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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

pflanzten Piazza Viktoria dicht an der alten Stadtgrenze, eine lange, hohe,
nüchterne Front,- die sich ununterbrochen bis zu dem majestätischen Barockbau
der Porta nuova ausdehnt, Rechts, an der Südhälfte, erhebt sich ein starker
viereckiger Turm, die Santa Ninfa, mit arabischen Spitzbogenfenstern und
breiter Plattform oben, die eine kleine Sternwarte (Osservatorio) trägt. In
der Nordhülfte des weitläufigen Baus öffnen sich nach einem herrlichen Säulen¬
hofe aus der Renaissancezeit vier lange Fronten, und von ihm aus gelangt
man im Oberstock in die berühmte Cappella palatina, die Schloßkapelle, die
König Roger II. 1129 bis 1156 erbaut hat. Es ist kein großer Raum (im
ganzen nur 33 Meter lang), eine kleine Basilika mit dreifachem Langschiff und
kürzerem Querschiff vor der halbrunden Apsis des Chors, die schlanke Kuppel
über der Vierung; auch die Gliederung ist einfach, aber das Ganze prangt in
orientalischer Farben- und Formcnpracht. Abwechselnd kannelierte und glatte
antike Säulen aus Marmor und Granit tragen auf reichen, im einzelnen
sehr mannigfaltigen Kapitälen arabische Spitzbogen, auf die sich die Balken¬
decke und die Kuppel stützen. Alle Flächen, selbst die schmalen, innern Flächen
der Spitzbogen, schimmern von bunter arabischer Marmor- und byzantinischer
Glasmosaik; von den Wänden über den Bogen und zwischen den schmalen
Fenstern unter der Kuppel grüßen die Gestalten der heiligen Geschichte, in der
Apsis schwebt der segnende Christus mit den weit offnen, starren Augen des
byzantinischen Ideals, und alles wird umrahmt von phantastischen, reichen
Arabesken. Die Schmalseite gegenüber der Apsis ist unten ganz mit buntem
Steinwerk in geometrischen Figuren bedeckt, und in der Mitte prangen jetzt über
dem alten Königsthrone, zwischen den aragonesischen Löwen das Kreuz von
Savoyen und das Bildnis des Königs Humbert. Von der Decke des Mittel¬
schiffs hängt das buntbemalte arabische Stalaktitenornament herab; altertümliche
Bronzeleuchter, ein kolossaler Marmorkandelaber für die Osterkerze, die hohe
Kanzel und griechische, lateinische und arabische Inschriften, die oben an den
Wänden friesartig herumlaufen, vollenden die Ausstattung; farbiges, reiches
Steinmosaik bedeckt den Fußboden. Die Gesänge, die soeben eine Messe im
Chor begleiteten, und die reichen Gewänder der Priester in ihren Chorstühlen
und am Hochaltar fügten zu dem Eindrucke des Gebäudes noch den des Gottes¬
dienstes, wie er dieser farbenfreudigen Umgebung entsprach.

Durch die lange prächtige Flucht der königlichen Gemächer, von denen
nunmehr seit vierzig Jahren die Casa Scwoja mit Bildern und Kunstwerken
Besitz ergriffen hat, führte uns der Kustode in die Stanza Ruggero im Turme
Santa Ninfa. Dieser kleine Saal stammt noch aus arabischer Zeit, ein schmales
hohes spitzbogiges Kuppelgewölbe, die Wände reich mit stilisierten Tier- und
Pflanzen gestalten in Mosaik geschmückt. Doch zeigt der deutsche Reichsadler um
der Decke, daß auch die Hohenstaufen hier noch gebaut haben. Dann ging es
die schmalen Treppen hinauf bis auf die Plattform des Observatoriums. Die
Sonne brannte heiß auf den Steinfliesen und lag blendend auf Plätzen und
Straßen, Dächern und Türmen, auf der weiten, im üppigsten Dunkelgrün


