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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Herbstbilder aus Italien

Widerten, Die vorzüglich unterhaltne Straße, anfangs auf dem Höhenrande
laufend, senkte sich bald ins Aniothal hinab, das zunächst eine breite, mit Feldern,
Wiesen und Buschwerk bedeckte Fläche zwischen steilen, nur selten bewaldeten
Felsbergen ist, auf deren Höhe die kleinen Ortschaften thronen, eng aneinander-
gedrüngt, von dem grauen Gestein kaum zu unterscheiden: Rvvianv, Antieoli,
Marano, weiter zurück nach Westen hin Saracinescv, ein altes arabisches Nnub-
nest aus dem für Italien so jammervollen neunten Jahrhundert. Aus diesen
-^ergstädtchen stammten die Frauen, die an günstig liegenden Stellen beschäftigt
waren, Wasser aus dem Anio zu schöpfen, um es in den großen, prächtigen
Kupfergefäßen von ganz antiker Form auf dem Kopfe bergauf zu tragen,
ärmlich angezogen, aber schlanke, kräftige Gestalten. Bei Marano verengt sich
das Thal, auf dem linken Ufer von dem schroffen Felsgrat begrenzt, der
nebeneinander Rocca ti Mezzo, Rocca Cantercmo und Canterano trügt. Die
^raßc wurde allmählich lebhafter. Gruppen von Arbeitern waren an den
Dämmen und Brücken der neuen Eisenbahn beschäftigt, die von Mandela her
"ach Subiaco führen und schon im kommenden Jahre die baufällige Diligenzn
ablösen soll; flotte Geschirre kamen von Subiaco herunter, darunter ein ele¬
ganter Landauer, der anhielt, um unserm Gefährt neue Passagiere zu liefern,
wum Herrn mit zwei Damen, die eine befreundete Familie soweit begleitet
hatten, und als sie kurz vor der Stadt ausstiegen, kletterten seelenvergnügt ein
^ar hübsche Kinder in den Wagen, um ihren Vater, unsern Reisegefährten
Cineto romano her, zärtlich zu begrüßen, die älteste ein allerliebstes
Unkeläugigcs Mädchen von etwa zwölf Jahren in eleganter Kleidung, die mit
gewissen ruhigen Sicherheit den an sie von den Fremden gerichteten
Fragen Rede stand/

Endlich bei einer scharfen Biegung der Straße trat der Kessel von Subiaco
hervor: ringsum hohe zackige Gipfel, mitten inne. 70 Meter auf felsiger Halb¬
esel über dem Anio, die Stadt, darüber ans schroffer, jäh aufstrebender ganz
Mierter Fclspyramide das trotzige Kastell der alten Äbte ans dem achten
Jahrhundert, nnter dessen Schutze erst das Städtchen entstanden ist. Denn
Subiaco ist als solches keine antike Gründung. Erst in der römischen Kaiser-
'^t hatte Nero hier, wahrscheinlich um der Stelle der jetzigen Stadt, eine
^"lin, die nach den drei Seen, zu denen der Anio durch Qucrdümme aufgestaut
'"r. Sublaqueum hieß, und der Ort, ursprünglich im Gebiete von Tivoli ge-
erhielt erst von Papst Pius VI. Stadtrecht. Daher trügt die jetzige
abd ein sehr modernes Gepräge, im ganzen eine lange Straße mit einigen
"zen Quergassen und einer Vorstadt, zwischen die Schlucht des Anio, den
urgfelsen und die Bergwand eingeklemmt. Aber die Wasserkraft des raschen
^^sflusses ist seit dein achtzehnten Jahrhundert zu gewerblichen Anlagen
c^"^ worden, und heute hat Subiaco große Papier-, Eisen- und Cement-
Höl ' ""^ durchweg elektrische Beleuchtung. Stattliche Villen auf den
L>>"^" ""^ elegante Equipagen zeigen, daß es hier recht wohlhabende
^ehe.


