfeld einen sehr ungleichmüßigen Zu¬
hörerkreis vor sich hat und oft nicht wissen kann, wieviel er als bekannt
voraussetzen darf. Andrerseits hat er die seltne Gabe, seine Gedanken so zu
formulieren, daß man sich ihrer Beweiskraft schlechterdings nicht entziehn
kann; ich habe in den vielen Vorträgen kaum zwei oder drei nebensächliche
Punkte gefunden, wo mich seine Argumente nicht völlig überzeugten. Er be¬
schränkt sich im wesentlichen auf sein eigentliches Gebiet, die Architektur, und
streift nur gelegentlich die bildende Kunst; aber auch hier ist er ausgezeichnet
orientiert, und wie er sein immenses Wissen immer gegenwärtig hat, das ist
schlechterdings bewnndrungswürdig. Er hatte jederzeit den Pausanias zur
Hand, der ja für die griechischen Altertümer ein ganz unschätzbarer und im
ganzen höchst zuverlässiger Führer ist; wo dieser aber doch einmal eine irr¬
tümliche Angabe macht, wie z. B. gelegentlich in Olympia und Delphi, weiß
Dörpfeld mit großem Scharfsinn und Geschick zu zeigen, was der Anlaß des
Irrtums gewesen ist.

Was aber Dörpfelds eigentliche Größe ausmacht, ist sein scharfer, un¬
trüglicher Blick, dem auch die flüchtigsten Spuren in den Fundamenten, die
leisesten Anhaltspunkte in den Mauerresteu nicht entgeh», und nicht minder
untrüglich ist die scharflogische Konsequenz, mit der er unter vielen möglichen
Schlußfolgerungen immer die einzig richtige herausfindet. Sein Lieblings¬
gebiet ist der Thenterbau, und seine Theorie der Biihneneinrichtung im grie¬
chischen Theater der Blütezeit, die er anfangs auf Grund lückenhaften Materials
entwickelte, hat sich durch alle spätern Untersuchungen, z. V. am neuentdeckten
Theater von Priene, bestätigt und ist heute allgemein als richtig anerkannt.
Infolgedessen erfreut sich Dörpfeld auch bei den Archäologen der andern Na¬
tionen einer außerordentlichen Wertschätzung, wie wir wiederholt mit Vergnügen
beobachteten; der Amerikaner Mr. Richardson in Korinth, der Engländer
Mr. Mackenzie auf Melos, die französischen Herren in Delphi und die grie¬
chischen Forscher an verschiednen Orten empfingen unsern Führer mit ausge¬
suchten Respekt und benutzten mit großem Eifer die gute Gelegenheit, seine
Meinung über ihre Arbeiten einzuholen. Dabei kann es ihnen freilich auch
passieren, daß Dörpfelds Falkenaugen xriiua vists, entdecken, was sie bei
monatelanger Arbeit nicht gesehen hatten, nämlich daß Architravstücke oder
Mauerteile, die sie für zusammengehörig hielten, thatsächlich nicht zusammen-


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[0488] Archäologischc Stndienfahrten nach Griechenland und Aleinasien schlank, sehnig und von großer körperlicher und geistiger Frische und Ausdauer. Es macht ihm nichts aus, uach ziemlich schlafloser Nacht einen neunstündigen Ritt auf arkadischen Gebirgspfaden auszuführen und mitten darin einen drei¬ stündigen Vortrag zu halten. Die Vorträge inmitten der antiken Trümmer gewinnen sehr durch sein Helles klangvolles Organ, das weder in sengender Sonnenglut, noch bei starkem Wind versagt. Dörpfeld spricht klar und faßlich, man merkt überall den Sohn des Schulmanns heraus, der systematisch vor¬ geht und alles Sprunghafte vermeidet. Wenn dies bisweilen eine gewisse Breite zur Folge hat, die für intelligente und gut vorbereitete Hörer nicht nötig wäre, so ist zu bedenken, daß Dörpfeld einen sehr ungleichmüßigen Zu¬ hörerkreis vor sich hat und oft nicht wissen kann, wieviel er als bekannt voraussetzen darf. Andrerseits hat er die seltne Gabe, seine Gedanken so zu formulieren, daß man sich ihrer Beweiskraft schlechterdings nicht entziehn kann; ich habe in den vielen Vorträgen kaum zwei oder drei nebensächliche Punkte gefunden, wo mich seine Argumente nicht völlig überzeugten. Er be¬ schränkt sich im wesentlichen auf sein eigentliches Gebiet, die Architektur, und streift nur gelegentlich die bildende Kunst; aber auch hier ist er ausgezeichnet orientiert, und wie er sein immenses Wissen immer gegenwärtig hat, das ist schlechterdings bewnndrungswürdig. Er hatte jederzeit den Pausanias zur Hand, der ja für die griechischen Altertümer ein ganz unschätzbarer und im ganzen höchst zuverlässiger Führer ist; wo dieser aber doch einmal eine irr¬ tümliche Angabe macht, wie z. B. gelegentlich in Olympia und Delphi, weiß Dörpfeld mit großem Scharfsinn und Geschick zu zeigen, was der Anlaß des Irrtums gewesen ist. Was aber Dörpfelds eigentliche Größe ausmacht, ist sein scharfer, un¬ trüglicher Blick, dem auch die flüchtigsten Spuren in den Fundamenten, die leisesten Anhaltspunkte in den Mauerresteu nicht entgeh», und nicht minder untrüglich ist die scharflogische Konsequenz, mit der er unter vielen möglichen Schlußfolgerungen immer die einzig richtige herausfindet. Sein Lieblings¬ gebiet ist der Thenterbau, und seine Theorie der Biihneneinrichtung im grie¬ chischen Theater der Blütezeit, die er anfangs auf Grund lückenhaften Materials entwickelte, hat sich durch alle spätern Untersuchungen, z. V. am neuentdeckten Theater von Priene, bestätigt und ist heute allgemein als richtig anerkannt. Infolgedessen erfreut sich Dörpfeld auch bei den Archäologen der andern Na¬ tionen einer außerordentlichen Wertschätzung, wie wir wiederholt mit Vergnügen beobachteten; der Amerikaner Mr. Richardson in Korinth, der Engländer Mr. Mackenzie auf Melos, die französischen Herren in Delphi und die grie¬ chischen Forscher an verschiednen Orten empfingen unsern Führer mit ausge¬ suchten Respekt und benutzten mit großem Eifer die gute Gelegenheit, seine Meinung über ihre Arbeiten einzuholen. Dabei kann es ihnen freilich auch passieren, daß Dörpfelds Falkenaugen xriiua vists, entdecken, was sie bei monatelanger Arbeit nicht gesehen hatten, nämlich daß Architravstücke oder Mauerteile, die sie für zusammengehörig hielten, thatsächlich nicht zusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/488>, abgerufen am 24.08.2024.