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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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barbarisch, wenn wir auch alle unsre 2^ Millionen Polen einfach aus dem
Lande oder dein Leben trieben. Hier aber giebt es nnr ein friedliches natio¬
nales Ringen, das leider durch Schuld ans beiden Seiten vergiftet worden ist.
Und wir thäten gut, ohne die Schuld der Polen zu übersehen, auf unser eignes
Verschulden sorgfältig zu achten, das hauptsächlich in unsrer nationalen Schlaff¬
heit, weit weniger in unsrer staatlichen Sicherheit liegt.

Auch solche staatlichen Mittel, wie das Bestrafen von Frauen für die Er¬
teilung polnischen Unterrichts, scheinen mir aus nationaler Schlaffheit, ans
Mangel an Empfindung, nu Verständnis für die Heiligkeit der Muttersprache
zu fließen. Wer die Härte solcher Mittel gegen andre nicht begreift und fühlt,
dem kann auch die eigne Muttersprache nicht viel wert sein. Die, die in
solchen Maßregeln Beweise von Kraft und festen: Auftreten, in deren Tadel
unpraktische Weichheit, sentimentale Duselei sehen, das sind gerade die rechten
Leute, die in Lodz oder Moskau, in Chicago oder Paris auf polizeiliches
Kommando alsbald ihre nationale deutsche Haut abstreifen und in jede be¬
liebige fremde schlüpfen. Was man in sich selbst nicht hat, versteht man bei
andern nicht. Und dieser Fall in Posen ist ja nicht der einzige oder erste in
seiner Art. Im August 1887 stand in den Münchner Neusten Nachrichten
("aus Berlin") zu lesen: "Das Königliche Provinzialschnlkollegium hat einen
Berliner Lehrer, der den Kindern der hier ansässigen Polen Privatunterricht
in der polnischen Sprache erteilte, im Disziplinarwcge zu einer Geldstrafe von
250 Mark verurteilt und ihm die Fortsetzung dieses Unterrichts untersagt."
Das geschah in Berlin, nicht etwa in Posen! Das geschieht in dem Staate
Friedrichs des Großen, in dein Reich, das Weltmacht werden will, und nicht
in Reuß ü. L.! Ich wollte, die Geschichte Preußens hätte solche Begebenheiten
nicht zu verzeichnen; sie passen nicht in einen Staat, der die Sklaverei und
leider auch die Prügelstrafe abgeschafft hat.

Es ist begreiflich, daß in Posen der nationale Kampf zu Ausschreitungen
führt, und zwar auf beiden Seiten. In langen Kriegen leidet, much wenn es
keine blutigen sind, allmählich die Moral. Unsre Beamten werden durch den
Widerstand, durch die Nadelstiche, durch die übermütigen Herausforderungen
der Polen gereizt, und man läßt sich zu immer schärfrer Repression drungen.
Um so nötiger ist es, dorthin nur Beamte mit festen Nerven zu schicken, die
nicht jede polnische Petarde mit einer Gewehrsalve beantworten, und die sich
bewußt bleiben, daß in Posen und inmitten leidenschaftlicher Kämpfe der Ma߬
stab von Ruhe und Ordnung nicht derselbe sein kann wie in Mecklenburg oder
Brandenburg. Der Verfasser unsers Buchs giebt den Rat, alle russischen
niedern Beamten aus Kronpolen zu entfernen, weil sie, unwissend, schlecht be¬
soldet, von Hause aus als daheim in Rußland unbrauchbar befunducs Material
uach Polen geschickt, den russischen Interessen mehr schadeten als nützten. Unser
Beamtenmaterial in Posen ist gewiß gut, aber wer gut ist als Laudrat in
Merseburg, braucht deshalb noch lange nicht gut zu sein als Landrat in der
Provinz Posen. Wir sollten, wie ich schon oben angedeutet habe, kein Opfer


barbarisch, wenn wir auch alle unsre 2^ Millionen Polen einfach aus dem
Lande oder dein Leben trieben. Hier aber giebt es nnr ein friedliches natio¬
nales Ringen, das leider durch Schuld ans beiden Seiten vergiftet worden ist.
Und wir thäten gut, ohne die Schuld der Polen zu übersehen, auf unser eignes
Verschulden sorgfältig zu achten, das hauptsächlich in unsrer nationalen Schlaff¬
heit, weit weniger in unsrer staatlichen Sicherheit liegt.