Auf Sizilien

pflanzten Piazza Viktoria dicht an der alten Stadtgrenze, eine lange, hohe,
nüchterne Front,- die sich ununterbrochen bis zu dem majestätischen Barockbau
der Porta nuova ausdehnt, Rechts, an der Südhälfte, erhebt sich ein starker
viereckiger Turm, die Santa Ninfa, mit arabischen Spitzbogenfenstern und
breiter Plattform oben, die eine kleine Sternwarte (Osservatorio) trägt. In
der Nordhülfte des weitläufigen Baus öffnen sich nach einem herrlichen Säulen¬
hofe aus der Renaissancezeit vier lange Fronten, und von ihm aus gelangt
man im Oberstock in die berühmte Cappella palatina, die Schloßkapelle, die
König Roger II. 1129 bis 1156 erbaut hat. Es ist kein großer Raum (im
ganzen nur 33 Meter lang), eine kleine Basilika mit dreifachem Langschiff und
kürzerem Querschiff vor der halbrunden Apsis des Chors, die schlanke Kuppel
über der Vierung; auch die Gliederung ist einfach, aber das Ganze prangt in
orientalischer Farben- und Formcnpracht. Abwechselnd kannelierte und glatte
antike Säulen aus Marmor und Granit tragen auf reichen, im einzelnen
sehr mannigfaltigen Kapitälen arabische Spitzbogen, auf die sich die Balken¬
decke und die Kuppel stützen. Alle Flächen, selbst die schmalen, innern Flächen
der Spitzbogen, schimmern von bunter arabischer Marmor- und byzantinischer
Glasmosaik; von den Wänden über den Bogen und zwischen den schmalen
Fenstern unter der Kuppel grüßen die Gestalten der heiligen Geschichte, in der
Apsis schwebt der segnende Christus mit den weit offnen, starren Augen des
byzantinischen Ideals, und alles wird umrahmt von phantastischen, reichen
Arabesken. Die Schmalseite gegenüber der Apsis ist unten ganz mit buntem
Steinwerk in geometrischen Figuren bedeckt, und in der Mitte prangen jetzt über
dem alten Königsthrone, zwischen den aragonesischen Löwen das Kreuz von
Savoyen und das Bildnis des Königs Humbert. Von der Decke des Mittel¬
schiffs hängt das buntbemalte arabische Stalaktitenornament herab; altertümliche
Bronzeleuchter, ein kolossaler Marmorkandelaber für die Osterkerze, die hohe
Kanzel und griechische, lateinische und arabische Inschriften, die oben an den
Wänden friesartig herumlaufen, vollenden die Ausstattung; farbiges, reiches
Steinmosaik bedeckt den Fußboden. Die Gesänge, die soeben eine Messe im
Chor begleiteten, und die reichen Gewänder der Priester in ihren Chorstühlen
und am Hochaltar fügten zu dem Eindrucke des Gebäudes noch den des Gottes¬
dienstes, wie er dieser farbenfreudigen Umgebung entsprach.

Durch die lange prächtige Flucht der königlichen Gemächer, von denen
nunmehr seit vierzig Jahren die Casa Scwoja mit Bildern und Kunstwerken
Besitz ergriffen hat, führte uns der Kustode in die Stanza Ruggero im Turme
Santa Ninfa. Dieser kleine Saal stammt noch aus arabischer Zeit, ein schmales
hohes spitzbogiges Kuppelgewölbe, die Wände reich mit stilisierten Tier- und
Pflanzen gestalten in Mosaik geschmückt. Doch zeigt der deutsche Reichsadler um
der Decke, daß auch die Hohenstaufen hier noch gebaut haben. Dann ging es
die schmalen Treppen hinauf bis auf die Plattform des Observatoriums. Die
Sonne brannte heiß auf den Steinfliesen und lag blendend auf Plätzen und
Straßen, Dächern und Türmen, auf der weiten, im üppigsten Dunkelgrün


