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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die Baumwollenhungersnot von Lancashire
Diese Summe zerfiel in:1860 1861
Pfd. Sterl, Pfd. Sterl.
36195562 37806552Wert der Rohbaumwolle, Färbstoffe, Öle
26804438 22194448Arbeitslöhne.........
22 000000 18000000Kapitalzins und Profite .....
85000000 78000000

Als die ersten Nachrichten vom Kriege eintrafen, glaubte man noch, wie
Watts und Arnold*) berichten, nicht anderen Ernst, sondern daß ein kurzer
Streit schnell wieder zum Frieden führen würde, und schlimmstenfalls hatte
man Weihnachten 1860 Vorräte für vier Monate gehabt, in den folgenden
drei Monaten -- und das war die Hauptsaison -- waren weitere große Vor¬
räte importiert; die übrigen Länder würden während des ganzen Jahres liefern,
die fertigen Waren in den Magazinen der Händler umfaßten Vorrat für fünf
Monate; so fühlte man sich gewiß, daß der Krieg vorüber sein würde, ehe
ernsthafte Schwierigkeiten für die Industrie von Lancashire entstehn könnten. --
Die Material- und Warenpreise blieben bis gegen Ende 1861 niedrig. Dann
trat ein Umschwung auf dem Markt für Rohbaumwolle ein. Die Blockade
hatte man zwar noch längere Zeit als auf dein Papier stehend angesehen, aber
die Südstaatenregierung verstärkte ihre Wirkung absichtlich durch Verbot der
Ausfuhr von Rohbaumwolle, außer in beschränktem Umfange für ihre eigne
Rechnung. Sie glaubte auf diese Weise am sichersten die Hilfe Englands ge¬
winnen zu können, da dieses der Baumwolle unter keinen Umständen entraten
könne und daher die Blockade nicht anerkennen, vielmehr den Südstaaten durch
ein Drängen auf baldigen Friedensschluß beistehn werde. Allmählich wurde
die Blockade dichter, die Zufuhren nahmen nicht wieder zu, ja die Nordstaaten
begannen Baumwolle von Liverpool nach Amerika kommen zu lassen.

Ende Oktober begann man die Arbeitszeit in den Fabriken von Lancashire
zu verkürzen. Langsam hob sich die Zahl der Unterstützungsgesuche bei den
Armenpflegern, und drei Monate früher als sonst erreichte sie das bisher be¬
kannte Jahresmaximum. Im Oktober war die Steigerung 3000 in den.
28 Kreisen von Lancashire. Im November und Dezember stieg sie um je
7000. Weitere 10000 Hilfsbedürftige kamen im Januar hinzu, während viele
Tausende schon begannen, von ihren Ersparnissen in den Sparkassen und Ge¬
nossenschaften zu leben, andre von ihren Gewerkvereinen unterstützt wurden.
Statt, wie sonst üblich, einen Rückgang, brachte der Februar im Jahre 1862
abermals 9000 neue Hilfsbedürftige. Die Armensteuer begann sich im Lande
fühlbarer zu machen. Im März, April und Mai bildeten sich dann in Ashton,
Stockport, Preston, Blackburn Hilfskomitees, ebenso zu Oldham und Prestwich.
Im ganzen aber verhielten sich die Unternehmer und das größere Publikum
noch kühl. Dann stieg die Zahl der Hilfsbedürftigen von Monat zu Monat
um Tausende weiter im Gegensatz zu andern Jahren, wo im Sommer jeder¬
mann seine Beschäftigung fand. "In: August wurde der Strom zur Sintflut,



^, ^'rwIÄ, Ilistor^ ot leis Lottou Mano. London, 1866.
Grenzboten II 1900 24
Die Baumwollenhungersnot von Lancashire
Diese Summe zerfiel in:1860 1861
Pfd. Sterl, Pfd. Sterl.
36195562 37806552Wert der Rohbaumwolle, Färbstoffe, Öle
26804438 22194448Arbeitslöhne.........
22 000000 18000000Kapitalzins und Profite .....
85000000 78000000

Als die ersten Nachrichten vom Kriege eintrafen, glaubte man noch, wie
Watts und Arnold*) berichten, nicht anderen Ernst, sondern daß ein kurzer
Streit schnell wieder zum Frieden führen würde, und schlimmstenfalls hatte
man Weihnachten 1860 Vorräte für vier Monate gehabt, in den folgenden
drei Monaten — und das war die Hauptsaison — waren weitere große Vor¬
räte importiert; die übrigen Länder würden während des ganzen Jahres liefern,
die fertigen Waren in den Magazinen der Händler umfaßten Vorrat für fünf
Monate; so fühlte man sich gewiß, daß der Krieg vorüber sein würde, ehe
ernsthafte Schwierigkeiten für die Industrie von Lancashire entstehn könnten. —
Die Material- und Warenpreise blieben bis gegen Ende 1861 niedrig. Dann
trat ein Umschwung auf dem Markt für Rohbaumwolle ein. Die Blockade
hatte man zwar noch längere Zeit als auf dein Papier stehend angesehen, aber
die Südstaatenregierung verstärkte ihre Wirkung absichtlich durch Verbot der
Ausfuhr von Rohbaumwolle, außer in beschränktem Umfange für ihre eigne
Rechnung. Sie glaubte auf diese Weise am sichersten die Hilfe Englands ge¬
winnen zu können, da dieses der Baumwolle unter keinen Umständen entraten
könne und daher die Blockade nicht anerkennen, vielmehr den Südstaaten durch
ein Drängen auf baldigen Friedensschluß beistehn werde. Allmählich wurde
die Blockade dichter, die Zufuhren nahmen nicht wieder zu, ja die Nordstaaten
begannen Baumwolle von Liverpool nach Amerika kommen zu lassen.

