Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lrdboden

hängt nur lose an ihm, der seßhafte Ackerbauer verwächst mit ihm um so fester,
je länger und mehr Arbeit er auf ihn verwandt hat. Der Kommunalbesitz der
alten Zeit, wie er noch heute z, B. in Rußland geläufig ist, oder wie er etwa
in dem Zukunftsstaat der Sozialdemokraten gedacht ist, bindet den Ackerbauer
sittlich weit weniger an die Scholle als der Personalbesitz; der bloße Besitz
im rechtlichen Sinne weniger als das volle Eigentum. Je intensiver der Boden
bebaut worden ist, je mehr Arbeit und Sorge der Bebauer in ihn hineingelegt
hat, um so fester wird das Band. Dieses Band ist zu einem Teil ein mate¬
rielles, nämlich die Erlangung der Früchte, der Zinsen von dem Kapital, des
materiellen Nutzens. Es ist zum andern Teil ein sittliches, nämlich die tief
im menschlichen Gemüt liegende Liebe zum Erdboden. Diese Liebe ist in ihrem
letzten Grunde ebenso mystisch, unerklärlich, als das übrige Gemütsleben des
Menschen, aber sie ist vorhanden, so gut wie die ihr verwandte Liebe zur
Heimat. Sie wird verstärkt durch Gewohnheit und Tradition der Geschlechter,
sie wird verstärkt durch Arbeit und Mühe, sie geht über in die Liebe des
Schöpfers zum Geschöpf. Der Mann, der ein ödes Stück Land erwarb, seine
Hütte baute, deu Wald rötete, den Boden brach, die Gruben zog, der Jahr
um Jahr seinen Acker verbesserte, seine Anpflanzungen wachsen, seine Frucht
schwerer werden sah, er hängt an seinem Werk, und er liebt seinen Erdboden,
und was drauf wächst und steht, von ganzer Seele, oft stärker als irgend etwas
andres, ja mehr als das eigne Leben, und wird ihm seine Scholle genommen,
muß er fort, so geht er nicht selten hin und erhenkt sich, wie uns unlängst
Herr von Potenz in einem seiner Romane geschildert hat.*) Und wie der
einfache Bauer, so der Großbesitzer, so der Majorntsherr, der durch Familien¬
bande von Jahrhunderten an die Scholle gefesselt ist. Dieses geheimnisvolle
Band des Gemüts ist eine der stärksten sittlichen Kräfte im menschlichen Leben
und eine der natürlichsten und gesundesten Kräfte. Neben ihr verliert das
andre Band, der materielle Nutzen, gar sehr an Bedeutung. Und doch rechnet
die Wissenschaft, die dem Volkswohl dienen will, hauptsächlich mit diesem
Bande, sehr wenig mit der sittlichen Kraft, die aus dem Erdboden steigt. Der
Nationalökonomie ist es hauptsächlich um den materiellen Nutzen zu thun, den
der Einzelne oder den Staat und Volk aus dem Kapital des Erdbodens ziehn.
Verzinsung! darauf kommt es an.

Wenn ich ein nationalökonomisches Buch zur Hand nehme, und wenn mir
dann daraus immer deutlicher dieser Hauch der Entseelung des Erdbodens ent¬
gegenweht, dann lege ich es gern fort, es ist für mich abgethan, weil ihm das
Verständnis für die Volksseele selbst abgeht. Ohne dieses Verständnis aber
ist jede volkswirtschaftliche Theorie einseitig und gefährlich. Und dennoch wird
der Verfasser eines solchen Buchs schwerlich die sittliche Bedeutung des Erd¬
bodens leugnen, sobald man ihm die Frage stellt: Ist es für den Charakter
des Menschen einerlei, ob er sein Vermögen im Erdboden oder in Aktien hat?



*) Potenz, Der Büttncrbauev.
