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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Frage in Ungarns Gstmark

solchen stillen Stunden gesprochen habe. Schwer lastete trotz alles Festjnbels
und Kraftgefühls ans ihren Gemütern die Frage aller Fragen für sie und
verfolgte anch uns auf Schritt und Tritt: die deutsche Frage, die Frage ihrer
nationalen Existenz.

Wodurch hat sich dort das Deutschtum so rein erhalten können?*) Dn
ist zunächst zu sagen: Die siebenbürgischen Sachsen sind von Haus aus nord¬
deutsche Bauern, nicht eigentlich Sachsen, sondern, wie durch die Sprachforschung
jetzt völlig erwiesen ist, ursprünglich nördlich sitzende Mittelfranken, ausgewandert
im zwölften und dreizehnten Jahrhundert aus der Gegend von Köln bis nach
Flandern hin, sodaß ihr Platt noch heute dem Kölner und Luxemburger un¬
mittelbar verständlich ist. Als bäurische Kolonisten wurden sie einst von
ungarischen Königen und dem Deutschen Ritterorden, der eine vorübergehende
Rolle dort unten gespielt hat, ins Land gerufen und in ganzen großen Gruppen
angesiedelt, schon im dreizehnten Jahrhundert etwa 50000 Höfe stark, und als
solches Bauernvolk erscheinen sie noch jetzt. Auch die Städte sind hier ans
den Bauernschaften herausgewachsen und rekrutieren sich immer wieder aus
dem Lande. Damit aber hat man das konservativste und zuhefte Menschen-
material von der Welt. Man hat hänfig den Eindrnck, in ein thüringisches
Dorf zu kommen, dieselbe fränkische Hof- und Hausanlage noch bellte. Selbst
ans einem Dorf ins andre heiraten die sächsischen Bäuerinnen selten, und wie bei
uns haben die einzelnen Dörfer wieder ihre Abarten im gemeinsamen Dialekt.

Diese Bauern wurden nun in ihrer Eigentümlichkeit geschützt dnrch ihre
isolierte Lage. In dem waldigsten und gebirgigsten Teile des "Waldlandes"
Siebenbürgen, Transsilvaniens, röteten sie sich ihren "Sachsenboden" selbst,
namentlich in den Thalniederungen des Alt, unmittelbar am Fuße des Hoch¬
gebirges. Also auch ein niederdeutsches Burenvolk, in die Berge versetzt, ans
denen die Freiheit wohnt.

Hier hatten sie die Aufgabe, die Grenze zu schützen, und eben diese große
geschichtliche Aufgabe, die ihnen zufiel, ist das dritte, was ihrem Fortbestehn doch
auch trotz aller unzähligen Kriegsnöte wieder günstig war. Das siebenbiirgische
Ostungarn springt wie ein Keil in das heutige Rumänien "ut in die Donanebene
ein wie eine große natürliche Bastion zur Verteidigung der westeuropäische!!
Kultur, besonders der Theißebene. Wer diese besaß, mußte danach streben, anch
das Waldgebiet zu haben. Darum fingen, sobald sich Ungarn seit Stephan dem
Heiligen zu einem wirklichen Staate aufbaute, seine Könige an, dieses Grenz¬
land in Besitz zu nehmen, und nnter deutschem Einfluß stehend und sich der
großen deutschen Kolomsationsbeweguug des zwölftel, und dreizehnten Jahr¬
hunderts anschließend, riefen sie die Mafien der deutschen Bauer" wie in die
Zips gegen die Polen, so gegen die Völker der Donanebene nach Sieben¬
bürgen. Denn die große Malter der Südkarpaten hat einige Löcher, Einfalls-



") Vgl. den Abriß der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte, den ich in den Preußischen
Jahrbüchern 1900, S. 1 ff. gegeben habe.
Die deutsche Frage in Ungarns Gstmark

solchen stillen Stunden gesprochen habe. Schwer lastete trotz alles Festjnbels
und Kraftgefühls ans ihren Gemütern die Frage aller Fragen für sie und
verfolgte anch uns auf Schritt und Tritt: die deutsche Frage, die Frage ihrer
nationalen Existenz.

Wodurch hat sich dort das Deutschtum so rein erhalten können?*) Dn
ist zunächst zu sagen: Die siebenbürgischen Sachsen sind von Haus aus nord¬
deutsche Bauern, nicht eigentlich Sachsen, sondern, wie durch die Sprachforschung
jetzt völlig erwiesen ist, ursprünglich nördlich sitzende Mittelfranken, ausgewandert
im zwölften und dreizehnten Jahrhundert aus der Gegend von Köln bis nach
Flandern hin, sodaß ihr Platt noch heute dem Kölner und Luxemburger un¬
mittelbar verständlich ist. Als bäurische Kolonisten wurden sie einst von
ungarischen Königen und dem Deutschen Ritterorden, der eine vorübergehende
Rolle dort unten gespielt hat, ins Land gerufen und in ganzen großen Gruppen
angesiedelt, schon im dreizehnten Jahrhundert etwa 50000 Höfe stark, und als
solches Bauernvolk erscheinen sie noch jetzt. Auch die Städte sind hier ans
den Bauernschaften herausgewachsen und rekrutieren sich immer wieder aus
dem Lande. Damit aber hat man das konservativste und zuhefte Menschen-
material von der Welt. Man hat hänfig den Eindrnck, in ein thüringisches
Dorf zu kommen, dieselbe fränkische Hof- und Hausanlage noch bellte. Selbst
ans einem Dorf ins andre heiraten die sächsischen Bäuerinnen selten, und wie bei
uns haben die einzelnen Dörfer wieder ihre Abarten im gemeinsamen Dialekt.

