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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

schmale Wolkenstreifen; das war sie, Homers Foöoöttxr^os ^'s, die rosen-
fingrige Eos! Noch lag die Küstenlandschaft in eigentümlich stumpfer Be¬
leuchtung, ohne Abstufung von Licht und Schatten, dann aber begann das
Haupt des Ätna rosig zu glühn, und endlich trat er vor in goldner, blendender
Herrlichkeit, Phöbos Apollon, und seine Strahlen Übergossen alles mit hellen
Farben, "e)>./o^ xtt^et^ P"os -- Strahl des Helios, schönstes
Licht! Und welches Bild von der Aussichtsterrasse im Mittagsglanze! Bei
einem solchen Anblick hat Goethe an dieser Küste die Verse für seine Nausikaa
gedichtet:

Fast senkrecht unter uns lag das kahle, weit vorspringende grauweiße Kap
Sant' Andrea und das gleichnamige Felseninselchen, oben etwas bewachsen und' mit den Trümmern eines Wartturms gekrönt, mit dem Lande nur durch einen
schmalen Sandstreifen verbunden, über den von beiden Seiten die Wellen
brandeten, sich einander gegenseitig brechend; nach Norden zu der steile Abfall
des zackigen Küstengebirges bis Sant' Alessio hin, hier nackt und grau, dort
mit grünen Baum- und Weingärten bedeckt und mit weißen Gehöften übersät,
unten der helle, flache Sandstrand, und weit im Nordosten als langer Gebirgs-
zug die hohe Küste Kalabriens; nach Südwesten über der kleinen Stadt zu¬
nächst der Theaterhügel mit der Sigualstation (Telegrafo) auf dem Gipfel,
weiter landeinwärts steile Wände, Mola, das Kastell von Taormina und die
Einsiedelei von Santa Maria della Rocca hoch oben, tief unten die Häuser
von Giardini, und nun Küstenvorsprung hinter Küstenvorsprung, Halbinsel
hinter Halbinsel bis gegen Catania hin. Rechts, den ganzen Süd- und Sud-
"sthorizont erfüllend, dehnte sich grenzenlos die blaue See, und über Meer
und Land stieg alles beherrschend, in einer Majestät und Massigkeit, die kein
Bild wiedergiebt, bis 3300 Meter Höhe der breite Kegel des Ätna empor.

Er bot in diesen Tagen ein immer wechselndes Schauspiel. Gegen Mittag
hüllte er sich einmal in einen dunkelblaugrauer Wolkeumantel, allmählich über¬
zog von Westen her dichtes Gewölk den ganzen Himmel, im Südhorizont be¬
gannen die grauen Regenschleier auf das Meer herniederzuhängen, indem sie
sich immer weiter nach Osten schoben, flammende Blitze zuckten, der Donner
rollte hoch in der Luft, und das Meer begann dumpf zu rauschen. Dann
goß "unendlicher Regen herab," "von den Bergen stürzten die Quellen," in
wenig Minuten war die Straße in einen Gießbach verwandelt, doch das
dürstende Erdreich sog begierig das erquickende Himmelsnaß ein, und fast
sichtbar belebten sich Sträucher und Bäume. Schnell rauschte die Flut
vorüber, das Gewitter zog unter fernem Grollen nach Osten ab, am Abend
kämpfte der Mond schon mit den Wolken, und gegen neun Uhr funkelten
einzelne Sterne. Am nächsten Morgen aber war der Himmel wieder völlig
klar, die Luft durchsichtig rein, der Ätna trug bis tief herab einen weißen
Schneemantel, den die aufsteigende Sonne mit einem rosigen Hauche über-


Grcnzboten it 1900 51
Auf Sizilien

schmale Wolkenstreifen; das war sie, Homers Foöoöttxr^os ^'s, die rosen-
fingrige Eos! Noch lag die Küstenlandschaft in eigentümlich stumpfer Be¬
leuchtung, ohne Abstufung von Licht und Schatten, dann aber begann das
Haupt des Ätna rosig zu glühn, und endlich trat er vor in goldner, blendender
Herrlichkeit, Phöbos Apollon, und seine Strahlen Übergossen alles mit hellen
Farben, «e)>./o^ xtt^et^ P«os — Strahl des Helios, schönstes
Licht! Und welches Bild von der Aussichtsterrasse im Mittagsglanze! Bei
einem solchen Anblick hat Goethe an dieser Küste die Verse für seine Nausikaa
gedichtet:

Fast senkrecht unter uns lag das kahle, weit vorspringende grauweiße Kap
Sant' Andrea und das gleichnamige Felseninselchen, oben etwas bewachsen und' mit den Trümmern eines Wartturms gekrönt, mit dem Lande nur durch einen
schmalen Sandstreifen verbunden, über den von beiden Seiten die Wellen
brandeten, sich einander gegenseitig brechend; nach Norden zu der steile Abfall
des zackigen Küstengebirges bis Sant' Alessio hin, hier nackt und grau, dort
mit grünen Baum- und Weingärten bedeckt und mit weißen Gehöften übersät,
unten der helle, flache Sandstrand, und weit im Nordosten als langer Gebirgs-
zug die hohe Küste Kalabriens; nach Südwesten über der kleinen Stadt zu¬
nächst der Theaterhügel mit der Sigualstation (Telegrafo) auf dem Gipfel,
weiter landeinwärts steile Wände, Mola, das Kastell von Taormina und die
Einsiedelei von Santa Maria della Rocca hoch oben, tief unten die Häuser
von Giardini, und nun Küstenvorsprung hinter Küstenvorsprung, Halbinsel
hinter Halbinsel bis gegen Catania hin. Rechts, den ganzen Süd- und Sud-
»sthorizont erfüllend, dehnte sich grenzenlos die blaue See, und über Meer
und Land stieg alles beherrschend, in einer Majestät und Massigkeit, die kein
Bild wiedergiebt, bis 3300 Meter Höhe der breite Kegel des Ätna empor.

