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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Den Abbildungen gehn gemeine Stilzergliedernngen zur Seite, die in ihren manch¬
mal langen, mit technischen Ausdrücken überfüllten Sätzen nicht immer leicht zu
lesen sind. Aber der Verfasser wollte ja nicht für jedermann schreiben, sondern für
wissenschaftliche Leute. Er ist eifrig bemüht, die Schlingen der Untersuchung überall
enger zu ziehn, und richtet im ganzen sein Augenmerk hauptsächlich auf das Raum¬
bild. Anerkennenswert ist das Bestreben, die Baugestaltung bis ins einzelne aus
der Geschichte und den Bedürfnissen der Zeit abzuleiten. Äußerlich sind die Kirchen
verhältnismäßig einfach; im Innern spricht sich mehr oder weniger deutlich die Rück¬
sicht auf den evangelischen Kultus mit seiner Predigt aus. Die Predigtkirche, die
sich hier vorbereitet, möchte der Verfasser "Saalkirche" nennen zum Unterschiede
von der Hallenkirche der klassischen Gotik. Ganz saalartige Gotteshäuser finden sich
in einigen Orten (Oberen, Ruppertsgrüu, Niederplanitz), und die zwei Kirchen
in Rochlitz, Hauptvertreter einer besondern Baugruppe neben jener erzgebirgischen,
haben ein Schiff von beinahe quadratischem Grundriß. Der Verfasser legt großen
Wert darauf, daß die spätgotische Architektur eine "Raumkunst" gewesen sei, aber
der Nachweis fehlt; es liege mehr im Gefühl. Daran wird auch der Schluß, daß
diese spätgotische Architektur nicht etwa bloß der Renaissance nahe kommt, sondern
Renaissance "ist," vorläufig nur für ihn selbst Geltung haben können.

Lesern von Justis Velazquez wird eine sogar für einen Kunsthistoriker unge¬
wöhnliche Kenntnis von Kostümfragcn aufgefallen sein. Jetzt tritt auch sein Bruder,
der Sprachforscher, als Kenner an die Öffentlichkeit, und zwar als Sammler von
Volkstrachten, mit selbstgemachten Aufnahmen nach der Natur: Hessisches Trachten¬
buch von Ferdinand Insel (Marburg, Elwert). erste Lieferung mit acht Tafeln in
Großfolio. Zwei Bauern im Zimmer sitzend, Kniestücke; zwei junge und zwei alte
Frauen, bis zu den Füßen, im Zimmer, in einer Landschaft oder vor einer Kirche
sitzend oder stehend, endlich zwei Brnstschmucke. Buntstickerei ans Seide. Die litho¬
graphisch wiedergegebnen Aquarellbilder sind durchaus Porträts ohne künstlerische
Phantasiezugaben, wie der Verfasser bemerkt, der sich davon einen ungeheuern Schatz
angelegt haben muß; sie machen den Eindruck großer Treue, die Figuren haben in
ihrer Natürlichkeit sogar etwas treuherziges und nichts von der Koketterie der meisten
Trachtenbilder ans unsern Postkarten.

Der Text ist reich an guten Beobachtungen. Unsre Volkstrachten sind stehn-
gebliebne städtische Moden früherer Zeiten; wann und wie sie sich aber allmählich
festgelegt haben, und warum sich auffallende Arten auf einzelnen engern Gebieten
(Hessische Schwalm und Herzogtum Altenburg) erhalten haben, wissen wir nicht.
Die Bauerntracht verschwindet allmählich, schon aus dem Grunde, weil sie kostbarer
ist als die heutige Stadtkleidung. Einzelnes, unter andern, die Kniehosen, erhält
sich im Sport und in der Hoftracht, wenn es auch leider auf dem Umwege über
England wieder zu uns kommt. Wo sich die Volkstracht noch ganz gehalten hat,
kann sie den Knlturhistoriker und Kunstforscher interessieren nicht nur wegen der
Stoffe und Schnitte, sondern namentlich auch wegen der Art, wie sich die Menschen
darin ausnehmen. Die Kleidung bestimmt die Haltung und die Bewegung; enge
Kleidungsstücke haben einen andern Gang zur Folge als weite, und schleppende Kleider
müssen anders getragen werden als kurze; die Bäuerinnen der Marburger Gegend
Ziehn bei jedem Wetter tief ausgeschnittne Schuhe an und gehn deshalb zierlich,
die des Hinterlandes mit hohem Schuhwerk treten auf wie Männer. Eine in voller
Tracht "aufgesetzte" Bauersfrau kann sich kaum anders bewegen als gemessen, und
wenn sie sich ganz feierlich fühlt, in der Kirche bei der Erteilung des Segens oder
vor dem Abendmahl, so "trinkst" sie. wie es vor Zeiten unsre vornehmen Urgro߬
mutter thaten. Das Volk bewahrt also mit seiner Tracht zugleich noch etwas von dem
Leben früherer Geschlechter. Der nivellierte Stadtmensch, der keinen persönlichen
Geschmack mehr hat, findet das alles komisch. Fassen wir aber einmal die Be-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Den Abbildungen gehn gemeine Stilzergliedernngen zur Seite, die in ihren manch¬
mal langen, mit technischen Ausdrücken überfüllten Sätzen nicht immer leicht zu
lesen sind. Aber der Verfasser wollte ja nicht für jedermann schreiben, sondern für
wissenschaftliche Leute. Er ist eifrig bemüht, die Schlingen der Untersuchung überall
enger zu ziehn, und richtet im ganzen sein Augenmerk hauptsächlich auf das Raum¬
bild. Anerkennenswert ist das Bestreben, die Baugestaltung bis ins einzelne aus
der Geschichte und den Bedürfnissen der Zeit abzuleiten. Äußerlich sind die Kirchen
verhältnismäßig einfach; im Innern spricht sich mehr oder weniger deutlich die Rück¬
sicht auf den evangelischen Kultus mit seiner Predigt aus. Die Predigtkirche, die
sich hier vorbereitet, möchte der Verfasser „Saalkirche" nennen zum Unterschiede
von der Hallenkirche der klassischen Gotik. Ganz saalartige Gotteshäuser finden sich
in einigen Orten (Oberen, Ruppertsgrüu, Niederplanitz), und die zwei Kirchen
in Rochlitz, Hauptvertreter einer besondern Baugruppe neben jener erzgebirgischen,
haben ein Schiff von beinahe quadratischem Grundriß. Der Verfasser legt großen
Wert darauf, daß die spätgotische Architektur eine „Raumkunst" gewesen sei, aber
der Nachweis fehlt; es liege mehr im Gefühl. Daran wird auch der Schluß, daß
diese spätgotische Architektur nicht etwa bloß der Renaissance nahe kommt, sondern
Renaissance „ist," vorläufig nur für ihn selbst Geltung haben können.