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[0101] Auf Sizilien pflanzten Piazza Viktoria dicht an der alten Stadtgrenze, eine lange, hohe, nüchterne Front,- die sich ununterbrochen bis zu dem majestätischen Barockbau der Porta nuova ausdehnt, Rechts, an der Südhälfte, erhebt sich ein starker viereckiger Turm, die Santa Ninfa, mit arabischen Spitzbogenfenstern und breiter Plattform oben, die eine kleine Sternwarte (Osservatorio) trägt. In der Nordhülfte des weitläufigen Baus öffnen sich nach einem herrlichen Säulen¬ hofe aus der Renaissancezeit vier lange Fronten, und von ihm aus gelangt man im Oberstock in die berühmte Cappella palatina, die Schloßkapelle, die König Roger II. 1129 bis 1156 erbaut hat. Es ist kein großer Raum (im ganzen nur 33 Meter lang), eine kleine Basilika mit dreifachem Langschiff und kürzerem Querschiff vor der halbrunden Apsis des Chors, die schlanke Kuppel über der Vierung; auch die Gliederung ist einfach, aber das Ganze prangt in orientalischer Farben- und Formcnpracht. Abwechselnd kannelierte und glatte antike Säulen aus Marmor und Granit tragen auf reichen, im einzelnen sehr mannigfaltigen Kapitälen arabische Spitzbogen, auf die sich die Balken¬ decke und die Kuppel stützen. Alle Flächen, selbst die schmalen, innern Flächen der Spitzbogen, schimmern von bunter arabischer Marmor- und byzantinischer Glasmosaik; von den Wänden über den Bogen und zwischen den schmalen Fenstern unter der Kuppel grüßen die Gestalten der heiligen Geschichte, in der Apsis schwebt der segnende Christus mit den weit offnen, starren Augen des byzantinischen Ideals, und alles wird umrahmt von phantastischen, reichen Arabesken. Die Schmalseite gegenüber der Apsis ist unten ganz mit buntem Steinwerk in geometrischen Figuren bedeckt, und in der Mitte prangen jetzt über dem alten Königsthrone, zwischen den aragonesischen Löwen das Kreuz von Savoyen und das Bildnis des Königs Humbert. Von der Decke des Mittel¬ schiffs hängt das buntbemalte arabische Stalaktitenornament herab; altertümliche Bronzeleuchter, ein kolossaler Marmorkandelaber für die Osterkerze, die hohe Kanzel und griechische, lateinische und arabische Inschriften, die oben an den Wänden friesartig herumlaufen, vollenden die Ausstattung; farbiges, reiches Steinmosaik bedeckt den Fußboden. Die Gesänge, die soeben eine Messe im Chor begleiteten, und die reichen Gewänder der Priester in ihren Chorstühlen und am Hochaltar fügten zu dem Eindrucke des Gebäudes noch den des Gottes¬ dienstes, wie er dieser farbenfreudigen Umgebung entsprach. Durch die lange prächtige Flucht der königlichen Gemächer, von denen nunmehr seit vierzig Jahren die Casa Scwoja mit Bildern und Kunstwerken Besitz ergriffen hat, führte uns der Kustode in die Stanza Ruggero im Turme Santa Ninfa. Dieser kleine Saal stammt noch aus arabischer Zeit, ein schmales hohes spitzbogiges Kuppelgewölbe, die Wände reich mit stilisierten Tier- und Pflanzen gestalten in Mosaik geschmückt. Doch zeigt der deutsche Reichsadler um der Decke, daß auch die Hohenstaufen hier noch gebaut haben. Dann ging es die schmalen Treppen hinauf bis auf die Plattform des Observatoriums. Die Sonne brannte heiß auf den Steinfliesen und lag blendend auf Plätzen und Straßen, Dächern und Türmen, auf der weiten, im üppigsten Dunkelgrün

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/101>, abgerufen am 03.07.2024.