Ende Oktober begann man die Arbeitszeit in den Fabriken von Lancashire
zu verkürzen. Langsam hob sich die Zahl der Unterstützungsgesuche bei den
Armenpflegern, und drei Monate früher als sonst erreichte sie das bisher be¬
kannte Jahresmaximum. Im Oktober war die Steigerung 3000 in den.
28 Kreisen von Lancashire. Im November und Dezember stieg sie um je
7000. Weitere 10000 Hilfsbedürftige kamen im Januar hinzu, während viele
Tausende schon begannen, von ihren Ersparnissen in den Sparkassen und Ge¬
nossenschaften zu leben, andre von ihren Gewerkvereinen unterstützt wurden.
Statt, wie sonst üblich, einen Rückgang, brachte der Februar im Jahre 1862
abermals 9000 neue Hilfsbedürftige. Die Armensteuer begann sich im Lande
fühlbarer zu machen. Im März, April und Mai bildeten sich dann in Ashton,
Stockport, Preston, Blackburn Hilfskomitees, ebenso zu Oldham und Prestwich.
Im ganzen aber verhielten sich die Unternehmer und das größere Publikum
noch kühl. Dann stieg die Zahl der Hilfsbedürftigen von Monat zu Monat
um Tausende weiter im Gegensatz zu andern Jahren, wo im Sommer jeder¬
mann seine Beschäftigung fand. „In: August wurde der Strom zur Sintflut,



^, ^'rwIÄ, Ilistor^ ot leis Lottou Mano. London, 1866.
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[0193] Die Baumwollenhungersnot von Lancashire Diese Summe zerfiel in:1860 1861 Pfd. Sterl, Pfd. Sterl. 36195562 37806552Wert der Rohbaumwolle, Färbstoffe, Öle 26804438 22194448Arbeitslöhne......... 22 000000 18000000Kapitalzins und Profite ..... 85000000 78000000 Als die ersten Nachrichten vom Kriege eintrafen, glaubte man noch, wie Watts und Arnold*) berichten, nicht anderen Ernst, sondern daß ein kurzer Streit schnell wieder zum Frieden führen würde, und schlimmstenfalls hatte man Weihnachten 1860 Vorräte für vier Monate gehabt, in den folgenden drei Monaten — und das war die Hauptsaison — waren weitere große Vor¬ räte importiert; die übrigen Länder würden während des ganzen Jahres liefern, die fertigen Waren in den Magazinen der Händler umfaßten Vorrat für fünf Monate; so fühlte man sich gewiß, daß der Krieg vorüber sein würde, ehe ernsthafte Schwierigkeiten für die Industrie von Lancashire entstehn könnten. — Die Material- und Warenpreise blieben bis gegen Ende 1861 niedrig. Dann trat ein Umschwung auf dem Markt für Rohbaumwolle ein. Die Blockade hatte man zwar noch längere Zeit als auf dein Papier stehend angesehen, aber die Südstaatenregierung verstärkte ihre Wirkung absichtlich durch Verbot der Ausfuhr von Rohbaumwolle, außer in beschränktem Umfange für ihre eigne Rechnung. Sie glaubte auf diese Weise am sichersten die Hilfe Englands ge¬ winnen zu können, da dieses der Baumwolle unter keinen Umständen entraten könne und daher die Blockade nicht anerkennen, vielmehr den Südstaaten durch ein Drängen auf baldigen Friedensschluß beistehn werde. Allmählich wurde die Blockade dichter, die Zufuhren nahmen nicht wieder zu, ja die Nordstaaten begannen Baumwolle von Liverpool nach Amerika kommen zu lassen. Ende Oktober begann man die Arbeitszeit in den Fabriken von Lancashire zu verkürzen. Langsam hob sich die Zahl der Unterstützungsgesuche bei den Armenpflegern, und drei Monate früher als sonst erreichte sie das bisher be¬ kannte Jahresmaximum. Im Oktober war die Steigerung 3000 in den. 28 Kreisen von Lancashire. Im November und Dezember stieg sie um je 7000. Weitere 10000 Hilfsbedürftige kamen im Januar hinzu, während viele Tausende schon begannen, von ihren Ersparnissen in den Sparkassen und Ge¬ nossenschaften zu leben, andre von ihren Gewerkvereinen unterstützt wurden. Statt, wie sonst üblich, einen Rückgang, brachte der Februar im Jahre 1862 abermals 9000 neue Hilfsbedürftige. Die Armensteuer begann sich im Lande fühlbarer zu machen. Im März, April und Mai bildeten sich dann in Ashton, Stockport, Preston, Blackburn Hilfskomitees, ebenso zu Oldham und Prestwich. Im ganzen aber verhielten sich die Unternehmer und das größere Publikum noch kühl. Dann stieg die Zahl der Hilfsbedürftigen von Monat zu Monat um Tausende weiter im Gegensatz zu andern Jahren, wo im Sommer jeder¬ mann seine Beschäftigung fand. „In: August wurde der Strom zur Sintflut, ^, ^'rwIÄ, Ilistor^ ot leis Lottou Mano. London, 1866. Grenzboten II 1900 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/193>, abgerufen am 03.07.2024.