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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche weltpolitik

Die gemeinsamen Interessen der beiden arbeitsamen Völker aber liegen
in der Richtung, nicht zu dulden, daß andre Staaten ihnen in unlautern Wett¬
bewerb das Arbeitsfeld beschränke". Als die deutsche Flagge in Südwestafrikn
gehißt wurde, da stellte die Se. James Gazette den englischen Staatsgruudsatz
auf, daß alles Land, das nicht unter der Jurisdiktion einer "zivilisierten"
Macht steht, durch einen Federstrich zu englischem Gebiet gemacht werden könne.
Auf der Kongokonferenz wurde diese Anmaßung gehörig gedämpft und dem
internationalen Wettbewerb die Gleichberechtigung geschaffen. Nun, diese An¬
maßung nehmen jetzt andre Völker auf. Die Union stellt eine Doktrin auf,
nach der Europa von Amerika nilsgeschlossen wird -- nicht dnrch ernste Arbeit,
sondern einfach dnrch eine Phrase, lind zugleich verfügt sie über den mittel-
amerikanischen Kanal, als ob alles amerikanische Land von einem Polnrmeer
bis zum andern ihr gehöre. Daß dadurch der Handel und die Interessen aller
Handelsvölker, insonderheit aber Dentschlnnds und Englands, schwer geschädigt
werden, liegt ans der Hand, und beide haben das gemeinsame Interesse, daß
die Monroephrase nicht einfach zur That werde. In Asien macht Rußland
Miene, den bisher neutralen Markt einfach in seine Sphäre hineinzuziehn, es
schließt Verträge über Eisenbahnbau und Handel, die die fremde Arbeit kurzer
Hand von diesem Markt abdrängt und sie der Gnade Rußlands preisgiebt.
Hier liegen wiederum gemeinsame Interessen Englands und Dentschlnnds vor,
und es ist nötig, daß die Grundsätze der Kongokonferenz und die der Berliner
Konferenz von neuem festgesetzt werden, wenn anders die deutsche Weltpolitik
einen Zweck haben soll. Die den Friede" fördernde Gepflogenheit, die jetzt
immer üblicher wird, die Interessensphären abzugrenzen und vor neuen Gebiets-
erwerbungeu die Zustimmung der Mächte einzuholen, darf nicht von einer
Macht einfach ignoriert werden. Deutschland darf darum nicht dulden, daß
sich andre Mächte darüber hinwegsetzen.

Die Juteressengemeiuschnft hört auf, wenn unmittelbar Zwistigkeiten ent-
stehn, z. B, wenn Nordamerika mit Deutschland wegen der Zollverhültnisse
oder mit England Kanadas wegen in Schwierigkeiten gerät; oder wenn Ru߬
land mit Deutschland wegen der Arbeiterfrage und mit England wegen des
persischen Golfs Auseinandersetzungen hat. Deutsche Interessen werden in dem
letzten Falle nicht berührt. Rußland bedarf dieses Ausgangs zum Meere,
Wenn sich England dadurch in Indien bedroht glaubt und dieser Ansicht in
einem Kriege gegen Nußland Ausdruck giebt, so ist das Englands Sache. Für
Deutschland kann dieser Kampf erst dann Interesse gewinnen, wenn eine der
beiden Parteien im Falle des Siegs das Maßhalten verliert und Miene macht,
internationale Interessen, die mit dem Kampfobjekt nichts zu thun haben, zu
schädigen, oder wenn die eine Macht so geschwächt wird, daß das Gleichgewicht
bedroht ist. Nur durch Maßhalte" ist 1866 und 1871 die Intervention fremder
Mächte, die immer beschämend ist, ferngehalten worden.

Es berührt eigentümlich, daß dieselben Politiker, die nicht müde werden,


Die deutsche weltpolitik

Die gemeinsamen Interessen der beiden arbeitsamen Völker aber liegen
in der Richtung, nicht zu dulden, daß andre Staaten ihnen in unlautern Wett¬
bewerb das Arbeitsfeld beschränke«. Als die deutsche Flagge in Südwestafrikn
gehißt wurde, da stellte die Se. James Gazette den englischen Staatsgruudsatz
auf, daß alles Land, das nicht unter der Jurisdiktion einer „zivilisierten"
Macht steht, durch einen Federstrich zu englischem Gebiet gemacht werden könne.
Auf der Kongokonferenz wurde diese Anmaßung gehörig gedämpft und dem
internationalen Wettbewerb die Gleichberechtigung geschaffen. Nun, diese An¬
maßung nehmen jetzt andre Völker auf. Die Union stellt eine Doktrin auf,
nach der Europa von Amerika nilsgeschlossen wird — nicht dnrch ernste Arbeit,
sondern einfach dnrch eine Phrase, lind zugleich verfügt sie über den mittel-
amerikanischen Kanal, als ob alles amerikanische Land von einem Polnrmeer
bis zum andern ihr gehöre. Daß dadurch der Handel und die Interessen aller
Handelsvölker, insonderheit aber Dentschlnnds und Englands, schwer geschädigt
werden, liegt ans der Hand, und beide haben das gemeinsame Interesse, daß
die Monroephrase nicht einfach zur That werde. In Asien macht Rußland
Miene, den bisher neutralen Markt einfach in seine Sphäre hineinzuziehn, es
schließt Verträge über Eisenbahnbau und Handel, die die fremde Arbeit kurzer
Hand von diesem Markt abdrängt und sie der Gnade Rußlands preisgiebt.
Hier liegen wiederum gemeinsame Interessen Englands und Dentschlnnds vor,
und es ist nötig, daß die Grundsätze der Kongokonferenz und die der Berliner
Konferenz von neuem festgesetzt werden, wenn anders die deutsche Weltpolitik
einen Zweck haben soll. Die den Friede» fördernde Gepflogenheit, die jetzt
immer üblicher wird, die Interessensphären abzugrenzen und vor neuen Gebiets-
erwerbungeu die Zustimmung der Mächte einzuholen, darf nicht von einer
Macht einfach ignoriert werden. Deutschland darf darum nicht dulden, daß
sich andre Mächte darüber hinwegsetzen.

