Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

bei der Regierung halfen nichts, denn der Direktor, dessen Beamte, sowie die
Lieferanten gehörten zur herrschenden politischen Partei. Erst als die Presse
über das Raubsystem der Lieferanten Lärm schlug, schrieb die Regierung des
Staats Pnranä eine bestimmte Taxe vor, wonach die Lieferanten Lebensmittel
an Einwandrer zu, verabfolgen gezwungen waren.

Als über nach einigen Monaten die Lieferung von Lebensmitteln durch
die Regierung ganz aufhörte und viele der neuen Einwandrer kaum die Aus¬
saat bestellt hatten, da begann die Lage der Leute, die keine Barmittel mehr
hatten -- und deren gab es viele --, geradezu verzweifelt zu werden. Wie'
viele von den 17622 Eingewanderten an Hunger, Entbehrungen aller Art,
Krankheiten usw. zu Grunde gegangen sind, wer weiß es; nur die Bäume des
Urwalds haben die Toten gezählt.

Der Schreiber dieser Zeilen hat sich hänfig unter diesen Ärmsten bewegt,
oft genug das Jammern und Klagen dieser Unglücklichen gehört, von denen
viele ein eignes Grundstück daheim besessen, es zu Schleuderpreisen weggegeben
hatten, um nach Brasilien zu gehn, und dort haben sie an Stelle einer vor¬
gespiegelten goldnen Zukunft den Tod im tiefsten Elend gefunden.

Im Jahre 1897 landete eine Anzahl deutscher Einwandrer in Desterro,
der Hauptstadt Se. Catharinas; von einer staatlichen Fürsorge war keine Rede,
mittel- und obdachlos irrten die Verführten in den Straßen der Stadt umher,
und Gott weiß, was aus diesen Ärmsten geworden wäre, hätte nicht der Edel¬
sinn deutscher Landsleute für ihr weiteres Schicksal gesorgt. Diese Einwandrer
wurden nach Blumenau befördert, dort wiederum von Deutschen gastfreundlich
aufgenommen, um ihr weiteres Fortkommen hat sich besonders der kaiserlich
deutsche Konsnlarngent Herr Snliuger in Blumenau verdient gemacht.

Schön gefärbte Berichte über Eiuwandruugsangelegenheiten in Brasilien
siud immer mit Vorsicht aufzunehmen. Brasilianische Bundesstaaten, die euro¬
päische Kolonisten heranziehn wollen, geben dies vorher, unter gleichzeitiger
Mitteilung der Überlafsnugsbedingungen öffentlich bekannt. Personen, die die
Absicht haben, nach Brasilien auszuwandern und sich dort auf Stnatsläudereien
anzusiedeln, mögen deshalb zuvor an kompetenten Stellen") Erkundigungen
einziehn, ob und in welchen brasilianischen Bundesstaaten Kolonien vermessen
werden, welches die Überlassungsbediinuingen sind, und welche Fürsorge den
Einwandrer bei seiner Ankunft in Brasilien durch die dortige Negierung er¬
wartet.

In der nächsten Zeit dürfte der brasilianische Bundesstaat Minas Gercies
mit der Kolonisation im größern Maßstabe beginnen. Die bisher bekannt ge¬
gebnen Bedingungen der Ansiedlung erscheinen nicht ungünstig; sobald das
Projekt fertig geworden ist, werde ich eingehend darauf zurückkommen, nur ste



") Deutsche Kolonialgescllschaft Berlin ^V, Potsdamerstraße 22s,. Evangelischer Haupt-
vcrein für deutsche Auswandrer zu Witzenhausen an der Werra. Se. Raphaelsverei" zu LimbMg
an der Lahn.

bei der Regierung halfen nichts, denn der Direktor, dessen Beamte, sowie die
Lieferanten gehörten zur herrschenden politischen Partei. Erst als die Presse
über das Raubsystem der Lieferanten Lärm schlug, schrieb die Regierung des
Staats Pnranä eine bestimmte Taxe vor, wonach die Lieferanten Lebensmittel
an Einwandrer zu, verabfolgen gezwungen waren.

Als über nach einigen Monaten die Lieferung von Lebensmitteln durch
die Regierung ganz aufhörte und viele der neuen Einwandrer kaum die Aus¬
saat bestellt hatten, da begann die Lage der Leute, die keine Barmittel mehr
hatten — und deren gab es viele —, geradezu verzweifelt zu werden. Wie'
viele von den 17622 Eingewanderten an Hunger, Entbehrungen aller Art,
Krankheiten usw. zu Grunde gegangen sind, wer weiß es; nur die Bäume des
Urwalds haben die Toten gezählt.

Der Schreiber dieser Zeilen hat sich hänfig unter diesen Ärmsten bewegt,
oft genug das Jammern und Klagen dieser Unglücklichen gehört, von denen
viele ein eignes Grundstück daheim besessen, es zu Schleuderpreisen weggegeben
hatten, um nach Brasilien zu gehn, und dort haben sie an Stelle einer vor¬
gespiegelten goldnen Zukunft den Tod im tiefsten Elend gefunden.