Lesern von Justis Velazquez wird eine sogar für einen Kunsthistoriker unge¬
wöhnliche Kenntnis von Kostümfragcn aufgefallen sein. Jetzt tritt auch sein Bruder,
der Sprachforscher, als Kenner an die Öffentlichkeit, und zwar als Sammler von
Volkstrachten, mit selbstgemachten Aufnahmen nach der Natur: Hessisches Trachten¬
buch von Ferdinand Insel (Marburg, Elwert). erste Lieferung mit acht Tafeln in
Großfolio. Zwei Bauern im Zimmer sitzend, Kniestücke; zwei junge und zwei alte
Frauen, bis zu den Füßen, im Zimmer, in einer Landschaft oder vor einer Kirche
sitzend oder stehend, endlich zwei Brnstschmucke. Buntstickerei ans Seide. Die litho¬
graphisch wiedergegebnen Aquarellbilder sind durchaus Porträts ohne künstlerische
Phantasiezugaben, wie der Verfasser bemerkt, der sich davon einen ungeheuern Schatz
angelegt haben muß; sie machen den Eindruck großer Treue, die Figuren haben in
ihrer Natürlichkeit sogar etwas treuherziges und nichts von der Koketterie der meisten
Trachtenbilder ans unsern Postkarten.

Der Text ist reich an guten Beobachtungen. Unsre Volkstrachten sind stehn-
gebliebne städtische Moden früherer Zeiten; wann und wie sie sich aber allmählich
festgelegt haben, und warum sich auffallende Arten auf einzelnen engern Gebieten
(Hessische Schwalm und Herzogtum Altenburg) erhalten haben, wissen wir nicht.
Die Bauerntracht verschwindet allmählich, schon aus dem Grunde, weil sie kostbarer
ist als die heutige Stadtkleidung. Einzelnes, unter andern, die Kniehosen, erhält
sich im Sport und in der Hoftracht, wenn es auch leider auf dem Umwege über
England wieder zu uns kommt. Wo sich die Volkstracht noch ganz gehalten hat,
kann sie den Knlturhistoriker und Kunstforscher interessieren nicht nur wegen der
Stoffe und Schnitte, sondern namentlich auch wegen der Art, wie sich die Menschen
darin ausnehmen. Die Kleidung bestimmt die Haltung und die Bewegung; enge
Kleidungsstücke haben einen andern Gang zur Folge als weite, und schleppende Kleider
müssen anders getragen werden als kurze; die Bäuerinnen der Marburger Gegend
Ziehn bei jedem Wetter tief ausgeschnittne Schuhe an und gehn deshalb zierlich,
die des Hinterlandes mit hohem Schuhwerk treten auf wie Männer. Eine in voller
Tracht „aufgesetzte" Bauersfrau kann sich kaum anders bewegen als gemessen, und
wenn sie sich ganz feierlich fühlt, in der Kirche bei der Erteilung des Segens oder
vor dem Abendmahl, so „trinkst" sie. wie es vor Zeiten unsre vornehmen Urgro߬
mutter thaten. Das Volk bewahrt also mit seiner Tracht zugleich noch etwas von dem
Leben früherer Geschlechter. Der nivellierte Stadtmensch, der keinen persönlichen
Geschmack mehr hat, findet das alles komisch. Fassen wir aber einmal die Be-