Auch solche staatlichen Mittel, wie das Bestrafen von Frauen für die Er¬
teilung polnischen Unterrichts, scheinen mir aus nationaler Schlaffheit, ans
Mangel an Empfindung, nu Verständnis für die Heiligkeit der Muttersprache
zu fließen. Wer die Härte solcher Mittel gegen andre nicht begreift und fühlt,
dem kann auch die eigne Muttersprache nicht viel wert sein. Die, die in
solchen Maßregeln Beweise von Kraft und festen: Auftreten, in deren Tadel
unpraktische Weichheit, sentimentale Duselei sehen, das sind gerade die rechten
Leute, die in Lodz oder Moskau, in Chicago oder Paris auf polizeiliches
Kommando alsbald ihre nationale deutsche Haut abstreifen und in jede be¬
liebige fremde schlüpfen. Was man in sich selbst nicht hat, versteht man bei
andern nicht. Und dieser Fall in Posen ist ja nicht der einzige oder erste in
seiner Art. Im August 1887 stand in den Münchner Neusten Nachrichten
(„aus Berlin") zu lesen: „Das Königliche Provinzialschnlkollegium hat einen
Berliner Lehrer, der den Kindern der hier ansässigen Polen Privatunterricht
in der polnischen Sprache erteilte, im Disziplinarwcge zu einer Geldstrafe von
250 Mark verurteilt und ihm die Fortsetzung dieses Unterrichts untersagt."
Das geschah in Berlin, nicht etwa in Posen! Das geschieht in dem Staate
Friedrichs des Großen, in dein Reich, das Weltmacht werden will, und nicht
in Reuß ü. L.! Ich wollte, die Geschichte Preußens hätte solche Begebenheiten
nicht zu verzeichnen; sie passen nicht in einen Staat, der die Sklaverei und
leider auch die Prügelstrafe abgeschafft hat.

Es ist begreiflich, daß in Posen der nationale Kampf zu Ausschreitungen
führt, und zwar auf beiden Seiten. In langen Kriegen leidet, much wenn es
keine blutigen sind, allmählich die Moral. Unsre Beamten werden durch den
Widerstand, durch die Nadelstiche, durch die übermütigen Herausforderungen
der Polen gereizt, und man läßt sich zu immer schärfrer Repression drungen.
Um so nötiger ist es, dorthin nur Beamte mit festen Nerven zu schicken, die
nicht jede polnische Petarde mit einer Gewehrsalve beantworten, und die sich
bewußt bleiben, daß in Posen und inmitten leidenschaftlicher Kämpfe der Ma߬
stab von Ruhe und Ordnung nicht derselbe sein kann wie in Mecklenburg oder
Brandenburg. Der Verfasser unsers Buchs giebt den Rat, alle russischen
niedern Beamten aus Kronpolen zu entfernen, weil sie, unwissend, schlecht be¬
soldet, von Hause aus als daheim in Rußland unbrauchbar befunducs Material
uach Polen geschickt, den russischen Interessen mehr schadeten als nützten. Unser
Beamtenmaterial in Posen ist gewiß gut, aber wer gut ist als Laudrat in
Merseburg, braucht deshalb noch lange nicht gut zu sein als Landrat in der
Provinz Posen. Wir sollten, wie ich schon oben angedeutet habe, kein Opfer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/79>, abgerufen am 02.07.2024.