Im Jahre 1897 landete eine Anzahl deutscher Einwandrer in Desterro,
der Hauptstadt Se. Catharinas; von einer staatlichen Fürsorge war keine Rede,
mittel- und obdachlos irrten die Verführten in den Straßen der Stadt umher,
und Gott weiß, was aus diesen Ärmsten geworden wäre, hätte nicht der Edel¬
sinn deutscher Landsleute für ihr weiteres Schicksal gesorgt. Diese Einwandrer
wurden nach Blumenau befördert, dort wiederum von Deutschen gastfreundlich
aufgenommen, um ihr weiteres Fortkommen hat sich besonders der kaiserlich
deutsche Konsnlarngent Herr Snliuger in Blumenau verdient gemacht.

Schön gefärbte Berichte über Eiuwandruugsangelegenheiten in Brasilien
siud immer mit Vorsicht aufzunehmen. Brasilianische Bundesstaaten, die euro¬
päische Kolonisten heranziehn wollen, geben dies vorher, unter gleichzeitiger
Mitteilung der Überlafsnugsbedingungen öffentlich bekannt. Personen, die die
Absicht haben, nach Brasilien auszuwandern und sich dort auf Stnatsläudereien
anzusiedeln, mögen deshalb zuvor an kompetenten Stellen") Erkundigungen
einziehn, ob und in welchen brasilianischen Bundesstaaten Kolonien vermessen
werden, welches die Überlassungsbediinuingen sind, und welche Fürsorge den
Einwandrer bei seiner Ankunft in Brasilien durch die dortige Negierung er¬
wartet.

In der nächsten Zeit dürfte der brasilianische Bundesstaat Minas Gercies
mit der Kolonisation im größern Maßstabe beginnen. Die bisher bekannt ge¬
gebnen Bedingungen der Ansiedlung erscheinen nicht ungünstig; sobald das
Projekt fertig geworden ist, werde ich eingehend darauf zurückkommen, nur ste



