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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Am 20. Dezember 532

zwar gar nicht in den Vortrag gehörte, aber sehr uninteressant war. Dennoch
hatte ich mich danach am später Abend nochmals hingesetzt, meine alten ver¬
staubten Kolleghcfte von Jhering aus einem äußerst verborgnen Winkel hervor¬
geholt und die Novation aufgeschlagen, nachher aber auch in die Lehre vom
Kauf und endlich in die Rechtsgeschichte hineingesehen. Diese Materie hatte
ihre alte einschläfernde Macht auf mich noch nicht verloren. Nur mühsam
schleppte ich mich noch ins Bett. Dort aber sollten sich sofort die unseligen
Wirkungen der späten Lektüre zeigen.

Ich saß auf einmal als inäsx psälmsus in Byzanz und hatte eine"
leidlich einfachen Prozeß vor mir. Der übliche Titius hatte von dein nicht
minder unvermeidlichen Maevius einen Haushund gekauft, und den hatte noch
auf dem Hofe des Mnevius ein fremder großer Köter ins Ohr gebissen. Aber
die Sache wollte heute gar nicht recht gehn. Daran war vielleicht ein erheb¬
licher Katzenjammer mit schuld, den ich ziemlich deutlich spürte: vor allein aber
das neue Bürgerliche Gesetzbuch des Kaisers Justinian, das in seiner unheim¬
lichen Dicke vor mir lag. Die Äclvoog-ki verwirrten mich aufs äußerste durch
endlose Zitate ans diesem höchst komplizierten Buche. Der eine las mir das,
der andre jenes vor: und beide beriefen sich mit Emphase auf den Geist des
Gesetzes. Ich fühlte mich äußerst unbehaglich und war durchaus nicht im¬
stande, die massenhaften Zitate zu kontrollieren. Ich hatte das dunkle Gefühl,
als ob so ein funkelnagelneues Gesetz doch auch seine Schattenseiten hätte.
Ich mußte, ganz gegen meine Gewohnheit, Publikatioustermiu ansetzen, um
die Sache zu studieren.

Zu Hause schlug ich voll Eifer die Zitate auf, soweit ich sie mir hatte
notieren können. Die meisten stimmten überhaupt gar nicht, aus andern
konnte ich nicht recht klug werden. Vor allem aber gab es einige, die sich in
unangenehmer Weise widerspräche,?. Nach langem Blättern und erheblichem
Ärger quittierte ich meine Kenntnisse und ging zu einem Wissenden. Wozu
war denn auch mein Vetter, der Assessor, Schriftführer in der Gesetzgebuugs-
kommissiou gewesen. Bei ihm war ich sicher, glänzende Auskunft zu erhalten.

Er runzelte zunächst die Stirn, als er das Wort "Widerspruch" hörte.
Der an sich schon sonderbare Verdacht, daß das Gesetz sich widerspreche, werde
durch das Eiuführuugsgcsetz (vonstitutio Wut" 15) völlig widerlegt, wo es
ausdrücklich gesagt sei, daß Widersprüche gar nicht vorkommen könnte". So¬
dann aber auch durch die energischen Aufsätze des Vorsitzenden der Kommission,
der zwar Gcrichtspräfekt im Osten geworden sei, aber immer noch in der
Hauptstadt wohne, Der habe allen, die das schöne Gesetz bemängelt hätten,
ganz gehörig die Wahrheit gesagt. -- Ich fragte schon etwas eingeschüchtert
nach einem guten Buche, das einem armen Sterblichen helfen könnte.

Das ist, entgegnete mein Vetter, leider noch nicht geschrieben. Zwar er¬
scheint heutzutage eine solche Masse von Büchern und Schriften über das
Gesetzbuch, daß es geradezu schon ein offenbarer Skandal ist. Doch fragt
mich nur nicht, wie sie sind! Drei Viertel davou sind mehr oder minder ver-


Am 20. Dezember 532

zwar gar nicht in den Vortrag gehörte, aber sehr uninteressant war. Dennoch
hatte ich mich danach am später Abend nochmals hingesetzt, meine alten ver¬
staubten Kolleghcfte von Jhering aus einem äußerst verborgnen Winkel hervor¬
geholt und die Novation aufgeschlagen, nachher aber auch in die Lehre vom
Kauf und endlich in die Rechtsgeschichte hineingesehen. Diese Materie hatte
ihre alte einschläfernde Macht auf mich noch nicht verloren. Nur mühsam
schleppte ich mich noch ins Bett. Dort aber sollten sich sofort die unseligen
Wirkungen der späten Lektüre zeigen.

Ich saß auf einmal als inäsx psälmsus in Byzanz und hatte eine«
leidlich einfachen Prozeß vor mir. Der übliche Titius hatte von dein nicht
minder unvermeidlichen Maevius einen Haushund gekauft, und den hatte noch
auf dem Hofe des Mnevius ein fremder großer Köter ins Ohr gebissen. Aber
die Sache wollte heute gar nicht recht gehn. Daran war vielleicht ein erheb¬
licher Katzenjammer mit schuld, den ich ziemlich deutlich spürte: vor allein aber
das neue Bürgerliche Gesetzbuch des Kaisers Justinian, das in seiner unheim¬
lichen Dicke vor mir lag. Die Äclvoog-ki verwirrten mich aufs äußerste durch
endlose Zitate ans diesem höchst komplizierten Buche. Der eine las mir das,
der andre jenes vor: und beide beriefen sich mit Emphase auf den Geist des
Gesetzes. Ich fühlte mich äußerst unbehaglich und war durchaus nicht im¬
stande, die massenhaften Zitate zu kontrollieren. Ich hatte das dunkle Gefühl,
als ob so ein funkelnagelneues Gesetz doch auch seine Schattenseiten hätte.
Ich mußte, ganz gegen meine Gewohnheit, Publikatioustermiu ansetzen, um
die Sache zu studieren.

