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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Weltpolitil'

dieser kann nur gewonnen werden, wenn Deutschland in seinen verant¬
wortlichen Stellen sich von Liebe und Haß gleichmäßig fernhält und so
-- gänzlich unbefangen -- ermöglicht, daß der latente Gegensatz zwischen andern
Staaten nicht zum Ausbruch kommt, sondern möglichst lange fortbesteht, bis
nur unser Schäfchen ins Trockne gebracht haben.

Das kann nicht erreicht werden, wenn deutsche Volksstimmungeu die Leitung
unsrer auswärtigen Politik in einen Haß gegen einen der andern Staaten hinein¬
zutreiben suchen. Die Kaltblütigkeit, die unsre Regierung gegenüber der jetzt
modernen nntienglischen Stimmung bewahrt hat, wird ihr die Geschichte als
Ruhmestitel ihrer Staatskunst zuweisen. Es liegt in der Natur menschlichen
Charakters, daß sich auch Regierungen, um populär zu werden, gegen Volks¬
stimmungen zugänglich zeigen, zumal in einem parlamentarischen Lande. Größer
und verdienstvoller aber ist der Widerstand des Pflichtbewußtseins gegen mensch¬
liche Schwäche. Daß England unser Erbfeind sei, oder umgekehrt Deutschland
der Englands, ist eine Lüge; wahr ist nur, daß England ans handelspolitischen
Gründen das Aufkommen des kraftvollen Konkurrenten zu hindern gesucht hat,
genau so, wie Österreich und Frankreich, Rußland usw. dem aufstrebenden
Preußen seit jeher Steine in den Weg geworfen haben. Sie handelten in
ihrem Interesse und sehr richtig von ihrem Standpunkt. Erst als Österreich
eingesehen hatte, daß Preußen nicht niederzuhalten war, wurde es nicht aus
Freundschaft, sondern ans eignem Interesse unser Bundesgenosse, und
genau dieselbe Wandlung muß England in seinem eignen Interesse machen.
Es wird sich notwendigerweise zu einer Mitarbeit mit dem deutschen Volke
entschließen und der Nersuchuug, Deutschland niederzuzwingen, widerstehn in
seinem Interesse: daß das nicht geschehn wird, weil es uns liebt oder mit
uns sympathisiert, ist selbstverständlich, ebenso wenig wie die Stellung Deutsch¬
lands hoffentlich jemals von solchen Gefühlen beeinflußt werden wird. In dieser
Hinsicht kann die Englandhetze bei uns lediglich den Erfolg haben, die Nachbarn
zu einem Versuch zu ermuntern, Deutschland als Stnrmbock ihrer Interessen
zu benutzen. Deutschland aber hat ein Interesse all dem friedlichen Neben¬
einander mit England, weil es nur so in Ruhe seine Ziele zur Schaffung
eines großem Dentschlands durchführen kann. Obgleich sich manche Kreise bei
uns bemühen, unsern leitenden Kreisen eine Neigung für England unterzu¬
schieben, so läßt sich doch nichts Thatsächliches für diese Behauptung erbringen,
und ihre Absurdität müßte denn auch durch die Veröffentlichung der diplo-
matischen Aktenstücke über die Beschlagnahme deutscher Dampfer auch für die
erwiesen sein, die den Wert des Diplomaten nach seiner in Verhandlungen zu
Tage tretenden Grobheit schützen.

Seitdem Deutschland nicht mehr Kontinentalmacht ist, sondern die Hälfte
seiner Interessen das Meer passieren muß, die mit Kanonen zu schützen eS
jetzt noch nicht in der Lage ist, muß die deutsche Diplomatie noch emsiger
auf die Wahrung der Grundsätze ausgehn, die Fürst Bismarck über das zwischen
beiden Ländern innezuhaltende Verhältnis zu wiederholten malen -- und be-


Die deutsche Weltpolitil'

dieser kann nur gewonnen werden, wenn Deutschland in seinen verant¬
wortlichen Stellen sich von Liebe und Haß gleichmäßig fernhält und so
— gänzlich unbefangen — ermöglicht, daß der latente Gegensatz zwischen andern
Staaten nicht zum Ausbruch kommt, sondern möglichst lange fortbesteht, bis
nur unser Schäfchen ins Trockne gebracht haben.

