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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frauenfmge

Die Frau ist die geborne Krankenpflegerin. Wunden schlagen und die
verletzte Rechtsordnung mit unerbittlicher Strenge aufrecht halten, ist nicht der
natürliche Frauenberuf. Wohl aber Wunden heilen helfen, die Kranken mit
milder Freundlichkeit und freudiger Selbstaufopferung pflegen, sie trösten und
erquicken, das entspricht ganz und gar der weiblichen Natur. Freilich sind der
Beruf der Krankenpflegerin und der des Arztes zwei verschiedne Dinge. Die
Krankenpflege ist das Feld, das berufslosen Frauen in erster Linie gewiesen
ist, und der Segen, mit dein die evangelischen Diakonissen und die krnnken-
pflegenden katholischen Frauenordeu gewirkt haben und noch wirken, ist un¬
beschreiblich groß und wird auch in den weitesten, selbst nichtkirchlichen Kreisen
widerspruchslos anerkannt. Wir wissen wohl, daß auch auf diesem Gebiete
manches noch anders und besser sein könnte. Aber das soll uns die freudige
Genugthuung über den gesegneten Umfang und Erfolg dieser lebendigen Liebes¬
thätigkeit edler Frauen nicht trüben. Hier ist noch Raum für viele Töchter
unsers Volks, denen der natürliche Beruf als Frau und Mutter versagt bleibt.

Der Schritt vou dem Berufe der Krankenpflegerin zu dem des weiblichen
Arztes erscheint auf den ersten Blick klein. In Wirklichkeit aber ist er sehr
groß. Zwar erfordert auch die Samariterthätigkeit der Krankenpflegerin eine
gewisse Unterweisung, ein technisches Geschick und bestimmte Fertigkeiten; aber
die Verantwortung der Krankenpflegerin ist weit geringer als die des Arztes,
ja sie wird im wesentlichen von der Verantwortung des Arztes gedeckt und
absorbiert.

Über die Wurde, die Verantwortung und die Schwere des ärztliche" Be¬
rufs herrschen im Publikum, auch im gebildeten Publikum, vielfach ganz un-
zutreffende, teilweise geradezu gedankenlose Anschauungen. Daß ein Teil der
Ärzte durch ihr Verhalten daran mitschuldig ist, läßt sich uicht bestreiten.
Wenn man aber erwägt, in welchem Umfange Leben und Glück von Menschen
in die Hand des Arztes gelegt sind, so wird mau über die Notwendigkeit, die
staatliche Approbation des Arztes von der Erfüllung sehr strenger und um¬
fangreicher wissenschaftlicher Voraussetzungen, von einer sehr ernsthaften Schulung
zu allgemeinem technischem Wissen und Geschick abhängig zu mache", nicht im
Zweifel bleiben können. Von allen staatliche" Prüfungen ist die ärztliche
Approbationsprnfung die strengste und schwerste. Und davon läßt sich nichts
abHandel", anch nicht für die ärztlichen Spezialistin. Denn der menschliche
Organismus, die wunderbare Krönung der gesamten Schöpfung, ist ein über¬
aus kompliziertes, einheitliches Ganze, das sich nicht willkürlich teilen und zer¬
reißen läßt, ohne es zu gefährden. Wenn ein Glied leidet, so leiden alle
Glieder mit, und nur das volle Verständnis des ganzen Organismus und der
Funktionen aller seiner Teile bietet die Gewähr dafür, daß der ärztliche Ein¬
griff in Bezug auf einen der erkrankten Teile nicht für das Ganze, für das
lebe materielle Schützung in seinem Werte übersteigende Menschenleben ver¬
hängnisvoll werde. Die Summe der Mindestanforderungen, von deren Er¬
füllung der Staat auf Grund sachverständigsten Ermessens die Erlaubnis zur


Grenzboten II 1900 18
Zur Frauenfmge

Die Frau ist die geborne Krankenpflegerin. Wunden schlagen und die
verletzte Rechtsordnung mit unerbittlicher Strenge aufrecht halten, ist nicht der
natürliche Frauenberuf. Wohl aber Wunden heilen helfen, die Kranken mit
milder Freundlichkeit und freudiger Selbstaufopferung pflegen, sie trösten und
erquicken, das entspricht ganz und gar der weiblichen Natur. Freilich sind der
Beruf der Krankenpflegerin und der des Arztes zwei verschiedne Dinge. Die
Krankenpflege ist das Feld, das berufslosen Frauen in erster Linie gewiesen
ist, und der Segen, mit dein die evangelischen Diakonissen und die krnnken-
pflegenden katholischen Frauenordeu gewirkt haben und noch wirken, ist un¬
beschreiblich groß und wird auch in den weitesten, selbst nichtkirchlichen Kreisen
widerspruchslos anerkannt. Wir wissen wohl, daß auch auf diesem Gebiete
manches noch anders und besser sein könnte. Aber das soll uns die freudige
Genugthuung über den gesegneten Umfang und Erfolg dieser lebendigen Liebes¬
thätigkeit edler Frauen nicht trüben. Hier ist noch Raum für viele Töchter
unsers Volks, denen der natürliche Beruf als Frau und Mutter versagt bleibt.

Der Schritt vou dem Berufe der Krankenpflegerin zu dem des weiblichen
Arztes erscheint auf den ersten Blick klein. In Wirklichkeit aber ist er sehr
groß. Zwar erfordert auch die Samariterthätigkeit der Krankenpflegerin eine
gewisse Unterweisung, ein technisches Geschick und bestimmte Fertigkeiten; aber
die Verantwortung der Krankenpflegerin ist weit geringer als die des Arztes,
ja sie wird im wesentlichen von der Verantwortung des Arztes gedeckt und
absorbiert.

