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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Kur Frauenfrage

Prüderie das Wort zu reden, um dnrznthun, daß Sitte und Anstand für ge¬
wisse Vorlesungen und Übungen eine Trennung der beiden Geschlechter ge¬
bieterisch fordern. Das nähere braucht hier wahrlich nicht einzeln ausgemalt
zu werden. Darum muß der Staat dafür sorgen, daß wenigstens an einzelnen
Universitäten Vorlesungen und Übungen der angedeuteten delikaten Art in be¬
sondern Abteilungen mit Ausschluß der Männer gehalten werden. Die Frau
wird selbst dann noch manche schwere Probe ihrer sittlichen Willenskraft dabei
zu besteh" haben. Es giebt auch schon jetzt eine Reihe medizinischer Pro¬
fessoren, die dies anerkennen und zur Abhaltung besondrer Kurse für Frauen
bereit sind. Hier kann sich der Staat, wo er einmal Frauen zum Studium
der Medizin zuläßt, der Pflicht nicht entzieh", ihnen organisierend den allein
richtigen Weg zu bahnen. Da hilft kein Strande" u"d Hinausschieben. Nach¬
dem einmal A gesagt worden ist, muß der Staat hier auch B sagen.

Immer aber wird es eine verhältnismäßig kleine Zahl ungewöhnlich starker
und besouders angelegter Frauen sein, die das Ziel erreicht. Sei es darum.
Diese wenigen können von großem Nutzen für die leidende Menschheit sein.
Es möge dabei schließlich noch auf ein Gebiet hingewiesen werden, das für
die sittliche und die soziale Gesundung unsers Volkslebens von kaum hoch
genug anzuschlagender Bedeutung ist. Nicht nur bei schon vorha"d"er oder
entstehender Krankheit hat für viele Frauen die Untersuchung durch einen Arzt
etwas überaus peinliches, sondern auch in den Fällen, wo^eine gesunde Frau
eines ärztlichen Gesundheitsattestes bedarf. Eine Frau, die Lehrerin werden
oder eine Lebensversicherung eingehn oder in ein besondre körperliche Wider¬
standskraft erforderndes ErwerbSvcrhältnis eintreten will, bedarf eines ärztlichen
Gesundheitsattestes. Es kann ungemein peinlich für sie werden, sich in solchem
Falle der Diskretion des untersuchenden Arztes völlig preiszugeben. Wäre es
nicht mit Freude zu begrüße", wen" dnrch die Möglichkeit der Untersuchung
durch einen staatlich approbierten weiblichen Arzt hier der natürlichen Schcun-
haftigkeit der Frau Rechnung getragen werden könnte? Noch viel wichtiger
aber ist die ärztliche Untersuchung der Prostituierten. Will man die Scham
bei diesen in den tiefsten Abgrund des Elends gefallnen, beklagenswerten Frauen
wiederherstellen, so muß man ihnen die Brutalität ersparen, von einem Manne
untersucht zu werden. Zu retten sind diese ärmsten aller Frauen mir, wen"
man sie vou dem Augenblicke an, wo die rettende Einwirkung auf sie beginnt,
mir mit weibliche" Persönlichkeiten in Berührung bringt. Die Untersuchung
dnrch deu Arzt bedeutet jedesmal ein tieferes Versinken in Schamlosigkeit
und Elend.

Völlig verschieden hiervon ist das Bedürfnis, gebildete Frauen zu tüchtigen
und besonders geschulten Hebammen und für den Apothekerbernf auszubilden.
Beide Verufsarteu entsprechen der natürlichen weiblichen Anlage, und der Staat
hat auch schon fast an allen Universitäten Veranstaltungen zu treffen begonnen,
um hier Frauen aus den gebildeten Ständen die Wege zu diesen Erwerbsthätig¬
keiten zu bahnen. Es wäre nnr zu wünschen, daß die dazu erforderlichen


Kur Frauenfrage

Prüderie das Wort zu reden, um dnrznthun, daß Sitte und Anstand für ge¬
wisse Vorlesungen und Übungen eine Trennung der beiden Geschlechter ge¬
bieterisch fordern. Das nähere braucht hier wahrlich nicht einzeln ausgemalt
zu werden. Darum muß der Staat dafür sorgen, daß wenigstens an einzelnen
Universitäten Vorlesungen und Übungen der angedeuteten delikaten Art in be¬
sondern Abteilungen mit Ausschluß der Männer gehalten werden. Die Frau
wird selbst dann noch manche schwere Probe ihrer sittlichen Willenskraft dabei
zu besteh» haben. Es giebt auch schon jetzt eine Reihe medizinischer Pro¬
fessoren, die dies anerkennen und zur Abhaltung besondrer Kurse für Frauen
bereit sind. Hier kann sich der Staat, wo er einmal Frauen zum Studium
der Medizin zuläßt, der Pflicht nicht entzieh», ihnen organisierend den allein
richtigen Weg zu bahnen. Da hilft kein Strande» u»d Hinausschieben. Nach¬
dem einmal A gesagt worden ist, muß der Staat hier auch B sagen.