Das kann nicht erreicht werden, wenn deutsche Volksstimmungeu die Leitung
unsrer auswärtigen Politik in einen Haß gegen einen der andern Staaten hinein¬
zutreiben suchen. Die Kaltblütigkeit, die unsre Regierung gegenüber der jetzt
modernen nntienglischen Stimmung bewahrt hat, wird ihr die Geschichte als
Ruhmestitel ihrer Staatskunst zuweisen. Es liegt in der Natur menschlichen
Charakters, daß sich auch Regierungen, um populär zu werden, gegen Volks¬
stimmungen zugänglich zeigen, zumal in einem parlamentarischen Lande. Größer
und verdienstvoller aber ist der Widerstand des Pflichtbewußtseins gegen mensch¬
liche Schwäche. Daß England unser Erbfeind sei, oder umgekehrt Deutschland
der Englands, ist eine Lüge; wahr ist nur, daß England ans handelspolitischen
Gründen das Aufkommen des kraftvollen Konkurrenten zu hindern gesucht hat,
genau so, wie Österreich und Frankreich, Rußland usw. dem aufstrebenden
Preußen seit jeher Steine in den Weg geworfen haben. Sie handelten in
ihrem Interesse und sehr richtig von ihrem Standpunkt. Erst als Österreich
eingesehen hatte, daß Preußen nicht niederzuhalten war, wurde es nicht aus
Freundschaft, sondern ans eignem Interesse unser Bundesgenosse, und
genau dieselbe Wandlung muß England in seinem eignen Interesse machen.
Es wird sich notwendigerweise zu einer Mitarbeit mit dem deutschen Volke
entschließen und der Nersuchuug, Deutschland niederzuzwingen, widerstehn in
seinem Interesse: daß das nicht geschehn wird, weil es uns liebt oder mit
uns sympathisiert, ist selbstverständlich, ebenso wenig wie die Stellung Deutsch¬
lands hoffentlich jemals von solchen Gefühlen beeinflußt werden wird. In dieser
Hinsicht kann die Englandhetze bei uns lediglich den Erfolg haben, die Nachbarn
zu einem Versuch zu ermuntern, Deutschland als Stnrmbock ihrer Interessen
zu benutzen. Deutschland aber hat ein Interesse all dem friedlichen Neben¬
einander mit England, weil es nur so in Ruhe seine Ziele zur Schaffung
eines großem Dentschlands durchführen kann. Obgleich sich manche Kreise bei
uns bemühen, unsern leitenden Kreisen eine Neigung für England unterzu¬
schieben, so läßt sich doch nichts Thatsächliches für diese Behauptung erbringen,
und ihre Absurdität müßte denn auch durch die Veröffentlichung der diplo-
matischen Aktenstücke über die Beschlagnahme deutscher Dampfer auch für die
erwiesen sein, die den Wert des Diplomaten nach seiner in Verhandlungen zu
Tage tretenden Grobheit schützen.

Seitdem Deutschland nicht mehr Kontinentalmacht ist, sondern die Hälfte
seiner Interessen das Meer passieren muß, die mit Kanonen zu schützen eS
jetzt noch nicht in der Lage ist, muß die deutsche Diplomatie noch emsiger
auf die Wahrung der Grundsätze ausgehn, die Fürst Bismarck über das zwischen
beiden Ländern innezuhaltende Verhältnis zu wiederholten malen -- und be-


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[0138] Die deutsche Weltpolitil' dieser kann nur gewonnen werden, wenn Deutschland in seinen verant¬ wortlichen Stellen sich von Liebe und Haß gleichmäßig fernhält und so — gänzlich unbefangen — ermöglicht, daß der latente Gegensatz zwischen andern Staaten nicht zum Ausbruch kommt, sondern möglichst lange fortbesteht, bis nur unser Schäfchen ins Trockne gebracht haben. Das kann nicht erreicht werden, wenn deutsche Volksstimmungeu die Leitung unsrer auswärtigen Politik in einen Haß gegen einen der andern Staaten hinein¬ zutreiben suchen. Die Kaltblütigkeit, die unsre Regierung gegenüber der jetzt modernen nntienglischen Stimmung bewahrt hat, wird ihr die Geschichte als Ruhmestitel ihrer Staatskunst zuweisen. Es liegt in der Natur menschlichen Charakters, daß sich auch Regierungen, um populär zu werden, gegen Volks¬ stimmungen zugänglich zeigen, zumal in einem parlamentarischen Lande. Größer und verdienstvoller aber ist der Widerstand des Pflichtbewußtseins gegen mensch¬ liche Schwäche. Daß England unser Erbfeind sei, oder umgekehrt Deutschland der Englands, ist eine Lüge; wahr ist nur, daß England ans handelspolitischen Gründen das Aufkommen des kraftvollen Konkurrenten zu hindern gesucht hat, genau so, wie Österreich und Frankreich, Rußland usw. dem aufstrebenden Preußen seit jeher Steine in den Weg geworfen haben. Sie handelten in ihrem Interesse und sehr richtig von ihrem Standpunkt. Erst als Österreich eingesehen hatte, daß Preußen nicht niederzuhalten war, wurde es nicht aus Freundschaft, sondern ans eignem Interesse unser Bundesgenosse, und genau dieselbe Wandlung muß England in seinem eignen Interesse machen. Es wird sich notwendigerweise zu einer Mitarbeit mit dem deutschen Volke entschließen und der Nersuchuug, Deutschland niederzuzwingen, widerstehn in seinem Interesse: daß das nicht geschehn wird, weil es uns liebt oder mit uns sympathisiert, ist selbstverständlich, ebenso wenig wie die Stellung Deutsch¬ lands hoffentlich jemals von solchen Gefühlen beeinflußt werden wird. In dieser Hinsicht kann die Englandhetze bei uns lediglich den Erfolg haben, die Nachbarn zu einem Versuch zu ermuntern, Deutschland als Stnrmbock ihrer Interessen zu benutzen. Deutschland aber hat ein Interesse all dem friedlichen Neben¬ einander mit England, weil es nur so in Ruhe seine Ziele zur Schaffung eines großem Dentschlands durchführen kann. Obgleich sich manche Kreise bei uns bemühen, unsern leitenden Kreisen eine Neigung für England unterzu¬ schieben, so läßt sich doch nichts Thatsächliches für diese Behauptung erbringen, und ihre Absurdität müßte denn auch durch die Veröffentlichung der diplo- matischen Aktenstücke über die Beschlagnahme deutscher Dampfer auch für die erwiesen sein, die den Wert des Diplomaten nach seiner in Verhandlungen zu Tage tretenden Grobheit schützen. Seitdem Deutschland nicht mehr Kontinentalmacht ist, sondern die Hälfte seiner Interessen das Meer passieren muß, die mit Kanonen zu schützen eS jetzt noch nicht in der Lage ist, muß die deutsche Diplomatie noch emsiger auf die Wahrung der Grundsätze ausgehn, die Fürst Bismarck über das zwischen beiden Ländern innezuhaltende Verhältnis zu wiederholten malen -- und be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/138>, abgerufen am 03.07.2024.