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[0365] Maßgebliches und Unmaßgebliches Den Abbildungen gehn gemeine Stilzergliedernngen zur Seite, die in ihren manch¬ mal langen, mit technischen Ausdrücken überfüllten Sätzen nicht immer leicht zu lesen sind. Aber der Verfasser wollte ja nicht für jedermann schreiben, sondern für wissenschaftliche Leute. Er ist eifrig bemüht, die Schlingen der Untersuchung überall enger zu ziehn, und richtet im ganzen sein Augenmerk hauptsächlich auf das Raum¬ bild. Anerkennenswert ist das Bestreben, die Baugestaltung bis ins einzelne aus der Geschichte und den Bedürfnissen der Zeit abzuleiten. Äußerlich sind die Kirchen verhältnismäßig einfach; im Innern spricht sich mehr oder weniger deutlich die Rück¬ sicht auf den evangelischen Kultus mit seiner Predigt aus. Die Predigtkirche, die sich hier vorbereitet, möchte der Verfasser „Saalkirche" nennen zum Unterschiede von der Hallenkirche der klassischen Gotik. Ganz saalartige Gotteshäuser finden sich in einigen Orten (Oberen, Ruppertsgrüu, Niederplanitz), und die zwei Kirchen in Rochlitz, Hauptvertreter einer besondern Baugruppe neben jener erzgebirgischen, haben ein Schiff von beinahe quadratischem Grundriß. Der Verfasser legt großen Wert darauf, daß die spätgotische Architektur eine „Raumkunst" gewesen sei, aber der Nachweis fehlt; es liege mehr im Gefühl. Daran wird auch der Schluß, daß diese spätgotische Architektur nicht etwa bloß der Renaissance nahe kommt, sondern Renaissance „ist," vorläufig nur für ihn selbst Geltung haben können. Lesern von Justis Velazquez wird eine sogar für einen Kunsthistoriker unge¬ wöhnliche Kenntnis von Kostümfragcn aufgefallen sein. Jetzt tritt auch sein Bruder, der Sprachforscher, als Kenner an die Öffentlichkeit, und zwar als Sammler von Volkstrachten, mit selbstgemachten Aufnahmen nach der Natur: Hessisches Trachten¬ buch von Ferdinand Insel (Marburg, Elwert). erste Lieferung mit acht Tafeln in Großfolio. Zwei Bauern im Zimmer sitzend, Kniestücke; zwei junge und zwei alte Frauen, bis zu den Füßen, im Zimmer, in einer Landschaft oder vor einer Kirche sitzend oder stehend, endlich zwei Brnstschmucke. Buntstickerei ans Seide. Die litho¬ graphisch wiedergegebnen Aquarellbilder sind durchaus Porträts ohne künstlerische Phantasiezugaben, wie der Verfasser bemerkt, der sich davon einen ungeheuern Schatz angelegt haben muß; sie machen den Eindruck großer Treue, die Figuren haben in ihrer Natürlichkeit sogar etwas treuherziges und nichts von der Koketterie der meisten Trachtenbilder ans unsern Postkarten. Der Text ist reich an guten Beobachtungen. Unsre Volkstrachten sind stehn- gebliebne städtische Moden früherer Zeiten; wann und wie sie sich aber allmählich festgelegt haben, und warum sich auffallende Arten auf einzelnen engern Gebieten (Hessische Schwalm und Herzogtum Altenburg) erhalten haben, wissen wir nicht. Die Bauerntracht verschwindet allmählich, schon aus dem Grunde, weil sie kostbarer ist als die heutige Stadtkleidung. Einzelnes, unter andern, die Kniehosen, erhält sich im Sport und in der Hoftracht, wenn es auch leider auf dem Umwege über England wieder zu uns kommt. Wo sich die Volkstracht noch ganz gehalten hat, kann sie den Knlturhistoriker und Kunstforscher interessieren nicht nur wegen der Stoffe und Schnitte, sondern namentlich auch wegen der Art, wie sich die Menschen darin ausnehmen. Die Kleidung bestimmt die Haltung und die Bewegung; enge Kleidungsstücke haben einen andern Gang zur Folge als weite, und schleppende Kleider müssen anders getragen werden als kurze; die Bäuerinnen der Marburger Gegend Ziehn bei jedem Wetter tief ausgeschnittne Schuhe an und gehn deshalb zierlich, die des Hinterlandes mit hohem Schuhwerk treten auf wie Männer. Eine in voller Tracht „aufgesetzte" Bauersfrau kann sich kaum anders bewegen als gemessen, und wenn sie sich ganz feierlich fühlt, in der Kirche bei der Erteilung des Segens oder vor dem Abendmahl, so „trinkst" sie. wie es vor Zeiten unsre vornehmen Urgro߬ mutter thaten. Das Volk bewahrt also mit seiner Tracht zugleich noch etwas von dem Leben früherer Geschlechter. Der nivellierte Stadtmensch, der keinen persönlichen Geschmack mehr hat, findet das alles komisch. Fassen wir aber einmal die Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/365>, abgerufen am 01.07.2024.