Herbstbilder aus Italien

Widerten, Die vorzüglich unterhaltne Straße, anfangs auf dem Höhenrande
laufend, senkte sich bald ins Aniothal hinab, das zunächst eine breite, mit Feldern,
Wiesen und Buschwerk bedeckte Fläche zwischen steilen, nur selten bewaldeten
Felsbergen ist, auf deren Höhe die kleinen Ortschaften thronen, eng aneinander-
gedrüngt, von dem grauen Gestein kaum zu unterscheiden: Rvvianv, Antieoli,
Marano, weiter zurück nach Westen hin Saracinescv, ein altes arabisches Nnub-
nest aus dem für Italien so jammervollen neunten Jahrhundert. Aus diesen
-^ergstädtchen stammten die Frauen, die an günstig liegenden Stellen beschäftigt
waren, Wasser aus dem Anio zu schöpfen, um es in den großen, prächtigen
Kupfergefäßen von ganz antiker Form auf dem Kopfe bergauf zu tragen,
ärmlich angezogen, aber schlanke, kräftige Gestalten. Bei Marano verengt sich
das Thal, auf dem linken Ufer von dem schroffen Felsgrat begrenzt, der
nebeneinander Rocca ti Mezzo, Rocca Cantercmo und Canterano trügt. Die
^raßc wurde allmählich lebhafter. Gruppen von Arbeitern waren an den
Dämmen und Brücken der neuen Eisenbahn beschäftigt, die von Mandela her
»ach Subiaco führen und schon im kommenden Jahre die baufällige Diligenzn
ablösen soll; flotte Geschirre kamen von Subiaco herunter, darunter ein ele¬
ganter Landauer, der anhielt, um unserm Gefährt neue Passagiere zu liefern,
wum Herrn mit zwei Damen, die eine befreundete Familie soweit begleitet
hatten, und als sie kurz vor der Stadt ausstiegen, kletterten seelenvergnügt ein
^ar hübsche Kinder in den Wagen, um ihren Vater, unsern Reisegefährten
Cineto romano her, zärtlich zu begrüßen, die älteste ein allerliebstes
Unkeläugigcs Mädchen von etwa zwölf Jahren in eleganter Kleidung, die mit
gewissen ruhigen Sicherheit den an sie von den Fremden gerichteten
Fragen Rede stand/

Endlich bei einer scharfen Biegung der Straße trat der Kessel von Subiaco
hervor: ringsum hohe zackige Gipfel, mitten inne. 70 Meter auf felsiger Halb¬
esel über dem Anio, die Stadt, darüber ans schroffer, jäh aufstrebender ganz
Mierter Fclspyramide das trotzige Kastell der alten Äbte ans dem achten
Jahrhundert, nnter dessen Schutze erst das Städtchen entstanden ist. Denn
Subiaco ist als solches keine antike Gründung. Erst in der römischen Kaiser-
'^t hatte Nero hier, wahrscheinlich um der Stelle der jetzigen Stadt, eine
^"lin, die nach den drei Seen, zu denen der Anio durch Qucrdümme aufgestaut
'"r. Sublaqueum hieß, und der Ort, ursprünglich im Gebiete von Tivoli ge-
erhielt erst von Papst Pius VI. Stadtrecht. Daher trügt die jetzige
abd ein sehr modernes Gepräge, im ganzen eine lange Straße mit einigen
"zen Quergassen und einer Vorstadt, zwischen die Schlucht des Anio, den
urgfelsen und die Bergwand eingeklemmt. Aber die Wasserkraft des raschen
^^sflusses ist seit dein achtzehnten Jahrhundert zu gewerblichen Anlagen
c^"^ worden, und heute hat Subiaco große Papier-, Eisen- und Cement-
Höl ' ""^ durchweg elektrische Beleuchtung. Stattliche Villen auf den
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^ehe.