Lrdboden

hängt nur lose an ihm, der seßhafte Ackerbauer verwächst mit ihm um so fester,
je länger und mehr Arbeit er auf ihn verwandt hat. Der Kommunalbesitz der
alten Zeit, wie er noch heute z, B. in Rußland geläufig ist, oder wie er etwa
in dem Zukunftsstaat der Sozialdemokraten gedacht ist, bindet den Ackerbauer
sittlich weit weniger an die Scholle als der Personalbesitz; der bloße Besitz
im rechtlichen Sinne weniger als das volle Eigentum. Je intensiver der Boden
bebaut worden ist, je mehr Arbeit und Sorge der Bebauer in ihn hineingelegt
hat, um so fester wird das Band. Dieses Band ist zu einem Teil ein mate¬
rielles, nämlich die Erlangung der Früchte, der Zinsen von dem Kapital, des
materiellen Nutzens. Es ist zum andern Teil ein sittliches, nämlich die tief
im menschlichen Gemüt liegende Liebe zum Erdboden. Diese Liebe ist in ihrem
letzten Grunde ebenso mystisch, unerklärlich, als das übrige Gemütsleben des
Menschen, aber sie ist vorhanden, so gut wie die ihr verwandte Liebe zur
Heimat. Sie wird verstärkt durch Gewohnheit und Tradition der Geschlechter,
sie wird verstärkt durch Arbeit und Mühe, sie geht über in die Liebe des
Schöpfers zum Geschöpf. Der Mann, der ein ödes Stück Land erwarb, seine
Hütte baute, deu Wald rötete, den Boden brach, die Gruben zog, der Jahr
um Jahr seinen Acker verbesserte, seine Anpflanzungen wachsen, seine Frucht
schwerer werden sah, er hängt an seinem Werk, und er liebt seinen Erdboden,
und was drauf wächst und steht, von ganzer Seele, oft stärker als irgend etwas
andres, ja mehr als das eigne Leben, und wird ihm seine Scholle genommen,
muß er fort, so geht er nicht selten hin und erhenkt sich, wie uns unlängst
Herr von Potenz in einem seiner Romane geschildert hat.*) Und wie der
einfache Bauer, so der Großbesitzer, so der Majorntsherr, der durch Familien¬
bande von Jahrhunderten an die Scholle gefesselt ist. Dieses geheimnisvolle
Band des Gemüts ist eine der stärksten sittlichen Kräfte im menschlichen Leben
und eine der natürlichsten und gesundesten Kräfte. Neben ihr verliert das
andre Band, der materielle Nutzen, gar sehr an Bedeutung. Und doch rechnet
die Wissenschaft, die dem Volkswohl dienen will, hauptsächlich mit diesem
Bande, sehr wenig mit der sittlichen Kraft, die aus dem Erdboden steigt. Der
Nationalökonomie ist es hauptsächlich um den materiellen Nutzen zu thun, den
der Einzelne oder den Staat und Volk aus dem Kapital des Erdbodens ziehn.
Verzinsung! darauf kommt es an.

Wenn ich ein nationalökonomisches Buch zur Hand nehme, und wenn mir
dann daraus immer deutlicher dieser Hauch der Entseelung des Erdbodens ent¬
gegenweht, dann lege ich es gern fort, es ist für mich abgethan, weil ihm das
Verständnis für die Volksseele selbst abgeht. Ohne dieses Verständnis aber
ist jede volkswirtschaftliche Theorie einseitig und gefährlich. Und dennoch wird
der Verfasser eines solchen Buchs schwerlich die sittliche Bedeutung des Erd¬
bodens leugnen, sobald man ihm die Frage stellt: Ist es für den Charakter
des Menschen einerlei, ob er sein Vermögen im Erdboden oder in Aktien hat?