Die Juteressengemeiuschnft hört auf, wenn unmittelbar Zwistigkeiten ent-
stehn, z. B, wenn Nordamerika mit Deutschland wegen der Zollverhültnisse
oder mit England Kanadas wegen in Schwierigkeiten gerät; oder wenn Ru߬
land mit Deutschland wegen der Arbeiterfrage und mit England wegen des
persischen Golfs Auseinandersetzungen hat. Deutsche Interessen werden in dem
letzten Falle nicht berührt. Rußland bedarf dieses Ausgangs zum Meere,
Wenn sich England dadurch in Indien bedroht glaubt und dieser Ansicht in
einem Kriege gegen Nußland Ausdruck giebt, so ist das Englands Sache. Für
Deutschland kann dieser Kampf erst dann Interesse gewinnen, wenn eine der
beiden Parteien im Falle des Siegs das Maßhalten verliert und Miene macht,
internationale Interessen, die mit dem Kampfobjekt nichts zu thun haben, zu
schädigen, oder wenn die eine Macht so geschwächt wird, daß das Gleichgewicht
bedroht ist. Nur durch Maßhalte« ist 1866 und 1871 die Intervention fremder
Mächte, die immer beschämend ist, ferngehalten worden.

Es berührt eigentümlich, daß dieselben Politiker, die nicht müde werden,


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[0140] Die deutsche weltpolitik Die gemeinsamen Interessen der beiden arbeitsamen Völker aber liegen in der Richtung, nicht zu dulden, daß andre Staaten ihnen in unlautern Wett¬ bewerb das Arbeitsfeld beschränke«. Als die deutsche Flagge in Südwestafrikn gehißt wurde, da stellte die Se. James Gazette den englischen Staatsgruudsatz auf, daß alles Land, das nicht unter der Jurisdiktion einer „zivilisierten" Macht steht, durch einen Federstrich zu englischem Gebiet gemacht werden könne. Auf der Kongokonferenz wurde diese Anmaßung gehörig gedämpft und dem internationalen Wettbewerb die Gleichberechtigung geschaffen. Nun, diese An¬ maßung nehmen jetzt andre Völker auf. Die Union stellt eine Doktrin auf, nach der Europa von Amerika nilsgeschlossen wird — nicht dnrch ernste Arbeit, sondern einfach dnrch eine Phrase, lind zugleich verfügt sie über den mittel- amerikanischen Kanal, als ob alles amerikanische Land von einem Polnrmeer bis zum andern ihr gehöre. Daß dadurch der Handel und die Interessen aller Handelsvölker, insonderheit aber Dentschlnnds und Englands, schwer geschädigt werden, liegt ans der Hand, und beide haben das gemeinsame Interesse, daß die Monroephrase nicht einfach zur That werde. In Asien macht Rußland Miene, den bisher neutralen Markt einfach in seine Sphäre hineinzuziehn, es schließt Verträge über Eisenbahnbau und Handel, die die fremde Arbeit kurzer Hand von diesem Markt abdrängt und sie der Gnade Rußlands preisgiebt. Hier liegen wiederum gemeinsame Interessen Englands und Dentschlnnds vor, und es ist nötig, daß die Grundsätze der Kongokonferenz und die der Berliner Konferenz von neuem festgesetzt werden, wenn anders die deutsche Weltpolitik einen Zweck haben soll. Die den Friede» fördernde Gepflogenheit, die jetzt immer üblicher wird, die Interessensphären abzugrenzen und vor neuen Gebiets- erwerbungeu die Zustimmung der Mächte einzuholen, darf nicht von einer Macht einfach ignoriert werden. Deutschland darf darum nicht dulden, daß sich andre Mächte darüber hinwegsetzen. Die Juteressengemeiuschnft hört auf, wenn unmittelbar Zwistigkeiten ent- stehn, z. B, wenn Nordamerika mit Deutschland wegen der Zollverhültnisse oder mit England Kanadas wegen in Schwierigkeiten gerät; oder wenn Ru߬ land mit Deutschland wegen der Arbeiterfrage und mit England wegen des persischen Golfs Auseinandersetzungen hat. Deutsche Interessen werden in dem letzten Falle nicht berührt. Rußland bedarf dieses Ausgangs zum Meere, Wenn sich England dadurch in Indien bedroht glaubt und dieser Ansicht in einem Kriege gegen Nußland Ausdruck giebt, so ist das Englands Sache. Für Deutschland kann dieser Kampf erst dann Interesse gewinnen, wenn eine der beiden Parteien im Falle des Siegs das Maßhalten verliert und Miene macht, internationale Interessen, die mit dem Kampfobjekt nichts zu thun haben, zu schädigen, oder wenn die eine Macht so geschwächt wird, daß das Gleichgewicht bedroht ist. Nur durch Maßhalte« ist 1866 und 1871 die Intervention fremder Mächte, die immer beschämend ist, ferngehalten worden. Es berührt eigentümlich, daß dieselben Politiker, die nicht müde werden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/140>, abgerufen am 01.07.2024.