Immer aber wird es eine verhältnismäßig kleine Zahl ungewöhnlich starker
und besouders angelegter Frauen sein, die das Ziel erreicht. Sei es darum.
Diese wenigen können von großem Nutzen für die leidende Menschheit sein.
Es möge dabei schließlich noch auf ein Gebiet hingewiesen werden, das für
die sittliche und die soziale Gesundung unsers Volkslebens von kaum hoch
genug anzuschlagender Bedeutung ist. Nicht nur bei schon vorha»d»er oder
entstehender Krankheit hat für viele Frauen die Untersuchung durch einen Arzt
etwas überaus peinliches, sondern auch in den Fällen, wo^eine gesunde Frau
eines ärztlichen Gesundheitsattestes bedarf. Eine Frau, die Lehrerin werden
oder eine Lebensversicherung eingehn oder in ein besondre körperliche Wider¬
standskraft erforderndes ErwerbSvcrhältnis eintreten will, bedarf eines ärztlichen
Gesundheitsattestes. Es kann ungemein peinlich für sie werden, sich in solchem
Falle der Diskretion des untersuchenden Arztes völlig preiszugeben. Wäre es
nicht mit Freude zu begrüße», wen» dnrch die Möglichkeit der Untersuchung
durch einen staatlich approbierten weiblichen Arzt hier der natürlichen Schcun-
haftigkeit der Frau Rechnung getragen werden könnte? Noch viel wichtiger
aber ist die ärztliche Untersuchung der Prostituierten. Will man die Scham
bei diesen in den tiefsten Abgrund des Elends gefallnen, beklagenswerten Frauen
wiederherstellen, so muß man ihnen die Brutalität ersparen, von einem Manne
untersucht zu werden. Zu retten sind diese ärmsten aller Frauen mir, wen»
man sie vou dem Augenblicke an, wo die rettende Einwirkung auf sie beginnt,
mir mit weibliche» Persönlichkeiten in Berührung bringt. Die Untersuchung
dnrch deu Arzt bedeutet jedesmal ein tieferes Versinken in Schamlosigkeit
und Elend.

Völlig verschieden hiervon ist das Bedürfnis, gebildete Frauen zu tüchtigen
und besonders geschulten Hebammen und für den Apothekerbernf auszubilden.
Beide Verufsarteu entsprechen der natürlichen weiblichen Anlage, und der Staat
hat auch schon fast an allen Universitäten Veranstaltungen zu treffen begonnen,
um hier Frauen aus den gebildeten Ständen die Wege zu diesen Erwerbsthätig¬
keiten zu bahnen. Es wäre nnr zu wünschen, daß die dazu erforderlichen


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[0149] Kur Frauenfrage Prüderie das Wort zu reden, um dnrznthun, daß Sitte und Anstand für ge¬ wisse Vorlesungen und Übungen eine Trennung der beiden Geschlechter ge¬ bieterisch fordern. Das nähere braucht hier wahrlich nicht einzeln ausgemalt zu werden. Darum muß der Staat dafür sorgen, daß wenigstens an einzelnen Universitäten Vorlesungen und Übungen der angedeuteten delikaten Art in be¬ sondern Abteilungen mit Ausschluß der Männer gehalten werden. Die Frau wird selbst dann noch manche schwere Probe ihrer sittlichen Willenskraft dabei zu besteh» haben. Es giebt auch schon jetzt eine Reihe medizinischer Pro¬ fessoren, die dies anerkennen und zur Abhaltung besondrer Kurse für Frauen bereit sind. Hier kann sich der Staat, wo er einmal Frauen zum Studium der Medizin zuläßt, der Pflicht nicht entzieh», ihnen organisierend den allein richtigen Weg zu bahnen. Da hilft kein Strande» u»d Hinausschieben. Nach¬ dem einmal A gesagt worden ist, muß der Staat hier auch B sagen. Immer aber wird es eine verhältnismäßig kleine Zahl ungewöhnlich starker und besouders angelegter Frauen sein, die das Ziel erreicht. Sei es darum. Diese wenigen können von großem Nutzen für die leidende Menschheit sein. Es möge dabei schließlich noch auf ein Gebiet hingewiesen werden, das für die sittliche und die soziale Gesundung unsers Volkslebens von kaum hoch genug anzuschlagender Bedeutung ist. Nicht nur bei schon vorha»d»er oder entstehender Krankheit hat für viele Frauen die Untersuchung durch einen Arzt etwas überaus peinliches, sondern auch in den Fällen, wo^eine gesunde Frau eines ärztlichen Gesundheitsattestes bedarf. Eine Frau, die Lehrerin werden oder eine Lebensversicherung eingehn oder in ein besondre körperliche Wider¬ standskraft erforderndes ErwerbSvcrhältnis eintreten will, bedarf eines ärztlichen Gesundheitsattestes. Es kann ungemein peinlich für sie werden, sich in solchem Falle der Diskretion des untersuchenden Arztes völlig preiszugeben. Wäre es nicht mit Freude zu begrüße», wen» dnrch die Möglichkeit der Untersuchung durch einen staatlich approbierten weiblichen Arzt hier der natürlichen Schcun- haftigkeit der Frau Rechnung getragen werden könnte? Noch viel wichtiger aber ist die ärztliche Untersuchung der Prostituierten. Will man die Scham bei diesen in den tiefsten Abgrund des Elends gefallnen, beklagenswerten Frauen wiederherstellen, so muß man ihnen die Brutalität ersparen, von einem Manne untersucht zu werden. Zu retten sind diese ärmsten aller Frauen mir, wen» man sie vou dem Augenblicke an, wo die rettende Einwirkung auf sie beginnt, mir mit weibliche» Persönlichkeiten in Berührung bringt. Die Untersuchung dnrch deu Arzt bedeutet jedesmal ein tieferes Versinken in Schamlosigkeit und Elend. Völlig verschieden hiervon ist das Bedürfnis, gebildete Frauen zu tüchtigen und besonders geschulten Hebammen und für den Apothekerbernf auszubilden. Beide Verufsarteu entsprechen der natürlichen weiblichen Anlage, und der Staat hat auch schon fast an allen Universitäten Veranstaltungen zu treffen begonnen, um hier Frauen aus den gebildeten Ständen die Wege zu diesen Erwerbsthätig¬ keiten zu bahnen. Es wäre nnr zu wünschen, daß die dazu erforderlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/149>, abgerufen am 03.07.2024.