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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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größern Städten einzelne weibliche Ärzte von Ruf hätten, so würden zahlreiche
Frauen erleichtert aufatmen, wenn sie mit deren Konsnltierung auch nur der
ihnen so peinlichen ersten Untersuchung durch den männlichen Arzt entgeh"
könnten. Daß hier ein Bedürfnis vorhanden ist, und daß tüchtige, approbierte
Ärztinnen überaus segensreich wirken könnten, wird niemand bestreiten können,
der auf diesem Gebiete mir einigen Einblick in die Verhältnisse des wirklichen
Lebens gewonnen hat.

Was die Kinderkrankheiten betrifft, so liegen hier die Verhältnisse anders.
Kinder könne" von Männern selbstverständlich ebenso gut untersucht und be¬
handelt werden wie von Frauen, Hier kommt aber etwas andres in Betracht,
Die Frau hat von Natur einen Zug zu .Kindern, Sie weiß mit der Kinder¬
stube und mit den Bedürfnisse", Anschauungen, Neigungen und Besonderheiten
der Kindesnatnr in der Regel instinktiv weit besser Bescheid als der Mann,
Leichter als dieser kommt sie dem Kinde innerlich nahe und gewinnt sein Ver¬
trauen und seine Zuneigung, Wenn nur also einmal Ärztinnen haben werden,
so wird diesen ganz von selbst mich ein Teil der Kinderpraxis zufallen, und
unter der Voraussetzung, daß die Ärztin gleichwertig mit dem Arzte vor¬
gebildet ist, läßt sich in der That mindestens nicht absehen, was das schaden
könnte.

Mehr und mehr hat die hier vertretne Anschanung im Laufe der letzten
Jahre Boden gewonnen. Der Bundesrat, der für die Ordnung der ärztlichen
Approbationsprüfnng im Deutschen Reiche verfassungsmäßig zuständig ist, hat
denn auch beschlossen, Frauen zu dieser Prüfung zuzulassen, und dies auch
dann, wenn sie nicht immatrikuliert waren, sonder" die medizinischen Vor¬
lesungen und Übuuge" a" der Universität nur als Hospitantinnen besucht
haben. Er rechnet ihnen diese Hospitantensemester als vollwertig an, verlangt
aber vo" ihne" geuau denselben Nachweis wissenschaftlicher Kenntnisse und
praktischer Fertigkeiten, wie von den müuulicheu Prüfungen.

Mit vollem Rechte. Denn der Gedanke, für die Approbation weiblicher
Ärzte ein geringeres Maß von Anforderungen zu stellen als für die der
Männer, ist unpraktisch und würde schließlich -- auch wenn es uicht zur Kur-
Pfuscherei führte -- logisch mit der der staatlichen Approbation zu Grunde
liegenden Verantwortlichkeit der öffentlichen Autorität nicht zu vereinigen sein.
Merkwürdigerweise hat in den Verhandlungen des preußischen Abgeordneten¬
hauses im April 1898 der Hofprediger a. D. Stöcker, der sich im übrigen
unter allgemeiner Zustimmung maßvoll, sachkundig und verständig über die
Frauenfrage ausgesprochen hat, in diesem Punkte die Forderung aufgestellt,
den Frauen, die Medizin studieren wollen, eine "einfachere" medizinische Aus¬
bildung zu geben, als sie für die Ärzte vorgeschrieben ist. Er hat dabei auf
die frühern Chirurgen erster Klasse exemplifiziert, die auch keine volle Vor¬
bildung gehabt und doch innerlich und äußerlich praktiziert hätten. Eine ganz
unglückliche Berufung. Diese Chirurgen erster Klasse waren Studenten der
Medizin, die vor Ablegung der Approbatiousprüfung in den Freiheitskriegen


Zur Frcnwnfnige

größern Städten einzelne weibliche Ärzte von Ruf hätten, so würden zahlreiche
Frauen erleichtert aufatmen, wenn sie mit deren Konsnltierung auch nur der
ihnen so peinlichen ersten Untersuchung durch den männlichen Arzt entgeh»
könnten. Daß hier ein Bedürfnis vorhanden ist, und daß tüchtige, approbierte
Ärztinnen überaus segensreich wirken könnten, wird niemand bestreiten können,
der auf diesem Gebiete mir einigen Einblick in die Verhältnisse des wirklichen
Lebens gewonnen hat.

Was die Kinderkrankheiten betrifft, so liegen hier die Verhältnisse anders.
Kinder könne» von Männern selbstverständlich ebenso gut untersucht und be¬
handelt werden wie von Frauen, Hier kommt aber etwas andres in Betracht,
Die Frau hat von Natur einen Zug zu .Kindern, Sie weiß mit der Kinder¬
stube und mit den Bedürfnisse», Anschauungen, Neigungen und Besonderheiten
der Kindesnatnr in der Regel instinktiv weit besser Bescheid als der Mann,
Leichter als dieser kommt sie dem Kinde innerlich nahe und gewinnt sein Ver¬
trauen und seine Zuneigung, Wenn nur also einmal Ärztinnen haben werden,
so wird diesen ganz von selbst mich ein Teil der Kinderpraxis zufallen, und
unter der Voraussetzung, daß die Ärztin gleichwertig mit dem Arzte vor¬
gebildet ist, läßt sich in der That mindestens nicht absehen, was das schaden
könnte.