") Deutsche Kolonialgescllschaft Berlin ^V, Potsdamerstraße 22s,. Evangelischer Haupt-
vcrein für deutsche Auswandrer zu Witzenhausen an der Werra. Se. Raphaelsverei» zu LimbMg
an der Lahn.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/233046"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1607" prev="#ID_1606"> bei der Regierung halfen nichts, denn der Direktor, dessen Beamte, sowie die<lb/>
Lieferanten gehörten zur herrschenden politischen Partei. Erst als die Presse<lb/>
über das Raubsystem der Lieferanten Lärm schlug, schrieb die Regierung des<lb/>
Staats Pnranä eine bestimmte Taxe vor, wonach die Lieferanten Lebensmittel<lb/>
an Einwandrer zu, verabfolgen gezwungen waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1608"> Als über nach einigen Monaten die Lieferung von Lebensmitteln durch<lb/>
die Regierung ganz aufhörte und viele der neuen Einwandrer kaum die Aus¬<lb/>
saat bestellt hatten, da begann die Lage der Leute, die keine Barmittel mehr<lb/>
hatten &#x2014; und deren gab es viele &#x2014;, geradezu verzweifelt zu werden. Wie'<lb/>
viele von den 17622 Eingewanderten an Hunger, Entbehrungen aller Art,<lb/>
Krankheiten usw. zu Grunde gegangen sind, wer weiß es; nur die Bäume des<lb/>
Urwalds haben die Toten gezählt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1609"> Der Schreiber dieser Zeilen hat sich hänfig unter diesen Ärmsten bewegt,<lb/>
oft genug das Jammern und Klagen dieser Unglücklichen gehört, von denen<lb/>
viele ein eignes Grundstück daheim besessen, es zu Schleuderpreisen weggegeben<lb/>
hatten, um nach Brasilien zu gehn, und dort haben sie an Stelle einer vor¬<lb/>
gespiegelten goldnen Zukunft den Tod im tiefsten Elend gefunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1610"> Im Jahre 1897 landete eine Anzahl deutscher Einwandrer in Desterro,<lb/>
der Hauptstadt Se. Catharinas; von einer staatlichen Fürsorge war keine Rede,<lb/>
mittel- und obdachlos irrten die Verführten in den Straßen der Stadt umher,<lb/>
und Gott weiß, was aus diesen Ärmsten geworden wäre, hätte nicht der Edel¬<lb/>
sinn deutscher Landsleute für ihr weiteres Schicksal gesorgt. Diese Einwandrer<lb/>
wurden nach Blumenau befördert, dort wiederum von Deutschen gastfreundlich<lb/>
aufgenommen, um ihr weiteres Fortkommen hat sich besonders der kaiserlich<lb/>
deutsche Konsnlarngent Herr Snliuger in Blumenau verdient gemacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1611"> Schön gefärbte Berichte über Eiuwandruugsangelegenheiten in Brasilien<lb/>
siud immer mit Vorsicht aufzunehmen. Brasilianische Bundesstaaten, die euro¬<lb/>
päische Kolonisten heranziehn wollen, geben dies vorher, unter gleichzeitiger<lb/>
Mitteilung der Überlafsnugsbedingungen öffentlich bekannt. Personen, die die<lb/>
Absicht haben, nach Brasilien auszuwandern und sich dort auf Stnatsläudereien<lb/>
anzusiedeln, mögen deshalb zuvor an kompetenten Stellen") Erkundigungen<lb/>
einziehn, ob und in welchen brasilianischen Bundesstaaten Kolonien vermessen<lb/>
werden, welches die Überlassungsbediinuingen sind, und welche Fürsorge den<lb/>
Einwandrer bei seiner Ankunft in Brasilien durch die dortige Negierung er¬<lb/>
wartet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1612" next="#ID_1613"> In der nächsten Zeit dürfte der brasilianische Bundesstaat Minas Gercies<lb/>
mit der Kolonisation im größern Maßstabe beginnen. Die bisher bekannt ge¬<lb/>
gebnen Bedingungen der Ansiedlung erscheinen nicht ungünstig; sobald das<lb/>
Projekt fertig geworden ist, werde ich eingehend darauf zurückkommen, nur ste</p><lb/>
          <note xml:id="FID_74" place="foot"> ") Deutsche Kolonialgescllschaft Berlin ^V, Potsdamerstraße 22s,. Evangelischer Haupt-<lb/>
vcrein für deutsche Auswandrer zu Witzenhausen an der Werra. Se. Raphaelsverei» zu LimbMg<lb/>
an der Lahn.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0494] bei der Regierung halfen nichts, denn der Direktor, dessen Beamte, sowie die Lieferanten gehörten zur herrschenden politischen Partei. Erst als die Presse über das Raubsystem der Lieferanten Lärm schlug, schrieb die Regierung des Staats Pnranä eine bestimmte Taxe vor, wonach die Lieferanten Lebensmittel an Einwandrer zu, verabfolgen gezwungen waren. Als über nach einigen Monaten die Lieferung von Lebensmitteln durch die Regierung ganz aufhörte und viele der neuen Einwandrer kaum die Aus¬ saat bestellt hatten, da begann die Lage der Leute, die keine Barmittel mehr hatten — und deren gab es viele —, geradezu verzweifelt zu werden. Wie' viele von den 17622 Eingewanderten an Hunger, Entbehrungen aller Art, Krankheiten usw. zu Grunde gegangen sind, wer weiß es; nur die Bäume des Urwalds haben die Toten gezählt. Der Schreiber dieser Zeilen hat sich hänfig unter diesen Ärmsten bewegt, oft genug das Jammern und Klagen dieser Unglücklichen gehört, von denen viele ein eignes Grundstück daheim besessen, es zu Schleuderpreisen weggegeben hatten, um nach Brasilien zu gehn, und dort haben sie an Stelle einer vor¬ gespiegelten goldnen Zukunft den Tod im tiefsten Elend gefunden. Im Jahre 1897 landete eine Anzahl deutscher Einwandrer in Desterro, der Hauptstadt Se. Catharinas; von einer staatlichen Fürsorge war keine Rede, mittel- und obdachlos irrten die Verführten in den Straßen der Stadt umher, und Gott weiß, was aus diesen Ärmsten geworden wäre, hätte nicht der Edel¬ sinn deutscher Landsleute für ihr weiteres Schicksal gesorgt. Diese Einwandrer wurden nach Blumenau befördert, dort wiederum von Deutschen gastfreundlich aufgenommen, um ihr weiteres Fortkommen hat sich besonders der kaiserlich deutsche Konsnlarngent Herr Snliuger in Blumenau verdient gemacht. Schön gefärbte Berichte über Eiuwandruugsangelegenheiten in Brasilien siud immer mit Vorsicht aufzunehmen. Brasilianische Bundesstaaten, die euro¬ päische Kolonisten heranziehn wollen, geben dies vorher, unter gleichzeitiger Mitteilung der Überlafsnugsbedingungen öffentlich bekannt. Personen, die die Absicht haben, nach Brasilien auszuwandern und sich dort auf Stnatsläudereien anzusiedeln, mögen deshalb zuvor an kompetenten Stellen") Erkundigungen einziehn, ob und in welchen brasilianischen Bundesstaaten Kolonien vermessen werden, welches die Überlassungsbediinuingen sind, und welche Fürsorge den Einwandrer bei seiner Ankunft in Brasilien durch die dortige Negierung er¬ wartet. In der nächsten Zeit dürfte der brasilianische Bundesstaat Minas Gercies mit der Kolonisation im größern Maßstabe beginnen. Die bisher bekannt ge¬ gebnen Bedingungen der Ansiedlung erscheinen nicht ungünstig; sobald das Projekt fertig geworden ist, werde ich eingehend darauf zurückkommen, nur ste ") Deutsche Kolonialgescllschaft Berlin ^V, Potsdamerstraße 22s,. Evangelischer Haupt- vcrein für deutsche Auswandrer zu Witzenhausen an der Werra. Se. Raphaelsverei» zu LimbMg an der Lahn.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/494
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/494>, abgerufen am 04.07.2024.