Zu Hause schlug ich voll Eifer die Zitate auf, soweit ich sie mir hatte
notieren können. Die meisten stimmten überhaupt gar nicht, aus andern
konnte ich nicht recht klug werden. Vor allem aber gab es einige, die sich in
unangenehmer Weise widerspräche,?. Nach langem Blättern und erheblichem
Ärger quittierte ich meine Kenntnisse und ging zu einem Wissenden. Wozu
war denn auch mein Vetter, der Assessor, Schriftführer in der Gesetzgebuugs-
kommissiou gewesen. Bei ihm war ich sicher, glänzende Auskunft zu erhalten.

Er runzelte zunächst die Stirn, als er das Wort „Widerspruch" hörte.
Der an sich schon sonderbare Verdacht, daß das Gesetz sich widerspreche, werde
durch das Eiuführuugsgcsetz (vonstitutio Wut» 15) völlig widerlegt, wo es
ausdrücklich gesagt sei, daß Widersprüche gar nicht vorkommen könnte». So¬
dann aber auch durch die energischen Aufsätze des Vorsitzenden der Kommission,
der zwar Gcrichtspräfekt im Osten geworden sei, aber immer noch in der
Hauptstadt wohne, Der habe allen, die das schöne Gesetz bemängelt hätten,
ganz gehörig die Wahrheit gesagt. — Ich fragte schon etwas eingeschüchtert
nach einem guten Buche, das einem armen Sterblichen helfen könnte.

Das ist, entgegnete mein Vetter, leider noch nicht geschrieben. Zwar er¬
scheint heutzutage eine solche Masse von Büchern und Schriften über das
Gesetzbuch, daß es geradezu schon ein offenbarer Skandal ist. Doch fragt
mich nur nicht, wie sie sind! Drei Viertel davou sind mehr oder minder ver-


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[0566] Am 20. Dezember 532 zwar gar nicht in den Vortrag gehörte, aber sehr uninteressant war. Dennoch hatte ich mich danach am später Abend nochmals hingesetzt, meine alten ver¬ staubten Kolleghcfte von Jhering aus einem äußerst verborgnen Winkel hervor¬ geholt und die Novation aufgeschlagen, nachher aber auch in die Lehre vom Kauf und endlich in die Rechtsgeschichte hineingesehen. Diese Materie hatte ihre alte einschläfernde Macht auf mich noch nicht verloren. Nur mühsam schleppte ich mich noch ins Bett. Dort aber sollten sich sofort die unseligen Wirkungen der späten Lektüre zeigen. Ich saß auf einmal als inäsx psälmsus in Byzanz und hatte eine« leidlich einfachen Prozeß vor mir. Der übliche Titius hatte von dein nicht minder unvermeidlichen Maevius einen Haushund gekauft, und den hatte noch auf dem Hofe des Mnevius ein fremder großer Köter ins Ohr gebissen. Aber die Sache wollte heute gar nicht recht gehn. Daran war vielleicht ein erheb¬ licher Katzenjammer mit schuld, den ich ziemlich deutlich spürte: vor allein aber das neue Bürgerliche Gesetzbuch des Kaisers Justinian, das in seiner unheim¬ lichen Dicke vor mir lag. Die Äclvoog-ki verwirrten mich aufs äußerste durch endlose Zitate ans diesem höchst komplizierten Buche. Der eine las mir das, der andre jenes vor: und beide beriefen sich mit Emphase auf den Geist des Gesetzes. Ich fühlte mich äußerst unbehaglich und war durchaus nicht im¬ stande, die massenhaften Zitate zu kontrollieren. Ich hatte das dunkle Gefühl, als ob so ein funkelnagelneues Gesetz doch auch seine Schattenseiten hätte. Ich mußte, ganz gegen meine Gewohnheit, Publikatioustermiu ansetzen, um die Sache zu studieren. Zu Hause schlug ich voll Eifer die Zitate auf, soweit ich sie mir hatte notieren können. Die meisten stimmten überhaupt gar nicht, aus andern konnte ich nicht recht klug werden. Vor allem aber gab es einige, die sich in unangenehmer Weise widerspräche,?. Nach langem Blättern und erheblichem Ärger quittierte ich meine Kenntnisse und ging zu einem Wissenden. Wozu war denn auch mein Vetter, der Assessor, Schriftführer in der Gesetzgebuugs- kommissiou gewesen. Bei ihm war ich sicher, glänzende Auskunft zu erhalten. Er runzelte zunächst die Stirn, als er das Wort „Widerspruch" hörte. Der an sich schon sonderbare Verdacht, daß das Gesetz sich widerspreche, werde durch das Eiuführuugsgcsetz (vonstitutio Wut» 15) völlig widerlegt, wo es ausdrücklich gesagt sei, daß Widersprüche gar nicht vorkommen könnte». So¬ dann aber auch durch die energischen Aufsätze des Vorsitzenden der Kommission, der zwar Gcrichtspräfekt im Osten geworden sei, aber immer noch in der Hauptstadt wohne, Der habe allen, die das schöne Gesetz bemängelt hätten, ganz gehörig die Wahrheit gesagt. — Ich fragte schon etwas eingeschüchtert nach einem guten Buche, das einem armen Sterblichen helfen könnte. Das ist, entgegnete mein Vetter, leider noch nicht geschrieben. Zwar er¬ scheint heutzutage eine solche Masse von Büchern und Schriften über das Gesetzbuch, daß es geradezu schon ein offenbarer Skandal ist. Doch fragt mich nur nicht, wie sie sind! Drei Viertel davou sind mehr oder minder ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/566>, abgerufen am 04.07.2024.