Mehr und mehr hat die hier vertretne Anschanung im Laufe der letzten
Jahre Boden gewonnen. Der Bundesrat, der für die Ordnung der ärztlichen
Approbationsprüfnng im Deutschen Reiche verfassungsmäßig zuständig ist, hat
denn auch beschlossen, Frauen zu dieser Prüfung zuzulassen, und dies auch
dann, wenn sie nicht immatrikuliert waren, sonder» die medizinischen Vor¬
lesungen und Übuuge» a» der Universität nur als Hospitantinnen besucht
haben. Er rechnet ihnen diese Hospitantensemester als vollwertig an, verlangt
aber vo» ihne» geuau denselben Nachweis wissenschaftlicher Kenntnisse und
praktischer Fertigkeiten, wie von den müuulicheu Prüfungen.

Mit vollem Rechte. Denn der Gedanke, für die Approbation weiblicher
Ärzte ein geringeres Maß von Anforderungen zu stellen als für die der
Männer, ist unpraktisch und würde schließlich — auch wenn es uicht zur Kur-
Pfuscherei führte — logisch mit der der staatlichen Approbation zu Grunde
liegenden Verantwortlichkeit der öffentlichen Autorität nicht zu vereinigen sein.
Merkwürdigerweise hat in den Verhandlungen des preußischen Abgeordneten¬
hauses im April 1898 der Hofprediger a. D. Stöcker, der sich im übrigen
unter allgemeiner Zustimmung maßvoll, sachkundig und verständig über die
Frauenfrage ausgesprochen hat, in diesem Punkte die Forderung aufgestellt,
den Frauen, die Medizin studieren wollen, eine „einfachere" medizinische Aus¬
bildung zu geben, als sie für die Ärzte vorgeschrieben ist. Er hat dabei auf
die frühern Chirurgen erster Klasse exemplifiziert, die auch keine volle Vor¬
bildung gehabt und doch innerlich und äußerlich praktiziert hätten. Eine ganz
unglückliche Berufung. Diese Chirurgen erster Klasse waren Studenten der
Medizin, die vor Ablegung der Approbatiousprüfung in den Freiheitskriegen


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[0147] Zur Frcnwnfnige größern Städten einzelne weibliche Ärzte von Ruf hätten, so würden zahlreiche Frauen erleichtert aufatmen, wenn sie mit deren Konsnltierung auch nur der ihnen so peinlichen ersten Untersuchung durch den männlichen Arzt entgeh» könnten. Daß hier ein Bedürfnis vorhanden ist, und daß tüchtige, approbierte Ärztinnen überaus segensreich wirken könnten, wird niemand bestreiten können, der auf diesem Gebiete mir einigen Einblick in die Verhältnisse des wirklichen Lebens gewonnen hat. Was die Kinderkrankheiten betrifft, so liegen hier die Verhältnisse anders. Kinder könne» von Männern selbstverständlich ebenso gut untersucht und be¬ handelt werden wie von Frauen, Hier kommt aber etwas andres in Betracht, Die Frau hat von Natur einen Zug zu .Kindern, Sie weiß mit der Kinder¬ stube und mit den Bedürfnisse», Anschauungen, Neigungen und Besonderheiten der Kindesnatnr in der Regel instinktiv weit besser Bescheid als der Mann, Leichter als dieser kommt sie dem Kinde innerlich nahe und gewinnt sein Ver¬ trauen und seine Zuneigung, Wenn nur also einmal Ärztinnen haben werden, so wird diesen ganz von selbst mich ein Teil der Kinderpraxis zufallen, und unter der Voraussetzung, daß die Ärztin gleichwertig mit dem Arzte vor¬ gebildet ist, läßt sich in der That mindestens nicht absehen, was das schaden könnte. Mehr und mehr hat die hier vertretne Anschanung im Laufe der letzten Jahre Boden gewonnen. Der Bundesrat, der für die Ordnung der ärztlichen Approbationsprüfnng im Deutschen Reiche verfassungsmäßig zuständig ist, hat denn auch beschlossen, Frauen zu dieser Prüfung zuzulassen, und dies auch dann, wenn sie nicht immatrikuliert waren, sonder» die medizinischen Vor¬ lesungen und Übuuge» a» der Universität nur als Hospitantinnen besucht haben. Er rechnet ihnen diese Hospitantensemester als vollwertig an, verlangt aber vo» ihne» geuau denselben Nachweis wissenschaftlicher Kenntnisse und praktischer Fertigkeiten, wie von den müuulicheu Prüfungen. Mit vollem Rechte. Denn der Gedanke, für die Approbation weiblicher Ärzte ein geringeres Maß von Anforderungen zu stellen als für die der Männer, ist unpraktisch und würde schließlich — auch wenn es uicht zur Kur- Pfuscherei führte — logisch mit der der staatlichen Approbation zu Grunde liegenden Verantwortlichkeit der öffentlichen Autorität nicht zu vereinigen sein. Merkwürdigerweise hat in den Verhandlungen des preußischen Abgeordneten¬ hauses im April 1898 der Hofprediger a. D. Stöcker, der sich im übrigen unter allgemeiner Zustimmung maßvoll, sachkundig und verständig über die Frauenfrage ausgesprochen hat, in diesem Punkte die Forderung aufgestellt, den Frauen, die Medizin studieren wollen, eine „einfachere" medizinische Aus¬ bildung zu geben, als sie für die Ärzte vorgeschrieben ist. Er hat dabei auf die frühern Chirurgen erster Klasse exemplifiziert, die auch keine volle Vor¬ bildung gehabt und doch innerlich und äußerlich praktiziert hätten. Eine ganz unglückliche Berufung. Diese Chirurgen erster Klasse waren Studenten der Medizin, die vor Ablegung der Approbatiousprüfung in den Freiheitskriegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/147>, abgerufen am 03.07.2024.