Diese Bauern wurden nun in ihrer Eigentümlichkeit geschützt dnrch ihre
isolierte Lage. In dem waldigsten und gebirgigsten Teile des „Waldlandes"
Siebenbürgen, Transsilvaniens, röteten sie sich ihren „Sachsenboden" selbst,
namentlich in den Thalniederungen des Alt, unmittelbar am Fuße des Hoch¬
gebirges. Also auch ein niederdeutsches Burenvolk, in die Berge versetzt, ans
denen die Freiheit wohnt.

Hier hatten sie die Aufgabe, die Grenze zu schützen, und eben diese große
geschichtliche Aufgabe, die ihnen zufiel, ist das dritte, was ihrem Fortbestehn doch
auch trotz aller unzähligen Kriegsnöte wieder günstig war. Das siebenbiirgische
Ostungarn springt wie ein Keil in das heutige Rumänien »ut in die Donanebene
ein wie eine große natürliche Bastion zur Verteidigung der westeuropäische!!
Kultur, besonders der Theißebene. Wer diese besaß, mußte danach streben, anch
das Waldgebiet zu haben. Darum fingen, sobald sich Ungarn seit Stephan dem
Heiligen zu einem wirklichen Staate aufbaute, seine Könige an, dieses Grenz¬
land in Besitz zu nehmen, und nnter deutschem Einfluß stehend und sich der
großen deutschen Kolomsationsbeweguug des zwölftel, und dreizehnten Jahr¬
hunderts anschließend, riefen sie die Mafien der deutschen Bauer« wie in die
Zips gegen die Polen, so gegen die Völker der Donanebene nach Sieben¬
bürgen. Denn die große Malter der Südkarpaten hat einige Löcher, Einfalls-



") Vgl. den Abriß der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte, den ich in den Preußischen
Jahrbüchern 1900, S. 1 ff. gegeben habe.
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[0420] Die deutsche Frage in Ungarns Gstmark solchen stillen Stunden gesprochen habe. Schwer lastete trotz alles Festjnbels und Kraftgefühls ans ihren Gemütern die Frage aller Fragen für sie und verfolgte anch uns auf Schritt und Tritt: die deutsche Frage, die Frage ihrer nationalen Existenz. Wodurch hat sich dort das Deutschtum so rein erhalten können?*) Dn ist zunächst zu sagen: Die siebenbürgischen Sachsen sind von Haus aus nord¬ deutsche Bauern, nicht eigentlich Sachsen, sondern, wie durch die Sprachforschung jetzt völlig erwiesen ist, ursprünglich nördlich sitzende Mittelfranken, ausgewandert im zwölften und dreizehnten Jahrhundert aus der Gegend von Köln bis nach Flandern hin, sodaß ihr Platt noch heute dem Kölner und Luxemburger un¬ mittelbar verständlich ist. Als bäurische Kolonisten wurden sie einst von ungarischen Königen und dem Deutschen Ritterorden, der eine vorübergehende Rolle dort unten gespielt hat, ins Land gerufen und in ganzen großen Gruppen angesiedelt, schon im dreizehnten Jahrhundert etwa 50000 Höfe stark, und als solches Bauernvolk erscheinen sie noch jetzt. Auch die Städte sind hier ans den Bauernschaften herausgewachsen und rekrutieren sich immer wieder aus dem Lande. Damit aber hat man das konservativste und zuhefte Menschen- material von der Welt. Man hat hänfig den Eindrnck, in ein thüringisches Dorf zu kommen, dieselbe fränkische Hof- und Hausanlage noch bellte. Selbst ans einem Dorf ins andre heiraten die sächsischen Bäuerinnen selten, und wie bei uns haben die einzelnen Dörfer wieder ihre Abarten im gemeinsamen Dialekt. Diese Bauern wurden nun in ihrer Eigentümlichkeit geschützt dnrch ihre isolierte Lage. In dem waldigsten und gebirgigsten Teile des „Waldlandes" Siebenbürgen, Transsilvaniens, röteten sie sich ihren „Sachsenboden" selbst, namentlich in den Thalniederungen des Alt, unmittelbar am Fuße des Hoch¬ gebirges. Also auch ein niederdeutsches Burenvolk, in die Berge versetzt, ans denen die Freiheit wohnt. Hier hatten sie die Aufgabe, die Grenze zu schützen, und eben diese große geschichtliche Aufgabe, die ihnen zufiel, ist das dritte, was ihrem Fortbestehn doch auch trotz aller unzähligen Kriegsnöte wieder günstig war. Das siebenbiirgische Ostungarn springt wie ein Keil in das heutige Rumänien »ut in die Donanebene ein wie eine große natürliche Bastion zur Verteidigung der westeuropäische!! Kultur, besonders der Theißebene. Wer diese besaß, mußte danach streben, anch das Waldgebiet zu haben. Darum fingen, sobald sich Ungarn seit Stephan dem Heiligen zu einem wirklichen Staate aufbaute, seine Könige an, dieses Grenz¬ land in Besitz zu nehmen, und nnter deutschem Einfluß stehend und sich der großen deutschen Kolomsationsbeweguug des zwölftel, und dreizehnten Jahr¬ hunderts anschließend, riefen sie die Mafien der deutschen Bauer« wie in die Zips gegen die Polen, so gegen die Völker der Donanebene nach Sieben¬ bürgen. Denn die große Malter der Südkarpaten hat einige Löcher, Einfalls- ") Vgl. den Abriß der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte, den ich in den Preußischen Jahrbüchern 1900, S. 1 ff. gegeben habe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/420>, abgerufen am 22.07.2024.