Über die Wurde, die Verantwortung und die Schwere des ärztliche» Be¬
rufs herrschen im Publikum, auch im gebildeten Publikum, vielfach ganz un-
zutreffende, teilweise geradezu gedankenlose Anschauungen. Daß ein Teil der
Ärzte durch ihr Verhalten daran mitschuldig ist, läßt sich uicht bestreiten.
Wenn man aber erwägt, in welchem Umfange Leben und Glück von Menschen
in die Hand des Arztes gelegt sind, so wird mau über die Notwendigkeit, die
staatliche Approbation des Arztes von der Erfüllung sehr strenger und um¬
fangreicher wissenschaftlicher Voraussetzungen, von einer sehr ernsthaften Schulung
zu allgemeinem technischem Wissen und Geschick abhängig zu mache», nicht im
Zweifel bleiben können. Von allen staatliche» Prüfungen ist die ärztliche
Approbationsprnfung die strengste und schwerste. Und davon läßt sich nichts
abHandel», anch nicht für die ärztlichen Spezialistin. Denn der menschliche
Organismus, die wunderbare Krönung der gesamten Schöpfung, ist ein über¬
aus kompliziertes, einheitliches Ganze, das sich nicht willkürlich teilen und zer¬
reißen läßt, ohne es zu gefährden. Wenn ein Glied leidet, so leiden alle
Glieder mit, und nur das volle Verständnis des ganzen Organismus und der
Funktionen aller seiner Teile bietet die Gewähr dafür, daß der ärztliche Ein¬
griff in Bezug auf einen der erkrankten Teile nicht für das Ganze, für das
lebe materielle Schützung in seinem Werte übersteigende Menschenleben ver¬
hängnisvoll werde. Die Summe der Mindestanforderungen, von deren Er¬
füllung der Staat auf Grund sachverständigsten Ermessens die Erlaubnis zur


Grenzboten II 1900 18
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[0145] Zur Frauenfmge Die Frau ist die geborne Krankenpflegerin. Wunden schlagen und die verletzte Rechtsordnung mit unerbittlicher Strenge aufrecht halten, ist nicht der natürliche Frauenberuf. Wohl aber Wunden heilen helfen, die Kranken mit milder Freundlichkeit und freudiger Selbstaufopferung pflegen, sie trösten und erquicken, das entspricht ganz und gar der weiblichen Natur. Freilich sind der Beruf der Krankenpflegerin und der des Arztes zwei verschiedne Dinge. Die Krankenpflege ist das Feld, das berufslosen Frauen in erster Linie gewiesen ist, und der Segen, mit dein die evangelischen Diakonissen und die krnnken- pflegenden katholischen Frauenordeu gewirkt haben und noch wirken, ist un¬ beschreiblich groß und wird auch in den weitesten, selbst nichtkirchlichen Kreisen widerspruchslos anerkannt. Wir wissen wohl, daß auch auf diesem Gebiete manches noch anders und besser sein könnte. Aber das soll uns die freudige Genugthuung über den gesegneten Umfang und Erfolg dieser lebendigen Liebes¬ thätigkeit edler Frauen nicht trüben. Hier ist noch Raum für viele Töchter unsers Volks, denen der natürliche Beruf als Frau und Mutter versagt bleibt. Der Schritt vou dem Berufe der Krankenpflegerin zu dem des weiblichen Arztes erscheint auf den ersten Blick klein. In Wirklichkeit aber ist er sehr groß. Zwar erfordert auch die Samariterthätigkeit der Krankenpflegerin eine gewisse Unterweisung, ein technisches Geschick und bestimmte Fertigkeiten; aber die Verantwortung der Krankenpflegerin ist weit geringer als die des Arztes, ja sie wird im wesentlichen von der Verantwortung des Arztes gedeckt und absorbiert. Über die Wurde, die Verantwortung und die Schwere des ärztliche» Be¬ rufs herrschen im Publikum, auch im gebildeten Publikum, vielfach ganz un- zutreffende, teilweise geradezu gedankenlose Anschauungen. Daß ein Teil der Ärzte durch ihr Verhalten daran mitschuldig ist, läßt sich uicht bestreiten. Wenn man aber erwägt, in welchem Umfange Leben und Glück von Menschen in die Hand des Arztes gelegt sind, so wird mau über die Notwendigkeit, die staatliche Approbation des Arztes von der Erfüllung sehr strenger und um¬ fangreicher wissenschaftlicher Voraussetzungen, von einer sehr ernsthaften Schulung zu allgemeinem technischem Wissen und Geschick abhängig zu mache», nicht im Zweifel bleiben können. Von allen staatliche» Prüfungen ist die ärztliche Approbationsprnfung die strengste und schwerste. Und davon läßt sich nichts abHandel», anch nicht für die ärztlichen Spezialistin. Denn der menschliche Organismus, die wunderbare Krönung der gesamten Schöpfung, ist ein über¬ aus kompliziertes, einheitliches Ganze, das sich nicht willkürlich teilen und zer¬ reißen läßt, ohne es zu gefährden. Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und nur das volle Verständnis des ganzen Organismus und der Funktionen aller seiner Teile bietet die Gewähr dafür, daß der ärztliche Ein¬ griff in Bezug auf einen der erkrankten Teile nicht für das Ganze, für das lebe materielle Schützung in seinem Werte übersteigende Menschenleben ver¬ hängnisvoll werde. Die Summe der Mindestanforderungen, von deren Er¬ füllung der Staat auf Grund sachverständigsten Ermessens die Erlaubnis zur Grenzboten II 1900 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/145>, abgerufen am 03.07.2024.