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[0501] Herbstbilder aus Italien Widerten, Die vorzüglich unterhaltne Straße, anfangs auf dem Höhenrande laufend, senkte sich bald ins Aniothal hinab, das zunächst eine breite, mit Feldern, Wiesen und Buschwerk bedeckte Fläche zwischen steilen, nur selten bewaldeten Felsbergen ist, auf deren Höhe die kleinen Ortschaften thronen, eng aneinander- gedrüngt, von dem grauen Gestein kaum zu unterscheiden: Rvvianv, Antieoli, Marano, weiter zurück nach Westen hin Saracinescv, ein altes arabisches Nnub- nest aus dem für Italien so jammervollen neunten Jahrhundert. Aus diesen -^ergstädtchen stammten die Frauen, die an günstig liegenden Stellen beschäftigt waren, Wasser aus dem Anio zu schöpfen, um es in den großen, prächtigen Kupfergefäßen von ganz antiker Form auf dem Kopfe bergauf zu tragen, ärmlich angezogen, aber schlanke, kräftige Gestalten. Bei Marano verengt sich das Thal, auf dem linken Ufer von dem schroffen Felsgrat begrenzt, der nebeneinander Rocca ti Mezzo, Rocca Cantercmo und Canterano trügt. Die ^raßc wurde allmählich lebhafter. Gruppen von Arbeitern waren an den Dämmen und Brücken der neuen Eisenbahn beschäftigt, die von Mandela her »ach Subiaco führen und schon im kommenden Jahre die baufällige Diligenzn ablösen soll; flotte Geschirre kamen von Subiaco herunter, darunter ein ele¬ ganter Landauer, der anhielt, um unserm Gefährt neue Passagiere zu liefern, wum Herrn mit zwei Damen, die eine befreundete Familie soweit begleitet hatten, und als sie kurz vor der Stadt ausstiegen, kletterten seelenvergnügt ein ^ar hübsche Kinder in den Wagen, um ihren Vater, unsern Reisegefährten Cineto romano her, zärtlich zu begrüßen, die älteste ein allerliebstes Unkeläugigcs Mädchen von etwa zwölf Jahren in eleganter Kleidung, die mit gewissen ruhigen Sicherheit den an sie von den Fremden gerichteten Fragen Rede stand/ Endlich bei einer scharfen Biegung der Straße trat der Kessel von Subiaco hervor: ringsum hohe zackige Gipfel, mitten inne. 70 Meter auf felsiger Halb¬ esel über dem Anio, die Stadt, darüber ans schroffer, jäh aufstrebender ganz Mierter Fclspyramide das trotzige Kastell der alten Äbte ans dem achten Jahrhundert, nnter dessen Schutze erst das Städtchen entstanden ist. Denn Subiaco ist als solches keine antike Gründung. Erst in der römischen Kaiser- '^t hatte Nero hier, wahrscheinlich um der Stelle der jetzigen Stadt, eine ^"lin, die nach den drei Seen, zu denen der Anio durch Qucrdümme aufgestaut '"r. Sublaqueum hieß, und der Ort, ursprünglich im Gebiete von Tivoli ge- erhielt erst von Papst Pius VI. Stadtrecht. Daher trügt die jetzige abd ein sehr modernes Gepräge, im ganzen eine lange Straße mit einigen "zen Quergassen und einer Vorstadt, zwischen die Schlucht des Anio, den urgfelsen und die Bergwand eingeklemmt. Aber die Wasserkraft des raschen ^^sflusses ist seit dein achtzehnten Jahrhundert zu gewerblichen Anlagen c^"^ worden, und heute hat Subiaco große Papier-, Eisen- und Cement- Höl ' ""^ durchweg elektrische Beleuchtung. Stattliche Villen auf den L>>„^" ""^ elegante Equipagen zeigen, daß es hier recht wohlhabende ^ehe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/501>, abgerufen am 04.07.2024.