Er bot in diesen Tagen ein immer wechselndes Schauspiel. Gegen Mittag
hüllte er sich einmal in einen dunkelblaugrauer Wolkeumantel, allmählich über¬
zog von Westen her dichtes Gewölk den ganzen Himmel, im Südhorizont be¬
gannen die grauen Regenschleier auf das Meer herniederzuhängen, indem sie
sich immer weiter nach Osten schoben, flammende Blitze zuckten, der Donner
rollte hoch in der Luft, und das Meer begann dumpf zu rauschen. Dann
goß „unendlicher Regen herab," „von den Bergen stürzten die Quellen," in
wenig Minuten war die Straße in einen Gießbach verwandelt, doch das
dürstende Erdreich sog begierig das erquickende Himmelsnaß ein, und fast
sichtbar belebten sich Sträucher und Bäume. Schnell rauschte die Flut
vorüber, das Gewitter zog unter fernem Grollen nach Osten ab, am Abend
kämpfte der Mond schon mit den Wolken, und gegen neun Uhr funkelten
einzelne Sterne. Am nächsten Morgen aber war der Himmel wieder völlig
klar, die Luft durchsichtig rein, der Ätna trug bis tief herab einen weißen
Schneemantel, den die aufsteigende Sonne mit einem rosigen Hauche über-


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[0409] Auf Sizilien schmale Wolkenstreifen; das war sie, Homers Foöoöttxr^os ^'s, die rosen- fingrige Eos! Noch lag die Küstenlandschaft in eigentümlich stumpfer Be¬ leuchtung, ohne Abstufung von Licht und Schatten, dann aber begann das Haupt des Ätna rosig zu glühn, und endlich trat er vor in goldner, blendender Herrlichkeit, Phöbos Apollon, und seine Strahlen Übergossen alles mit hellen Farben, «e)>./o^ xtt^et^ P«os — Strahl des Helios, schönstes Licht! Und welches Bild von der Aussichtsterrasse im Mittagsglanze! Bei einem solchen Anblick hat Goethe an dieser Küste die Verse für seine Nausikaa gedichtet: Fast senkrecht unter uns lag das kahle, weit vorspringende grauweiße Kap Sant' Andrea und das gleichnamige Felseninselchen, oben etwas bewachsen und' mit den Trümmern eines Wartturms gekrönt, mit dem Lande nur durch einen schmalen Sandstreifen verbunden, über den von beiden Seiten die Wellen brandeten, sich einander gegenseitig brechend; nach Norden zu der steile Abfall des zackigen Küstengebirges bis Sant' Alessio hin, hier nackt und grau, dort mit grünen Baum- und Weingärten bedeckt und mit weißen Gehöften übersät, unten der helle, flache Sandstrand, und weit im Nordosten als langer Gebirgs- zug die hohe Küste Kalabriens; nach Südwesten über der kleinen Stadt zu¬ nächst der Theaterhügel mit der Sigualstation (Telegrafo) auf dem Gipfel, weiter landeinwärts steile Wände, Mola, das Kastell von Taormina und die Einsiedelei von Santa Maria della Rocca hoch oben, tief unten die Häuser von Giardini, und nun Küstenvorsprung hinter Küstenvorsprung, Halbinsel hinter Halbinsel bis gegen Catania hin. Rechts, den ganzen Süd- und Sud- »sthorizont erfüllend, dehnte sich grenzenlos die blaue See, und über Meer und Land stieg alles beherrschend, in einer Majestät und Massigkeit, die kein Bild wiedergiebt, bis 3300 Meter Höhe der breite Kegel des Ätna empor. Er bot in diesen Tagen ein immer wechselndes Schauspiel. Gegen Mittag hüllte er sich einmal in einen dunkelblaugrauer Wolkeumantel, allmählich über¬ zog von Westen her dichtes Gewölk den ganzen Himmel, im Südhorizont be¬ gannen die grauen Regenschleier auf das Meer herniederzuhängen, indem sie sich immer weiter nach Osten schoben, flammende Blitze zuckten, der Donner rollte hoch in der Luft, und das Meer begann dumpf zu rauschen. Dann goß „unendlicher Regen herab," „von den Bergen stürzten die Quellen," in wenig Minuten war die Straße in einen Gießbach verwandelt, doch das dürstende Erdreich sog begierig das erquickende Himmelsnaß ein, und fast sichtbar belebten sich Sträucher und Bäume. Schnell rauschte die Flut vorüber, das Gewitter zog unter fernem Grollen nach Osten ab, am Abend kämpfte der Mond schon mit den Wolken, und gegen neun Uhr funkelten einzelne Sterne. Am nächsten Morgen aber war der Himmel wieder völlig klar, die Luft durchsichtig rein, der Ätna trug bis tief herab einen weißen Schneemantel, den die aufsteigende Sonne mit einem rosigen Hauche über- Grcnzboten it 1900 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/409>, abgerufen am 01.07.2024.