*) Potenz, Der Büttncrbauev.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290685"/>
          <fw type="header" place="top"> Lrdboden</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1054" prev="#ID_1053"> hängt nur lose an ihm, der seßhafte Ackerbauer verwächst mit ihm um so fester,<lb/>
je länger und mehr Arbeit er auf ihn verwandt hat. Der Kommunalbesitz der<lb/>
alten Zeit, wie er noch heute z, B. in Rußland geläufig ist, oder wie er etwa<lb/>
in dem Zukunftsstaat der Sozialdemokraten gedacht ist, bindet den Ackerbauer<lb/>
sittlich weit weniger an die Scholle als der Personalbesitz; der bloße Besitz<lb/>
im rechtlichen Sinne weniger als das volle Eigentum. Je intensiver der Boden<lb/>
bebaut worden ist, je mehr Arbeit und Sorge der Bebauer in ihn hineingelegt<lb/>
hat, um so fester wird das Band. Dieses Band ist zu einem Teil ein mate¬<lb/>
rielles, nämlich die Erlangung der Früchte, der Zinsen von dem Kapital, des<lb/>
materiellen Nutzens. Es ist zum andern Teil ein sittliches, nämlich die tief<lb/>
im menschlichen Gemüt liegende Liebe zum Erdboden. Diese Liebe ist in ihrem<lb/>
letzten Grunde ebenso mystisch, unerklärlich, als das übrige Gemütsleben des<lb/>
Menschen, aber sie ist vorhanden, so gut wie die ihr verwandte Liebe zur<lb/>
Heimat. Sie wird verstärkt durch Gewohnheit und Tradition der Geschlechter,<lb/>
sie wird verstärkt durch Arbeit und Mühe, sie geht über in die Liebe des<lb/>
Schöpfers zum Geschöpf. Der Mann, der ein ödes Stück Land erwarb, seine<lb/>
Hütte baute, deu Wald rötete, den Boden brach, die Gruben zog, der Jahr<lb/>
um Jahr seinen Acker verbesserte, seine Anpflanzungen wachsen, seine Frucht<lb/>
schwerer werden sah, er hängt an seinem Werk, und er liebt seinen Erdboden,<lb/>
und was drauf wächst und steht, von ganzer Seele, oft stärker als irgend etwas<lb/>
andres, ja mehr als das eigne Leben, und wird ihm seine Scholle genommen,<lb/>
muß er fort, so geht er nicht selten hin und erhenkt sich, wie uns unlängst<lb/>
Herr von Potenz in einem seiner Romane geschildert hat.*) Und wie der<lb/>
einfache Bauer, so der Großbesitzer, so der Majorntsherr, der durch Familien¬<lb/>
bande von Jahrhunderten an die Scholle gefesselt ist. Dieses geheimnisvolle<lb/>
Band des Gemüts ist eine der stärksten sittlichen Kräfte im menschlichen Leben<lb/>
und eine der natürlichsten und gesundesten Kräfte. Neben ihr verliert das<lb/>
andre Band, der materielle Nutzen, gar sehr an Bedeutung. Und doch rechnet<lb/>
die Wissenschaft, die dem Volkswohl dienen will, hauptsächlich mit diesem<lb/>
Bande, sehr wenig mit der sittlichen Kraft, die aus dem Erdboden steigt. Der<lb/>
Nationalökonomie ist es hauptsächlich um den materiellen Nutzen zu thun, den<lb/>
der Einzelne oder den Staat und Volk aus dem Kapital des Erdbodens ziehn.<lb/>
Verzinsung! darauf kommt es an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1055" next="#ID_1056"> Wenn ich ein nationalökonomisches Buch zur Hand nehme, und wenn mir<lb/>
dann daraus immer deutlicher dieser Hauch der Entseelung des Erdbodens ent¬<lb/>
gegenweht, dann lege ich es gern fort, es ist für mich abgethan, weil ihm das<lb/>
Verständnis für die Volksseele selbst abgeht. Ohne dieses Verständnis aber<lb/>
ist jede volkswirtschaftliche Theorie einseitig und gefährlich. Und dennoch wird<lb/>
der Verfasser eines solchen Buchs schwerlich die sittliche Bedeutung des Erd¬<lb/>
bodens leugnen, sobald man ihm die Frage stellt: Ist es für den Charakter<lb/>
