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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Frau in der venezianischen Malerei

!w dankbares, glücklich gewähltes Thema! -- In Rom am Hof
des Papstes hätte es Frauen von Rechts wegen überhaupt nich
geben sollen; das weibliche Bildnis, das der Auffassung des
! Cinquecento zusagte, brachte erst Sebastians del Piombo aus
! Venedig mit, als Raffael längst auf seiner Höhe stand. Michel¬
angelo kümmerte sich nicht um die Frauenwelt, die ihn umgab; seine Sibyllen
sind Wesen höherer Ordnung, die keinem von uns leibhaftig begegnen könnten.
Die Florentiner des Quattrocento matten die zarte, mädchenhaft zurückhaltende
Madonna oder auch die steifen Patrizierfrauen in ihren schweren, bis oben
zugeknöpften Festkleidern. Nur Sandro Botticelli machte es anders. Der
malte nicht bloß Köpfe und Kleider, sondern auch unbekleidete weibliche Körper¬
formen, aber soviel Reiz und Zauber er auch damit in die Welt hinausgestreut
hat bis auf den heutigen Tag: physisch lebende Menschen sind seine Venus,
seine Nymphen oder Hören dennoch nicht. Erst durch die Venezianer kommen
die Frauen der Wirklichkeit in die Kunst, und in hellen Haufen dringen sie
ein in ihr neues Reich. Wenn mau zusammenrechnen wollte, was Movanm
Bellini. Giorgione. Tizian und alle die andern dargestellt haben bis zu Paolo
Veronese und dem Spätling Tiepolo. so würde das Weibliche nicht nur der
Menge nach, sondern namentlich anch in seiner Bedeutung und in dem Ein¬
druck, den es auf uus macht, ohne Frage voranstehn. Um das Neue zu er¬
messen, erinnere man sich an einige Haupttypen, wie Tizians Bella und Flora,
die schwergeschmückten Frauen Palmas. die ruhende Unbekleidete bei Giorgwne
und Tizian. Wo wäre bei den Florentinern oder Römern etwas ähnliches?
Diese andre Stoffwahl und Auffassung der Venezianer hängt und ihrem Leben
und ihrer Stadt zusammen. Die verheiratete Frau der höhern Staude nahm
in Venedig weniger als anderswo an dem Leben der Männer teil, sie lebte
für sich in der Enge ihres Hauses und langweilte sich; die Venezianerinneu
galten für wenig gebildet, selten tritt eine von ihnen litterarisch hervor. Mit
diesen Frauen allein hätte sich keine venezianische Malerei machen lassen, so
wie wir sie heute vor uns haben. In die Lücke treten nun die weithin be¬
rufnen Courtisanen ein. die einst scharenweise das Konzil von Konstanz be¬
suchten und viel später von Montaigne und andern Reisenden als eme Merk¬
würdigkeit von Venedig beschrieben worden sind; in der Zwischenz erfinden
wir sie als Modelle bei den Künstlern, denen sie Freiheiten gewährten, die


Grenzboten II 1900


Die Frau in der venezianischen Malerei

!w dankbares, glücklich gewähltes Thema! — In Rom am Hof
des Papstes hätte es Frauen von Rechts wegen überhaupt nich
geben sollen; das weibliche Bildnis, das der Auffassung des
! Cinquecento zusagte, brachte erst Sebastians del Piombo aus
! Venedig mit, als Raffael längst auf seiner Höhe stand. Michel¬
angelo kümmerte sich nicht um die Frauenwelt, die ihn umgab; seine Sibyllen
sind Wesen höherer Ordnung, die keinem von uns leibhaftig begegnen könnten.
Die Florentiner des Quattrocento matten die zarte, mädchenhaft zurückhaltende
Madonna oder auch die steifen Patrizierfrauen in ihren schweren, bis oben
zugeknöpften Festkleidern. Nur Sandro Botticelli machte es anders. Der
malte nicht bloß Köpfe und Kleider, sondern auch unbekleidete weibliche Körper¬
formen, aber soviel Reiz und Zauber er auch damit in die Welt hinausgestreut
hat bis auf den heutigen Tag: physisch lebende Menschen sind seine Venus,
seine Nymphen oder Hören dennoch nicht. Erst durch die Venezianer kommen
die Frauen der Wirklichkeit in die Kunst, und in hellen Haufen dringen sie
ein in ihr neues Reich. Wenn mau zusammenrechnen wollte, was Movanm
Bellini. Giorgione. Tizian und alle die andern dargestellt haben bis zu Paolo
Veronese und dem Spätling Tiepolo. so würde das Weibliche nicht nur der
Menge nach, sondern namentlich anch in seiner Bedeutung und in dem Ein¬
druck, den es auf uus macht, ohne Frage voranstehn. Um das Neue zu er¬
messen, erinnere man sich an einige Haupttypen, wie Tizians Bella und Flora,
die schwergeschmückten Frauen Palmas. die ruhende Unbekleidete bei Giorgwne
und Tizian. Wo wäre bei den Florentinern oder Römern etwas ähnliches?
Diese andre Stoffwahl und Auffassung der Venezianer hängt und ihrem Leben
und ihrer Stadt zusammen. Die verheiratete Frau der höhern Staude nahm
in Venedig weniger als anderswo an dem Leben der Männer teil, sie lebte
für sich in der Enge ihres Hauses und langweilte sich; die Venezianerinneu
galten für wenig gebildet, selten tritt eine von ihnen litterarisch hervor. Mit
diesen Frauen allein hätte sich keine venezianische Malerei machen lassen, so
wie wir sie heute vor uns haben. In die Lücke treten nun die weithin be¬
rufnen Courtisanen ein. die einst scharenweise das Konzil von Konstanz be¬
suchten und viel später von Montaigne und andern Reisenden als eme Merk¬
würdigkeit von Venedig beschrieben worden sind; in der Zwischenz erfinden
wir sie als Modelle bei den Künstlern, denen sie Freiheiten gewährten, die


Grenzboten II 1900
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/297>, abgerufen am 22.07.2024.