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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Ausdehnung nicht über englische Grenzen, seine Ziele liegen nach andrer
Richtung. Die Periode der Flnggenhissuugen, die beide Völker in nationaler
Nervosität hielt, ist vorüber. Die "freien" Länder sind aufgeteilt, und neue
Gebietserwerbungen können nur noch durch Kauf oder als Kriegsentschädigung
gemacht werden. In dieser Hinsicht aber ist ein ernster Streitpunkt nicht
sichtbar.

Auch in handelspolitischer Hinsicht ist Deutschland nicht gegen, sondern
neben England hochgekommen. Die Annahme der englischen Alarmifteu, die
in dem Wort irmäs in (?ornam^ Ausdruck erhalten hat, läßt sich vor der
Statistik nicht mehr halten. Die Handelsbeziehungen Deutschlands zu dem
Inselreiche lehren, daß eine immer weiter schreitende Arbeitsteilung zwischen
den beiden Völkern stattfindet, ein Vorgang, der die beiderseitige Arbeit immer
mehr auf einander anweist, und die Stellung beider Völker auf dem neutralen
Markt ist nicht feindseliger, als die vieler englischer Kolonien zu ihrem
Mutterland e.

Aber es ist klar, daß die Angst vor der deutschen Geschä'ftsgewandtheit
einen großen Teil des britischen Volks verblendet und zu dem von dem Stand¬
punkt der englischen Politik so überaus thörichten Verlangen, 6oren!maur esso
ÄölenäiUll, geführt hat. Auch an politischen Versuchen, die Entwicklung Deutsch¬
lands niederzuhalten, hat es englischerseits nicht gefehlt. Das war aber da¬
mals erklärlich, weil das Erblühn eines neuen Staatswesens alle andern vor
Zukunftsfragen stellt. In dieser Hinsicht hat England, wie es ja auch die andern
Staaten nicht anders gemacht haben, lediglich in seinem Interesse gehandelt,
wie ja auch wir nur in unserm Interesse handeln sollen. Es giebt viele, die
auch im Leben nicht an Freundschaften, sondern nur an Jnteresseugeiueiuschaft
glauben, im politischen Leben aber ist der gegenteilige Glaube einfach Selbstmord.

Die britische Diplomatie steht vor allen andern Kabinetten vor dem
schwierigsten Problem: sie hat die ganze Welt zum Feinde und möchte deren
Zahl natürlich verringern. Nach einer weitverbreiteten Anschauung ist Deutsch¬
land Englands größter Konkurrent ans handelspolitischem Gebiet, Rußland
bedroht England von der Landseite, und im Einverständnis mit Nußland schielt
Frankreich uach Äghpteu und erstrebt die Vorherrschaft des jetzt englischen
Mittelmeers. In der Ferne taucht die Union als gefährlicher (in der Kohlen-
und Eisenproduktion schon überlegner) Handelskonkurrent auf, der zudem einen
Teil des englischen Bedarfs an Rohmaterial in der Hand hat und jetzt schon
i" der mittelamerikanischen Kanalfrage Anzeichen giebt, daß er England die
härteste Konkurrenz in ganz Amerika und in der Südsee machen wird. Was
da thun? Wir sehen, wie die britische Politik überall antippt, daß sie hin-
und hcrschwankt. Man befreundet sich mit der Union, um diese der russischen
Neigung zu entziehn: aber vitale Interessen erzengen schon jetzt bei den Yankees
ablehnende Stimmnnge". Man fragt bei Frankreich an und glaubt, daß sich
dieses als Sturmbvck gegen Deutschland gebrauchen lassen werde; aber die
französischen Staatsmänner würden jedenfalls Ägypten beanspruchen und fürchten


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Ausdehnung nicht über englische Grenzen, seine Ziele liegen nach andrer
Richtung. Die Periode der Flnggenhissuugen, die beide Völker in nationaler
Nervosität hielt, ist vorüber. Die „freien" Länder sind aufgeteilt, und neue
Gebietserwerbungen können nur noch durch Kauf oder als Kriegsentschädigung
gemacht werden. In dieser Hinsicht aber ist ein ernster Streitpunkt nicht
sichtbar.

Auch in handelspolitischer Hinsicht ist Deutschland nicht gegen, sondern
neben England hochgekommen. Die Annahme der englischen Alarmifteu, die
in dem Wort irmäs in (?ornam^ Ausdruck erhalten hat, läßt sich vor der
Statistik nicht mehr halten. Die Handelsbeziehungen Deutschlands zu dem
Inselreiche lehren, daß eine immer weiter schreitende Arbeitsteilung zwischen
den beiden Völkern stattfindet, ein Vorgang, der die beiderseitige Arbeit immer
mehr auf einander anweist, und die Stellung beider Völker auf dem neutralen
Markt ist nicht feindseliger, als die vieler englischer Kolonien zu ihrem
Mutterland e.

Aber es ist klar, daß die Angst vor der deutschen Geschä'ftsgewandtheit
einen großen Teil des britischen Volks verblendet und zu dem von dem Stand¬
punkt der englischen Politik so überaus thörichten Verlangen, 6oren!maur esso
ÄölenäiUll, geführt hat. Auch an politischen Versuchen, die Entwicklung Deutsch¬
lands niederzuhalten, hat es englischerseits nicht gefehlt. Das war aber da¬
mals erklärlich, weil das Erblühn eines neuen Staatswesens alle andern vor
Zukunftsfragen stellt. In dieser Hinsicht hat England, wie es ja auch die andern
Staaten nicht anders gemacht haben, lediglich in seinem Interesse gehandelt,
wie ja auch wir nur in unserm Interesse handeln sollen. Es giebt viele, die
auch im Leben nicht an Freundschaften, sondern nur an Jnteresseugeiueiuschaft
glauben, im politischen Leben aber ist der gegenteilige Glaube einfach Selbstmord.

Die britische Diplomatie steht vor allen andern Kabinetten vor dem
schwierigsten Problem: sie hat die ganze Welt zum Feinde und möchte deren
Zahl natürlich verringern. Nach einer weitverbreiteten Anschauung ist Deutsch¬
land Englands größter Konkurrent ans handelspolitischem Gebiet, Rußland
bedroht England von der Landseite, und im Einverständnis mit Nußland schielt
Frankreich uach Äghpteu und erstrebt die Vorherrschaft des jetzt englischen
Mittelmeers. In der Ferne taucht die Union als gefährlicher (in der Kohlen-
und Eisenproduktion schon überlegner) Handelskonkurrent auf, der zudem einen
Teil des englischen Bedarfs an Rohmaterial in der Hand hat und jetzt schon
i» der mittelamerikanischen Kanalfrage Anzeichen giebt, daß er England die
härteste Konkurrenz in ganz Amerika und in der Südsee machen wird. Was
da thun? Wir sehen, wie die britische Politik überall antippt, daß sie hin-
und hcrschwankt. Man befreundet sich mit der Union, um diese der russischen
Neigung zu entziehn: aber vitale Interessen erzengen schon jetzt bei den Yankees
ablehnende Stimmnnge». Man fragt bei Frankreich an und glaubt, daß sich
dieses als Sturmbvck gegen Deutschland gebrauchen lassen werde; aber die
französischen Staatsmänner würden jedenfalls Ägypten beanspruchen und fürchten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/135>, abgerufen am 03.07.2024.