des Menschen einerlei, ob er sein Vermögen im Erdboden oder in Aktien hat?</p><lb/>
          <note xml:id="FID_41" place="foot"> *) Potenz, Der Büttncrbauev.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0274] Lrdboden hängt nur lose an ihm, der seßhafte Ackerbauer verwächst mit ihm um so fester, je länger und mehr Arbeit er auf ihn verwandt hat. Der Kommunalbesitz der alten Zeit, wie er noch heute z, B. in Rußland geläufig ist, oder wie er etwa in dem Zukunftsstaat der Sozialdemokraten gedacht ist, bindet den Ackerbauer sittlich weit weniger an die Scholle als der Personalbesitz; der bloße Besitz im rechtlichen Sinne weniger als das volle Eigentum. Je intensiver der Boden bebaut worden ist, je mehr Arbeit und Sorge der Bebauer in ihn hineingelegt hat, um so fester wird das Band. Dieses Band ist zu einem Teil ein mate¬ rielles, nämlich die Erlangung der Früchte, der Zinsen von dem Kapital, des materiellen Nutzens. Es ist zum andern Teil ein sittliches, nämlich die tief im menschlichen Gemüt liegende Liebe zum Erdboden. Diese Liebe ist in ihrem letzten Grunde ebenso mystisch, unerklärlich, als das übrige Gemütsleben des Menschen, aber sie ist vorhanden, so gut wie die ihr verwandte Liebe zur Heimat. Sie wird verstärkt durch Gewohnheit und Tradition der Geschlechter, sie wird verstärkt durch Arbeit und Mühe, sie geht über in die Liebe des Schöpfers zum Geschöpf. Der Mann, der ein ödes Stück Land erwarb, seine Hütte baute, deu Wald rötete, den Boden brach, die Gruben zog, der Jahr um Jahr seinen Acker verbesserte, seine Anpflanzungen wachsen, seine Frucht schwerer werden sah, er hängt an seinem Werk, und er liebt seinen Erdboden, und was drauf wächst und steht, von ganzer Seele, oft stärker als irgend etwas andres, ja mehr als das eigne Leben, und wird ihm seine Scholle genommen, muß er fort, so geht er nicht selten hin und erhenkt sich, wie uns unlängst Herr von Potenz in einem seiner Romane geschildert hat.*) Und wie der einfache Bauer, so der Großbesitzer, so der Majorntsherr, der durch Familien¬ bande von Jahrhunderten an die Scholle gefesselt ist. Dieses geheimnisvolle Band des Gemüts ist eine der stärksten sittlichen Kräfte im menschlichen Leben und eine der natürlichsten und gesundesten Kräfte. Neben ihr verliert das andre Band, der materielle Nutzen, gar sehr an Bedeutung. Und doch rechnet die Wissenschaft, die dem Volkswohl dienen will, hauptsächlich mit diesem Bande, sehr wenig mit der sittlichen Kraft, die aus dem Erdboden steigt. Der Nationalökonomie ist es hauptsächlich um den materiellen Nutzen zu thun, den der Einzelne oder den Staat und Volk aus dem Kapital des Erdbodens ziehn. Verzinsung! darauf kommt es an. Wenn ich ein nationalökonomisches Buch zur Hand nehme, und wenn mir dann daraus immer deutlicher dieser Hauch der Entseelung des Erdbodens ent¬ gegenweht, dann lege ich es gern fort, es ist für mich abgethan, weil ihm das Verständnis für die Volksseele selbst abgeht. Ohne dieses Verständnis aber ist jede volkswirtschaftliche Theorie einseitig und gefährlich. Und dennoch wird der Verfasser eines solchen Buchs schwerlich die sittliche Bedeutung des Erd¬ bodens leugnen, sobald man ihm die Frage stellt: Ist es für den Charakter des Menschen einerlei, ob er sein Vermögen im Erdboden oder in Aktien hat? *) Potenz, Der Büttncrbauev.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/274
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/274>, abgerufen am 01.07.2024.